Entscheidungsstichwort (Thema)

"Anhaltspunkte für die ärztliche Begutachtung Behinderter nach dem SchwbG" als Maßstab für die Bewertung der MdE. Behinderung und MdE ohne Rücksicht auf zukünftige Entwicklungen. Zwergwuchs bei einem Kleinkind als Behinderung nach SchwbG § 1. Zwergwuchs (Chondrodysplasie vom Typ Schmid) bei Kindern bis zu sechs Jahren

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, inwieweit ein Zwergwuchs bei einem Kind vor dem schulpflichtigen Alter als "Behinderung" (SchwbG § 1) zu werten ist.

 

Orientierungssatz

1. "Anhaltspunkte für die ärztliche Begutachtung Behinderter nach dem SchwbG" enthaltene Einstufung der MdE für einen Kleinwuchs mag zwar keinen erschöpfenden Rahmen für die Auslegung und Anwendung des SchwbG § 1 auf Zwergwuchsfälle festlegen. Doch zeigt sie nach der Natur der Sache an, nach welchen Maßstäben eine solche Regelwidrigkeit überhaupt für das Schwerbehindertenrecht rechtserheblich werden kann. Obgleich die MdE gesondert von einer Behinderung festzustellen ist (SchwbG § 3 Abs 1 S 1, Abs 2 und 5 S 1), bietet sie doch einen Anhalt für die Abgrenzung solcher gesundheitlichen Regelwidrigkeiten und die Voraussetzung für deren rechtserhebliches Ausmaß.

2. Im Rahmen der Funktion, eine Gesundheitsstörung als Behinderung iS des SchwbG § 1 mit zu bestimmen, können die für den Kleinwuchs bei Erwachsenen festgelegten MdE-Sätze auf Kinder nicht anders als bloß entsprechend übertragen werden. Daß BVG § 30 Abs 1 auf das SchwbG nach § 3 Abs 1 S 2 lediglich "entsprechend anzuwenden" ist, mag allerdings hauptsächlich in unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäben begründet sein, die von verschiedenen Zwecken der beiden Gesetze bestimmt sind. Die Beeinträchtigung der Fähigkeit, Erwerbsarbeit zu leisten, die im Recht der Kriegsopferversorgung das rechtserhebliche Ausmaß einer Schädigungsfolge und damit die Höhe der Grundrente bestimmt (vgl BSG 1978-09-14 9/10 RV 35/77 = SozR 3100 § 30 Nr 39), paßt auf zahlreiche Fallgruppen von Behinderungen nicht direkt; die Bewertung dieser Gesundheitsstörungen hat nach dem Zweck des SchwbG umfassendere Aufgaben als jener Maßstab der Versehrtheit (vgl BSG 1979-03-15 9 RVs 6/77 = BSGE 48, 84 f). Soweit aber der Grad der MdE zur Abgrenzung von Behinderungen im Rechtssinn mit heranzuziehen ist, kann dieser Maßstab nur sinngemäß verwertbar sein.

3. Die Chondrodysplasie ist als angeborene Skelettsystemerkrankung beim Kleinkind nicht deshalb als schwere Behinderung iS des SchwbG § 1 anzuerkennen, weil sie später, insbesondere nach Abschluß des Wachstums, das Ausmaß einer solchen rechtserheblichen Störung, uU sogar mit einer MdE von 50 vH erreichen kann. Im Recht der Kriegsopferversorgung können zukünftige Gesundheitsstörungen oder spätere Entwicklungen einer bereits in der Anlage vorhandenen oder geringfügig ausgeprägten Normabweichung weder als Schädigungsfolge nach BVG § 1 anerkannt noch bei der Bemessung der MdE nach BVG § 30 Abs 1 berücksichtigt werden (vgl BSG 1964-02-19 10 RV 1223/61 = SozR Nr 14 zu § 35 BVG). Eine bloße Anlage ist noch anspruchsbegründend (vgl BSG 1975-02-12 9 RV 392/74 = SozR 3200 § 81 Nr 3). Gleiches muß im Schwerbehindertenrecht sinngemäß gelten. In diesem Rechtsgebiet sollen ebenfalls nur gegenwärtige Behinderungen eines bestimmten Mindestumfanges die Grundlage verschiedener Vergünstigungen bilden (SchwbG § 1).

 

Normenkette

SchwbG §§ 1, 3 Abs 1 S 2; BVG § 30 Abs 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 04.12.1979; Aktenzeichen L 4 Vsb 1131/78)

SG Kassel (Entscheidung vom 08.09.1978; Aktenzeichen S 6 V 222/77)

 

Tatbestand

Der am 11. Januar 1975 geborene Kläger beantragte im September 1976 eine Bescheinigung über die Eigenschaft als Schwerbehinderter wegen Kleinwuchses. Im Juli 1976 wurde bei ihm eine metaphysäre Chondrodysplasie vom Typ Schmid festgestellt. Die Verwaltung lehnte den Antrag ab, weil Zwergwuchs bei einem Kleinkind mit normaler Beweglichkeit keine "Behinderung" im Sinne des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) sei (Bescheid vom 17. Februar 1977, Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 1977). Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, bei dem Kläger Zwergwuchs mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH anzuerkennen (Urteil vom 8. September 1978). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 4. Dezember 1979): Wenn auch Kinder grundsätzlich bereits vor Eintritt in das Erwerbsalter Schwerbehinderte sein könnten und die MdE für sie wie bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung zu messen sei (§ 3 Abs 1 Satz 2 SchwbG iVm § 30 Abs 1 Satz 5 Bundesversorgungsgesetz -BVG-), so könne doch beim Kläger noch kein bestimmter Grad wegen eines Mangels an körperlichem, seelischem und geistigem Vermögen festgestellt werden. Eine MdE könne bei ihm nicht für einen Zustand festgelegt werden, der erst in der weiteren Zukunft seinen endgültigen Umfang erreiche. Nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Begutachtung Behinderter nach dem Schwerbehindertengesetz" sei wegen Kleinwuchses erst nach Abschluß des Wachstums je nach der Körpergröße ein MdE-Grad anzusetzen. Diese Richtlinien für die Verwaltung, die um der Gleichbehandlung willen anzuwenden seien, sähen aber erst bei einer Körpergröße von 137 cm, wie sie der Vater des Klägers erreicht habe, nicht mehr als einen Vomhundertsatz zwischen 30 und 40 vor. Die Schätzungen über die spätere endgültige Körpergröße des Klägers wichen voneinander ab. Jedoch sei bei ihm das Wachsen noch nicht beendet und daher der Zwergwuchs nicht als "Behinderung" im Sinne des SchwbG anzusehen.

Der Kläger hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Nach seiner Auffassung ist es mit dem Sinn und Zweck des § 30 Abs 1 BVG nicht vereinbar, einen Kleinwuchs erst nach Erreichen der endgültigen Körpergröße als Behinderung anzuerkennen. Die gesetzliche Regelung, wonach die für Erwachsene gültigen MdE-Sätze auch für Kinder und Jugendliche maßgebend seien, könne nicht durch Verwaltungsrichtlinien wirksam außer Kraft gesetzt werden. Wie bereits zur Klagebegründung unter Hinweis auf das Gutachten von Prof Dr S vom 27. Juli 1976 ausgeführt, leide der Kläger ebenso wie sein Vater an Bewegungsstörungen, die zusammen mit dem Kleinwuchs die Erwerbsfähigkeit um 50 vH minderten; bei ihm bestehe eine leichte Varusstellung der Unterschenkel, Beugestellung der Hüft- und Kniegelenke mit eingeschränkter Streckfähigkeit der Kniegelenke, eine Streckhemmung der Ellenbogengelenke und eine Verkürzung der langen Röhrenknochen mit einer lateral convexen Verbiegung. Nach der gutachtlichen Stellungnahme vom 3. Oktober 1977 sei eine Körpergröße von höchstens 137 cm zu erwarten, weil mit der gleichschweren Ausprägung des Zwergwuchses wie beim Vater zu rechnen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die

Berufung des Beklagten gegen das Urteil

des SG zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die Begründung des Berufungsurteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat mit Recht die Klage abgewiesen.

Der Kläger kann vom Beklagten nicht die Ausstellung einer Schwerbehindertenbescheinigung und - als Voraussetzung dafür - die Feststellung von Behinderungen mit einem durch sie bedingten Grad der MdE von 50 vH beanspruchen (§§ 1 und 3 Abs 1, 3 und 5 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft - Schwerbehindertengesetz - vom 29. April 1974 - BGBl I 1005 - idF der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979 - BGBl I 1649 -). Er ist kein Schwerbehinderter iS des § 1 SchwbG; denn seine Erwerbsfähigkeit ist nicht durch Behinderungen um wenigstens 50 vH dauernd gemindert. Für die Feststellung von Behinderungen, die sich geringfügiger auswirken, bestände kein Rechtsschutzinteresse, falls der Kläger sie begehrte; § 2 SchwbG ist auf ihn als Kind nicht anwendbar.

Der Kläger leidet an Zwergwuchs (Chondrodysplasie vom Typ Schmid), einer Gesundheitsstörung im medizinischen Sinne. Diese Krankheit kann zwar grundsätzlich auch eine körperliche Behinderung iS des § 1 SchwbG sein, die in der Regel mit seelischen Auswirkungen wegen der von vielen Mitmenschen erwarteten Geringschätzung verbunden sein mag. Denn es handelt sich allgemein um eine Abweichung vom normalen Gesundheitszustand, die die Erwerbsfähigkeit zu beeinträchtigen pflegt (BSGE 48, 82, 83 = SozR 3870 § 3 Nr 4; Weber, SchwbG, Stand: September 1979, § 1, Anm 2; Wilrodt/Gotzen/Neumann, SchwbG, 5. Aufl 1980, § 1 RdNr 18). Beim Kläger hat aber diese krankhafte Verzögerung des Längenwachstums noch nicht den Grad einer Behinderung erreicht, der zusammen mit Mißbildungen der Gliedmaße eine MdE von , mindestens 50 vH bedingte.

Ob ein Zwergwuchs erst nach Abschluß des Wachstumsprozesses als Behinderung im Sinne des SchwbG zu werten ist, braucht in diesem Fall nicht abschließend entschieden zu werden. Manches spricht dagegen, einen Kleinwuchs bereits bei Kindern vor dem Schulalter derart zu beurteilen. Jedenfalls lassen die Gesichtspunkte, die solche Bedenken begründen, die Gesamtheit der Behinderungen des Klägers noch nicht mit einer MdE von 50 vH bewerten. Grundsätzlich tritt ein Kleinwuchs erst in diesem Rechtssinn in Erscheinung, wenn die Körpergröße in auffälligem Mißverhältnis zum Normalmaß steht. Dies wird bei Kindern und Jugendlichen nach dem Lebensalter bestimmt. Der Kläger war während des anhängigen Verfahrens 1 3/4 Jahr bis 5 3/4 Jahre alt. In diesem Stadium der Entwicklung eines Kleinkindes hat er, ungeachtet seiner wirklichen Körpergröße, die nicht für einzelne Zeitabschnitte vom LSG festgestellt worden ist, nach allgemeiner Erfahrung keine Größen erreicht, die deutlich genug von den Normalmaßen abweichen, um seine Körperlänge als Behinderung wesentlichen Umfanges ansehen zu können. Die regelmäßigen Längen, die für die einzelnen Jahrgänge der männlichen Kinder vor dem Schulalter ermittelt sind, gehen ineinander über (vgl Normalwerte im Kindesalter, herausgegeben von der wissenschaftlichen Abteilung der Firma Dr E Fresenius KG, Bad Homburg vor der Höhe, 1. Auflage 1972, S 36 f). Bei derart fließenden Übergängen läßt sich allgemein ein Zwergwuchs bis ins sechste Lebensjahr nicht als ausgeprägte Behinderung einstufen.

Ein Kleinwuchs ist hingegen gemäß den "Anhaltspunkten" nach Abschluß des Wachstums bei Längen von 130 bis 140 cm mit 30 bis 40 vH, bis zu 130 cm mit 50 vH zu bewerten (ebenso "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen", Ausgabe 1973, ergänzt durch Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 4. Dezember 1974 - BVBl 1975, S 6 Nr 4). Diese Einstufung, die im Interesse der Gleichbehandlung gleicher Fälle die Verwaltungsübung regelt (BSG 30. Juli 1964 - 9 RV 1122/60 -; vgl für eine gleichmäßige Abweichung von den "Anhaltspunkten": BSGE 40, 120, 123 f = SozR 3100 § 30 Nr 8), mag zwar keinen erschöpfenden Rahmen für die Auslegung und Anwendung des § 1 SchwbG auf Zwergwuchsfälle festlegen. Doch zeigt sie nach der Natur der Sache an, nach welchen Maßstäben eine solche Regelwidrigkeit überhaupt für das Schwerbehindertenrecht rechtserheblich werden kann. Obgleich die MdE gesondert von einer Behinderung festzustellen ist (§ 3 Abs 1 Satz 1, Abs 2 und 5 Satz 1 SchwbG), bietet sie doch einen Anhalt für die Abgrenzung solcher gesundheitlichen Regelwidrigkeiten und die Voraussetzung für deren rechtserhebliches Ausmaß. Ein so weiter Abstand vom Rahmen der Normgrößen wie bei Erwachsenen kann in den einzelnen Altersgruppen bei Kindern bis ins sechste Lebensjahr praktisch nicht eintreten. Ein geringeres Mißverhältnis ist jedoch in diesem Alter nicht von gleicher Bedeutung für die MdE wie ein Zwergwuchs bei Erwachsenen. Das ergibt sich aus den Gesichtspunkten, die eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit durch Kleinwuchs begründen können. Eine ungewöhnliche Kleinheit kann in vielen Berufen des allgemeinen Erwerbslebens hinderlich sein oder deren Ausübung völlig unmöglich machen. Außerdem mag nach allgemeiner Lebenserfahrung regelmäßig das seelisch belastende Gefühl, von Mitmenschen gering geschätzt zu werden, auftreten und die Leistungsfähigkeit schmälern. Beides erreicht indes bei einem Kind bis zum Alter von 5 Jahren überhaupt oder noch nicht ein solches Gewicht, daß dies in einer beträchtlichen MdE zum Ausdruck käme. Ein Zurückbleiben im Wachstum, wie es in diesem Entwicklungsstadium überhaupt eintreten kann, wird sich erfahrungsgemäß weder beim Spielen noch bei den kindgemäßen Verrichtungen des täglichen Lebens besonders stark behindernd auswirken. Auch bleiben die geringen Abstände, die vom Normalmaß der einzelnen Altersgruppen auftreten können, so unauffällig, daß weder die Betätigung im kindlichen Lebensbereich, entsprechend dem Arbeitsleben der Erwachsenen, noch das Ansehen im gesellschaftlichen Umfeld nennenswert darunter leiden können. Eine Benachteiligung solcher Art kann sich dagegen allerdings im schulpflichtigen Alter auswirken. Dann kann ein Kind uU wegen zu geringer Körpergröße und wegen damit verbundener Schwäche einen üblichen Schulweg nicht bewältigen und muß deshalb im Unterschied zu anderen Kindern gefahren werden oder muß sogar eine Sonderschule für Körperbehinderte besuchen (vgl § 6 Abs 1 und 2 des Hessischen Schulpflichtgesetzes vom 30. Mai 1969 - GVBl 104 - idF vom 17. März 1978 - GVBl 153, 158; Nr 6 der Verwaltungsvorschriften zum Hessischen Schulpflichtgesetz vom 20. Oktober 1976 - Amtsblatt des Kultusministers S 605 -). Erst mit der altersgemäßen Einstufung in eine bestimmte Schulklasse wird im allgemeinen für andere, insbesondere auch für Mitschüler, äußerlich leicht und auffällig genug erkennbar, daß ein Kind beträchtlich kleiner ist, als es nach seinem Alter sein müßte; dann kann auch mit einer rechtserheblichen Geringschätzung wegen der Körpergröße zu rechnen sein.

Allerdings ist nach § 30 Abs 1 Satz 5 BVG (idF seit dem 3. Anpassungsgesetz vom 16. Dezember 1971 - BGBl I 1985 -) bei jugendlichen Beschädigten die MdE nach dem Grad zu bestimmen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt. Das ändert jedoch selbst dann, wenn diese Sätze uneingeschränkt bei Jugendlichen gelten sollten, nichts an der vorstehenden Beurteilung des Zwergwuchses bei Kleinkindern. Im Rahmen der Funktion, eine Gesundheitsstörung als Behinderung iS des § 1 SchwbG mit zu bestimmen, können die für den Kleinwuchs bei Erwachsenen festgelegten MdE-Sätze auf Kinder nicht anders als bloß entsprechend übertragen werden. Daß § 30 Abs 1 BVG auf das SchwbG nach § 3 Abs 1 Satz 2 lediglich "entsprechend anzuwenden" ist, mag allerdings hauptsächlich in unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäben begründet sein, die von verschiedenen Zwecken der beiden Gesetze bestimmt sind. Die Beeinträchtigung der Fähigkeit, Erwerbsarbeit zu leisten, die im Recht der Kriegsopferversorgung das rechtserhebliche Ausmaß einer Schädigungsfolge und damit die Höhe der Grundrente bestimmt (§ 30 Abs 1 Satz 1 und 2 iVm § 31 Abs 1 und 2 BVG; vgl dazu BSGE 40, 123; SozR 3100 § 30 Nr 39, S 175 f), paßt auf zahlreiche Fallgruppen von Behinderungen nicht direkt; die Bewertung dieser Gesundheitsstörungen hat nach dem Zweck des "Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft" umfassendere Aufgaben als jener Maßstab der Versehrtheit (BSGE 48, 84 f). Soweit aber der Grad der MdE zur Abgrenzung von Behinderungen im Rechtssinn mit heranzuziehen ist, kann dieser Maßstab nur sinngemäß verwertbar sein. Dann muß bei Kleinkindern die Besonderheit, daß sich ein Zwergwuchs bei ihnen noch gar nicht so auffällig auswirkt, bereits bei der Entscheidung über eine Behinderung entsprechend den unterschiedlichen Beeinträchtigungen, die die MdE tatsächlich bei Erwachsenen und Kindern bestimmen, ins Gewicht fallen.

Schließlich ist die Chondrodysplasie als angeborene Skelettsystemerkrankung (Weil in: Hohmann ua - Hg -, Handbuch der Orthopädie, Bd I, Allgemeine Orthopädie, 1957, S 182 ff, 185 f, 205 f; Hellner in: Hellner ua - Hg -, Lehrbuch der Chirurgie, 5. Aufl 1967, S 747, 753) beim Kläger nicht deshalb schon jetzt als schwere Behinderung iS des § 1 SchwbG anzuerkennen, weil sie später, insbesondere nach Abschluß des Wachstums, das Ausmaß einer solchen rechtserheblichen Störung, uU sogar mit einer MdE von 50 vH - wie beim Vater des Klägers - erreichen kann. Im Recht der Kriegsopferversorgung können zukünftige Gesundheitsstörungen oder spätere Entwicklungen einer bereits in der Anlage vorhandenen oder geringfügig ausgeprägten Normabweichung weder als Schädigungsfolge nach § 1 BVG anerkannt noch bei der Bemessung der MdE nach § 30 Abs 1 BVG berücksichtigt werden (Verwaltungsvorschriften Nr 1 zu § 30 BVG; BSG, BVGl 1962, 21; zu § 35: BSGE 20, 205, 208 = SozR Nr 14 zu § 35 BVG). Eine bloße Anlage ist noch nicht anspruchsbegründend (BSG SozR 3100 § 1 Nr 3; 3200 § 81 Nr 3). Gleiches muß im Schwerbehindertenrecht sinngemäß gelten. In diesem Rechtsgebiet sollen ebenfalls nur gegenwärtige Behinderungen eines bestimmten Mindestumfanges die Grundlage verschiedener Vergünstigungen bilden (§ 1 SchwbG).

Selbst wenn die Kleinwüchsigkeit des Klägers schon jetzt als Behinderung zu werten wäre, hätte sie jedenfalls noch nicht ein solches Ausmaß erreicht, daß sie nach dem eigenen Vortrag des Klägers zusammen mit den übrigen Gesundheitsstörungen die MdE um 50 vH minderte. Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers in der auf ein medizinisches Gutachten gestützten Revisionsbegründung bedingen die bereits vorhandenen Bewegungsstörungen, die regelmäßig zum Bild dieser Krankheit gehören (vgl die zitierte medizinische Literatur) nur dann im Zusammenwirken mit dem Kleinwuchs eine Gesamt-MdE (vgl BSGE 48, 84 ff) von 50 vH, wenn, wie beim Vater des Klägers, eine im Erwachsenenstadium zu erwartende Körpergröße von höchstens 137 cm hinzugerechnet wird. Derart ausgeprägt ist aber der Zwergwuchs, wie dargelegt, bisher nicht.

Die Sache ist auch nicht zur weiteren Aufklärung über genaue Abweichungen der Körpergrößen des Klägers von den Regelmaßen der einzelnen Altersgruppen, denen er seit dem Antrag angehört hat, an das LSG zurückzuverweisen. Der Kläger könnte äußerstenfalls zeitweilig bloß so groß gewesen sein wie Kinder, die einige Jahre jünger sind, und dann wäre uU sein Kleinwuchs wegen eines derart bereits auffälligen Abstandes zur altersgemäßen Größe als Behinderung anzuerkennen. Aber auch dann hätte diese Regelwidrigkeit doch nicht ein solches Ausmaß erreicht, daß sie, wie bei Erwachsenen, mit mindestens 50 vH zu bewerten wäre oder wenigstens - wie bei seinem Vater - zusammen mit den von der Revision beschriebenen Bewegungsbehinderungen diese MdE erreicht hätte. Bei seinem Vater wird der Kleinwuchs wegen einer Körpergröße von 137 cm mit 30 bis 40 vH bewertet; eine Abweichung von der Normgröße, die einem so weiten Abstand zu den üblichen Männergrößen entspricht, ist aber bei einem Kind bis zu 5 Jahren nicht möglich.

Mithin hat das LSG im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen, so daß die Revision zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1659632

BSGE, 217

Breith. 1981, 514

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