Leitsatz (redaktionell)
Offenbare Unrichtigkeiten iS des KBLG Art 32 sind Fehler im Ausdruck, nicht in der Bildung des Willens, die so offenkundig sind, daß sie sich - ebenso wie ihre Richtigstellung - aus der Entscheidung und dem ihr zugrunde gelegten Sachverhalt selbst unmittelbar und ohne weiters oder wenigstens aus den Vorgängen bei Erlaß der Entscheidung ergeben (vergleiche BGH 1956-03-08 8 III ZR 265/54 ≫ BGHZ 20, 188, 191; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl 1960, § 57 1. 3 S 260). Nur in sehr begrenztem Umfang können Unstimmigkeiten, die sich dem Bescheid selbst nicht entnehmen lassen, aber dennoch ohne weiteres erkennbar sind (zB falsche Bezeichnung der Parteien), berichtigt werden; so gehören hierzu zwar Rechenfehler, wenn sie durch Achtlosigkeit, nicht aber wenn sie durch eine falsche Tatsachenwertung oder einen Rechtsirrtum hervorgerufen worden sind (vergleiche BSG 1961-09-08 1 RA 104/59 = BSGE 15, 96). Eine sachlich fehlerhafte Entscheidung, mag sie auch durch ein grobes Versehen bei der Anwendung von Rechtsvorschriften zustande gekommen sein, kann nicht nach KBLG Art 32 oder ZPO § 319 berichtigt werden. Ob eine Unrichtigkeit nur im Ausdruck, nicht im Willen vorliegt, kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Eine Behörde muß ihre Bescheide jedoch so gegen sich gelten lassen, wie sie von dem Empfänger verstanden werden dürfen. Unstimmigkeiten, die nicht als Unrichtigkeiten im Ausdruck (also als offenbare Unrichtigkeit) erkennbar sind, können darum nicht berichtigt werden.
Normenkette
ZPO § 319 Fassung: 1950-09-12
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. November 1959 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Das Versorgungsamt (VersorgA) Augsburg stellte mit Bescheid vom 19. Februar 1951 bei dem Kläger "doppelseitige Ischias", verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des Art. 32 Abs. 1 des (Bayerischen) Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes (KBLG) vom 26. März 1947 (GVBl 107) und des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) als Schädigungsfolge fest, es bewertete die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 1. Februar 1947 an mit 50 v. H. und vom 1. Februar 1951 an mit 20 v. H. Der Bescheid verglich die Zahlungen, die der Kläger seit dem 1. Februar 1949 als Vorschuß auf seine Rentenansprüche erhalten hatte, und die Beträge, die ihm unter Berücksichtigung einer Grundrente nach einer MdE um 50 v. H. bis zum 31. März 1951 zustanden, und errechnete zu Gunsten des Klägers den Betrag von 193,-- DM. Im Anschluß an die Aufstellung hieß es in dem Bescheid:
"Der Betrag wird im Postscheckwege überwiesen. Vom 1. April 1951 erhalten Sie mtl. 25,-- (bisher 45,-- DM) ... ausgezahlt."
In den im Bescheid enthaltenen "Hinweisen" wurde der Kläger darüber belehrt, daß "am 1. Oktober 1950 vorerst die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz" gezahlt werde, daß nur Schwerbeschädigte (MdE 50 v. H. und mehr) eine Ausgleichsrente erhalten könnten und über den etwaigen Anspruch auf Ausgleichsrente für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 28. Februar 1951 noch entschieden werde. Der Bescheid schließt mit folgendem Satz:
"Der Wegfall der bisher gezahlten Rente tritt mit Ablauf des Monats ein, der auf die Zustellung dieses Bescheids folgt, d. h. ab 1. April 1951 ..."
Der Kläger erhielt neben der einmaligen Zahlung von 193,-- DM lausend bis April 1954 25,-- DM monatlich (insgesamt 950,-- DM) gemäß der auf der Rückseite des Bescheides enthaltenen - später durchgestrichenen - Anweisung an die Amtskasse. Seine "Berufung" gegen die Herabsetzung der MdE von 50 auf 20 v. H. wies der Vorsitzende der 1. KB-Kammer des Oberversicherungsamts (OVA) Augsburg durch Vorentscheidung vom 3. September 1951 zurück.
Durch Bescheid vom 20. April 1954 entzog das VersorgA Augsburg die Rente und ordnete die Erstattung des Betrages von 950,-- DM mit der Begründung an, dem Bescheid vom 19. Februar 1951 sei "zweifelsfrei" zu entnehmen, daß dem Kläger vom 1. April 1951 an eine lausende Rente nicht zugestanden habe. Dasselbe ergebe sich auch aus dem Urteil des OVA vom 3. September 1951. Das LandesVersorgA wies den Widerspruch des Klägers durch Bescheid vom 3. Dezember 1954 zurück, nachdem das VersorgA durch Bescheid vom 7. September 1954 die Ausgleichsrente für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. März 1951 festgesetzt und mit der Erstattungsforderung gegen den Anspruch auf Nachzahlung von Rente in Höhe von 300,-- DM aufgerechnet hatte.
Das Sozialgericht (SG) Augsburg hob den Rückforderungsbescheid vom 20. April 1954 und den Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1954 auf. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung des Beklagten durch Urteil vom 20. November 1959 zurück: Der Beklagte habe wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage mit dem Erstattungsanspruch nicht gegen den Anspruch auf Zahlung der Ausgleichsrente aufrechnen dürfen; daher sei Streitgegenstand die Rechtmäßigkeit des Erstattungsanspruchs in Höhe von 950,-- DM. Der Bescheid vom 20. April 1954 habe nicht auf § 25 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) gestützt werden können, da dieses Gesetz erst am 1. April 1955 in Kraft getreten sei. Auch Art. 32 Abs. 1 KBLG sei nicht anwendbar gewesen, weil der Bescheid vom 19. Februar 1951 eine "offenbare Unrichtigkeit" im Sinne dieser Bestimmung nicht enthalte. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Bescheid vom 19. Februar 1961 nach Art. 30 Abs. 4 KBLG habe zurückgenommen werden dürfen, denn Gegenstand des Verfahrens sei nur der Erstattungsanspruch des Beklagten. Dieser Anspruch sei nicht begründet, weil die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 VerwVG nicht erfüllt seien, der Klüger habe den Mangel des rechtlichen Grundes nicht gekannt.
Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil wurde dem Beklagten am 29. Dezember 1959 zugestellt. Er legte am 27. Januar 1960 Revision ein und beantragte,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 20. November 1959 und das Urteil des SG Augsburg vom 1. Dezember 1955 auszuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Er begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 29. März 1960 - am 26. März 1960: Das LSG habe durch Nichtanwendung des Art. 32 Abs. 1 KBLG das Gesetz verletzt; der Bescheid vom 19. Februar 1951 habe eine offenbare Unrichtigkeit enthalten, die nach dieser Vorschrift habe berichtigt werden können; die Nichtübereinstimmung von Wille und Erklärung ergebe sich unmittelbar aus dem Bescheid. Da es eines Rücknahmebescheides nach Art. 30 Abs. 4 KBLG nicht bedurft habe, sei auch § 47 Abs. 3 VerwVG unanwendbar und der Kläger nach § 47 Abs. 1 VerwVG erstattungspflichtig.
Der Kläger ist in dem Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.
II
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt, sie ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft; sie ist jedoch nicht begründet.
Das LSG hat die Berufung mit Recht als zulässig angesehen. Gegenstand des Urteils des SG ist nicht "Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume" im Sinne des § 148 Abs. 2 Nr. 2 SGG gewesen, auch nicht ein Anspruch auf eine einmalige Leistung, wie sie in § 144 Nr. 1 SGG vorausgesetzt ist; darum ist die Berufung ohne Zulassung statthaft gewesen (vgl. BSG 3, 234, 236 f).
Das LSG hat die Rechtmäßigkeit der in dem Bescheid vom 20. April 1954 enthaltenen Erstattungsanordnung verneint, weil der Bescheid vom 19. Februar 1951 nicht nach Art. 32 Abs. 1 KBLG wegen offenbarer Unrichtigkeit habe berichtigt werden können; es hat, ohne zu prüfen, ob dieser Bescheid wegen der Bewilligung der Rente von monatlich 25,-- DM hat zurückgenommen werden dürfen, den Erstattungsanspruch verneint. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
Der Bescheid vom 20. April 1954 enthält zwei Verwaltungsakte, von denen der eine den Bescheid vom 19. Februar 1951, der andere die Erstattung von 950,-- DM betrifft. Die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs hat zunächst zur Voraussetzung gehabt, daß die Bindung an den Bescheid vom 19. Februar 1951 rechtswirksam beseitigt worden ist. Ob der Kläger mit der Klage nur die Erstattungsverfügung, nicht auch die in dem Bescheid vom 20. April 1954 enthaltene Rücknahme des Bescheides vom 19. Februar 1951 hat anfechten wollen, kann dahingestellt bleiben. Er hat gegen das Urteil des SG, durch das nur über "den Rückforderungsbescheid", nicht aber über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme des Bescheides vom 19. Februar 1951 erkannt worden ist, Berufung nicht eingelegt; somit ist auf die Berufung des Beklagten nur noch über die Rechtmäßigkeit des "Rückforderungsbescheids" zu entscheiden gewesen. Zur Entscheidung über den Erstattungsanspruch hat jedoch geprüft werden müssen, ob der Beklagte den Bescheid vom 19. Februar 1951 wegen offenbarer Urrichtigkeit hat berichtigen dürfen oder ob er die Bindung an diesen Bescheid nur durch Rücknahme hat beseitigen können. Nach § 84 Abs. 3 BVG hat eine Berichtigung des Bescheides vom 19. Februar 1951 nur auf Art. 32 KBLG gestützt werden können, denn das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ist erst am 1. April 1955 in Kraft getreten. Nach Art. 32 KBLG sind "Schreib- und Rechenfehler sowie ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Bescheidevorkommen, jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen zu berichtigen"; das Gesetz übernimmt damit wörtlich die in § 319 der Zivilprozeßordnung (ZPO) für die Berichtigung von Urteilen getroffene Regelung. Offenbare Unrichtigkeiten im Sinne des Art. 32 KBLG sind Fehler im Ausdruck, nicht in der Bildung des Willens, die so offenkundig sind, daß sie sich - ebenso wie ihre Richtigstellung - aus der Entscheidung und dem ihr zugrunde gelegten Sachverhalt selbst unmittelbar und ohne weiteres oder wenigstens aus den Vorgängen bei Erlaß der Entscheidung ergeben (BGH 20, 191 f; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Ausl., 1960 § 57 I 3 S. 260). Nur in sehr begrenztem Umfang können Unstimmigkeiten, die sich dem Bescheid selbst nicht entnehmen lassen, aber dennoch ohne weiteres erkennbar sind (zB falsche Bezeichnung der Parteien), berichtigt werden; so gehören hierzu zwar Rechenfehler, wenn sie durch Achtlosigkeit, nicht aber wenn sie durch eine falsche Tatsachenwertung oder einen Rechtsirrtum hervorgerufen worden sind (vgl. BSG Urteil vom 8. September 1961, BSG 15, 96). Eine sachlich fehlerhafte Entscheidung, mag sie auch durch ein grobes Versehen bei der Anwendung von Rechtsvorschriften zustande gekommen sein, kann nicht nach Art. 32 KBLG oder § 319 ZPO berichtigt werden. Ob eine Unrichtigkeit nur im Ausdruck, nicht im Willen vorliegt, kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Eine Behörde muß ihre Bescheide jedoch so gegen sich gelten lassen, wie sie von dem Empfänger verstanden werden dürfen. Unstimmigkeiten, die nicht als Unrichtigkeiten im Ausdruck (also als offenbare Unrichtigkeiten) erkennbar sind, können darum nicht berichtigt werden.
Der Beklagte hat zulässige Revisionsrügen in Bezug auf die dem Urteil des LSG zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht erhoben; das BSG ist daher an diese Feststellungen gebunden (§ 163 SGG). Aus ihnen hat das LSG ohne Rechtsirrtum gefolgert, daß der Bescheid vom 19. Februar 1951 die Bewilligung einer Rente von 25,-- DM monatlich vom 1. April 1951 an enthalten hat und daß diese Entscheidung nicht wegen offenbarer Unrichtigkeit hat berichtigt werden können. Der Kläger hat einen Anspruch auf diese Rente nicht gehabt, denn nach §§ 31 Abs. 1 und 2, 86 Abs. 1 Satz 3 BVG hat eine Grundrente über den 1. April 1951 hinaus nur bewilligt werden dürfen, wenn die Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 v. H. gemindert war; auch eine Ausgleichsrente hat dem Kläger vom 1. April 1951 an nach § 32 BVG nicht zugestanden. Das Versehen des VersorgA ist aber weder klar erkennbar, also "offenbar" gewesen, noch hat es sich auf einen Fehler im Ausdruck bezogen; es hat vielmehr rechtliche Schlußfolgerungen betroffen; der Kläger hat, wie das LSG zutreffend festgestellt hat, dem Bescheid entnehmen dürfen, daß ihm vom 1. April 1951 an eine zeitlich nicht begrenzte Rente bewilligt worden sei; er hat den Bescheid auch so verstanden; dies ergibt sich, wie das LSG ebenfalls festgestellt hat, aus seinem Berufungsschriftsatz vom 14. März 1951. In dieser Auffassung hat er um so mehr bestärkt werden müssen, als der Betrag von monatlich 25,-- DM drei Jahre lang gezahlt worden ist, und zwar auch dann noch, als seine "Berufung" gegen den Bescheid vom 19. Februar 1951 am 3. September 1951 zurückgewiesen war. Daß ihm die Rente nicht über den 31. März 1951 hinaus zustehe, hat er auch nicht dem Schlußsatz des Bescheides vom 19. Februar 1951 entnehmen müssen; darin heißt es nur, daß "der Wegfall der bisher gezahlten Rente mit Ablauf des Monats eintritt, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, d. i. der 1. April 1951"; auf derselben Seite des Bescheides wird dem Kläger aber mitgeteilt, daß er vom 1. April 1951 an monatlich 25,-- DM statt bisher 45,-- DM erhalte. Der Schlußsatz des Bescheides und der besondere Hinweis haben also nicht in einem unvereinbaren Gegensatz zueinander gestanden, vielmehr hat der Kläger annehmen können, der Hinweis über den "Wegfall der bisher gezahlten Rente" beziehe sich nur auf die Höhe der Rente; er hat weiterhin laufend den Betrag von 25,-- DM monatlich erhalten und deshalb auch annehmen dürfen, daß dies im Sinne des Bescheides vom 19. Februar 1951 liege und daß dies zur Ausführung des Bescheides geschehe. Die Vorentscheidung vom 3. September 1951, die sich im übrigen nur mit der Höhe der MdE befaßt, hebt zwar hervor, daß nach § 86 BVG die Grundrente "erst mit Ende März 1951" eingestellt worden sei; damit ist aber nicht klargestellt, ob der Betrag von monatlich 25,-- DM nicht eine Vergünstigung nach anderen Vorschriften des BVG darstellt; außerdem enthält die Entscheidung vom 3. September 1951 keinen klärenden Hinweis über die Unrichtigkeit des Satzes in dem Bescheid vom 19. Februar 1951, daß der Kläger vom 1. April 1951 an 25,-- DM erhalte. Hiernach hat das LSG zutreffend verneint, daß der Beklagte nach Art. 32 KBLG zur Berichtigung des Bescheides vom 19. Februar 1951 berechtigt gewesen ist.
Zuzustimmen ist dem LSG auch darin, daß die Erstattungsanordnung des VersorgA vom 20. April 1954 rechtswidrig gewesen ist und darum der Beklagte die Erstattung des Betrages von 950,-- DM nicht verlangen kann. Die Klage gegen den Bescheid vom 20. April 1954 in der Gestalt, die dieser Bescheid durch den Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1954 gefunden hat (§ 95 SGG), ist eine Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG; sie ist keine Leistungsklage, denn ihr Ziel ist die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts. Für die Frage, ob ein solcher Verwaltungsakt rechtswidrig ist, ist es auf die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt angekommen, in dem die letzte Verwaltungsentscheidung im Vorverfahren ergangen ist (BSG 7, 9, 13; 8, 11, 13 f). Nach Art. 30 Abs. 4 KBLG in Verbindung mit § 84 Abs. 3 BVG "kann" ein rechtskräftiger Bescheid zu Gunsten des Berechtigten jederzeit ausgehoben werden, zu seinen Ungunsten nur, wenn die Voraussetzungen der Bescheiderteilung sich als unzutreffend erweisen. Da die - teilweise - Rücknahme des Bescheides vom 19. Februar 1951 unanfechtbar geworden ist, hat nicht mehr geprüft werden können, ob der Erlaß eines Bescheides zu Ungunsten des Berechtigten nach Art. 30 Abs. 4 KBLG in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt ist (vgl. dazu BSG 3, 199, 202) und ob etwa die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind. Auch wenn von der bindenden Wirkung der Rücknahme des Bescheides vom 19. Februar 1951 auszugehen ist, hat sich daraus aber noch nicht ohne weiteres ergeben, daß der Kläger den in der Zeit vom 1. April 1951 bis zum 30. April 1954 empfangenen Betrag erstatten muß. Diese Rechtsfolge kann nicht schon daraus hergeleitet werden, daß Art. 30 Abs. 4 KBLG die Verwaltungsbehörden zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt hat. Eine solche Auslegung des Art. 30 Abs. 4 KBLG ist schon deshalb ausgeschlossen, weil sie Rechtsgrundsätze verletzt, die bei Erlaß dieses Gesetzes anerkannt gewesen und vom Reichsversorgungsgericht (RVG) in ständiger Rechtsprechung vertreten worden sind. Die Auslegung des Art. 30 Abs. 4 KBLG hat von diesen Rechtsgrundsätzen für die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen ausgehen müssen. Die Rechtsprechung des RVG hat deutlich zwischen dem Erlaß von "Berichtigungsbescheiden" (nach § 65 Abs. 2 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 10. Januar 1922 idF des Gesetzes vom 2. November 1934, RGBl I 1113) und der Geltendmachung von Erstattungsansprüchen unterschieden (RVG 6, 83, 84; 7, 62, 63; 12, 246, 249; 13, 133, 135 f) und die Erstattung jedenfalls dann nicht zugelassen, wenn die Leistungen "in gutem Glauben an die Rechtskraft des Bescheides" empfangen worden sind (RVG 7, 62, 64; 13, 133, 135 f; 12, 246, 249); dieser Grundsatz ist sogar in den Fällen angewandt worden, in denen Bescheide wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse (zB Entziehung der Elternrente) vorgelegen haben (RVG 5, 177, 188). Es kann darum nicht unterstellt werden, daß Art. 30 Abs. 4 KBLG nicht nur die Rücknahme unrichtiger Bescheide hat regeln wollen, sondern zugleich auch die Verpflichtung zur Erstattung der in der Vergangenheit zu Unrecht gezahlten Beträge, und zwar dahin, daß diese Verpflichtung in jedem Falle bestehe. Die Ausübung des Rückforderungsrechts ist vielmehr schon nach damaliger Auffassung an die Grenzen gebunden gewesen, die sich nach der allgemeinen Rechtsüberzeugung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben. Auch das Bayerische Landesversicherungsamt, das in Anlehnung an die Rechtsprechung des RVG diesen Grundsätzen gefolgt ist, hat gefordert, daß geprüft werden müsse, ob die durch den Erlaß eines Berichtigungsbescheides veranlaßte Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs im Einzelfall nicht gegen Treu und Glauben verstoße (Urteil vom 24. September 1952 - KBe 2741/51, Amtsbl. des Bayer. Staatsmin. f. Arb. u. soz. Fürsorge 1953, B 79/82).
Das LSG hat festgestellt, der Kläger habe nicht erkennen können, daß er vom 1. April 1951 an Rente nicht mehr zu beanspruchen habe. Es hat ferner festgestellt, daß die Zahlung von 25,-- DM monatlich seit dem 1. April 1951 ausschließlich auf ein Versehen des VersorgA zurückzuführen ist. Unter diesen Umständen ist die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar. Das LSG hat daher mit Recht die Berufung zurückgewiesen. Darum ist auch die Revision des Beklagten unbegründet; sie ist, da weitere Feststellungen nicht mehr erforderlich sind, zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 195 SGG.
Fundstellen