Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsrechtliche Beurteilung der Bezirksstellenleiter von Lotto- und Totogesellschaften
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Versicherungs- und Beitragspflicht eines Bezirksstellenleiters der "Sport-Toto-GmbH Rheinland-Pfalz".
Leitsatz (redaktionell)
1. Bezirksstellenleiter von Lotto- und Totogesellschaften, die aufgrund von Geschäftsbesorgungsverträgen den Geschäftsverkehr zwischen den Annahmestellen und der Geschäftsstelle innerhalb eines ihnen zugewiesenen Bezirks vermitteln, die für kein anderes Wett- oder Lotterieunternehmen tätig sein dürfen und denen die Art der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Verfügungen, Anordnungen und sonstige Anweisungen der Geschäftsstelle bis ins einzelne vorgeschrieben ist, stehen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und unterliegen grundsätzlich der Versicherungspflicht.
2. Daß Bezirksstellenleiter von Lotto- und Totogesellschaften für ihre Tätigkeit eine nach dem jeweiligen Spieleinsatz bemessene Provision erhalten und die Kosten für die Unterhaltung von Geschäftsräumen und die Aufwendungen für die von ihnen eingestellten Hilfskräfte selbst zu tragen haben, sowie der Umstand, daß sie bei schuldhafter Vertragsverletzung mit einer Konventionalstrafe belegt werden können, steht ihrer Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen.
Normenkette
AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AFG § 168 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 169 Nr. 1 S. 2 Fassung: 1969-06-25; AVAVG § 56 Abs. 1 Nr. 2; RVO § 1227 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1960-09-08, Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 1972 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene zu 3) in seiner Tätigkeit als Bezirksstellenleiter bei der Klägerin der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung und der Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung unterliegt und ob deshalb für ihn Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sind.
Die Klägerin veranstaltet in Rheinland-Pfalz Sportwetten und führt außerdem das staatliche Zahlenlotto durch. Geschäftsführung und Leitung des gesamten Wettgeschäfts liegt in der Hand ihrer Zentrale in K. Diese bedient sich zur Durchführung des Wettgeschäfts der Hilfe von Annahme- und Bezirksstellen. Den Geschäftsverkehr zwischen den Annahmestellen und der Zentrale vermitteln die Bezirksstellenleiter.
Am 5. Dezember 1966 schlossen die Klägerin und der Beigeladene zu 3) unter Verwendung eines vorgedruckten Vertragsmusters einen "Geschäftsbesorgungsvertrag für Bezirksstellenleiter der Sport-Toto-GmbH Rheinland-Pfalz, K" ab. Der Beigeladene zu 3) führt die Geschäfte für die Klägerin unter der Bezeichnung: "Toto-Lotto Walter Z, Bezirksstelle H III der Sport-Toto GmbH Rheinland-Pfalz". Er unterhält nach seinen Angaben Geschäftsräume im eigenen Haus und beschäftigt an den Wochenenden 12 Hilfskräfte zur Erledigung der jeweiligen Abrechnungen.
Die Beklagte stellte die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 3) in der Rentenversicherung der Angestellten und die Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung mit Wirkung vom 1. Januar 1968 (Wegfall der Jahresarbeitsverdienstgrenze) fest; sie forderte von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 8196,60 DM nach (Bescheid vom 27. Mai 1970, Widerspruchsbescheid vom 24. August 1970).
Das Sozialgericht (SG) vernahm den Handlungsbevollmächtigten der Klägerin Karl Peter H als Zeugen. Es hob sodann den angefochtenen Bescheid der Beklagten auf und stellte fest, daß die Klägerin für den Beigeladenen zu 3) keine Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten habe (Urteil vom 21. April 1971). Auf die Berufung der Beigeladenen zu 1) hob das Landessozialgericht (LSG) die erstinstanzliche Entscheidung auf und wies die Klage ab (Urteil vom 24. Februar 1972). Es ist nach Würdigung der tatsächlichen Vertragsgestaltung und im Anschluß an die Auffassung im Urteil des 2. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Dezember 1964 (SozR Nr. 39 zu § 537 RVO aF), in welchem ein Bezirksstellenleiter der Niedersächsischen Fußball-Toto GmbH als in abhängiger Beschäftigung stehend angesehen wurde, zu dem Ergebnis gekommen, daß auch im vorliegenden Streitfall die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Umstände überwiegen.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie macht geltend, der Bezirksstellenleiter sei nicht den abhängig Beschäftigten zuzuordnen.
Zur Begründung trägt die Revisionsklägerin vor: Zwar habe das BSG in der im angefochtenen Urteil genannten Entscheidung vom 9. Dezember 1964 die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit eines Bezirksstellenleiters des Niedersachsen-Totos anhand der in diesem Land geltenden Regelungen bejaht. Die für den Beigeladenen zu 3) geltenden Bestimmungen im Land Rheinland-Pfalz ließen jedoch erkennen, daß die für die Selbständigkeit geltenden Merkmale überwiegen. Dies habe sich aufgrund der Befragung eines "sachverständigen Zeugen" durch den Erstrichter als Vertragswirklichkeit ergeben. Die Bezirksstellenleiter hätten sich stets als selbständige Geschäftsleute empfunden, weil das geschäftliche Risiko von ihnen zu tragen sei und weil sie hinsichtlich der Geschäftsräume, ihres Personals sowie der Arbeitszeit Verfügungsfreiheit hätten und auch ihren Urlaub selbst bestimmen könnten. Die Weisungsbefugnis der Klägerin folge nicht aus ihrem Direktionsrecht, sondern aus dem Vertrag mit den Bezirksstellenleitern, für den Termin- und Sicherheitsbedürfnisse des Wettgeschäfts bestimmend seien. Die Weisungen, die vertraglich ähnlich zwischen Automobilwerk und Händler oder im Verhältnis zwischen Bauherr und Architekten bedungen würden und einschneidend sein könnten, ohne daß damit eine sozialrechtliche Abhängigkeit begründet werde, führten nicht dazu, daß der Bezirksstellenleiter in einem persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zur Klägerin stehe. Der auch im zweiten Rechtszug gestellte Antrag, einen sachkundigen Zeugen zur Vertragswirklichkeit zu hören, sei darauf ausgerichtet gewesen, das Gericht davon zu überzeugen, daß der Erstrichter die gegebene Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des SG Koblenz vom 21. April 1971 zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 1) - Revisionsbeklagte - sowie die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie machen sich die Rechtsauffassung des LSG zu eigen.
Der Beigeladene zu 3) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet.
Der Beitragsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin hängt davon ab, ob der Beigeladene zu 3) in der Angestelltenversicherung versicherungspflichtig und in der Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -, §§ 168 Abs. 1, 169 Nr. 1 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG - bzw. für den vor dem 1. Juli 1969 streitigen Zeitraum § 56 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG -). Maßgebend ist somit, ob der Beigeladene zu 3) als Angestellter in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht. Dies ist vom LSG mit zutreffenden Gründen bejaht worden. Die Beklagte hat daher als Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge (vgl. §§ 121 AVG, 176 AFG) von der Klägerin zu Recht die der Höhe nach unstreitigen Beiträge nachgefordert.
Wie der erkennende Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. das Urteil vom 1.3.1972 in DAngVers 1972, 211 sowie die beiden Urteile vom 27.9.1972 in SozR Nr. 71 zu § 165 RVO und SozR Nr. 7 zu § 2 AVG) ist wesentliches Merkmal eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses die persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten gegenüber einem Arbeitgeber. Sie äußert sich vornehmlich in der Eingliederung des Arbeitenden in den Betrieb und in den Arbeitsprozeß; sie ist in der Regel mit der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers verbunden. Die Arbeit des Beschäftigten muß demnach "fremdbestimmt" sein. In der Rechtsprechung sind des weiteren verschiedene einzelne Merkmale näher herausgestellt worden, die Anhaltspunkte für die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit geben (vgl. die Urteile des erkennenden Senats vom 1.3. und 27.9.1972 aaO mit weiteren Nachweisen). Welche Merkmale dabei das Verhältnis zwischen den Beteiligten prägen, ist jedoch nur nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen (vgl. BSG 11, 257, 260; SozR Nr. 51 und Nr. 55 zu § 165 RVO; SozR Nr. 4 zu § 2 AVG).
Das LSG ist zutreffend von diesen für die Entscheidung über die Versicherungspflicht wesentlichen Kriterien ausgegangen. Es ist unter Hinweis auf die Entscheidung des 2. Senats des BSG vom 9. Dezember 1964 (Breithaupt 1965, 639 = SozR Nr. 39 zu § 537 RVO aF), mit welcher die abhängige Beschäftigung eines Bezirksstellenleiters der Niedersächsischen Fußball-Toto-GmbH bejaht worden ist, auch ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, daß im vorliegenden Fall die für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechenden Umstände überwiegen.
Die persönliche Abhängigkeit des Beigeladenen zu 3) von der Klägerin muß vor allem deswegen angenommen werden, weil die Klägerin ihren Bezirksstellenleitern - wie insbesondere die Regelungen in § 2 Abs. 2 des Vertrages vom 5. Dezember 1966 und in Abschnitt I der vom Vertrag umfaßten Allgemeinen Geschäftsanweisung für die Bezirks- und Annahmestellen zeigen - die Ausführung der zu leistenden Tätigkeiten bis ins einzelne genau vorgeschrieben hat, so daß für eine wesentliche, selbständige Eigeninitiative des Beigeladenen zu 3) praktisch kein Raum bleibt.
Der Auffassung von Sieg in der Kritik an dem Urteil des BSG vom 9. Dezember 1964 aaO (SGb 1968, 511, 514), die vertragliche Durchregelung der Tätigkeit der Bezirksleiter ergebe sich aus der Natur der Sache und beruhe demnach nicht "wirklich" auf dem Weisungsrecht des Arbeitgebers, kann nicht zugestimmt werden. Sieg beruft sich insoweit zu Unrecht auf die Entscheidung des BSG vom 27. September 1961 (SozR Nr. 27 zu § 165 RVO). Denn nach dem dortigen Sachverhalt waren lediglich die Pflichten eines Milchsammlers gegenüber der Molkereigenossenschaft vertraglich geregelt. Eine darüber hinausgehende Bindung an Einzelweisungen der Molkereigenossenschaft in bezug auf die Ausführung der Arbeit bestand dort für den Milchsammler nicht. Gerade dadurch unterscheidet sich jener Fall vom vorliegenden: Sieg übersieht, daß die Klägerin nicht nur durch die Allgemeine Geschäftsanweisung, sondern auch durch die von ihr außerdem laufend herausgegebenen Weisungen ständig die Tätigkeit des Beigeladenen zu 3) bestimmt (§ 2 Abs. 2 des Vertrags). Überdies ist die Klägerin nach Abschnitt IV der Allgemeinen Geschäftsanweisung berechtigt, diese jederzeit mit sofortiger Wirkung zu ändern, so daß sie einseitig, also ohne Einverständnis der Bezirksstellenleiter, auch auf diesem Wege in der Lage ist, die Einzelheiten der Arbeitsausführung ihren Wünschen entsprechend zu gestalten. Schon deswegen kann auch der Ansicht der Revision, die von der Klägerin erteilten Weisungen seien denjenigen der Automobilwerke an die Händler oder der Bauherren an die Architekten vergleichbar, nicht gefolgt werden. Denn es fehlt dort in aller Regel an der Berechtigung eines Vertragsteils, die vertraglich festgelegten Weisungsbefugnisse einseitig zu seinen Gunsten zu ändern. Im übrigen ist auch in diesen Fällen die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ganz von der jeweiligen tatsächlichen Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen abhängig. So kann z. B. ein sonst selbständiger Architekt im Einzelfall auch eine versicherungspflichtige Tätigkeit für ein Unternehmen ausüben (vgl. Urteil des Bayer. LSG vom 26.10.1960 in BeitragsR 1961, 279).
Unabhängig von der umfassenden Weisungsgebundenheit des Beigeladenen zu 3), machen dessen regelmäßige Abrechnungsverpflichtungen anhand der von der Klägerin herausgegebenen Vordrucke (Abschnitt I Nr. 4 e) und f) der Allgemeinen Geschäftsanweisung) und die damit von der Klägerin ständig ausgeübten Kontrollen, die Berechtigung der Klägerin zur Änderung der Bezirksgrenzen (§ 3 Abs. 3 des Vertrages), die grundsätzliche Verpflichtung des Beigeladenen zu 3) zur ausschließlichen Arbeitsleistung für die Klägerin (§ 4 Abs. 1 und 2 des Vertrages) und nicht zuletzt das der Klägerin ohne Einschränkungen eingeräumte Prüfungsrecht (§ 11 des Vertrages) deutlich, daß der Beigeladene zu 3) in den Betrieb der Klägerin eingegliedert ist. Nach dem Umfang und der Vielfalt der dem Beigeladenen zu 3) vertraglich obliegenden Aufgaben, muß auch angenommen werden, daß er seine ganze Arbeitskraft der Klägerin zur Verfügung stellt. Die Arbeit erweist sich daher als fremdbestimmt.
Das Vorbringen der Revision, soweit nicht schon darauf eingegangen ist, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Es trifft nicht zu, daß das BSG im Urteil vom 9. Dezember 1964 aaO, auf welches das LSG seine Entscheidung stützt, über einen in wesentlichen Punkten anders liegenden Sachverhalt zu befinden hatte. Das Gegenteil ergibt sich vielmehr aus einem Vergleich der hier wie dort maßgeblichen und vorwiegend übereinstimmenden Vertragsbestimmungen. Im übrigen hat der 2. Senat nunmehr mit Urteil vom 31. Oktober 1972 (SozR Nr. 34 zu § 539 RVO) auch für die Bezirksstellenleiter des Nordwest Lotto und Toto Hamburg, deren vertragliche Regelung - zusammen mit der auch dort als Vertragsbestandteil gültigen Allgemeinen Geschäftsanweisung - mit der vorliegenden im wesentlichen inhaltsgleich ist, eine abhängige Beschäftigung angenommen. Er hat dies wiederum mit der umfassenden Weisungsgebundenheit der Bezirksstellenleiter hinsichtlich der Erledigung der ihnen übertragenen Aufgaben bei der Durchführung des Wettgeschäftes begründet. Der 2. Senat hat damit seine im Urteil vom 9. Dezember 1964 aaO vertretene Rechtsauffassung trotz der hiergegen von Sieg in SGb 1968, 511 ff erhobenen Bedenken ausdrücklich bestätigt. Wenngleich der 2. Senat lediglich für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung die abhängige Beschäftigung (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO bzw. § 537 Nr. 1 RVO aF) der Bezirksstellenleiter von Lotto- und Toto-Unternehmungen bejaht hat, besteht kein Anlaß, die gleiche Rechtsfrage des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses für den Bereich der Angestellten- und Arbeitslosenversicherung anders zu entscheiden. Insoweit müssen vielmehr für sämtliche Sozialversicherungszweige die gleichen Beurteilungskriterien gelten. Hiervon geht auch der 2. Senat aus, wie aus den Hinweisen auf die Entscheidungen des 3. und 12. Senats in den genannten Urteilen erhellt.
Entgegen der Behauptung der Revision läßt sich auch der Aussage des vom SG vernommenen Zeugen Hartmann nicht entnehmen, daß nach der im vorliegenden Fall bestehenden "Vertragswirklichkeit" die für die Selbständigkeit des Beigeladenen zu 3) sprechenden Merkmale überwiegen. Der Zeuge hat lediglich bekundet, die Klägerin und ihre Bezirksstellenleiter seien aufgrund der abgeschlossenen (vorgedruckten) Verträge immer davon ausgegangen, daß es sich bei den Bezirksstellenleitern um selbständige Kaufleute handelte. Die insoweit in § 1 des Vertrages vom 5. Dezember 1966 zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen der Vertragsparteien (keine Begründung eines Angestelltenverhältnisses) stimmen indes - wie bereits aufgezeigt - mit den übrigen, die Rechte und Pflichten der Partner betreffenden Vertragsbestimmungen größtenteils nicht überein. Die Revision hat nicht vorgetragen, daß diese vertragliche Regelung von den Vertragsparteien nicht eingehalten worden ist. Die tatsächliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses entspricht somit diesem eine starke Reglementierung der Geschäftsführung des Beigeladenen zu 3) durch die Klägerin ausweisenden Vertragsinhalt. Auf die von den Vertragsparteien gewählten und dem widersprechenden Bezeichnungen (hier: selbständiger Kaufmann) kann es dann für die rechtliche Beurteilung der Versicherungspflicht nicht mehr ankommen (vgl. hierzu die Urteile des erkennenden Senats vom 1.3. und 27.9.1972 aaO). Entgegen der Auffassung von Sieg aaO kann darin auch keine unzulässige Einengung des Parteiwillens gesehen werden. Die Vertragsfreiheit besteht nur im Rahmen der geltenden Rechtsordnung (vgl. Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -). Wie das BSG bereits wiederholt entschieden hat, ist es den Vertragsparteien indes versagt, über ihre öffentlich-rechtlichen Pflichten zu paktieren (vgl. BSG 11, 257, 262; 13, 130, 134; Urteil des 2. Senats vom 31.10.1972 aaO). Im übrigen wäre die Klägerin nicht daran gehindert gewesen, den Beigeladenen zu 3) als selbständigen Kaufmann mit Aufgaben ihres Unternehmens zu betrauen. Nur hätte es dann einer anderen Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses - insbesondere eines Wegfalls der bis ins einzelne gehenden Weisungsgebundenheit des Beigeladenen zu 3) - bedurft.
Der Beigeladene zu 3) trägt auch kein echtes Unternehmerrisiko. Ein solches läge nur dann vor, wenn eigene wirtschaftliche Mittel eingesetzt würden, um einen Unternehmergewinn zu erzielen, dessen Eintritt aber andererseits ungewiß wäre (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 1.3. und 27.9.1972 aaO) sowie Urteil des 2. Senats vom 31.10.1972 aaO). Ein derartiges wirtschaftliches Risiko besteht für den Beigeladenen zu 3) nicht. Zwar bemißt sich seine Vergütung nach dem Umsatz der zu seinem Bezirk gehörenden Wettannahmestellen (§§ 3, 8 des Vertrages i. V. m. der "Provisionstabelle" der Anlage 3). Andererseits sind die Bezirksstellenleiter am Abschluß der Spiel- und Wettverträge weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt, so daß sie den für ihren "Gewinn" maßgebenden Umsatz nicht durch ein eigenes Unternehmerwagnis beeinflussen können. Der wirtschaftliche Einsatz des Beigeladenen zu 3) beschränkt sich daher auf die Einrichtung und Fortführung der für die Bezirksstelle notwendigen Aufwendungen. Entgegen der Annahme der Revision ist damit aber praktisch kein wesentliches Geschäftsrisiko verbunden, weil die Unkosten für Geschäftsräume und Hilfskräfte relativ gering sind und ohne Schwierigkeiten von den wöchentlich regelmäßig eingehenden Vergütungen bestritten werden können. Im Falle des Beigeladenen zu 3) muß dies um so mehr gelten, als er nach seinen Angaben die Geschäftsräume im eigenen Haus hat und lediglich an den Wochenenden 12 Hilfskräfte beschäftigt.
Die von der Revision außerdem angeführte Verfügungsfreiheit des Beigeladenen zu 3) über seine Arbeitszeit liegt jedenfalls nicht uneingeschränkt vor und kann schon deswegen für die Frage der Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit nicht entscheidend sein. Die Revision übersieht, daß der Beigeladene zu 3) unter Berücksichtigung der terminlichen Fixierung des Lottospieles und der Sportwetten auch zeitlich in den Betriebsablauf der Klägerin eingegliedert und eingeplant ist. So hat er wesentliche Aufgaben, wie die Entgegennahme der Spiel- und Wettscheinabschnitte C und der dazugehörigen Spiel- und Wetteinsätze von den Annahmestellen sowie die Ablieferung der Abrechnungsunterlagen und der dazugehörigen Wetteinsätze an die Klägerin, zu genau festgesetzten Terminen zu erledigen (vgl. Abschnitt I Nr. 4 c) und f) der Allgemeinen Geschäftsanweisung). Dies bedingt aber weiter, daß ihm zur Erfüllung seiner weiteren, umfangreichen Aufgaben zeitlich nur ein geringer Spielraum bleibt. Die Bezirksstellenleiter müssen somit ein genau festgelegtes Arbeitspensum innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, der teils vertraglich vorgeschrieben, teils sich aber auch aus der Natur des Spiel- und Wettgeschäftes ergibt, bewältigen. Von einer freien Bestimmung der Arbeitszeit kann daher keine Rede sein (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 1.3.1972 aaO unter Hinweis auf Baumbach-Duden, HGB, 19. Aufl., Anm. 5 B zu § 84).
Schließlich kann auch das Vorbringen der Revision, die Bezirksstellenleiter würden über ihren Urlaub frei verfügen, für eine etwaige selbständige Berufsstellung nicht ausschlaggebend sein. Dies schon deswegen, weil der Beigeladene zu 3) nach § 6 des Vertrages verpflichtet ist, mit Zustimmung der Klägerin einen geeigneten ständigen Vertreter zu bestellen, der ihn im Falle der Verhinderung vertritt. Darüber hinaus muß der Beigeladene zu 3), wenn er länger als 2 Wochen an der persönlichen Wahrnehmung der Geschäfte verhindert ist, dies der Klägerin mitteilen. Außerdem hat er für den Fall der Verhinderung des Vertreters der Klägerin sogar einen weiteren Vertreter für diese Zeit schriftlich zu benennen. Diese weitgehenden Regelungen sind mit einer selbständigen, unabhängigen Berufsstellung schwerlich in Einklang zu bringen; sie haben vielmehr Ähnlichkeit mit den Urlaubsregelungen, wie sie bei den in Dienstleistungsbetrieben und Verwaltungen Beschäftigten üblich sind.
Nach alledem kann nicht gesagt werden, daß der Beigeladene zu 3) im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Diese Erfordernisse hat aber das BSG unter Heranziehung des in § 84 Abs. 1 Satz 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) enthaltenen allgemeinen Rechtsgedankens für eine selbständige Tätigkeit wiederholt ausgesprochen (vgl. BSG 13, 196, 201; 19, 265, 269; Urteile des erkennenden Senats vom 1.3. und 27.9.1972 aaO). Da der Beigeladene zu 3) nach dem Vertrag und den tatsächlichen Umständen seine gesamte Arbeitskraft der Klägerin zur Verfügung zu stellen hat, ihren Weisungen bei Ausübung seiner Tätigkeit unterliegt, laufend Abrechnungen über seine Tätigkeit zu erstatten hat, Revisionen in seinem Geschäftsbereich dulden muß und auch für kein anderes Wett- oder Lotterieunternehmen ohne Genehmigung der Klägerin tätig sein darf, ist der Beigeladene zu 3) bei der Klägerin versicherungspflichtig beschäftigt, ohne daß es auf die für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Umstände noch ankommen kann (ebenso BSG-Urteil vom 28.10.1960 in SozR Nr. 20 zu § 165 RVO). Bei der maßgeblichen Gesamtwertung der Tätigkeit fällt es daher nicht entscheidend ins Gewicht, daß der Beigeladene zu 3) Verfügungsfreiheit über seine Geschäftsräume und sein Personal besitzt, bei schuldhafter Vertragsverletzung im Einzelfall - wenn auch verhältnismäßig in geringer Höhe - mit einer Konventionalstrafe belegt werden kann (§ 9 des Vertrages) und nach der Aussage des Zeugen H zur Einkommens- und Gewerbesteuer veranlagt wird (ebenso im Ergebnis Urteil des 2. Senats vom 31.10.1972 aaO). Die steuerliche Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 3) kann nach der ständigen Rechtsprechung des BSG für die Frage, ob ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, ohnehin nicht entscheidend sein (vgl. hierzu BSG 11, 257, 262; 13, 130, 134 und Urteil des erkennenden Senats vom 1.3.1972 aaO). Der Senat hat auch an der Rechtsprechung des BSG, wonach der Gemeinsame Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN 1944, 281) die von der Entscheidung der Finanzbehörden unabhängige Prüfung der Versicherungspflicht erlaubt (vgl. BSG 20, 6), bereits im Urteil vom 22. Juni 1972 (Az.: 12/3 RK 82/68) festgehalten.
Entgegen der Meinung von Sieg aaO (S. 515) ist der erkennende Senat auch nicht verpflichtet - insbesondere im Hinblick auf die vom BFH bejahte Umsatzsteuerpflicht der Bezirksstellenleiter (vgl. BFH 89, 49; 90, 201) - den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 19. Juni 1968 (BGBl I 661) anzurufen. Ein "Abweichen" im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, daß der Sinngehalt einer Rechtsfrage in verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen identisch ist (ebenso Urteil des 2. Senats vom 31.10.1972 aaO mit weiteren Nachweisen). Daran fehlt es hier, weil der Begriff der abhängigen Beschäftigung wegen des unterschiedlichen Zwecks in den einzelnen Rechtsgebieten verschieden ausgelegt werden kann (vgl. für das Gebiet des Steuerrechts Urteil des BFH vom 10.1.1963 in BB 1964, 29 sowie Urteil des 2. Senats vom 31.10.1972 aaO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen