Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Bergmannsrente. zumutbare Verweisungstätigkeit. zeitlicher Geltungsbereich von Rechtsvorschriften

 

Orientierungssatz

1. Bei der Gewährung von Bergmannsrente sind für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Mai 1957 zwar grundsätzlich die Vorschriften des RKG § 45 nF maßgebend, doch ist im Rahmen der Voraussetzungen dieser Leistung noch der alte Berufsunfähigkeitsbegriff des RKG § 35 aF zugrunde zu legen (vgl BSG 1961-05-25 5 RKn 3/60 = BSGE 14, 207).

2. Die Tätigkeiten der Lohngruppe I unter Tage sind der Hauertätigkeit im wesentlichen gleichartig und wirtschaftlich gleichwertig im Rahmen der Prüfung einer Verweisungstätigkeit gemäß RKG § 35 aF einzustufen (vgl BSG 1960-08-25 5 RKn 19/59 = BSGE 13, 29).

 

Normenkette

RKG § 45 Fassung: 1957-05-21, § 35; KnVNG Art. 2 § 22 Fassung: 1957-05-21

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.07.1960)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Juli 1960 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der 1902 geborene Kläger war bis Anfang 1931 im Bergbau tätig, zuletzt als Hauer. Er erlitt im November 1930 einen Arbeitsunfall und erhielt dafür bis Ende 1931 Unfallrente nach einer Erwerbsminderung von 10 v. H. Nach längerer Arbeitslosigkeit nahm er 1935 eine Arbeit außerhalb des Bergbaues auf; er ist als Schreiner und Fräser tätig. Nachdem sein erster Antrag auf Knappschaftsrente alten Rechts 1951 abgelehnt worden war, beantragte er im Mai 1953 erneut diese Rente. Die Beklagte lehnte abermals ab, weil der Kläger noch in der Lage sei, gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten zu verrichten. Der Widerspruch blieb erfolglos. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab, da der Kläger noch in der Lage sei, die seinem Hauptberuf als Hauer wesentlich gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Arbeiten der Lohngruppe I und II unter und über Tage zu verrichten. Im Berufungsverfahren begehrte der Kläger, nachdem die Beklagte Bergmannsrente vom 1. Januar 1959 an zuerkannt hatte, nur noch Knappschafts- bzw. Bergmannsrente vom 1. März 1956 bis zum 31. Dezember 1958. Das Landessozialgericht (LSG) verurteilte die Beklagte, dem Kläger Knappschaftsrente alten Rechts vom 1. Februar 1957 an zu zahlen. Zur Begründung führte es aus, für den Kläger als ehemaligen Hauer kämen nur die Tätigkeiten der Sondergruppe unter Tage als im wesentlichen gleichartig und wirtschaftlich gleichwertig in Frage; davon schieden diejenigen aus, die gleiche körperliche Einsatzfähigkeit wie die Hauerarbeit erforderten, und auch solche, die eine Spezialausbildung voraussetzten. Es kämen daher nur die als Bandaufseher und Stempelwart in Frage. Diese habe er jedoch seit dem 1. Februar 1957 (Eintritt einer schweren Erkrankung mit ungewöhnlicher Verzögerung der Heilung) nicht mehr ausüben können. Da der Anspruch auf Knappschaftsrente alten Rechts bereits vor der Verkündung des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) vom 21. Mai 1957 begründet gewesen sei, eine rückwirkende Verschlechterung bereits begründeter Ansprüche durch dieses Gesetz aber nicht erfolgen sollte, sei in diesen Fällen nicht die Bergmannsrente, sondern die auf Bergmannsrente umzustellende Knappschaftsrente alten Rechts zu gewähren. Revision wurde zugelassen.

Die Beklagte legte gegen das Urteil Revision ein. Sie rügt unrichtige Anwendung der §§ 35 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) aF, 45 Abs. 2 RKG nF, den Art. 2 § 22, Art. 3 §§ 2 und 6 KnVNG und des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und trägt vor, das LSG habe den Kläger zu Unrecht nur auf Tätigkeiten der Sondergruppe unter Tage verwiesen und diese als gleichwertig angesehen. In Wirklichkeit müsse sich ein Hauer auf alle Tätigkeiten der Lohngruppe I unter Tage verweisen lassen. Das LSG habe es deshalb unterlassen zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche Arbeiten der Lohngruppe I unter Tage der Kläger noch verrichten könne. Des weiteren sei die Auffassung des LSG, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Knappschaftsrente alten Rechts zu, unrichtig. Denn die entsprechenden Vorschriften über Knappschaftsrente seien durch das KnVNG vom 1. Januar 1957 aufgehoben worden. Lediglich § 45 Abs. 2 sei erst am 1. Juni 1957 in Kraft getreten. Aus der Tatsache, daß bis zum 31. Mai 1957 bei der Bergmannsrente noch der Begriff der Berufsunfähigkeit nach § 35 RKG aF maßgebend sei, könne nicht geschlossen werden, daß auch für einen bis zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Versicherungsfall die im alten Recht vorgesehene Leistung zu gewähren sei. Zu dem gleichen Schluß zwängen auch die Übergangsvorschriften des KnVNG.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. Juli 1960 aufzuheben, soweit es die Zeit vom 1. Februar 1957 bis zum 31. Dezember 1958 betrifft, und insoweit die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

II.

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig und begründet.

Das LSG hat dem Kläger die Knappschaftsrente alten Rechts zu Unrecht zugesprochen. Diese Leistung beruht auf § 3 der Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4. Oktober 1942 i. V. m. § 35 RKG aF. Die Vorschrift ist aber am 1. Januar 1957 außer Kraft getreten (Art. 3 §§ 2 und 6 KnVNG). An ihre Stelle trat mit dem gleichen Zeitpunkt die Bergmannsrente nach § 45 RKG nF. Lediglich § 45 Abs. 2 RKG nF gilt erst seit dem 1. Juni 1957 (Art. 3 § 6 KnVNG). Deshalb sind für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Mai 1957 zwar grundsätzlich die Vorschriften des § 45 RKG nF maßgebend, doch ist im Rahmen der Voraussetzungen dieser Leistung noch der alte Berufsunfähigkeitsbegriff des § 35 RKG aF zugrunde zu legen (vgl. BSG 14, 207). Abgesehen davon ist aber nur das neue Recht anzuwenden, so daß für die Zeit nach dem 31. Dezember 1956 keine Verurteilung mehr zu einer Leistung alten Rechts ausgesprochen werden darf.

Auch aus den Übergangsvorschriften des KnVNG ergibt sich nichts anderes. Art. 2 § 22 KnVNG bestimmt ausdrücklich, daß für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1957 eingetreten sind und für die bei Inkrafttreten des Gesetzes noch keine Rente angewiesen worden ist, bei Berechnung der Rente das vorhergehende Recht anzuwenden und daß dann die Rente für Bezugszeiten nach dem Inkrafttreten des KnVNG umzustellen ist. Diese Vorschrift hat also ausdrücklich zur Voraussetzung, daß ein Anspruch schon vor dem 1. Januar 1957 gegeben ist, was aber im vorliegenden Fall nicht zutrifft. Auch Art. 2 § 22 bestimmt, daß Rente, die nach dem bis zum Inkrafttreten des Gesetzes geltenden Recht festgestellt ist oder noch festgestellt wird, nach den Vorschriften des Gesetzes umzustellen ist. Die Umstellung erfolgt nach den Vorschriften des Art. 2 §§ 24 und 25. Aus alledem ergibt sich, daß nicht mehr die Knappschaftsrente alten Rechts, sondern nur noch die Bergmannsrente nach § 45 RKG nF für Zeiten nach dem 31. Dezember 1956 zugesprochen werden kann, allerdings mit der Maßgabe, daß für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Mai 1957 noch der alte Begriff der Berufsunfähigkeit anzuwenden ist (BSG 14, 207 und Urteil vom 5. Juli 1962, SozR RKG § 45 nF Nr. 11). Bei Berufsunfähigkeit kann daher nur die Bergmannsrente alten Rechts zugesprochen werden.

Als berufsunfähig gilt nach § 35 RKG aF der versicherte Arbeiter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit noch andere im wesentlichen gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. Das LSG hat die Berufsunfähigkeit verneint, weil nur eine Verweisung auf Tätigkeiten der Sondergruppe unter Tage in Frage käme, die der Kläger aber bei seinem Gesundheitszustand nicht mehr ausüben könne. Diese Auffassung ist jedoch nicht zutreffend. Der erkennende Senat hat entschieden, daß die Tätigkeiten der Lohngruppe I unter Tage der Hauertätigkeit im wesentlichen gleichartig und wirtschaftlich gleichwertig sind (Urteil vom 25. August 1960, BSG 13, 29). Das LSG hat es daher zu Unrecht bei der Prüfung, auf welche Tätigkeiten der Kläger noch verwiesen werden darf, nur auf die des Stempelwartes und des Bandaufsehers abgestellt, nicht aber auf die sonstigen, nach den obengenannten Grundsätzen in Frage kommenden Tätigkeiten.

Das Urteil des LSG ist daher aufzuheben. Weil das LSG keine Feststellungen darüber getroffen hat, welche Arbeiten der Lohngruppe I unter Tage der Kläger noch verrichten kann, muß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, soweit es sich um die noch streitige Zeit vom 1. Februar 1957 an handelt.

Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325746

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