Beteiligte
AOK Rheinland - Die Gesundheitskasse, Pflegekasse |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. April 1999 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Es ist streitig, ob die Klägerin für den Zeitraum vom 4. April 1997 bis zum 17. November 1999 von der beklagten Pflegekasse Kombinationsleistungen nach der Pflegestufe III statt der bisher zuerkannten Pflegestufe II beanspruchen kann.
Die im Jahre 1915 geborene Klägerin leidet unter körperlichen und geistigen Funktionseinschränkungen als Folge eines im März 1997 erlittenen Schlaganfalls. Bis zu ihrer Verlegung in ein Pflegeheim (18. November 1999) lebte sie im Hause ihres Sohnes. Dort wurde sie von ihren Angehörigen sowie von einem Pflegedienst, der morgens und abends ins Haus kam, betreut und gepflegt.
Die Beklagte gewährte der Klägerin ab 4. April 1997 Kombinationsleistungen nach der Pflegestufe II (Bescheid vom 16. Mai 1997). Eine Einstufung in die Pflegestufe III lehnte sie hingegen ab, weil der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege unterhalb der Mindestzeit von 240 Minuten liege und es außerdem an einem regelmäßigen nächtlichen Hilfebedarf fehle (Widerspruchsbescheid vom 25. November 1997).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. März 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 15. April 1999). Es hat die Ansicht vertreten, eine Pflege „rund um die Uhr” iS des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) scheide aus, wenn regelmäßig während eines Zeitraums von siebeneinviertel Stunden, nämlich in der Zeit zwischen den gegen 22.15 Uhr und 5.30 Uhr erfolgenden Umlagerungen der weitgehend bettlägerigen Klägerin keine Pflege zu leisten sei. Bei einem so großen ununterbrochenen Zeitraum ohne Pflegebedarf (etwa 30 vH von 24 Stunden) sei ein solches Ausmaß an „Diskontinuität” in der Pflege erreicht, daß von einer kontinuierlich über den gesamten Tag verteilten Pflege nicht mehr gesprochen werden könne. Zudem sei ein Grundpflegebedarf „auch nachts” iS des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB XI zu verneinen, wenn ein bettlägeriger Pflegebedürftiger zu zwei Zeitpunkten umgelagert werde, in denen die Pflegeperson mit ihrem Nachtschlaf noch nicht begonnen bzw ihn bereits beendet habe, also für die Hilfeleistungen die Nachtruhe der Pflegeperson nicht unterbrochen werden müsse. Die Nachtzeit sei „die tatsächliche Zeit der Nachtruhe” der Pflegeperson; die in den Begutachtungs-Richtlinien (BRi) vom 21. März 1997 angegebenen Zeiten von 22 Uhr bis 6 Uhr für die Nachtzeit hätten nur „anhaltsweise” Bedeutung.
Die Klägerin rügt mit der Revision eine Verletzung des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB XI. Sie beruft sich ua auf das – nach dem Erlaß des Berufungsurteils veröffentlichte – Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. März 1999 - B 3 P 3/98 R - (SozR 3-3300 § 15 Nr 5), wonach eine Hilfeleistung „nachts” stattfinde, wenn sie – wie hier das zweimalige Umlagern – zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens objektiv erforderlich sei; dabei sei es nicht maßgeblich, ob die Pflegeperson hierfür ihren Nachtschlaf unterbreche. In dieser Entscheidung habe das BSG auch seine bereits zuvor vertretene Auffassung (Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 7/97 R - SozR 3-3300 § 15 Nr 1) bekräftigt, daß ein Pflegebedarf „nachts” gegeben sei, wenn ein nächtlicher Grundpflegebedarf für zumindest eine der in § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI aufgeführten Verrichtungen grundsätzlich in jeder Nacht bestehe. Ein Zeitraum von siebeneinviertel Stunden ohne regelmäßigen Pflegebedarf stehe der Annahme eines Pflegebedarfs „rund um die Uhr” nicht entgegen, solange – wie hier – der tägliche Gesamtpflegebedarf fünf Stunden betrage und dabei die vierstündige Grundpflege über den Tag verteilt morgens, mittags, abends und nachts erforderlich sei. Auf eine bestimmte zeitliche Lage einer notwendigen nächtlichen Hilfeleistung innerhalb des vorgegebenen Achtstundenzeitraums sowie auf den zeitlichen Abstand zu den davor und danach liegenden Hilfeleistungen am Abend und am nächsten Morgen komme es daher nicht an. Dementsprechend habe es das BSG für die Annahme von Schwerstpflegebedürftigkeit (Pflegestufe III) schon ausreichen lassen, wenn in jeder Nacht – nur – ein Kontrollbesuch zwischen 23.30 Uhr und 24 Uhr notwendig sei, in den restlichen sechs Stunden bis zum Ende der Nachtzeit um 6 Uhr also kein Hilfebedarf mehr anfalle (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 5).
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15. April 1999 und des SG Aachen vom 24. März 1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 1997 zu ändern, den Widerspruchsbescheid vom 25. November 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 4. April 1997 bis zum 17. November 1999 Kombinationsleistungen nach der Pflegestufe III unter Anrechnung der erbrachten Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 124 Abs 2, 153 Abs 1 und 165 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG (§ 170 Abs 2 SGG) begründet. Die bisher getroffenen Feststellungen des LSG lassen keine abschließende Entscheidung der Frage zu, ob die Klägerin im fraglichen Zeitraum schwerstpflegebedürftig war. Das LSG wird zu ermitteln haben, ob der tägliche Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege mindestens 240 Minuten (vier Stunden) betragen hat und sie in der Zeit zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens mindestens einmal im Bett umgelagert werden mußte, sie also auch einen „nächtlichen” Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege hatte. Alle sonstigen Voraussetzungen der Pflegestufe III sind erfüllt.
Dazu im einzelnen:
Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Frage, ob die Klägerin für die Zeit vom 4. April 1997 bis zum 17. November 1999 Kombinationsleistungen nach der Pflegestufe III statt der bewilligten (Bescheid vom 16. Mai 1997; Widerspruchsbescheid vom 25. November 1997) Pflegestufe II beanspruchen kann. Nicht zum Gegenstand des Rechtsstreits gehört der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 1999, mit dem der Klägerin ab 18. November 1999 vollstationäre Pflege in einem Pflegeheim (§ 43 SGB XI) im Werte von monatlich 2.500 DM gemäß der Pflegestufe II gewährt worden ist. Zwar liegt auch diesem Bescheid die streitige Einstufung der Klägerin in die Pflegestufe II zugrunde. Doch steht der Einbeziehung schon der Umstand entgegen, daß der Bescheid erst während des am 15. Oktober 1999 anhängig gewordenen Revisionsverfahrens ergangen ist.
Die Klage ist möglicherweise begründet. Durch weitere Ermittlungen ist zu klären, ob die Voraussetzungen des § 38 SGB XI iVm den §§ 14, 15 SGB XI erfüllt sind. Nach Maßgabe des § 38 SGB XI stehen einem Pflegebedürftigen bei häuslicher Pflege Sachleistungen durch einen Pflegedienst und anteiliges Pflegegeld als Kombinationsleistung der sozialen Pflegeversicherung zu. Die Höhe der jeweiligen Leistungen bestimmt sich nach der Einstufung des Pflegebedürftigen in einer der drei Pflegestufen. Dabei muß ein Pflegebedürftiger, der die Einstufung als Schwerstpflegebedürftiger (Pflegestufe III) begehrt, die pflegerischen und zeitlichen Voraussetzungen des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 sowie des § 15 Abs 3 Nr 3 SGB XI erfüllen. Schwerstpflegebedürftige sind danach Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität (Grundpflege nach § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI) täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI) benötigen. Der gesamte tägliche Pflegebedarf muß mindestens fünf Stunden betragen, wovon mindestens vier Stunden auf die Grundpflege entfallen müssen. Dabei ist nicht jede Form der Hilfe zu berücksichtigen; nach § 14 Abs 3 SGB XI liegt Hilfe iS des SGB XI nur vor, wenn sie in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht.
Der Begriff der Pflege „rund um die Uhr, auch nachts” ist im Gesetz nicht näher definiert. Seine Bedeutung erschließt sich aus einem Vergleich zu den Anforderungen des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB XI für die Pflegestufe II. Diese erfordert im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf „mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten”. Die qualitative Steigerung der pflegerischen Anforderungen der Pflegestufe III im Vergleich zur Pflegestufe II besteht darin, daß der Hilfebedarf nicht nur zu verschiedenen „Tageszeiten” (= tagsüber), sondern zusätzlich – und zwar regelmäßig – auch in der Nacht anfallen muß. Schwerstpflegebedürftigkeit liegt danach vor, wenn der Hilfebedarf „rund um die Uhr”, also „mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten” (so Stufe II) und zusätzlich regelmäßig mindestens einmal zur Nachtzeit (= nachts) anfällt. Der Begriff „nachts” ist somit (nur) als Konkretisierung des Begriffes „rund um die Uhr” zu verstehen. Beide Begriffe ergeben in ihrer Gesamtheit ein einheitliches Tatbestandsmerkmal, stellen also nicht zwei getrennte Tatbestandsmerkmale mit jeweils eigenständiger Bedeutung dar, wie vom LSG angenommen.
Zur Frage, wann ein „nächtlicher” Hilfebedarf vorliegt, hat der Senat bereits mehrfach Stellung genommen. In mehreren Urteilen vom 19. Februar 1998 (B 3 P 7/97 R = BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1 = NZS 1998, 479; B 3 P 2/97 R und B 3 P 6/97 R, nicht veröffentlicht) hat er entschieden, daß ein Pflegebedarf „rund um die Uhr, auch nachts” als Voraussetzung für die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe III gegeben ist, wenn – entsprechend den Vorgaben in den „Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches” (BRi) vom 21. März 1997 (dort unter Abschnitt D Teil 1.4) – ein nächtlicher Grundpflegebedarf für zumindest eine der in § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI aufgeführten Verrichtungen grundsätzlich jede Nacht entsteht. Der nächtliche Hilfebedarf muß also prinzipiell jeden Tag auftreten; soweit an wenigen einzelnen Tagen im Laufe eines Monats eine solche Hilfe nicht geleistet werden muß, ist dies allerdings unschädlich (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 10 sowie § 15 Nrn 1 und 5; so auch BRi Abschnitt D Teil 1.4). Wie im Urteil vom 18. März 1999 - B 3 P 3/98 R - (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 5) entschieden, findet eine Hilfeleistung „nachts” statt, wenn sie zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens objektiv erforderlich ist, die Hilfe also nicht auf einen Zeitpunkt vor 22 Uhr oder nach 6 Uhr verlegt werden kann. Dabei ist es – entgegen den BRi (Abschnitt D Teil 1.4) – nicht zusätzlich erforderlich, daß die Pflegeperson für die Hilfeleistung ihren Nachtschlaf unterbricht (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 10 und § 15 Nr 5). Eine ständige Ruf- und Einsatzbereitschaft reicht allerdings, ebenso wie bei der tagsüber zu leistenden Grundpflege (BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn 5, 6 und 8; Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 6/97 R -, nicht veröffentlicht) auch hier nicht aus. Andererseits genügt es schon, wenn die nächtliche Hilfe jeweils zu einem vorher feststehenden Zeitpunkt zu leisten ist, sie also nicht zu unvorhergesehenen, verschiedenen Zeitpunkten anfällt. So hat der Senat einen nächtlichen Hilfebedarf bejaht, wenn die Pflegeperson den an Inkontinenz leidenden bettlägerigen Pflegebedürftigen einmal in jeder Nacht zwischen 23.30 Uhr und 24 Uhr aufsuchen muß, um ihn auf den Toilettenstuhl zu setzen, sonstige nächtliche Grundpflegemaßnahmen aber regelmäßig nicht geleistet werden (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 5).
Aus dieser Rechtsprechung folgt zugleich, daß – entgegen der Annahme des LSG – eine Pflege „rund um die Uhr” nicht ausscheidet, wenn zwischen zwei erforderlichen Hilfen eine größere Zeitspanne (hier: siebeneinviertel Stunden) ohne regelmäßigen Hilfebedarf liegt. Der Senat hat es zB in der angegebenen Entscheidung vom 18. März 1999 - B 3 P 3/98 R - (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 5) – allerdings ohne dies ausdrücklich hervorzuheben – als unerheblich betrachtet, daß zwischen der einzigen nächtlichen Hilfeleistung (spätestens gegen 24 Uhr) und der ersten Hilfeleistung am Morgen (Hilfe beim Aufstehen zu einem Zeitpunkt nach 6 Uhr) mindestens sechs Stunden ohne Hilfebedarf lagen. Die Pflege „rund um die Uhr, auch nachts” erfordert, wie ausgeführt, lediglich, daß in einem vierundzwanzigstündigen Zeitraum zwischen 6 Uhr morgens des ersten Tages und 6 Uhr morgens des folgenden Tages mindestens drei Hilfen zu verschiedenen Tageszeiten, also bis 22 Uhr abends, und zusätzlich mindestens eine Hilfe zur Nachtzeit, also nach 22 Uhr abends, geleistet werden müssen. Auf die Zeitspannen zwischen zwei aufeinander folgenden Hilfen kommt es hingegen nicht an; das Gesetz sieht insoweit keine weiteren Maßgaben vor.
Das Umlagern eines bettlägerigen Pflegebedürftigen, der zu einer Veränderung der einmal eingenommenen Lage im Bett aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage ist, gehört zur Grundpflege. Dies entspricht einhelliger Ansicht in Literatur und Pflegepraxis (so auch der Regierungsentwurf zum Pflege-VG, BR-Drucks 505/93, S 90 zu Art 1 § 4 E). Es handelt sich nicht um eine Maßnahme der medizinischen Behandlungspflege, obgleich sie in erster Linie das pflegerische Ziel hat, der Gefahr von Druckgeschwüren vorzubeugen (Dekubitusprophylaxe) oder die Heilung von Druckgeschwüren zu fördern. Dennoch geht es nicht um eine krankheitsspezifische Behandlung, wie es zB bei der medizinischen Versorgung des Druckgeschwürs oder dem Anlegen eines Verbandes der Fall wäre. Das Umlagern stellt vielmehr eine allgemeine Vorsorgemaßnahme dar, wie zB auch der regelmäßigen Körperhygiene (vgl Verrichtungen des § 14 Abs 4 Nr 1 SGB XI) die Funktion zukommt, aus Hygienemängeln resultierenden Krankheiten vorzubeugen.
Unsicherheit besteht allerdings in der Frage, welcher der in § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI genannten Verrichtungen der Grundpflege das Umlagern, das dort nicht gesondert aufgeführt ist, zuzuordnen ist. Nach den BRi (Abschnitt D Teil V 5.3 Nr 10) wird bei der Begutachtung so verfahren, daß ein alleiniges Umlagern (ohne Zusammenhang mit den in § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI genannten Verrichtungen der Grundpflege) wegen der Sachnähe der Verrichtung „Aufstehen/Zubettgehen” zugeordnet und entsprechend dort im Formulargutachten dokumentiert wird. Fällt das Umlagern hingegen in Verbindung mit den Verrichtungen an, erfolgt die Zuordnung und Dokumentation sowie die zeitliche Berücksichtigung bei der jeweiligen Verrichtung. Die BRi entsprechen mit der grundsätzlichen Zuordnung des Umlagerns zur Verrichtung „Aufstehen/Zubettgehen” der „Gemeinsamen Empfehlung der Spitzenverbände der Pflegekassen gemäß § 75 Abs 5 SGB XI zum Inhalt der Rahmenverträge nach § 75 Abs 2 SGB XI zur ambulanten pflegerischen Versorgung” vom 13. Februar 1995 (abgedruckt zB bei Hauck/Wilde, SGB XI, C 420). Die Spitzenverbände verstehen also unter dem Begriff des Zubettgehens nicht nur den Vorgang des Hinlegens zur Bettruhe, sondern darüber hinaus ganz allgemein das Betten und Lagern eines Pflegebedürftigen (vgl Abschnitt I § 1 „Mobilität”).
Dem praktischen Bedürfnis nach Berücksichtigung des Umlagerns als Teil der Grundpflege ist damit Genüge getan. Rechtlich kann das Umlagern allerdings nicht der Verrichtung des Zubettgehens zugeordnet werden. Der Senat hat in seinem Urteil vom 29. April 1999 - B 3 P 7/98 R - (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 10) bereits entschieden, daß die Verrichtung des Zubettgehens einen körperlichen Bewegungsvorgang darstellt, der den Zweck hat, in ein Bett hineinzugelangen, und der mit der Einnahme einer liegenden (zum Ruhen oder Schlafen geeigneten) Position im Bett endet. Das Umlagern stellt demgegenüber eine Maßnahme dar, die zeitlich erst nach Abschluß des Zubettgehens anfällt und der Einnahme einer gegenüber der Ausgangsposition veränderten Lage im Bett dient.
Der Sache nach handelt es sich beim Umlagern um eine Hilfe zum Liegen, um schädlichen Folgen eines dauernden Liegens in gleicher Position vorzubeugen. Betroffen ist also allein die Verrichtung des Liegens, die im Katalog des § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI allerdings nicht ausdrücklich erwähnt ist.
Auch die Verrichtung des Sitzens ist dort nicht ausdrücklich genannt. Dennoch ist nicht zu bezweifeln, daß auch hier alle Hilfen, die dazu dienen, einem Pflegebedürftigen, der nicht mehr aus eigener Kraft aufrecht sitzen oder seine Sitzhaltung verändern kann, ein aufrechtes Sitzen zu ermöglichen (zB Fixierung durch einen Gurt) oder ihm zu einer Veränderung der Sitzhaltung zu verhelfen (zB „Umsetzen” in einem Sessel oder im Rollstuhl), der Grundpflege zuzuordnen sind, auch wenn diese Hilfen nicht Bestandteil einer der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen sind.
Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 29. April 1999 - B 3 P 7/98 R - (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 10) betont, es sei kein einleuchtender Grund erkennbar, weshalb der Gesetzgeber von den grundlegenden Körperfunktionen des Gehens (einschließlich des Treppensteigens als Sonderform des Gehens), Stehens, Sitzens und Liegens nur das Gehen, Stehen und Treppensteigen in den Verrichtungskatalog des § 14 Abs 4 SGB XI aufgenommen, das Sitzen und Liegen hingegen nicht ausdrücklich erwähnt hat. Es ist zu vermuten, daß beide Körperfunktionen nur deshalb nicht gesondert erwähnt worden sind, weil der Gesetzgeber davon ausging, der erforderliche Hilfebedarf beim Sitzen und Liegen könne bereits hinreichend im Rahmen der im Gesetz aufgeführten Verrichtungen berücksichtigt werden. Die Praxis hat die Zuordnungsschwierigkeiten in der oben dargestellten Weise überwunden, so daß aus der Nichterwähnung des Sitzens und Liegens in § 14 Abs 4 SGB XI bisher keine Nachteile für die Betroffenen bei der Beurteilung ihrer Pflegebedürftigkeit erwachsen sind. Rechtlich zutreffend ist der Lösungsweg der Praxis jedoch nicht. Der – grundsätzlich als abschließend zu betrachtende (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2) – Verrichtungskatalog des § 14 Abs 4 SGB XI ist vielmehr im Bereich Mobilität (§ 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI) nach Sinn und Zweck der Regelung zur Ausfüllung einer offensichtlichen Lücke um die Verrichtungen Sitzen und Liegen zu ergänzen.
Die auf die Besonderheiten der Bemessung des Pflegebedarfs bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in seiner bis zum 31. März 1995 geltenden Fassung (vgl zur Feststellung der Schwerpflegebedürftigkeit nach altem Recht BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 5) zugeschnittene Entscheidung, daß das Umlagern als Verrichtung, die bei Gesunden gerade nicht anfällt, insoweit außer Betracht zu bleiben habe (BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 4), ist mit der Einführung der sozialen Pflegeversicherung zum 1. April 1995 und den darin enthaltenen neuen Vorschriften zur Berechnung des Pflegebedarfs (§§ 14, 15 SGB XI) gegenstandslos geworden.
Hieraus folgt, daß im vorliegenden Fall ein nächtlicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege zu bejahen ist, wenn die Klägerin aus pflegerischen Gründen zumindest einmal in der Zeit zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens in ihrem Bett umgelagert werden muß. Das LSG wird dies noch zu klären haben. Es reicht nicht aus, daß die Klägerin – wie bisher festgestellt – tatsächlich jeweils gegen 22.15 Uhr abends und 5.30 Uhr morgens umgelagert worden ist; denn es fehlt am notwendigen nächtlichen Hilfebedarf, wenn die Umlagerungen ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen auch auf die Zeit vor 22 Uhr und nach 6 Uhr hätten verschoben werden können. Das LSG wird ferner zu ermitteln haben, ob der gesamte tägliche Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege mindestens vier Stunden beträgt.
Die Entscheidung über Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 514015 |
FEVS 2001, 61 |
NZS 2001, 39 |
br 2000, 185 |