Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für das Jahr 1983 höheres Kindergeld als den Sockelbetrag beanspruchen kann.
Die Klägerin erhält für ihre Kinder Simone und Sandra Kindergeld aufgrund ihrer Antragstellung vom 8. Juli 1982. Nachdem durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 (HBegleitG) vom 20. Dezember 1982 (BGBl. I, 1857) die Gewährung des Kindergeldes mit Wirkung vom 1. Januar 1983 teilweise von der Höhe des Einkommens abhängig gemacht worden ist, übersandte die Beklagte der Klägerin einen bundesweit verwendeten Vordruck, in dem diese am 24. Januar 1983 die Erklärung unter Abschnitt b Nr. 1 ankreuzte. Die Erklärung lautet:
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"Ich beanspruche bis auf weiteres nur den Sockelbetrag des Kindergeldes (…). Ich wende mich wieder an die Kindergeldkasse, wenn ich höhere Kindergeldbeträge beanspruche". |
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Mit Bescheid vom 24. Februar 1983 stellte die Beklagte das Kindergeld rückwirkend ab Januar 1983 in Höhe des Sockelbetrages fest und forderte das den bereits festgestellten Sockelbetrag übersteigende Kindergeld für Januar und Februar 1983 zurück, das sie mit der laufenden Leistung aufrechnete. Unter Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 1981, den sie am 2. Mai 1984 erhalten hatte, begehrte die Klägerin am 26. Juli 1984 rückwirkend die Zahlung des den Sockelbetrag übersteigenden Kindergeldes. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30. Juli 1984 (Widerspruchsbescheid vom 14. November 1984) die rückwirkende Bewilligung des vollen Kindergeldes für 1983 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verpflichtet, unter Abänderung der angefochtenen Bescheide über den Anspruch der Klägerin auf Gewährung des ungekürzten Kindergeldes für 1983 neu zu entscheiden. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, ihr für das Jahr 1983 den ungekürzten Kindergeldbetrag zu gewähren.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Urteil des SG Stuttgart vom 30. Juli 1985 wie folgt neu gefaßt wird:
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Der Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 1984 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für das Jahr 1983 Kindergeld für ihre zwei Kinder in ungekürzter Höhe zu gewähren. |
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Die Beklagte könne nicht unter Hinweis auf § 9 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) das erhöhte Kindergeld für 1983 versagen. Diese Vorschrift sei nur anwendbar, wenn der Berechtigte eindeutig und endgültig den Sockelbetrag beanspruche. Für den Übergang vom gekürzten zum vollen Kindergeld gelte § 11 Abs. 3 Satz 2 BKGG. Auch nach Auffassung der Beklagten liege in der von der Klägerin abgegebenen Erklärung kein Verzicht gemäß 46 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) auf das erhöhte Kindergeld nach § 10 Abs. 1 BKGG. Die von der Klägerin angekreuzte Nr. 1 mache einem Rechtsunkundigen nicht deutlich, daß bei deren Wahl eine Kindergeldnachzahlung nur in begrenztem Umfange erfolge. Der Antrag der Klägerin vom Januar 1983 sei dem wirklichen Willen entsprechend auszulegen. Die Klägerin habe als Rechtsunkundige zur Auffassung gelangen können, die für sie zutreffende Alternative zu 2) brauche nicht angekreuzt zu werden, wenn sie bereits Nr. 1 für einschlägig erachte. Wegen fehlender Steuerfestsetzung für 1981 habe die Klägerin zunächst nur den Sockelbetrag beanspruchen wollen. Sie habe mit ihrer Erklärung vom 24. Januar 1983 Kindergeld für 1983 im Umfang des § 10 Abs. 1 BKGG beantragt und nur wegen des Wortlautes der Nr. 1 des Vordruckes unrichtigerweise anstelle der Nr. 2 ausgefüllt. Dieser Irrtum gehe zu Lasten der Beklagten. Der Anspruch der Klägerin richte sich somit nach § 11 Abs. 3 Satz 2 BKGG. Stehe die Steuerfestsetzung noch aus, so seien zunächst nur die Sockelbeträge des § 10 Abs. 2 Satz 1 BKGG zu zahlen. In diesen Fällen habe der Bescheid über die Gewährung der Sockelbeträge vorläufigen Charakter, und nach Klärung der Einkommensverhältnisse müsse ein Ergänzungsbescheid ergehen. Infolgedessen sei über den Antrag der Klägerin vom 24. Januar 1983 noch nicht abschließend entschieden. Die Erklärung vom Juli 1984 sei lediglich als Ergänzungsantrag zu werten. Der Auffassung des SG, der Antrag der Klägerin vom Juli 1984 sei als Antrag auf eine neue Entscheidung über den Antrag vom Januar 1983 zu werten, könne nicht gefolgt werden. Im Hinblick darauf habe der Senat das Urteil des SG abgeändert, wobei der Hilfsantrag der Klägerin sich als ein Übergang von einer Verpflichtungs- zu einer Leistungsklage darstelle, der keine Klageänderung sei.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 BKGG sowie hilfsweise des § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) i.V.m. § 20 Abs. 5 BKGG. Begehre ein Berechtigter, der seinen Kindergeldanspruch zunächst auf den Sockelbetrag beschränkt habe, zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend höheres, den Sockelbetrag übersteigendes Kindergeld, so sei dies als erstmaliger Antrag auf höheres Kindergeld anzusehen mit der Folge der entsprechenden Anwendung des § 9 Abs. 2 BKGG. Halte man die Erklärung, obwohl ihr Wortlaut eindeutig sei, für auslegungsbedürftig, so sei sie aus der Sicht des Erklärungsempfängers zu beurteilen. Der Inhalt der Erklärung lasse nur den Schluß zu, der früher gestellte Kindergeldantrag sei bis zum Eingang einer anderslautenden Erklärung durch die Klägerin auf den Sockelbetrag beschränkt gewesen. Im Hinblick auf das Recht der informationellen Selbstbestimmung sei eine derartige Beschränkung für Berechtigte mit einem über den Einkommensgrenzen des § 10 Abs. 2 BKGG liegenden Einkommen unverzichtbar. Auch könne die Klägerin einen rechtserheblichen Irrtum nicht geltend machen, sondern es sei am objektiven Erklärungsinhalt hinsichtlich der Wahl des Sockelbetrages festzuhalten. Gelange der erkennende Senat zu der Auffassung, das höhere Kindergeld sei nachzuzahlen, so stände dem Klagebegehren der Bescheid vom 24. Februar 1983 entgegen. Die Beklagte habe über den Antrag der Klägerin endgültig entschieden. Das LSG habe die Beklagte allenfalls verurteilen dürfen, über den Anspruch der Klägerin gemäß § 44 Abs. 1 SGB 10 i.V.m. § 20 Abs. 5 BKGG erneut zu entscheiden. Dies setze eine nicht getroffene Ermessensentscheidung voraus. Auch sei keine Ermessensreduzierung auf Null gegeben, so daß allenfalls auch bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des LSG eine Verurteilung zum Erlaß einer Ermessensentscheidung in Betracht käme. Eine Aufhebung gemäß § 48 SGB 10 scheide aufgrund der nicht geänderten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse seit Erlaß des Bescheides aus.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Juni 1986 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Juli 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen. |
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht für das Jahr 1983 das ungekürzte Kindergeld zu, so daß ihr noch der Differenzbetrag zwischen dem Sockelbetrag (§ 10 Abs. 2 Satz 1 BKGG in der Fassung der Bekanntmachung des Art 13 HBegleitG vom 20. Dezember 1982 - BGBl. I, 1883) - Fassung 1983 - und dem ungekürzten Kindergeld (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BKGG - Fassung 1983 -) zu zahlen ist.
Das LSG ist zu Recht von einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ausgegangen. Da Gegenstand des Klagebegehrens eine Leistung ist, auf die beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch besteht, darf - bei einer für die klagende Partei positiven Entscheidung - nur ein kombiniertes Aufhebungs- und Leistungsurteil (§ 54 Abs. 4 SGG), nicht aber ein Aufhebungs- und Verpflichtungsurteil ergehen.
Entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gestellten Antrag hat das SG die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage behandelt und ein Aufhebungs- und Verpflichtungsurteil erlassen. Dem Berufungsgericht wäre es wegen des Verbots der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) unmöglich gewesen, allein auf die Berufung der Beklagten die Entscheidung des SG zugunsten der Klägerin zu ändern. Vielmehr konnte die Änderung eines Verpflichtungsurteils in ein Leistungsurteil nur auf eine Anschlußberufung der Klägerin hin erfolgen (vgl. dazu BSG SozR Nr. 11 zu § 521 ZPO). Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Verurteilung der Beklagten zur Leistung beantragt. Darin ist eine - wenn auch nur konkludent erklärte - zulässige unselbständige Anschlußberufung gemäß § 202 SGG i.V.m. §§ 521 und 522 ZPO zu sehen (vgl. dazu BGH in FamRZ 1984, 657, 639; BGH in NJW 1954, 266, 267). Der Umwandlung des vom SG erlassenen Verpflichtungsurteils in ein Leistungsurteil steht nicht entgegen, daß die Klägerin die Verurteilung zur Leistung lediglich hilfsweise begehrt hat. Zwar darf über ein Hilfsbegehren nur entschieden werden, wenn das Hauptbegehren nicht zum Erfolge führt. Denn ein Hilfsantrag wird nur für diesen Fall gestellt. Diese Voraussetzung ist hier aber erfüllt. Das LSG hätte nämlich ohne das im Wege der Anschlußberufung hilfsweise geltend gemachte Begehren der Klägerin die angefochtene Entscheidung des SG aufheben und die Klage abweisen müssen. Der Senat kann offenlassen, ob der Übergang von der Verpflichtungs- zur Leistungsklage eine Klageänderung oder nur eine Erweiterung des Klageantrags darstellt (s dazu Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 3. Aufl., § 99 Anm. 4; Kummer, DAngVers 1984, 346, 351f. mit zahlreichen Nachweisen). Die Beklagte hat sich, ohne dem Hilfsbegehren zu widersprechen, in der mündlichen Verhandlung auf das geänderte Begehren der Klägerin eingelassen, so daß - sollte eine eventuelle Klageänderung vorliegen -, die Einwilligung der Beklagten anzunehmen ist (§ 99 Abs. 2 SGG).
Der Leistungsanspruch ist begründet.
Zunächst sind die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld (§§ 1 und 2 BKGG) nach den Tatsachenfeststellungen des LSG für den hier streitigen Zeitraum erfüllt. Die Klägerin hatte mit ihren Kindern ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des BKGG. Die Kinder waren im Jahre 1983 noch nicht 16 Jahre alt. Die Klägerin hat auch den Einkommensteuerbescheid vom 2. Mai 1984 am 26. Juli 1984 der Beklagten vorgelegt und die Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem Sockelbetrag und dem ungekürzten Kindergeld für das Jahr 1983 verlangt.
Ihr steht der Anspruch für die streitige Zeit auch in voller Höhe zu.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BKGG - Fassung 1983 - beträgt das Kindergeld für das erste Kind 50,-- DM, für das zweite Kind 100,-- DM. Das Kindergeld für das zweite Kind wird gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 BKGG - Fassung 1983 - bis auf einen Sockelbetrag von 70,-- DM gemindert, wenn das Jahreseinkommen des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten den für ihn maßgeblichen Freibetrag um wenigstens 480,-- DM übersteigt. Der Freibetrag setzt sich zusammen aus 26.600,-- DM für Berechtigte, die verheiratet sind und von ihrem Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, sowie 9.200,-- DM für jedes Kind, für das den, Berechtigten Kindergeld zusteht (§ 10 Abs. 2 Satz 2 BKGG - Fassung 1983 -). Nach den Tatsachenfeststellungen des LSG, an die der Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden ist, lebt die verheiratete Klägerin von ihrem Ehegatten nicht dauernd getrennt. Da sie für den streitigen Zeitraum für zwei Kinder Anspruch auf Kindergeld hat, beläuft sich der Freibetrag des § 10 Abs. 2 Satz 3 BKGG in ihrem Falle auf 45.000,-- DM (26.600,-- DM + 2 x 9.200,-- DM = 45.000,-- DM). Nach dem Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes Stuttgart II vom 2. Mai 1984 hatten die Klägerin und ihr Ehemann 1981, dem vorletzten Kalenderjahr vor dem Jahr, für das die Zahlung des Kindergeldes in Betracht kommt (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 BKGG - Fassung 1983 -) ein Einkommen von 37.520,32 DM. Ihr maßgebliches Einkommen Überstieg damit nicht den Freibetrag von 45.000,-- DM.
Die Beklagte kann die verlangte Leistung weder im Hinblick auf die in dem Bescheid vom 24. Februar 1983 getroffene Regelung noch wegen der von der Klägerin am 24. Januar 1983 durch Ankreuzen eines Fragebogens der Beklagten abgegebene Erklärung verweigern.
Nach 11 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BKGG - Fassung 1983 - sind dem Kindergeldberechtigten, wenn die Steuerfestsetzung noch aussteht, zunächst nur die Sockelbeträge zu zahlen, und über die Höhe des Kindergeldes ist endgültig zu entscheiden, sobald die Steuer festgesetzt ist. Bis zur Feststellung des maßgeblichen Einkommens des Berechtigten kann also nach dem Willen des Gesetzgebers in der Regel über den Kindergeldantrag nicht abschließend entschieden werden. Es erfolgt nur eine Teilentscheidung hinsichtlich der Sockelbeträge. Mit der Entscheidung über die Bewilligung des Sockelbetrages darf deshalb auch nicht gleichzeitig der Antrag auf ein höheres Kindergeld abgelehnt werden, sondern der Anspruch bleibt insoweit zunächst unerfüllt. Die Beklagte soll dem Berechtigten deshalb vor der Steuerfestsetzung Kindergeld in Höhe des den Sockelbetrag übersteigenden Betrages nur unter Vorbehalt der Rückforderung zahlen, wenn er glaubhaft macht, daß ihm nach seinem Einkommen voraussichtlich das ungekürzte Kindergeld zustehen wird (vgl. § 11 Abs. 4 BKGG - Fassung 1983 -).
Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 24. Februar 1983 nur über den Anspruch der Klägerin auf Kindergeld in Höhe des Sockelbetrages entschieden. In dem Bescheid heißt es u.a.: "Ihr Kindergeldanspruch beträgt ab März 1983 zunächst monatlich 120,-- DM". Das Wort "zunächst" macht deutlich, daß eine endgültige, abschließende Entscheidung noch nicht ergangen ist. Dieser Auslegung widerspricht nicht, daß die Beklagte hier schon vor der Steuerfestsetzung das ungekürzte Kindergeld gewährt und anschließend mit demselben Bescheid die Bewilligung teilweise wieder aufgehoben und für die Monate Januar und Februar 1983 den Differenzbetrag zurückgefordert hat. Alle Maßnahmen, die die Beklagte vor Feststellung des maßgeblichen Einkommens hinsichtlich der Differenz zwischen dem Sockelbetrag und dem vollen Kindergeldbetrag trifft, dürfen nur vorläufig ergehen und schließen eine endgültige Entscheidung zugunsten des Berechtigten in keiner Weise aus. Hieran hat sich die Beklagte gehalten. Denn auch, soweit der genannte Bescheid die Aufhebung und Rückforderung regelt, enthält er erkennbar keine Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf das ungekürzte Kindergeld.
Die Klägerin hat auch nicht durch die von ihr am 24. Januar 1983 auf dem Norm-Vordruck der Beklagten abgegebene Erklärung auf den Kindergeldanspruch teilweise verzichtet. An dieser Feststellung ist der Senat nicht durch das Revisionsrecht gehindert. Bei der Erklärung der Klägerin handelt es sich um eine sogenannte "typische" Erklärung. Typische Erklärungen sind Äußerungen, die in großer Zahl wortgleich abgegeben werden, z.B. bei der Verwendung von Formularen, in denen der Erklärende entweder einen vorformulierten Text ankreuzt oder unterschreibt. Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Revisionsinstanz bei der Auslegung von Willenserklärungen Beschränkungen unterliegt (so BGH LM Nr. 5 zu § 550 ZPO; BVerwGE 25, 318, 323; BVerwG in NVwZ 1982, 196, 197; a.A. May, NJW 1983, 980 ff. m.w.N.), jedenfalls gilt das nicht für "typische" Erklärungen (vgl. BSGE 51, 82, 83; Peters/Sautter/Wolff, Komm zur SGb, 44. Nachtrag 1987, Bd. III, § 162 Anm. 6, S. III/81 bis 82; Stumpf, Festschrift für Hans Carl Nipperdey, 1965, zur Revisibilität der Auslegung von privaten Willenserklärungen, S. 957 f., 958).
Werden bei der Abgabe derartiger Erklärungen - wie im vorliegenden Falle - nicht nur im Bezirk des Berufungsgerichts wörtlich übereinstimmende Vordrucke verwendet, dann darf das Revisionsgericht im Interesse einer einheitlichen Auslegung und damit zur Wahrung der Rechtseinheit die vorinstanzliche Entscheidung - soweit sie den Inhalt der abgegebenen Erklärung betrifft - uneingeschränkt überprüfen und - wenn erforderlich - die Erklärung selbst auslegen. Dem steht zwar der Wortlaut des § 162 SGG entgegen, weil in dieser Norm nur von "Vorschriften" die Rede ist. Typische Erklärungen sind aber aus dem genannten Grunde den in § 162 SGG bezeichneten Vorschriften gleichzustellen (für allgemeine Verkaufs- und Lieferbedingungen, Formularverträge sowie Verträge des täglichen Lebens, die auch keine Rechtsvorschriften i.S. des mit § 162 SGG inhaltlich übereinstimmenden § 549 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung -ZPO- sind, s BGHZ 7, 365, 368; 62, 251, 253f.; 67, 101, 103 sowie 83, 334, 337; vgl. ferner Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Komm, 46. Aufl., § 549 Anm. 4 und Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Komm, 47. Aufl., § 133 Anm. 7).
Bei der Auslegung einer "typischen" Erklärung kommt es nicht darauf an, den individuellen Willen und die individuellen Vorstellungen des Erklärenden zu erfassen. Eine einheitliche Auslegung einer von vielen Personen wortgleich abgegebenen Erklärung läßt sich nur erreichen, wenn auf den objektiven Erklärungsinhalt abgestellt wird. Dabei sind der Wortlaut der Erklärung und die typischerweise mit der Abgabe einer solchen Erklärung verbundenen Begleitumstände zur Auslegung heranzuziehen.
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend angenommen, daß die Klägerin mit dem Ankreuzen auf dem Formular nicht die Erklärung abgegeben hat, sie beanspruche endgültig nur den Sockelbetrag. Das verwendete Formular ist nach seinem Inhalt und seiner aus der gesetzlichen Regelung in § 11 Abs. 3 BKGG folgenden Zweckbestimmung nicht geeignet, durch Ankreuzen des Abschnitts b Nr. 1 einen Verzicht (vgl. dazu § 46 Abs. 1 SGB 1) auf das über den Sockelbetrag hinausgehende Kindergeld herbeizuführen. Aus der Erklärung und den für sie typischen Begleitumständen müßte sich klar und eindeutig der Verzichtswille ergeben (BSG, Urteil vom 31. August 1972 - 2 RU 163/70 - insoweit allerdings nicht in SozR § 602 RVO Nr. 2 veröffentlicht -; s ferner Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 45. Aufl., 397 Anm. 2a unter Hinweis auf BGH FamRZ 81, 763). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Schon der Wortlaut der Erklärung unter Abschnitt b Nr. 1 spricht gegen die Annahme eines Verzichtswillens des Erklärenden. Die Worte "Ich beanspruche bis auf weiteres nur den Sockelbetrag des Kindergeldes …" können im Hinblick auf den Normgehalt des § 11 Abs. 3 BKGG - Fassung 1983 - nur dahingehend verstanden werden, daß der Erklärende zunächst nur die Zahlung des Sockelbetrages des Kindergeldes beanspruchen will, ohne den Anspruch auf den Differenzbetrag zum ungekürzten Kindergeld aufzugeben. Für diese Auslegung spricht auch der zweite Satz des Abschnitts b Nr. 1: "Ich wende mich wieder an die Kindergeldkasse, wenn ich höhere Kindergeldbeträge beanspruche." Gerade im Hinblick darauf, daß nach der Regelung in § 11 Abs. 3 BKGG - Fassung 1983 - über den Kindergeldanspruch erst nach Vorliegen der Steuerfestsetzung endgültig entschieden wird, läßt das Ankreuzen der Erklärung unter Abschnitt b Nr. 1 des Formulars nicht den Schluß zu, daß sie eindeutig den Verzichtswillen des Erklärenden zum Ausdruck bringt. Auch der Zweck des von der Beklagten verwendeten Formulars spricht dagegen. Das Formular diente nur dazu, im Rahmen der gesetzlichen Regelung der § 10 und 11 BKGG - Fassung 1983 - die Entscheidung über den Sockelbetrag und die endgültige Entscheidung über die Höhe des Kindergeldes vorzubereiten, nicht aber auch dazu, den Berechtigten formularmäßig zur Abgabe einer Verzichtserklärung auf das höhere Kindergeld zu veranlassen. Der Senat muß in diesem Zusammenhang allerdings offen lassen, ob ein Kindergeldberechtigter von vornherein - also schon bevor der Einkommensteuerbescheid vorliegt - auf die Differenz zwischen dem Sockelbetrag und dem ungekürzten Kindergeld verzichten kann, weil er seine Einkommensverhältnisse gegenüber der Kindergeldkasse nicht offenbaren möchte oder weil er davon ausgeht, daß bei seinen Einkommensverhältnissen die Gewährung des den Sockelbetrag übersteigenden Kindergeldes ohnehin nicht in Betracht kommt. Denn die verwendeten Vordrucke waren - wie schon dargelegt - jedenfalls dann, wenn nur die Nr. 1 angekreuzt wurde, nicht geeignet, den Kindergeldanspruch durch Verzicht auf den Sockelbetrag zu beschränken. Berücksichtigt man den Zweck des von der Beklagten verwendeten Formulars, so läßt sich auch die Erklärung unter Abschnitt b Nr. 1 nur dahin verstehen, daß dem Kindergeldberechtigten die Möglichkeit gegeben werden soll, sich - soweit es um den Differenzbetrag geht - zunächst überhaupt nicht zu äußern, insbesondere die Fragen unter den Abschnitten a und b unbeantwortet zu lassen, nämlich, ob für das Kalenderjahr 1981 eine Einkommensteuererklärung abzugeben war und ob der Kindergeldberechtigte seit dem 1. Januar 1981 verheiratet war und nicht dauernd getrennt gelebt hat (vgl. dazu den Klammerinhalt des Formulars unter Abschnitt b Nr. 1). Diese Erklärungen wären dann erst nach Vorliegen der Steuerfestsetzung erforderlich, wenn der Antragsteller nach dem Inhalt des Einkommensteuerbescheides mit der Gewährung von Kindergeld rechnen könnte und den Differenzbetrag dann auch tatsächlich in Anspruch nehmen wollte. An einer solchen Auslegung ist der Senat auch nicht im Hinblick auf die Erklärung unter Abschnitt b Nr. 2 gehindert. Hier legt sich der Erklärende schon vor der Steuerfestsetzung fest, beantwortet die genannten Fragen und verlangt, daß ihm der Differenzbetrag nachgezahlt werden soll, wenn die spätere Überprüfung ergibt, daß ihm ein höherer Kindergeldbetrag zusteht. Die Erklärung unter Nr. 1 stellt also in der Auslegung der Senats durchaus eine Alternative zu der Erklärung unter Nr. 2 dar und berücksichtigt insbesondere die Aufgabe, die der Beklagten in Anwendung der §§ 10 und 11 Abs. 3 BKGG - Fassung 1983 - obliegt.
Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin scheitert schließlich nicht an der Regelung des § 9 Abs. 2 BKGG. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats geleistet, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Die Klägerin hat am 8. Juli 1982 einen Kindergeldantrag gestellt. Ihre durch Ankreuzen des Abschnitts b Nr. 1 des Formulars abgegebene Erklärung kann nicht als Teilrücknahme des Kindergeldantrags angesehen werden. Vielmehr wird der Antrag durch diese Erklärung zunächst aufrechterhalten, bis der Antragsteller sich endgültig entschieden hat, ob er - nach Vorliegen der Steuerfestsetzung - doch die höheren Kindergeldbeträge beanspruchen will.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen