Leitsatz (amtlich)
Betreibt ein Bäckermeister außer seiner Bäckerei ein Lebensmittelgeschäft und gehört er mit der Bäckerei der Bäckerinnung, mit dem Lebensmittelgeschäft der IHK an, so ist für die Krankenversicherung der im Lebensmittelgeschäft Beschäftigten nicht die IKK, sondern die AOK zuständig.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12, Abs. 4 Fassung: 1961-07-12, § 250 Abs. 2 Fassung: 1911-07-19
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. September 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten noch darüber, ob die bei dem beigeladenen Bäckermeister N (N.) in dessen Selbstbedienungsgeschäft beschäftigten Arbeitnehmer der klagenden Innungskrankenkasse oder der beklagten Ortskrankenkasse als Mitglieder anzugehören haben.
Der beigeladene N. ist als selbständiger Bäckermeister seit dem Jahre 1958 in die Handwerksrolle eingetragen und Mitglied der Bäckerinnung A. Außer seiner Bäckerei betreibt er ein Selbstbedienungsgeschäft, in dem neben den in der Bäckerei hergestellten Backwaren auch Waren anderer Art, insbesondere Lebensmittel einschließlich Obst sowie Milch und andere Getränke verkauft werden. Nach Gründung der klägerischen Innungskrankenkasse wurden vom Beigeladenen alle Arbeitnehmer, die in der Bäckerei und im Selbstbedienungsgeschäft arbeiteten, zur Innungskrankenkasse angemeldet. Da die Beklagte der Ansicht war, daß sie weiterhin für alle im Ladengeschäft des Beigeladenen beschäftigten Arbeitnehmer die zuständige Kasse sei, hat die Klägerin Klage auf Feststellung erhoben, daß sie zur Durchführung der Krankenversicherung der Verkäuferinnen des Beigeladenen A B, R K, B O, M P, R S sowie der Ladenhilfe S S und der Gewerbegehilfin A B zuständig sei.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 18. Januar 1966 ausgesprochen:
1. Die im Bäckereiherstellungsbetrieb des Beigeladenen beschäftigten Versicherungspflichtigen gehören der Vereinigten Innungskrankenkasse A an,
2. sämtliche im Ladenbetrieb - Verkauf von Gemischtwaren und Bäckereierzeugnissen - des Beigeladenen beschäftigten Versicherungspflichtigen gehören der Allgemeinen Ortskrankenkasse A an.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: einer Innungskrankenkasse gehörten nach § 250 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die in den Betrieben beschäftigten Versicherungspflichtigen an, soweit sie nicht Landkrankenkassen-versicherungspflichtig seien. Mitglieder einer Innungskrankenkasse würden somit die Beschäftigten in den Betrieben, mit denen das Mitglied der Innung angehöre. Der Beigeladene gehöre als Bäckermeister der Bäckerinnung an, welche die klagende Innungskrankenkasse miterrichtet habe. Wenn ein Innungsmitglied mehrere Gewerbe ausübe, so gehörten grundsätzlich nur diejenigen Versicherungspflichtigen der Innungskrankenkasse an, die im Innungsbetrieb beschäftigt seien. Die Arbeitnehmer in anderen Betrieben des Innungsmitgliedes würden nur dann Mitglied der Innungskrankenkasse, wenn das Gesamtunternehmen einen einheitlichen Betrieb in der Weise bilde, daß der Innungsbetrieb der Hauptbetrieb sei, dem der andere Betrieb als Teil- oder Nebenbetrieb diene. Nach dem hier entsprechend anwendbaren § 647 RVO sei aber nicht die Klägerin zuständig, weil das Selbstbedienungsgeschäft kein Bestandteil der Bäckerei des Beigeladenen sei. Es sei weder ein Hilfsbetrieb der Bäckerei, weil es nur zum geringen Teil zum Verkauf der Backwaren bestimmt sei, noch ein Nebenbetrieb der Bäckerei, weil diese nach Sachlage nicht als das Hauptunternehmen des Beigeladenen angesehen werden könne. Vielmehr sei das Selbstbedienungsgeschäft wirtschaftlich ein selbständiges Handelsunternehmen, das in gleicher Weise auch ohne die Bäckerei bestehen oder betrieben werden könne. Somit handele es sich nicht um einen einheitlichen Betrieb im Sinne der Grundsätzlichen Entscheidung des Reichsversicherungsamts Nr. 2314 vom 25. November 1916 (AN 1917, 269). Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor, der Beigeladene sei mit seinem Bäckereibetrieb in die Handwerksrolle eingetragen und Mitglied der Bäckerinnung A. Damit lägen die formell-rechtlichen Voraussetzungen vor, die für die Kassenzuständigkeit der im Innungsbetrieb beschäftigten Krankenversicherungspflichtigen erforderlich seien. Das LSG habe zu Unrecht bei der Prüfung, ob der Ladenbetrieb ein Bestandteil des Innungsbetriebes sei, die Vorschrift des § 647 RVO angewandt. Es handele sich hier um zwei verschiedene Sozialversicherungsgesetze mit unterschiedlicher Zweckbestimmung, so daß eine analoge Anwendung nicht zulässig sei. Selbst wenn man aber eine Anwendung des § 647 RVO zulasse, sei das Urteil fehlerhaft. Es liege hier ein Gesamtunternehmen vor, weil die Betriebe derselben Leitung unterständen, miteinander benachbart seien, mit einer gewissen Regelmäßigkeit die Arbeitskräfte austauschten und der eine den Zwecken des anderen diene oder aus sonstigen Gründen ein Gesamtunternehmen bildeten. Das LSG habe keine Begründung dafür gegeben, warum das Selbstbedienungsgeschäft kein Bestandteil der Bäckerei sei. Gerade die einheitliche Leitung, Buch- und Rechnungsführung, die räumliche Nachbarschaft und die Tragung der Betriebsrisiken sprächen für ein Gesamtunternehmen, desgleichen die engen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Bäckerei und Selbstbedienungsgeschäft, weil der weitaus überwiegende Teil der in der Bäckerei hergestellten Waren im Selbstbedienungsgeschäft verkauft werden. Zu Unrecht habe auch das LSG angenommen, daß das Ladengeschäft kein Hilfsbetrieb der Bäckerei sei, weil es nur zu einem geringen Teil zum Verkauf der Backwaren bestimmt sei. Es sei aber immer ein Viertel des Gesamtverkaufs, außerdem entfalle ein Drittel der Verkaufstätigkeit auf die Bäckerei.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des SG Regensburg vom 18. Januar 1966 und des Bayerischen LSG vom 11. September 1968 insoweit aufzuheben, als sie die Kassenzuständigkeit der im Ladenbetrieb des Bäckermeisters N. in A beschäftigten Sozial- und Arbeitslosenversicherungspflichtigen betreffen und festzustellen, daß diese Personen der Klägerin als Mitglieder angehören.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene ist in der Revisionsinstanz nicht vertreten.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 250 Abs. 1 RVO können unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen eine oder mehrere Innungen gemeinsam für die der Innung angehörenden Betriebe eine Innungskrankenkasse errichten. Dieser Innungskrankenkasse gehören nach § 250 Abs. 2 RVO vorbehaltlich der §§ 309 und 470 RVO die "in den Betrieben" beschäftigten Versicherungspflichtigen an, soweit sie nicht nach §§ 235, 236 RVO landkassenpflichtig sind. Es muß sich also um die Beschäftigten eines Betriebes handeln, der der Innung angehört.
Der Beigeladene N. gehört aber nur mit seiner Bäckerei, nicht aber mit dem Lebensmittelgeschäft der Bäckerinnung an. Mit diesem Geschäft ist er Mitglied der Industrie- und Handelskammer. Wie der Senat in seinem Urteil vom 18. Juni 1968 (BSG 28, 111) bereits ausgesprochen hat, ist für die Frage der Zugehörigkeit der Beschäftigten eines Betriebes zu einer Innungskrankenkasse das Handwerkerrecht maßgebend. Es kommt dabei auf die Eintragung des Betriebsinhabers in die Handwerksrolle und auf seine Mitgliedschaft in einer Trägerinnung der Innungskrankenkasse an, ohne daß dabei von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu prüfen wäre, ob diese zu Recht bestehen.
Im vorliegenden Fall ist der Beigeladene nur mit seiner Bäckerei, nicht aber mit dem Lebensmittelgeschäft Mitglied der Bäckerinnung. Da N. mit dem anderen Geschäft der Industrie- und Handelskammer angehört, handelt es sich, auch wenn N. Inhaber beider Betriebe ist, um zwei selbständige Betriebe, nicht aber um einen einheitlichen Betrieb.
Im übrigen ist das Lebensmittelgeschäft auch nicht die übliche Verkaufsstelle (Laden) für die in der Bäckerei hergestellten Backwaren, in der auch in geringem Umfang andere Waren mitverkauft werden. Vielmehr handelt es sich um ein von der Backwarenherstellung getrenntes selbständiges Ladengeschäft, in dem nach den nicht angegriffenen und damit für das Bundessozialgericht (BSG) bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) wesentlich mehr andere Waren als Backwaren verkauft werden.
Unter diesen Umständen können die im Lebensmittelgeschäft Tätigen nicht nach § 250 Abs. 2 RVO Mitglieder der klagenden Innungskrankenkasse sein, sondern gehören der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse an.
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen