Beteiligte
Landwirtschaftliche Alterskasse Schwaben |
Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob die Kläger zur Erstattung von Beitragszuschüssen verpflichtet sind, die ihnen die Beklagte für die Monate Juli 1997 bis Februar 1998 nach § 32 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) in Höhe von jeweils DM 2.108 gewährt hatte.
Der Kläger zu 1. betreibt eine Landwirtschaft; er und die Klägerin zu 2. als seine Ehefrau sind bei der Beklagten pflichtversichert (§ 1 Abs 1 Nr 1 und Abs 3 ALG). Auf ihren Antrag vom 16. Mai 1995 bewilligte die Beklagte den Klägern auf der Grundlage der vorgelegten Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungsjahre 1992, 1993 und 1994 jeweils mit den Bescheiden vom 24. April 1996, 30. Mai 1996, 30. Dezember 1996 und 18. Dezember 1997 Beitragszuschüsse in wechselnder Höhe. Alle Bescheide sowie das übermittelte Formblatt Nr 2906a, das unterschrieben zusammen mit dem nächsten Einkommensteuerbescheid vorzulegen war, enthielten hervorgehoben den Hinweis, nach Ausfertigung eines neuen Einkommensteuerbescheides sei dieser spätestens bis zum Ablauf des zweiten auf das Datum des Bescheides folgenden Kalendermonats vorzulegen. Falls dem nicht entsprochen werde, müsse der zwischenzeitlich gewährte Beitragszuschuß zurückgefordert werden, selbst wenn er nach den Einkommensverhältnissen zugestanden hätte.
Am 5. Februar 1998 legten die Kläger, nachdem sie die Beklagte dazu mit Schreiben vom 30. Januar 1998 aufgefordert hatte, den Einkommensteuerbescheid vom 2. Mai 1997 für das Veranlagungsjahr 1995 vor. Unter Berücksichtigung der in diesem Bescheid ausgewiesenen Einkommen stellte die Beklagte mit den streitgegenständlichen Bescheiden vom 11. Februar 1998 ua fest, ab 1. März 1998 bestehe weiterhin der Anspruch auf Beitragszuschuß in Höhe von monatlich DM 268, er ruhe jedoch für die Monate Juli 1997 bis Februar 1998, da der Einkommensteuerbescheid 1995 nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten nach seiner Ausfertigung vorgelegt worden sei. Sie änderte die Bescheide über die Bewilligung der Beitragszuschüsse und nahm die Bescheide vom 18. Dezember 1997 teilweise zurück. Die gewährten Beitragszuschüsse in Höhe von jeweils DM 2.108 forderte sie zurück. Die Widersprüche der Kläger blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 30. April 1998).
Das Sozialgericht Augsburg (SG) hat mit Urteil vom 22. März 1999 die Klage des Klägers zu 1. und mit Gerichtsbescheid vom 19. April 1999 die Klage der Klägerin zu 2. abgewiesen. Nach Verbindung der Streitsachen hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 8. Dezember 1999 die Entscheidungen des SG vollständig und die angefochtenen Bescheide der Beklagten insoweit aufgehoben, „als darin von den Klägern die Beitragszuschüsse in der Zeit vom 1. Juli 1997 bis 28. Februar 1998 in Höhe von DM 2.108 zurückgefordert werden”: Der Anspruch auf Beitragszuschuß habe im streitigen Zeitraum wegen der nicht fristgerechten Vorlage des Einkommensteuerbescheides 1995 geruht, und grundsätzlich sei auch die rückwirkende Aufhebung der Bewilligungsbescheide nicht zu beanstanden. Dies führe aber nicht zur uneingeschränkten Erstattungspflicht nach § 50 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Vielmehr würde es einen Verstoß gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedeuten, allein wegen eines formalen Fehlverhaltens eine erbrachte Leistung, auf die bei rechtzeitiger Vorlage des Einkommensteuerbescheides ein Anspruch bestanden hätte, ohne Vertrauensschutz- und Ermessenserwägungen zurückzufordern. Eine derartige Sanktion habe innerhalb des gesamten Systems der sozialen Sicherheit Ausnahmecharakter. Geeignetheit und Erforderlichkeit der Sanktion seien fragwürdig. Die sich aus § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 und § 34 Abs 4 ALG iVm § 50 Abs 1 SGB X ergebenden Folgen seien deshalb in verfassungskonformer Auslegung dahingehend zu begrenzen, daß jedenfalls bei der vorliegenden Fallkonstellation Ermessenserwägungen stattzufinden hätten, ehe die Erstattung geltend gemacht werde. Allein wegen dieses Mangels seien die angefochtenen Bescheide nach § 39 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X aufzuheben.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten: § 32 Abs 4 und § 34 Abs 4 ALG iVm § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X verstießen in ihren konkreten Auswirkungen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die „verfassungskonforme” Auslegung durch das LSG stehe in Widerspruch zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Der Wortlaut der Vorschriften lasse die vom LSG vorgenommene Differenzierung zwischen vorsätzlicher, grob fahrlässiger und leicht fahrlässiger Versäumung der Vorlagefrist nicht zu. In allen Varianten ruhe der Anspruch auf den Beitragszuschuß, und gewährte Leistungen seien ausnahmslos zu erstatten. Im Gegensatz zum Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) erfolgten nach dem ALG Neufeststellungen wegen Änderung der Einkommensverhältnisse ab dem Folgemonat der Vorlage des Einkommensteuerbescheides lediglich für die Zukunft. Damit werde das Verfahren im Interesse der Verwaltung, aber auch der Versicherten vereinfacht. Die „Realisierung der Vorzüge des neuen Rechts” setze aber voraus, daß sämtliche dem Landwirt zugegangenen Einkommensteuerbescheide fristgerecht vorgelegt würden und keine „Vorauswahl” oder „Maßgeblichkeitsprüfung” durch die Versicherten stattfinde. Die durch die Neuregelung verhängte strenge Sanktion diene allein der Durchsetzung des neuen Verfahrens. Die einschränkende Auslegung der Gesamtregelung durch das LSG laufe dem Gesetzeszweck zuwider. Dem Gesetzgeber sei die Härte der Regelung bewußt gewesen, wie aus den Gesetzgebungsmaterialien zum später eingefügten § 107a ALG hervorgehe. Wegen der Anlaufschwierigkeiten sei in 30.000 Fällen auf die Erstattung von Beitragszuschüssen wegen nicht rechtzeitiger Vorlage der Einkommensteuerbescheide verzichtet worden. Danach habe aber die Regelung uneingeschränkt angewandt werden sollen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht verletzt, denn die „Sanktion” sei geeignet, das neue Anrechnungsverfahren durchzusetzen. Sie sei auch erforderlich, da der Nachlässigkeit der Versicherten, wie die 30.000 Fälle in der „Anlaufzeit” gezeigt hätten, nicht anders begegnet werden könne. Ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich, denn eine direkte Übermittlung der Einkommensteuerbescheide durch die Steuerverwaltung komme aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Die „Sanktion” sei zumutbar, denn wer seiner Mitwirkungspflicht nachkomme, habe keine Rückforderung zu befürchten. Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes – GG – (Art 14 GG) sei nicht tangiert, da der Beitragszuschuß aus Steuermitteln finanziert werde. Ebensowenig könne ein Verfassungsverstoß aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) oder dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) abgeleitet werden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 1999 aufzuheben und die Berufungen zurückzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II
Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat die Bescheide der Beklagten im streitigen Umfang zu Recht allein deshalb aufgehoben, weil eine Ermessensentscheidung der Verwaltung darüber fehlt, ob den Klägern der Beitragszuschuß zum Teil zu belassen ist.
Zu Recht hat die Beklagte nach § 32 Abs 4 und § 34 Abs 4 ALG iVm § 50 Abs 1 SGB X wegen der schuldhaften, nicht rechtzeitigen Vorlage des Einkommensteuerbescheides das Ruhen des Anspruchs auf Beitragszuschuß als Sanktion festgestellt und eine Erstattung angeordnet, auch wenn nach den Einkommensverhältnissen der Zuschuß zu gewähren wäre (1). Ein vollständiger Entzug der Leistung als Sanktion verstößt aber im Regelfall gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz iVm dem Rechtsstaatsprinzip, speziell dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot (2). Dieser Teil der Gesamtregelung ist deshalb verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 67 SGB I der vollständigen Rückforderung des Beitragszuschusses Ermessenserwägungen vorangehen müssen, ob die Alterskasse den Erstattungsanspruch nur zum Teil geltend macht (3). Das Ermessen ist so auszuüben, daß einerseits der Sanktionscharakter der Norm erhalten bleibt, andererseits aber den verfassungsrechtlichen Bedenken weitgehend Rechnung getragen wird (4).
Zu 1)
Das ALG, eingeführt mit Art 1 des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (ASRG 1995) vom 29. Juli 1994 (BGBl I 1890), hat die Voraussetzungen für den Beitragszuschuß, das Verfahren zur Berücksichtigung und Anrechnung von Einkünften sowie das Recht zur Erstattung überzahlter Beitragszuschüsse neu geregelt. Nach dem GAL war in allen Fällen hinsichtlich des einkommensabhängigen Zuschusses zum Beitrag auf das im vorvergangenen Jahr erzielte Einkommen abzustellen, überzahlte Beitragszuschüsse waren uneingeschränkt und ohne Vertrauensschutz zu erstatten (vgl § 3c Abs 1 GAL, § 10 Abs 8 GAL iVm § 50 Abs 1 SGB X). Die Folgen der Verletzung von Mitwirkungspflichten ergaben sich allein aus den §§ 60 ff SGB I.
Um über Grund und Höhe des Beitragszuschusses entscheiden zu können, ist dagegen nach dem Recht des ALG bei Landwirten, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, eine eigenständige Feststellung des „jährlichen Einkommens” in enger Anlehnung an den letzten Einkommensteuerbescheid erforderlich. Dessen rechtzeitige Vorlage ist im neuen Anrechnungsverfahren, im folgenden neue Anrechnungsmethode genannt, von derart zentraler Bedeutung, daß das schuldhafte Unterlassen dieser Mitwirkungshandlung das vollständige Ruhen des Anspruchs auf den Beitragszuschuß – im Falle der Kläger als reine Sanktion – zur Folge hat. Für den Zeitraum spätestens ab dem dritten Monat nach Ausfertigung des letzten Einkommensteuerbescheides sind dagegen Überzahlungen, also nicht gerechtfertigte Teile des Beitragszuschusses, auf der Grundlage der in diesem Bescheid ausgewiesenen Einkommensverhältnisse in jedem Falle unabhängig vom Verschulden und ohne Vertrauensschutz zu erstatten.
Nach § 32 Abs 1 ALG (in der bis 31. Dezember 1999 geltenden Fassung) ist der Zuschuß zu gewähren, wenn das jährliche Einkommen des Landwirts DM 40.000 nicht übersteigt. Bis zu einem jährlichen Einkommen von DM 16.000 beträgt der Zuschuß 80 vH des Beitrags; bei darüber liegenden Einkommen wird er in Schritten von DM 1.000 bis zum Erreichen des Grenzwertes proportional gemindert, vgl § 33 Abs 1 Sätze 1 und 2 ALG. Das jährliche Einkommen ist aus dem „Jahreseinkommen” zu ermitteln, das abweichend von den Kriterien des Einkommensteuergesetzes (EStG) als die Hälfte der Summe der Einkommen des Landwirts und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten definiert ist, wobei der Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkommensarten oder mit Verlusten aus dem Einkommen des Ehegatten unzulässig ist (vgl § 32 Abs 2 Satz 1, § 32 Abs 3 ALG). Eine weitere Präzisierung des Jahreseinkommens enthält § 32 Abs 3 Sätze 1 und 3 ALG: Es ist die Summe aller positiven Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 EStG, soweit es sich nicht um Erwerbsersatzeinkommen handelt, und der Erwerbsersatzeinkommen, die wiederum in § 3 Abs 4 ALG umschrieben sind (§ 32 Abs 3 Satz 3 Nrn und 2 ALG). § 32 Abs 3 Satz 4 Nrn 1 und 2 ALG gibt nun hinsichtlich der zugrunde zu legenden positiven Einkünfte nach § 2 Abs 1 und 2 EStG weitere Arbeitsanweisungen. Falls für eines der letzten vier Jahre eine Veranlagung zur Einkommensteuer erfolgt ist, sind die Einkünfte, so wie sie der Besteuerung zugrunde gelegt worden sind, aus dem Einkommensteuerbescheid zu entnehmen, der sich auf das zeitnächste Veranlagungsjahr bezieht (Variante Satz 4 Nr 1). Falls dagegen für die letzten vier Jahre keine Veranlagung erfolgt ist, sind die entsprechenden im vorvergangenen Kalenderjahr erzielten Einkünfte, gemindert um den Arbeitnehmerpauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr 1 Buchst a EStG, zugrunde zu legen (Variante Satz 4 Nr 2). Nur insoweit führt das ALG die bisherige Regelung fort, und es verbleibt auch hinsichtlich der Folgen einer unterlassenen Mitwirkung bei den §§ 60 ff SGB I.
Landwirte, die wie die Kläger zur Einkommensteuer veranlagt werden (Variante § 32 Abs 3 Satz 4 Nr 1 ALG), unterliegen dagegen nach § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ALG einer speziellen Mitwirkungspflicht: Der Einkommensteuerbescheid ist der landwirtschaftlichen Alterskasse spätestens zwei Kalendermonate nach seiner Ausfertigung vorzulegen. Damit korrespondiert die Grundregel des § 32 Abs 4 Satz 2 ALG für alle Neufeststellungen bei dieser Variante: Änderungen des Jahreseinkommens unter Einschluß der Erwerbsersatzeinkommen – und zwar nach beiden Richtungen – werden vom Ersten des auf die Vorlage des Einkommensteuerbescheides folgenden Kalendermonats an berücksichtigt. Die Neufeststellung erfolgt also nicht vom Zeitpunkt der tatsächlichen Änderung der nach § 32 Abs 3 Satz 4 Nr 1 ALG maßgeblichen Einkommensverhältnisse an, sondern ab einem Datum, das an die Erfüllung der Mitwirkungspflicht nach § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ALG gekoppelt ist. Die Regelung ist neutral, da sie sich für den Versicherten sowohl belastend als auch entlastend auswirken kann. Diese neue Anrechnungsmethode hat praktische Vorteile, weil Neufeststellungen grundsätzlich nur für die Zukunft auf der gesicherten Grundlage eines Einkommensteuerbescheides erfolgen und Rückforderungen oder Nachzahlungen für die Vergangenheit entfallen. Die Vorteile setzen allerdings voraus, daß die Einkommensteuererklärungen rechtzeitig abgeben werden, die Finanzverwaltung zügig arbeitet, und – als letztes Glied – die Vorlage des Einkommensteuerbescheides nach seiner Ausfertigung durch den Landwirt unverzüglich (dh innerhalb der Zweimonatsfrist nach § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ALG) erfolgt. Bei verzögerter Vorlage eines Einkommensteuerbescheides, der ein höheres Einkommen ausweist, als der bisherigen Feststellung zugrunde liegt, würden durch die verspätete Neufeststellung Staatsgelder fehlgeleitet.
Das ALG sanktioniert deshalb alle Fälle einer schuldhaften Verletzung der Mitwirkungspflicht, selbst wenn nach den Einkommensverhältnissen der Anspruch auf den laufenden (oder gar einen höheren) Beitragszuschuß bestanden hätte. § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG trifft (deutlich vom ersten Halbsatz durch ein Semikolon getrennt) folgende Regelung: „…; nach Ablauf dieser Frist (nach Halbsatz 1) ruht die Leistung vom Beginn des Monats, in dem der Bescheid fristgemäß hätte vorgelegt werden können, bis zum Ablauf des Monats, in dem der Bescheid vorgelegt wird.” Damit wird der Anspruch auf Auszahlung des Beitragszuschusses – ohne das Stammrecht zu berühren – für den definierten Zeitraum kraft Gesetzes zum Erlöschen gebracht. Im Ruhenszeitraum entfällt der Leistungsanspruch. Deshalb kommt § 34 Abs 4 ALG zum Zuge, der gegenüber § 48 SGB X als Sonderregelung ausgestaltet ist: Ändern sich die für Grund und Höhe des Zuschusses zum Beitrag maßgebenden Verhältnisse, ist der Verwaltungsakt vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. Nach Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit ist nach § 50 Abs 1 SGB X – ohne weitere Voraussetzungen – der zuviel gezahlte Beitragszuschuß zu erstatten. Der Senat hat die Sonderstellung des § 34 Abs 4 ALG gegenüber den Regelungen des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X bereits im Urteil vom 8. Oktober 1998 unterstrichen (SozR 3-5868 § 32 Nr 2). Rückwirkende Neufeststellungen sind uneingeschränkt möglich und der Vertrauensschutz ist ausgeschlossen (BT-Drucks 12/5700 S 78 zu Art 1 § 34). Ausdrücklich heißt es in der Gesetzesbegründung (aaO S 77): „Diese Regelung über die Rücknahme des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit erfaßt auch den Fall der nicht rechtzeitigen Vorlage des Einkommensteuerbescheides durch den Berechtigten.”
Die „Ruhensregelung” des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG ist eine verschuldensabhängige Sanktion. Entgegen der Meinung des Gesamtverbandes der landwirtschaftlichen Alterskassen (GLA-Komm, Stand 6/98 zu § 32 Abs 4) ergibt sich aus Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung, den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens sowie der systematischen Stellung in der Sozialrechtsordnung, daß das Ruhen des Anspruchs auf den Beitragszuschuß nach § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG bereits vom Tatbestand her ein wenigstens fahrlässiges Verhalten des Landwirts voraussetzt. Angeknüpft wird an die Verletzung einer Mitwirkungspflicht, nämlich der Nichtvorlage des letzten Einkommensteuerbescheides, obwohl er „fristgemäß hätte vorgelegt werden können”. Die Vorschrift ist dahin auszulegen, daß ein vorwerfbares Verhalten vorausgesetzt wird. In Übereinstimmung mit dieser Auffassung erläutert die Begründung des Entwurfs dazu unter Verwendung der Gesetzessprache des Bürgerlichen Gesetzbuchs (≪BGB≫ unverzüglich bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern” ≪§ 121 Abs 1 Satz 1 BGB≫): „Wird der Bescheid nicht unverzüglich vorgelegt, wird bis zur Vorlage kein Beitragszuschuß gezahlt” (BT-Drucks 12/5700 zu Art 1 § 32 des Entwurfs, S 77). Auch die Begründung zur Einfügung des § 107a ALG (BT-Drucks 13/4947 zu A ≪Allgemeiner Teil≫, S 3) meint dementsprechend das Verschulden der Betroffenen, wenn ausgeführt wird, daß den betroffenen Landwirten das Zusammenwirken von § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG mit § 34 Abs 4 ALG nicht bewußt geworden sei und dem, „obwohl die Fristversäumung nicht gänzlich aus dem Verantwortungsbereich (!) der Zuschußberechtigten herausgenommen werden kann, in der gegenwärtigen Sondersituation Rechnung getragen werden muß”. Das Ruhen eines Anspruchs als Sanktion (anders als beim Zusammentreffen von Leistungen zB nach § 93 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ≪SGB VI≫, § 1283 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ oder in den Fällen des § 142 Sozialgesetzbuch Drittes Buch ≪SGB III≫), zählt zu den schärfsten Reaktionen, die das Sozialrecht kennt. Musterbeispiel für ein so begründetes Ruhen sind die Regelungen des SGB III für den Eintritt einer Sperrzeit (§ 144 SGB III) oder einer Säumniszeit (§ 145 SGB III), die schon vom Tatbestand her ein grob fahrlässiges, nicht zu entschuldigendes Verhalten voraussetzen. Auch die generellen Regelungen des SGB I zur Mitwirkung (§§ 60 bis 67 SGB I) knüpfen, soweit Sanktionen verhängt werden können, an ein schuldhaftes Verhalten an (vgl § 66 Abs 3 SGB I).
Abzugrenzen ist davon die Grundvariante des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ALG für eine zukunftsgerichtete Neufeststellung nach der neuen Anrechnungsmethode, nämlich die des Ablaufs der Zweimonatsfrist nach Ausfertigung des Einkommensteuerbescheides durch die Finanzverwaltung, also zu einem objektiv feststehenden Datum: Änderungen der für die Höhe des Anspruchs maßgebenden Verhältnisse sind danach ungeachtet eines eventuellen Verschuldens stets zu Lasten des Anspruchsberechtigten ab dem Folgemonat der tatsächlichen Vorlage des Einkommensteuerbescheides (§ 32 Abs 4 Satz 2 ALG), spätestens aber ab Beginn des dritten Monats nach seiner Ausfertigung (§ 34 Abs 4 Satz 1 ALG) zu berücksichtigen. Überzahlungen sind generell ohne Vertrauensschutz nach § 50 Abs 1 SGB X zu erstatten. Dieser Regelungszusammenhang ergibt sich aus § 107a ALG, der dies beispielhaft für Übergangsfälle aufzeigt. Die Anwendung der Ruhensregelung des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG entfällt nach § 107a Satz 1 ALG, eingefügt durch Art 1 des Änderungsgesetzes vom 4. April 1997 (BGBl I 750), wenn die nach § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ALG einzuhaltende Frist zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides vor dem 1. Januar 1997 abgelaufen ist. In diesen Fällen ist nach § 107a Satz 2 Halbsatz 1 ALG der Einkommensteuerbescheid vom dritten Monat nach seiner Ausfertigung an „zu berücksichtigen”. Gemeint ist die Berücksichtigung bei der rückwirkenden Neufeststellung nach dem unverändert gebliebenen § 34 Abs 4 ALG – nunmehr allerdings nicht mehr zur Neufeststellung wegen Wegfalls des Grundes für den Anspruch infolge des als Sanktion angeordneten Ruhens, sondern zur Neufeststellung wegen Änderung der für die Höhe des Beitragszuschusses maßgeblichen Einkommensverhältnisse. Im Ergebnis zeigt damit § 107a ALG den Kern der oben geschilderten neuen Anrechnungsmethode des § 32 Abs 3 und 4 ALG, der verbleibt, wenn von der Sanktionskomponente des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG abgesehen oder sie (wie mit § 107a ALG) vorübergehend ausgesetzt wird. Dies entspricht der bisherigen Regelung des GAL und gilt weiterhin für jene Landwirte, die nicht zur Einkommensteuer veranlagt werden (Variante § 32 Abs 3 Satz 4 Nr 2, Satz 5 Nr 2 ALG iVm § 34 Abs 4 ALG) oder durch von Anfang an fehlerhafte Verwaltungsakte begünstigt wurden (vgl § 34 Abs 3 Satz 2 ALG). Im übrigen lautet auch die (hier nicht einschlägige) generelle Regelung des SGB X nicht anders (vgl § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X).
Der Fall der Kläger ist dadurch gekennzeichnet, daß sie aufgrund der mehrfachen Hinweise auf ihre Verpflichtung, den Einkommensteuerbescheid unverzüglich vorzulegen, aufgeklärt waren, und sie es nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG sogar grob fahrlässig unterlassen haben, der gesetzlich auferlegten Mitwirkungspflicht nachzukommen. Das Ruhen des Anspruchs ist also im streitigen Zeitraum kraft Gesetzes als reine Sanktion nach § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG eingetreten, obwohl nach den tatsächlichen Einkommensverhältnissen den Klägern der Beitragszuschuß in der bisherigen Höhe zugestanden hätte. Die Beklagte hat deshalb grundsätzlich zu Recht die gewährenden Bescheide nach § 34 Abs 4 ALG rückwirkend ohne Prüfung des Vertrauensschutzes aufgehoben und die Erstattung nach § 50 Abs 1 SGB X geltend gemacht.
Zu 2)
Soweit das Gesetz hinsichtlich der Sanktion dahin ausgelegt werden kann, eine an sich zustehende Leistung (sei sie gleich, höher oder niedriger als bisher) ohne ein angemessenes Korrektiv vollständig zu entziehen, verstieße indessen die Gesamtregelung der § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 und § 34 Abs 4 ALG iVm § 50 Abs 1 SGB X gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) iVm dem im GG verankerten Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG), speziell dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot.
Der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat unter der Geltung des GG Verfassungsrang (BVerfGE 19, 342, 348 f). Er bedarf allerdings stets der Konkretisierung im Einzelfall. Zu würdigen ist das gesamte Normengefüge (BVerfGE 72, 330, 407). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zeigt deshalb nur Leitlinien auf: Das gewählte Mittel und der gewollte Zweck müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen (zB BVerfGE 38, 281, 302), dh der Eingriff muß zum Erreichen des gesetzten Zieles geeignet und erforderlich sein (vgl zuletzt den noch nicht veröffentlichten Beschluß des BVerfG vom 19. Juli 2000 – 1 BvR 539/96 –, S 30 ff des Umdrucks). Erforderlich ist er dann nicht, wenn sich das Ziel durch Einsatz eines milderen Mittels erreichen läßt. Das Maß der den Einzelnen treffenden Belastung muß in einem vernünftigen Verhältnis zu den ihm und/oder der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen (zB BVerfGE 63, 88, 115; 65, 1, 54; 67, 157, 173 ff). Dabei genügt die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung. Denn der Gesetzgeber hat auch bei Sanktionen hinsichtlich der Einschätzung und Prognose ihrer Wirksamkeit einen Beurteilungsspielraum, der von den Gerichten zu respektieren ist (zB BVerfGE 90, 145, 173). Er ist allerdings um so enger, je stärker die Rechte des Bürgers betroffen sind. Denn dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt primär eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion zu (zB BVerfGE 81, 310, 338).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist festzustellen, daß das vollständige Ruhen des Anspruchs auf Beitragszuschuß in der sich nach den Einkommensverhältnissen ergebenden Höhe in keinem vernünftigen Verhältnis zum Regelungsziel, der Durchsetzung einer neuen Anrechnungsmethode, steht. Soweit § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ALG eine Sanktion enthält – s die obigen Ausführungen (zu 1) –, werden von den Betroffenen nicht unrechtmäßige Leistungen zurückgefordert oder verweigert, sondern stets nur Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch bestand. Sanktioniert wird zugunsten der Staatskasse nicht etwa der Versuch, sich ungerechtfertigt Vorteile zu verschaffen, sondern allein Unordentlichkeit, Faulheit oder Unwissenheit. Dann aber stehen die Sanktionen, jedenfalls bei „Ersttätern” in der höchsten Zuschußklasse, in keinem angemessenen Verhältnis zum Schuldvorwurf.
Die Unverhältnismäßigkeit der Sanktion zeigt sich beim Vergleich mit einem Versicherten, der vorsätzlich die Staatskasse schädigt, indem er in Kenntnis hoher anrechenbarer Einkünfte die Steuererklärung verspätet abgibt, das Steuerfeststellungsverfahren verzögert und die Zweimonatsfrist zur Vorlage des verspätet erlassenen Einkommensteuerbescheides bis zum letzten Tag ausnutzt. Er kann sich damit, ohne die Sanktionskomponente befürchten zu müssen, Beitragszuschüsse, die ihm an sich nicht zustehen, für längere Zeit sichern. Selbst wenn er nach Ablauf der Vorlagefrist vorsätzlich den Einkommensteuerbescheid nicht vorlegt, droht ihm nach dem Gesetz lediglich die – selbstverständliche – Pflicht, das unrechtmäßig Erlangte (zinslos) zurückzuzahlen.
Zutreffend spricht das LSG von einer im Recht der sozialen Sicherung singulären Norm und sieht einen „Wertungswiderspruch” zu den Vertrauensschutzregelungen der §§ 44 ff SGB X. Das Ruhen als eine Sanktion (dh nicht zum Zwecke der Anrechnungen bei dem Zusammentreffen von Leistungen) ist das „äußerste Mittel”, zu dem der Gesetzgeber greift, um dem Mißbrauch von Sozialleistungen vorzubeugen. In Fällen der vorliegenden Art dagegen besteht allenfalls die Gefahr, daß das Verwaltungsverfahren nicht „funktioniert” und Überzahlungen stattfinden, die später nicht mehr beigetrieben werden können. Andererseits verkennt der Senat nicht, daß es sich um Regelungen zur Auszahlung einer Subvention handelt. Strenge Auflagen, auch mit einer Verwirkungsklausel, sind hier üblich. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß hierbei eine Beeinträchtigung der persönlichen Handlungsfreiheit, jedenfalls bei hohen Erstattungsbeträgen wie im vorliegenden Falle, vorliegen kann. Die Beitragssubvention ist neben der Bedingung der Hofabgabe für die Rentengewährung sowie der Teilabsicherung das dritte herausragende Merkmal, mit dem sich die Alterssicherung der Landwirte von der allgemeinen Rentenversicherung unterscheidet. Sie ist eine zentrale Leistung im System der agrarsozialen Sicherung und wird an Landwirte mit niedrigem Einkommen gerade wegen ihrer Bedürftigkeit ausgekehrt. Die Rückzahlung des Beitragszuschusses mit der Folge der Beitragspflicht in nicht subventionierter Höhe ist für diesen Personenkreis in der Regel nicht zu verkraften; das Gesetz läuft damit einem seiner eigenen Zwecke zuwider. Dem Gesetzgeber steht zwar ein Einschätzungs- und Prognosevorrang zu und er kann auch mit neuen Anrechnungsverfahren zunächst versuchen, Erfahrungen zu gewinnen. Insoweit gab er deutlich zu erkennen, daß nach Ablauf der „Schonfrist” des § 107a ALG die Sanktionsregelung in vollem Umfange Anwendung finden soll, obwohl die damals offenen 30.000 Erstattungsfälle wegen Ruhens Bedenken an der Geeignetheit der neuen Anrechnungsmethode hätten wecken können. Dieser Wille des Gesetzgebers ist zu respektieren, führt aber nicht dazu, daß allein deswegen die Sanktion des vollständigen Entzugs einer an sich zustehenden Leistung gerechtfertigt ist.
Die Sanktionskomponente trifft – wie oben aufgezeigt – in Wirklichkeit nur diejenigen, die fahrlässig im Sinne einer Eigenschädigung gehandelt haben und unter diesen Personen besonders schwer diejenigen, die auf die Beitragszuschüsse am meisten angewiesen sind – je geringer das Einkommen, desto höher der Beitragszuschuß, desto höher auch die Sanktion. Der Schuldvorwurf ist demgegenüber aber stets der gleiche. Die Regelung ist deshalb nur dann mit dem Übermaßverbot und auch dem allgemeinen Gleichheitssatz der Verfassung, Art 3 Abs 1 GG, zu vereinbaren, wenn sichergestellt ist, daß Sanktion und Schuldvorwurf einander entsprechen.
Innerhalb der Regelung des § 32 ALG selbst bestehen außerdem Wertungswidersprüche, denn Landwirte, die nicht zur Einkommensteuer veranlagt werden und Mitwirkungspflichten verletzten, werden nicht mit dem Ruhen des Anspruchs sanktioniert. Hier steht der Verwaltung nur das Instrumentarium der §§ 60 ff SGB I zur Verfügung; in diesen Normen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bereits in den jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen enthalten, und ein vollständiger Entzug einer nach den Einkommensverhältnissen zustehenden Leistung ist nach Nachholung der Mitwirkung nur ausnahmsweise möglich (vgl § 67 SGB I). Allein die Tatsache, daß bei der einen Gruppe die Veranlagung zur Einkommensteuer durchgeführt und die neue Anrechnungsmethode praktiziert wird, rechtfertigt es nicht, nur diese Gruppe mit dem generellen Totalentzug der Leistung bei Verletzung einer Mitwirkungspflicht von (unter Berücksichtigung des Interesses der Verwaltung am neuen Anrechnungsverfahren) zwar nicht gleichem aber doch vergleichbarem Gewicht zu sanktionieren; das gilt sowohl unter dem Aspekt des Übermaßverbotes als auch dem der Gleichbehandlung. Es ist deshalb geboten, unter Beachtung der Unterschiede die Sanktionen hinsichtlich der beiden Gruppen wenigstens einander anzunähern.
Die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Mittels der Sanktion zur Durchsetzung des angestrebten Zwecks (Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das neue Anrechnungsverfahren) ist jedenfalls für Zeiträume nicht mehr erkennbar, in denen die Alterskasse im Einzelfall im Rahmen der Amtsermittlung die Steuerbescheide (als für die Verwaltungsentscheidung maßgebliche Urkunden) selbst beschaffen (vgl dazu allgemein bei Mitwirkungspflichten § 65 Abs 1 Nr 3 SGB I) konnte und mußte (§ 21 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X), zumal § 21 Abs 4 SGB X eine spezielle Auskunftsverpflichtung der Finanzverwaltung unter Durchbrechung des Steuergeheimnisses normiert. Dieses Instrumentarium reicht, wie die Beklagte vorträgt, möglicherweise nicht aus, um die Einkommensteuerbescheide im Datenaustausch abzurufen. Das ist auch nicht erforderlich, denn grundsätzlich ist der Versicherte nach § 32 Abs 4 ALG zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides verpflichtet, und die Alterskasse kann darauf warten. Werden die Bescheide aber im Einzelfall bei laufender Auszahlung von Beitragszuschüssen nicht nach einer angemessenen Zeit vorgelegt, ist zu erwägen, ob nicht die Behörde auch im eigenen Interesse von Amts wegen tätig werden und das vorhandene Instrumentarium nutzen muß. Je länger der Ruhenszeitraum (beträgt dieser zB mehr als ein Jahr, wäre die Verwaltung nach der turnusmäßig zu erwartenden Vorlage des neuen Einkommensteuerbescheides mehr als 14 Monate untätig geblieben), desto wahrscheinlicher könnte es dann sein, daß die Untätigkeit der Behörde als die wesentliche Ursache für das weitere Ruhen des Anspruchs in den Vordergrund tritt und die unterlassene Mitwirkung des Versicherten in ihrer Bedeutung als Mitursache verdrängt. Die Rückforderung des Beitragszuschusses wäre unter diesen Voraussetzungen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren. Im vorliegenden Fall ist der Ruhenszeitraum allerdings so kurz, daß ein Wechsel in der Verantwortung noch nicht eingetreten ist. Zudem wurden die Kläger, nachdem der turnusmäßig zu erwartende Einkommensteuerbescheid nicht vorgelegt wurde, pflichtgemäß angemahnt.
Zu 3)
Ehe das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG angerufen wird, müssen die Fachgerichte nach jeder nur denkbaren Möglichkeit Ausschau halten, welche die Vorlage an das BVerfG entbehrlich und überflüssig machen könnte (zB BVerfGE 85, 329, 333 f). Es bietet sich hier an, auch gegen das Gesetzgebungsmotiv, wie es in den Gesetzesmaterialien zu § 107a ALG zum Ausdruck kommt, die Gesamtregelung nach dem Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen sowie deren Sinn und Zweck (vgl Voßkuhle, Theorie und Praxis der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen durch Fachgerichte, AöR Bd 125, 177 ff, 180 f) einschränkend und verfassungskonform auszulegen. Denn die Gesetze sind so auszulegen, daß diejenige „Normvariante” Anwendung findet, die mit dem GG im Einklang steht (zB BVerfGE 88, 145, 166), und es kommt gerade nicht darauf an, ob dem subjektiven Willen des Gesetzgebers die weitergehende, mit dem GG nicht zu vereinbarende Auslegung eher entsprochen hätte (BVerfGE 93, 37, 81). Andererseits ergibt sich die Grenze der verfassungskonformen Auslegung aus dem Wortlaut der Vorschrift (hier der Gesamtregelung) und dem verfolgten Regelungszweck; beides darf in den wesentlichen Punkten weder verfehlt noch verfälscht werden (stRspr, zB BVerfGE 95, 64, 93). Auch dies ist hier zu beachten, dh die Sanktion zum Zwecke der Durchsetzung der neuen Anrechnungsmethode, so bedenklich sie auch sein mag, muß im Kern erhalten bleiben.
Mit der oben dargelegten Auslegung des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ALG durch den Senat wurden bereits alle Fälle einer nach den maßgeblichen Einkommensverhältnissen eingetretenen Überzahlung von der hier zu beurteilenden Sanktionsregelung ausgeklammert und damit das im Vordergrund stehende fiskalische Interesse des Gesetzgebers, das mit zur ausnahmslosen Strenge der bestehenden Regelung geführt haben mag, voll berücksichtigt.
Es verbleiben die Fälle der Rückforderung des an sich nach den tatsächlichen Einkommensverhältnissen zustehenden Beitragszuschusses als „Sanktion”. Insoweit ist der Lösung des LSG im Ergebnis zuzustimmen, wonach der Rückforderung Ermessenserwägungen vorzugehen haben. Die Verfassung fordert aus Gründen der Gleichbehandlung und zur Vermeidung des Übermaßverbotes sowie zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eine Begrenzung des Totalentzugs der Leistung und eine Rückführung auf ein vernünftiges Maß (zB BVerfG vom 10. Februar 1987, BVerfGE 74, 203 = SozR 4100 § 120 Nr 2; BFH vom 11. Juni 1997, BFHE 183, 21 zur Differenzierung: Abschöpfung des Zinsvorteils/Sanktion beim Verspätungszuschlag; BSG vom 9. Februar 1995, BSGE 76, 12 = SozR 3-4100 § 119a Nr 2: Übermaßverbot und Sperrzeit). Hier besteht eine Lücke in der zu beurteilenden gesetzlichen Regelung, die geschlossen werden kann, indem eine für einen ähnlichen Sachverhalt bestehende generelle Norm, die geschaffen wurde, um dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Geltung zu verschaffen, herangezogen wird. Insoweit zieht der Senat die Regelung des § 67 SGB I heran. Diese Vorschrift erfaßt die Fälle, in denen eine vorsätzlich oder fahrlässig unterlassene Mitwirkungshandlung, die zum Entzug oder zur Versagung einer an sich zustehenden Sozialleistung geführt hatte, nachgeholt wurde. Sie stellt (und zwar im Anschluß an eine Sanktion, die mit dem hier streitigen „Ruhen” durchaus vergleichbar ist) die nachträgliche Gewährung der Sozialleistung, auf die an sich ein Rechtsanspruch bestanden hätte, ausdrücklich ganz oder zum Teil in das Ermessen der Verwaltung. Diese Regelung des Allgemeinen Teils des SGB, der auch für das ALG gilt (§ 37 Satz 1 SGB I), kann zur Abmilderung der zu beurteilenden Sanktionsregelung unter besonderer Beachtung verfassungsrechtlicher Notwendigkeiten herangezogen werden. Im Rahmen des „Sanktionstatbestandes” nach § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG und der Rückforderung nach § 34 Abs 4 ALG iVm § 50 Abs 1 SGB X ist also die Ausübung von Ermessen im Regelfall erforderlich (ein Ausnahmefall wäre zB der oben beschriebene böswillige Landwirt, bei dem ein nach der Neuberechnung verbleibender wesentlich geringerer Zuschuß für das Ruhen als Sanktion zur Verfügung steht). Die Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide durch das LSG – gestützt auf § 39 SGB I, § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X –, ist deshalb nicht zu beanstanden.
Die Begründung des LSG überzeugt dagegen nicht in allen Einzelheiten. Die Differenzierung (fahrlässig – grob fahrlässig – vorsätzlich) ist in der Praxis schwer handhabbar. Wie dargelegt, setzt bereits der Tatbestand der Sanktionsnorm wenigstens fahrlässiges Verhalten voraus, das im Regelfall auch anzunehmen ist, denn die Hinweise der Alterskasse sind mittlerweile (nicht zuletzt wegen des Aufschubes der Problematik durch § 107a ALG), wie die im Senat anhängigen Fälle zeigen, umfassend verbessert. Gegen die entsprechende Anwendung des § 50 Abs 2 SGB X spricht, daß die Leistungen mit Verwaltungsakt gewährt wurden und diese Verwaltungsakte aufzuheben sind. Aber auch die Analogie zu § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X ist hier auszuscheiden, denn diese Regelung betrifft Mitteilungspflichten für Änderungen, die sich zum Nachteil des Betroffenen auswirken würden. Solche Änderungen führen aber, wie dargelegt, ohnehin stets zur Erstattung der Überzahlung. Tatsächlich sind im vorliegenden Fall keine Änderungen in den Einkommensverhältnissen eingetreten, die zu einer Minderung der Leistung geführt hätten. Weniger überzeugend ist es auch, in diesem Zusammenhang einen „atypischen Fall” anzunehmen, weil kein Fall der Nr 2 oder auch der Nr 3 aaO vorliegt.
Andere von Instanzgerichten eingeschlagene Lösungswege führen zu dem Ergebnis, daß der Regelungszweck verhindert wird. Wenn das LSG Niedersachsen (zB Urteil vom 18. Mai 2000 ≪L 10 LW 44/99≫; Revision anhängig unter Az B 10 LW 17/00 R) den § 32 Abs 4 ALG dahingehend auslegt, das Ruhen trete generell dann nicht ein, wenn objektiv der Leistungsanspruch bestanden hätte, wird der doppelte Regelungsgehalt der Vorschrift nicht erfaßt. Eine Sanktion ist dann nicht mehr vorhanden. Zum gleichen weniger überzeugenden Ergebnis führt im übrigen auch die „Anleitung zur Ermessensausübung” im hier angegriffenen Urteil des Bayerischen LSG mit dem Vorschlag, bei fahrlässiger oder grob fahrlässiger Nichtvorlage des Bescheides in der Regel den Zuschuß in voller Höhe zu belassen. Der verbleibende Fall einer vorsätzlichen Nichtvorlage des Einkommensteuerbescheides zum Zwecke der Eigenschädigung wird jedoch selten vorkommen. Ebensowenig handelt – mit Blick auf die sanktionierte Mitwirkungshandlung – „vorsätzlich”, wer in der irrigen Annahme, der Bescheid sei nicht bedeutsam, die Vorlage unterläßt. Mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz ist schließlich die Ansicht des SG Landshut (Urteil vom 24. Februar 2000 ≪S 1 LW 27/99≫, Sprungrevision anhängig unter Az B 10 LW 19/00 R) unvereinbar, Ermessenserwägungen hätten nur hinsichtlich der Rückforderung der Zuschüsse für den Ehegatten eines Landwirts stattzufinden, nicht aber beim Landwirt selbst; für den Ausgleich hätten die Ehegatten intern zu sorgen. Denn die Veranlagung zur Einkommensteuer erfolgt in der Regel gemeinsam, und die Vorlagepflicht betrifft beide beitragspflichtigen Gatten gleichermaßen; deren Verletzung kann also nicht nur bei einem Ehegatten sanktioniert werden.
Bei der vom Senat vertretenen Lösung, der Analogie zu § 67 SGB I, wird der Regelungsgehalt der Norm nicht verfälscht und dem Willen des Gesetzgebers, die neue Anrechnungsmethode durchzusetzen, so weit wie nur möglich entsprochen, wenn im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens der Verwaltung die Rückforderung der nach den Einkommensverhältnissen zustehender Leistungen in der Regel nur zum Teil erfolgt.
Zu 4)
Das Ermessen ist im Einzelfall so auszuüben, daß einerseits der Sanktionscharakter der Norm erhalten bleibt, andererseits aber den verfassungsrechtlichen Bedenken weitgehend Rechnung getragen wird. Eine Prüfung der individuellen Leistungsfähigkeit über das ohnehin bestehende Instrumentarium (Stundung, Erlaß, Niederschlagung) hinaus erübrigt sich, wenn hinsichtlich der Höhe der Sanktion allgemeine Obergrenzen eingehalten werden.
Da eine Vielzahl von Fällen betroffen ist und Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich der Art und Weise der Ermessensausübung vorgebeugt werden soll, könnte es naheliegen, daß die landwirtschaftlichen Alterskassen für die Regelfälle Richtlinien erlassen. Sie wären so auszugestalten, daß einerseits die für die neue Anrechnungsmethode erforderliche Vorlage der Steuerbescheide mit dem notwendigen Druck durchgesetzt wird, andererseits aber auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt bleibt und das Übermaßverbot beachtet wird. Im Ergebnis sollten die zu erlassenden Richtlinien dazu führen, daß die oben festgestellten einzelnen verfassungswidrigen Verwerfungen im Rahmen der Ermessensausübung weitgehend ausgeglichen werden.
Der Senat hätte hinsichtlich der Ermessensausübung jedenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn bei der erstmaligen (sei es fahrlässigen, sei es grob fahrlässigen) Versäumung der Frist zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides der an sich zustehende Beitragszuschuß in der höchsten Zuschußklasse in Höhe von 80 vH dem Landwirt belassen würde, also nur in Höhe von 20 vH zu erstatten wäre. Dies entspräche im hier streitigen Zeitraum einer der „Geldbuße” vergleichbaren Sanktion von ca DM 50 für jeden Monat, in dem die Vorlage des Einkommensteuerbescheides verzögert wurde. Im Wiederholungsfall könnte die Quote erhöht werden. Zur Herstellung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Sanktionshöhe und Schuldvorwurf könnte bei (weiterhin bestehenden oder nach der rückwirkenden Neufeststellung verbleibenden) niedrigeren Zuschußklassen die anfängliche Erstattungsquote angemessen erhöht werden, um eine Gleichbehandlung herzustellen. Dies könnte dazu führen, daß geringe an sich zustehende Beitragszuschüsse in vollem Umfange zu erstatten sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen