Leitsatz (redaktionell)
1. Urteile deutscher Gerichte, die vor der Beendigung des 2. Weltkrieges ergangen sind, sind im Gebiet der Bundesrepublik weiter wirksam, auch wenn es sich um Urteile solcher Gerichte handelt, die in einem Gebiet bestanden haben, das nach Beendigung des 2. Weltkrieges von einem anderen Staat verwaltet oder als eigenes Staatsgebiet beansprucht wird. Das polnische Dekret vom 1945-06-06, nach dem Urteile deutscher Gerichte keine Gültigkeit haben, gilt nicht im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
2. Bei der Frage, ob ein Unterhaltsbeitrag nach EheG § 60 zu leisten ist, sind die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten sowie der nach EheG § 63 unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen zu berücksichtigen. Eine Beitragspflicht des anderen Ehegatten kommt dann nicht in Frage, wenn er für sich selbst, seine minderjährigen Kinder und seinen neuen Ehegatten nur den angemessenen Unterhalt zur Verfügung hat.
Normenkette
BVG § 42 Fassung: 1950-12-20, § 44 Abs. 4 Fassung: 1956-06-06; EheG § 60 Fassung: 1946-02-20, § 63 Fassung: 1946-02-20
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. Juni 1961 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen
Gründe
Die aus Danzig stammende, am 16. Oktober 1910 geborene Klägerin verheiratete sich im Jahre 1931 mit dem am 5. Mai 1906 geborenen Getreidekaufmann Alfons B, der beim Raiffeisenverband angestellt war. Nach der Eheschließung übernahmen die Eheleute von den Eltern des Ehemannes ein in Neumark (Polen) gelegenes Hotel. Aus der Ehe ist die am 12. Dezember 1939 geborene Tochter Marion hervorgegangen.
Die Ehe der Klägerin wurde auf Klage und Widerklage wegen Verschuldens beider Parteien durch Urteil des Landgerichts in Graudenz vom 30. Juni 1941 rechtskräftig geschieden. Nach einem Vermerk des Bezirksgerichts Graudenz vom 2. April 1957 ist dieses Urteil gem. Art. 1 des polnischen Dekrets vom 6. Juni 1945 ungültig und entbehrt der rechtlichen Wirkung, weil keine der beiden Parteien innerhalb der vorgesehenen Frist bis 1947 die Bestätigung des Urteils durch ein polnisches Gericht herbeigeführt habe. Die Klägerin führte den Hotelbetrieb nach der Ehescheidung allein weiter und zahlte dem geschiedenen Ehemann den mit ihm vereinbarten Gewinnanteil. Der Ehemann war nach der Scheidung wieder als Getreidehändler im Angestelltenverhältnis tätig. Er wurde 1943 zur deutschen Wehrmacht einberufen und ist seit Ende 1944 vermißt. Er ist nicht für tot erklärt worden.
Die Klägerin flüchtete vor dem Einmarsch der sowjetrussischen Truppen nach Danzig. In der Zeit vom 17. August 1946 bis 5. Mai 1949 war sie in Gefängnishaft, weil sie die polnische Staatsangehörigkeit aufgegeben und die deutsche Staatsangehörigkeit wieder angenommen hatte. Nach dem Gefängnisaufenthalt wurde sie in ein Lager gebracht; von dort kehrte sie 1949 nach Danzig zurück und zog im Oktober 1956 mit ihrer Mutter und ihrer Tochter in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Sie erhielt im November 1957 eine Gefangenenentschädigung von DM 1.200,- nach dem Häftlingshilfegesetz. Sie bezieht wegen der Folgen von Schädigungen während der Gefangenschaft Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. und seit November 1956 eine Entschädigungsrente von zuletzt DM 150,- monatlich.
Den im September 1957 gestellten Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenrente lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) durch Bescheid vom 26. Juni 1959 mit der Begründung ab, es sei nicht genügend wahrscheinlich, daß ihr geschiedener Mann gefallen sei. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1960).
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 3. Mai 1960 die Bescheide vom 19. Januar 1960 und 26. Juni 1959 aufgehoben und den Beklagten für verpflichtet erklärt, der Klägerin Witwenrente vom 1. September 1957 an und der Tochter der Klägerin ab 1. September 1957 bis 31. Januar 1958 Waisenrente zu gewähren sowie einen Bescheid über die Weitergewährung der Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres zu erteilen.
Auf die Berufung des Beklagten gegen die Zuerkennung der Witwenrente hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 15. Juni 1961 das Urteil der 11. Kammer des SG Schleswig vom 3. Mai 1960 insoweit aufgehoben, als es den Versorgungsanspruch der Klägerin betrifft und hat in diesem Umfange die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Klägerin stehe deshalb keine Witwenrente zu, weil sie durch das Urteil des Landgerichts Graudenz vom 30. Juni 1941 geschieden und somit nicht Witwe sei. Das polnische Dekret vom 6. Juni 1945 sei nur im Bereich der polnischen Republik für polnische Staatsangehörige gültig. Sie habe nach dem Zusammenbruch nicht auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit verzichtet. Das Urteil vom 30. Juni 1941 sei also für die Klägerin rechtsbeständig geblieben, so daß sie keinen Anspruch auf Witwenrente nach § 38 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) habe.
Dadurch, daß der Beklagte der Tochter der Klägerin Waisenrente nach dem BVG gewähre, sei nicht mehr streitig, daß der geschiedene Ehemann der Klägerin gemäß § 52 BVG verschollen sei. Ein Anspruch auf Rente könnte der Klägerin nur nach § 42 Abs. 1 BVG zustehen, wenn ihr geschiedener Ehemann ihr nach eherechtlichen Vorschriften Unterhalt zu gewähren hätte. Da nach dem Scheidungsurteil beide Eheleute an der Scheidung schuldig seien, wäre der geschiedene Ehemann nur im Rahmen des § 60 des Ehegesetzes (EheG) 1946 zur Leistung eines Unterhaltsbeitrags verpflichtet. Nach § 42 Abs. 1 BVG in der bis zum Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) am 1. Juni 1960 gültigen Fassung komme es auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Versorgungsanspruchs an, während es nach § 42 BVG nF jedoch auf den Zeitpunkt der Verschollenheit des geschiedenen Ehemannes der Klägerin ankomme. Daß dieser Ende des Jahres 1944 nicht unterhaltspflichtig gewesen sei, stehe fest. Damals sei die Klägerin zur Hälfte Eigentümerin an dem Hotelgrundstück in ihrer früheren Heimat gewesen und habe das Hotel allein bewirtschaftet. Der geschiedene Ehemann sei an dem Ertrag zur Hälfte beteiligt gewesen und die Klägerin habe bis zur Flucht nach Danzig den ihm zustehenden Gewinnanteil entrichtet. Sie sei also im Zeitpunkt der Verschollenheit des geschiedenen Ehemannes nicht bedürftig und damit auch nicht anspruchsberechtigt im Sinne des § 60 EheG gewesen.
Soweit nach § 42 BVG aF der Zeitpunkt der Antragstellung für die Beurteilung der Unterhaltsansprüche maßgebend sei, seien die Einkommensverhältnisse im September 1957 für die Klägerin wesentlich ungünstiger gewesen. Sie sei infolge von Krankheiten erwerbsunfähig sowie einkommens- und vermögenslos gewesen. Sie habe von Bezügen aus dem Lastenausgleich und von ihrer Versorgungsrente in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt. Ob die Klägerin von ihrem geschiedenen Ehemann einen Beitrag zu ihrem Unterhalt hätte fordern können, hänge von den Verhältnissen ab, in denen sich der geschiedene Ehemann, wenn er im September 1957 gelebt hätte, befunden haben würde. Es sei in erster Linie anzunehmen, daß der geschiedene Ehemann der Klägerin in sein Heimatland zu seinen Eltern zurückgekehrt wäre. In diesem Falle hätte die Klägerin keine Unterhaltsansprüche in Polen durchsetzen können. Wäre der geschiedene Ehemann arbeitsfähig in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gekommen, so wäre er im Oktober 1957 bereits 50 Jahre alt gewesen und hätte möglicherweise geheiratet und wäre Vater von Kindern geworden. Neben dem Unterhalt für sich und eine eigene Familie hätte er zunächst für den Unterhalt der in Ausbildung befindlichen Tochter aus erster Ehe zu sorgen gehabt, so daß es sehr unwahrscheinlich sei, daß er neben diesen Lasten noch einen Beitrag zum Unterhalt der Klägerin erübrigt hätte. Hierbei könne nicht übersehen werden, daß die Klägerin den geschiedenen Ehemann selbst als eine wenig tatkräftige Persönlichkeit geschildert habe. Dies ergebe sich insbesondere auch daraus, daß er die Bewirtschaftung des Hotels, das aus dem Vermögen seiner Eltern stamme, der Klägerin überlassen und nach der Ehescheidung wieder Angestellter geworden sei. Bei dieser Sachlage spreche die Vermutung nicht dafür, daß sich der geschiedene Ehemann der Klägerin bei den harten Konkurrenzverhältnissen im Jahre 1957 unter den älteren Angestellten so gut durchgesetzt hätte, wie es das SG angenommen habe. Vielmehr sei aus allem zu vermuten, daß er zur Gewährung eines Unterhaltsbeitrages nicht imstande gewesen wäre.
Das LSG hat die Revision zugelassen, weil die Entscheidung über die Unwirksamkeit des angeführten polnischen Dekrets eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betreffe.
Die Klägerin hat gegen dieses ihr am 13. September 1961 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 27. September, beim Bundessozialgericht (BSG) am selben Tage eingegangen, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 20. Oktober 1961, ebenfalls am selben Tage beim BSG eingegangen, begründet. Sie beantragt,
1. unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. Juni 1961 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 3. Mai 1960 zurückzuweisen;
2. hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht zurückzuverweisen;
3. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Neben der Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 42 BVG, rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch das LSG. Sie trägt dazu vor, ihr Anspruch sei nach § 42 BVG in der bis zum Inkrafttreten des 1. NOG vom 27. Juni 1960 geltenden Fassung begründet. Das LSG sei zwar zutreffend davon ausgegangen, daß sie im September 1957 zur Zeit der Antragstellung infolge ihrer Erkrankungen erwerbsunfähig sowie einkommens- und vermögenslos gewesen sei, jedoch habe das LSG verkannt, daß ihr früherer Ehemann nach eherechtlichen Vorschriften, insbesondere nach § 60 EheG, verpflichtet gewesen wäre, ihr zur Bestreitung des Unterhalts einen Beitrag zu leisten. Die Annahme des LSG, ihr verschollener Ehemann sei wegen seines Alters und seiner sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Rückkehr in die Bundesrepublik hierzu nicht in der Lage gewesen, treffe nicht zu. Diese Feststellung sei unter Verletzung des § 128 SGG zustande gekommen, denn sie verstieße bei den wirtschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik gegen allgemeine Erfahrungssätze des täglichen Lebens. Selbst wenn man berücksichtige; daß ihr geschiedener Ehemann im Oktober 1957 bereits 50 Jahre alt gewesen sei und wieder verheiratet gewesen wäre und neben dem Unterhalt für seine eigene Familie auch noch für die Ausbildung der gemeinsamen Tochter zu sorgen gehabt hätte, entspreche es bei der Berufsstellung ihres verschollenen Ehemannes allgemeiner Erfahrung, daß er daneben auch noch zu einem Unterhaltsbeitrag im Sinne des § 60 EheG an sie befähigt gewesen wäre. Wenn sich das LSG in dieser Beziehung nicht den schlüssigen Gründen des Urteils erster Instanz hätte anschließen wollen, so wäre es zu einer weiteren Sachaufklärung darüber gezwungen gewesen, wie im allgemeinen im Jahre 1957 in der Berufsgruppe des verschollenen Ehemannes als Hotel- und Getreidekaufmann die Einkommensverhältnisse gewesen wären. Diese Sachaufklärung hätte durch Rückfrage und Anhörung der zuständigen Berufsorganisationen erfolgen können.
Im übrigen wird auf die Revisionsbegründung verwiesen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung ist die Zulassung der Revision durch das LSG gesetzwidrig, weil sie wegen der Gültigkeit des polnischen Dekrets aus dem Jahre 1945 erfolgt sei. Hierbei handle es sich aber nicht um revisibles Bundesrecht. Im übrigen ist der Beklagte der Auffassung, daß das angefochtene Urteil materiell-rechtlich zutreffend ist und die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Die form- und fristgerecht eingelegte Revision (§§ 164, 166 Abs. 2 SGG) ist zulässig. Sie ist auch statthaft, da - entgegen der Auffassung des Beklagten - die vom LSG ausgesprochene Zulassung der Revision gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht gegen das Gesetz verstößt. Zwar hat das LSG zur Begründung der Zulassung ausgeführt, hinsichtlich der Entscheidung über die Unwirksamkeit des angeführten polnischen Dekrets in bezug auf die Klägerin handele es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, jedoch hat es offenbar zum Ausdruck bringen wollen, daß wegen der Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Scheidungsurteils des Landgerichts Graudenz vom 30. Juni 1941 die Frage, ob die Klägerin als Witwe im Sinne des § 38 BVG anzusehen ist, von grundsätzlicher Bedeutung sei. Es kam daher nicht mehr darauf an, ob selbst bei rechtsirrtümlicher Zulassung der Revision der Senat dennoch an die Zulassung durch das LSG gebunden gewesen wäre.
Die sonach statthafte Revision ist jedoch nicht begründet.
Streitig ist nur noch, ob der Klägerin ein Anspruch auf Rente nach dem BVG zusteht, da die Klage der Tochter der Klägerin auf Waisenrente durch das Urteil erster Instanz rechtskräftig entschieden ist. Den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente hat das LSG zutreffend verneint.
Anspruch auf Hinterbliebenenrente hat die Witwe eines verstorbenen Beschädigten (§ 38 BVG) oder die Ehefrau eines Verschollenen (§ 52 BVG). Das LSG hat festgestellt, daß der frühere Ehemann der Klägerin im Dezember 1944 verschollen im Sinne des § 52 BVG ist. Nach den §§ 38, 52 BVG hat die Klägerin jedoch schon deshalb keinen Anspruch auf Rente, weil sie im Zeitpunkt der Verschollenheit ihres früheren Ehemannes mit diesem nicht mehr verheiratet war.
Sie ist durch Urteil des Landgerichts Graudenz vom 30. Juni 1941 von ihrem Ehemann rechtskräftig geschieden. Wie das LSG zu Recht angenommen hat, ist dieses Urteil im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland weiter wirksam. Das Scheidungsurteil vom 30. Juni 1941 ist das Urteil eines deutschen Gerichtes. Der frühere Wohnort Neumark der Klägerin und ihres Ehemannes, der bis zum zweiten Weltkrieg zum Gebiete der damaligen polnischen Republik gehörte, ist ebenso wie die Stadt Graudenz nach der Einnahme dieses Gebietes durch die deutschen Truppen durch sogenannten Führererlaß vom 8. Oktober 1939 (RGBl I 2042) in Verbindung mit den Erlassen vom 21. Oktober 1939 (RGBl I 2057) und vom 2. November 1939 (RGBl I 2135 und 1940 I 251) als Teil der sog. in das Reich eingegliederten Ostgebiete in den Reichsgau Danzig/Westpreußen einbezogen und dem Deutschen Reich einverleibt worden. Der Wohnort der Klägerin wie der Sitz des Landgerichts Graudenz gehörten also im Jahre 1941 zum Reichsgebiet, und das in Graudenz errichtete Landgericht war ein deutsches Gericht. Dessen Urteil aus dem Jahre 1941 ist also das Urteil eines deutschen Gerichtes. Urteile deutscher Gerichte, die vor der Beendigung des zweiten Weltkrieges ergangen sind, sind im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland weiter wirksam, auch wenn es sich um Urteile solcher Gerichte handelt, die in einem Gebiet bestanden haben, das nach Beendigung des zweiten Weltkrieges von einem anderen Staat verwaltet oder als eigenes Staatsgebiet beansprucht wird. Das polnische Dekret vom 6. Juni 1945, durch das das Scheidungsurteil des Landgerichts Graudenz vom 30. Juni 1941 nach dem Inhalt des Randvermerks unwirksam sein soll, hat im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keine Wirkungen. Einem Rechtssatz des innerstaatlichen Rechts ist die räumliche Begrenzung eigentümlich, d. h. er ergeht im allgemeinen nur für den räumlichen Bereich des Staates, der ihn erlassen hat (s. a. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd., 7. Aufl. S. 143). Ebenso wie die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich räumlich nur in den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland gelten, hat ein ausländisches Gesetz nur innerhalb des Staatsgebietes Gültigkeit, in dem es erlassen worden ist. Ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen, nach dem etwa die auf Grund des polnischen Dekrets vom 6. Juni 1945 unwirksamen Urteile früherer deutscher Gerichte auch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als unwirksam anzusehen wären, besteht nicht. Die Rechtsbeständigkeit des Scheidungsurteils ist nach deutschem Recht in der Bundesrepublik erhalten geblieben und wird offensichtlich von der Klägerin auch nicht mehr in Zweifel gezogen.
Die Klägerin, die nach den Feststellungen des LSG z. Zt. der Scheidung die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und diese auch späterhin nicht verloren hat, ist somit nicht die Ehefrau des Verschollenen, sondern eine geschiedene Frau, so daß ihr eine Rente nach § 38 BVG i. V. mit § 52 BVG nicht zusteht.
Sie hat auch keinen Anspruch auf Rente nach § 42 BVG in der vor dem 1. Juni 1960 gültigen Fassung. Danach erhält im Falle der Scheidung oder Aufhebung der Ehe die frühere Ehefrau des Verstorbenen oder Verschollenen Rente, wenn dieser nach den eherechtlichen Vorschriften Unterhalt zu gewähren hätte (§ 42 Abs. 1 BSG aF). Die Gewährung einer Versorgungsrente nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG aF hängt demnach davon ab, ob die geschiedene Ehefrau nach den eherechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt der Geltendmachung des Rentenanspruchs unterhaltsberechtigt wäre, wenn ihr früherer Ehemann noch leben würde. Dabei sind die Vorschriften des Ehegesetzes vom 20. Februar 1946 auch dann maßgebend, wenn der Ehemann zur Zeit der Geltung des Ehegesetzes vom 6. Juni 1938 gestorben oder verschollen ist (BSG in SozR BVG § 42 Bl Ca 1 Nr. 1). Da die Ehe der Klägerin durch das Urteil des Landgerichts Graudenz vom 30. Juni 1941 wegen beiderseitigen Verschuldens der Ehegatten geschieden worden war, ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß der geschiedene Ehemann nur unter den Voraussetzungen des § 60 EheG zu einem Unterhalt verpflichtet gewesen wäre. Auch der Unterhaltsbeitrag gemäß § 60 EheG ist Unterhalt nach eherechtlichen Vorschriften im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG (BSG in SozR BVG § 42 Bl Ca 2 Nr. 3). Ein solcher Unterhaltsbeitrag kann dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, zugebilligt werden, wenn beide Ehegatten schuldig an der Scheidung sind, aber keiner die überwiegende Schuld trägt und wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen der Billigkeit entspricht. Eine Beitragspflicht des anderen Ehegatten kommt dann nicht in Frage, wenn er für sich selbst, seine minderjährigen Kinder und seinen neuen Ehegatten nur den angemessenen oder gar nur notdürftigen Unterhalt zur Verfügung hat (BGH in LM 1 zu § 60 EheG, Achilles/Greiff, BGB Einführungsgesetz und Nebengesetze, 21. Aufl. Anm. 4 zu § 60 EheG). Das LSG hat festgestellt, daß die Klägerin erwerbsunfähig und aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch bedürftig ist. Die Auffassung des LSG, daß dann, wenn der Ehemann in seine frühere Heimat nach Polen zurückgekehrt wäre, die Klägerin keinen Anspruch auf Unterhaltsbeitrag gehabt hätte, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Einen Anspruch auf Unterhaltsbeitrag als geschiedene Ehefrau nach § 60 EheG oder etwa einer entsprechenden polnischen Vorschrift hätte die Klägerin schon deshalb nicht gehabt, weil im Gebiet der Republik Polen wegen des dort geltenden Dekrets ihre Ehe noch bestanden hätte und sie nicht als geschiedene Ehefrau angesehen worden wäre.
Das LSG hat aber auch den Fall unterstellt, daß der frühere Ehemann der Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt wäre. Auch für diesen Fall hat das LSG zutreffend entschieden, daß die Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung im September 1957 keinen Anspruch auf Unterhaltsbeitrag gemäß § 60 EheG gehabt hätte. Es ist dabei davon ausgegangen, daß der geschiedene Ehemann erneut geheiratet hätte und daß er im Jahre 1957 als 50-jähriger wegen seines Alters und seiner geringen Tatkraft bei dem wirtschaftlichen Konkurrenzkampf nicht in der Lage gewesen wäre, soviel zu verdienen, um unter Berücksichtigung der eigenen und der Verhältnisse der Klägerin an diese einen Unterhaltsbeitrag im Rahmen der Verpflichtung gem. § 60 EheG zu leisten. Demgegenüber hat die Klägerin vorgetragen, das LSG habe die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung gemäß § 128 SGG (BSG 2, 236) überschritten und insbesondere den allgemeinen Erfahrungssatz verletzt, daß der geschiedene Ehemann innerhalb seiner Berufsgruppe bei den wirtschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik genügend verdient hätte, um neben seinen sonstigen Verpflichtungen noch einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG. zu erbringen. Diese Rüge einer Verletzung des § 128 SGG durch das LSG greift nicht durch. Das LSG durfte unter den von ihm angenommenen tatsächlichen Verhältnissen aufgrund allgemeiner Erfahrungen ohne Überschreitung seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangen, daß der geschiedene Ehemann der Klägerin bei Abwägung der gegenseitigen Interessen und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse nicht imstande gewesen wäre, einen Unterhaltsbeitrag an die Klägerin nach § 60 EheG zu leisten. Einen Erfahrungssatz des Inhalts, daß ein Getreidehändler als Angestellter soviel Einkünfte erzielt haben würde, die stets die Zuerkennung eines Unterhaltsbeitrags nach § 60 EheG gerechtfertigt hätten, gibt es nicht. Aber auch die Rüge, das LSG habe dadurch § 103 SGG verletzt, daß es selbst ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts die von der Klägerin angegriffenen Feststellungen getroffen habe, greift nicht durch. Das LSG brauchte nach seiner sachlich-rechtlichen Auffassung (siehe dazu BSG in SozR SGG § 103 Bl Da 2 Nr. 7) zu der hier streitigen Frage keine Beweise zu erheben. Es war aufgrund seiner eigenen Lebenserfahrung in der Lage und berechtigt, sich darüber ein Urteil zu bilden, ob nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Antragstellung der geschiedene Ehemann in der Lage gewesen wäre, neben seinen sonstigen Verpflichtungen auch noch an die Klägerin nach § 60 EheG einen Unterhaltsbeitrag zu leisten. Das Beweisthema, das die Klägerin als beweisbedürftig ansieht, "wie im allgemeinen im Jahre 1957 in der Berufsgruppe des Verschollenen als Hotel- und Getreidekaufmann die Einkommensverhältnisse gewesen wären", war im vorliegenden Fall für die Frage der Verpflichtung des geschiedenen Ehemannes unerheblich. Das LSG hat nämlich die Verpflichtung zum Unterhaltsbeitrag nicht deshalb verneint, weil allgemein ein Getreidekaufmann nicht die hierzu genügenden Einkünfte erzielt haben würde, sondern deshalb, weil der geschiedene Ehemann nach seinen persönlichen Verhältnissen (Alter und mangelnde Tatkraft) derartige Einkünfte zu erzielen nicht in der Lage gewesen wäre. Da die Feststellung des LSG, daß der geschiedene Ehemann insoweit nicht unterhaltspflichtig nach § 60 EheG gewesen wäre, nicht wirksam angegriffen ist, bindet sie das BSG (§ 163 SGG). Damit scheidet aber ein Anspruch nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG aF aus, weil der Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung kein Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann zugestanden hätte.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch nach § 42 BVG nF. Nach dieser Vorschrift steht im Falle der Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe die frühere Ehefrau des Verstorbenen einer Witwe gleich, wenn der Verstorbene zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den eherechtlichen Vorschriften oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder im letzten Jahr vor seinem Tode geleistet hat (§ 42 Abs. 1 Satz 1 BVG nF). Nach der insoweit nicht angegriffenen und daher bindenden Feststellung des LSG war der geschiedene Ehemann der Klägerin im Zeitpunkt, in dem er als verschollen gilt, gegenüber der Klägerin weder unterhaltspflichtig noch hat er ihr Unterhalt geleistet. Vielmehr hat die Klägerin im Zeitpunkt der Verschollenheit das früher gemeinsam geführte Hotel allein bewirtschaftet und ihrem geschiedenen Ehemann nach Abzug des für die Tochter vereinbarten Unterhaltsbeitrags dessen Gewinnanteil ausgezahlt.
Das LSG hat somit die §§ 38 und 42 BVG nicht verkannt. Die Revision der Klägerin ist daher unbegründet und war gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen