Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergleichbarer Leistungsgrund
Leitsatz (redaktionell)
Auch die RKG § 58, AVG § 37 greifen Platz und ist eine Zurechnungszeit anzurechnen, wenn die Leistung wegen eines Grundes gewährt wurde, der mit der BU oder EU des neuen Rechts vergleichbar ist. Liegt der vergleichbare Leistungsgrund bereits vor Vollendung des 55. Lebensjahres, so ist es unerheblich, daß die Leistung zuletzt wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt wurde, wenn nur inzwischen keine Unterbrechung der Leistungsberechnung aus dem "vergleichbaren Grunde" eingetreten war.
Normenkette
AVG § 37 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1260 Fassung: 1957-02-23; RKG § 58 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird unter deren Zurückweisung im übrigen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 6. August 1962 aufgehoben, soweit es die Zurechnungszeit ab 1. März 1935 betrifft. Insoweit wird die Sache an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Gründe
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war der am 23. Juli 1881 geborene Kläger zunächst von September 1897 bis November 1914 im Grubenbetrieb beschäftigt; in dieser Zeit wurden für ihn Arbeiterbeiträge zur Knappschaftskasse des S Knappschaftsvereins und einige Beiträge zur Invalidenversicherung (JV) entrichtet. Anschließend hat er - unterbrochen durch Kriegsdienst - bis 1921 Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung (AV) und von 1926 bis Februar 1935 freiwillige Beiträge zur AV und zur JV geleistet. Ab 10. November 1915 wurde ihm die Invalidenpension, jedoch nicht die reichsgesetzliche Invalidenrente gewährt. Ab 1. März 1935 erhielt er das Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit aus der AV ohne Leistungen aus der JV. Ab 1. August 1946 wurde auf seinen Antrag unter Wegfall der bisherigen Leistungen die Gesamtleistung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung (Knappschaftsvollrente) sowie aus AV und JV festgestellt. Mit Bescheid vom 1. April 1959 stellte die Beklagte diese Rentenleistung ab 1. Januar 1957 auf das Knappschaftsruhegeld (Gesamtleistung) um, ohne eine Zurechnungszeit in Anrechnung zu bringen.
Der Widerspruch des Klägers, mit dem er ua die Anrechnung einer Zurechnungszeit begehrte, wurde zurückgewiesen. Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 15. Januar 1952 die Beklagte verurteilt, bei der Umstellung der Rente ab 1. Januar 1957 Zurechnungszeiten zu berücksichtigen. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, als entscheidender Zeitpunkt für die Berechnung der Zurechnungszeit sei der Beginn der Rente am 1. März 1935 anzusehen.
Hiergegen wandten sich mit der Berufung sowohl die Beklagte, die ihren Bescheid für richtig hielt, als auch der Kläger, der verlangte, daß der 10. November 1915 als maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der Zurechnungszeit zu gelten habe.
Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen.
Das LSG führt aus, die Beklagte habe zu Recht die Anrechnung von Zurechnungszeiten verneint, weil bei dem im Jahre 1946 eingetretenen Versicherungsfall das 55. Lebensjahr des Klägers bereits vollendet und außerdem die erforderliche Halbdeckung nicht erhalten gewesen sei. Als maßgeblicher Versicherungsfall sei derjenige anzusehen, der die zur Umstellungszeit laufende Rente ausgelöst habe. Nicht die ab 10. November 1915 zuerkannte Invalidenpension oder das ab 1. März 1935 zuerkannte Ruhegeld sei ab 1. Januar 1957 umzustellen, sondern die erst mit Wirkung vom 1. August 1946 an bewilligte Knappschaftsvollrente. Nach deren Versicherungsfall seien auch die Leistungsanteile aus den anderen Versicherungszweigen zu bestimmen. Es erscheine daher nicht zulässig, für die Berechnung dieser Anteile andere, früher eingetretene Versicherungsfälle heranzuziehen. Auch sei das Wanderversicherungsverhältnis des Klägers erst mit der Altersinvalidität endgültig abgeschlossen worden. Seit 1915 habe er noch durch versicherungspflichtige Tätigkeit am Erwerbsleben teilgenommen sowie freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet, und auch nach Zuerkennung des Ruhegeldes aus der AV habe für ihn diese Möglichkeit noch in der JV bestanden.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der §§ 49 Abs. 3, 53 Abs. 3 und 5, 58 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Da ihm bereits im Jahre 1915 wegen Unfähigkeit zur Berufsarbeit die Invalidenpension gewährt worden sei, müsse dieser Versicherungsfall der Umstellungsberechnung zugrunde gelegt und eine entsprechende Zurechnungszeit berücksichtigt werden. Bei der Umstellung einer Gesamtleistung sei vom Beginn der zuerst gewährten Rente, nicht vom Beginn der Gesamtleistung auszugehen. Damals hätten auch die Voraussetzungen des § 58 RKG für eine Zurechnungszeit vorgelegen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, nach § 53 Abs. 5 S. 3 RKG die Zurechnungszeiten zum Ruhegeld des Klägers ab 1. November 1915 bis zum 23. Juli 1936 anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Anrechnung einer Zurechnungszeit bestimme sich ausschließlich nach § 58 RKG, der auch für vor dem 1. Januar 1957 eingetretene Versicherungsfälle gelte. Die dem Kläger früher wegen Berufsunfähigkeit zuerkannte Invalidenpension entspreche nicht der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit nach jetzt geltendem Recht, sondern der heutigen Bergmannsrente. Auch decke sich der Begriff der Berufsunfähigkeit gemäß § 46 Abs. 2 RKG nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht mit dem vor der Rentenreform in der AV geltenden Begriff der Berufsunfähigkeit nach § 27 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF. Eine vor dem 1. Januar 1957 weggefallene Rentenleistung könne überhaupt für die Anrechnung einer Zurechnungszeit nicht berücksichtigt werden.
Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Die Entscheidung konnte gemäß den §§ 124 Abs. 3, 153 Abs. 1 und 165 SGG ohne mündliche Verhandlung ergehen.
Gemäß den §§ 58 RKG, 37 AVG ist für Versicherte, die vor Vollendung des 55. Lebensjahres berufs- oder erwerbsunfähig geworden sind, beim Vorliegen besonderer Voraussetzungen die Zeit zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalles und der Vollendung des 55. Lebensjahres bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre hinzuzurechnen (Zurechnungszeit). Da der Kläger bereits am 23. Juli 1936 das 55. Lebensjahr vollendet hatte, kommt für ihn die Anrechnung einer Zurechnungszeit nur dann in Frage, wenn der hierfür maßgebliche Versicherungsfall vor diesem Zeitpunkt gelegen hat. Dieser Versicherungsfall muß nicht notwendig mit dem Beginn der unmittelbar umzustellenden Leistung - hier also der Gesamtleistung wegen Vollendung des 65. Lebensjahres - zusammenfallen. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 4. April 1963 - 5 RKn 9/62 - (BSG 19, 71) entschieden hat, ist vielmehr eine Zurechnungszeit auch dann zu berücksichtigen, wenn die bei Inkrafttreten des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) am 1. Januar 1957 laufende Rente zwar wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt wurde, sich aber unmittelbar an eine solche Rente anschloß, die einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen ist. Die Anrechnung von Zurechnungszeiten bei der individuellen Umstellung von Altersrenten ergibt sich aus Art. 2 § 24 Abs. 3 und 4 KnVNG, wo für die Umstellung von Knappschaftsvollrenten auf § 53 Abs. 3 RKG und wegen des Leistungsanteils aus der AV auf § 30 Abs. 2 AVG verwiesen wird, also auf den Jahresbetrag der Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese Verweisung gilt ohne Rücksicht auf den Bewilligungsgrund, der die umzustellende Knappschaftsvollrente auslöste, also gleichviel, ob diese Rente etwa wegen Invalidität oder wegen Erreichung der Altersgrenze zuerkannt worden war. Die Umstellungsanordnung nimmt demnach auf die Besonderheiten der Altersruhegeldbewilligung keine Rücksicht. Daraus folgt, daß auch die §§ 58 RKG, 37 AVG Platz greifen und eine Zurechnungszeit anzurechnen ist, wenn die Leistung wegen eines Grundes gewährt wurde, der mit der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit des neuen Rechts vergleichbar ist. Liegt der vergleichbare Leistungsgrund bereits vor Vollendung des 55. Lebensjahres, so ist es unerheblich, daß die Leistung zuletzt wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt wurde, wenn nur inzwischen keine Unterbrechung der Leistungsberechnung aus dem "vergleichbaren Grunde" eingetreten war.
Eine solche Leistungsberechtigung aus einem der Berufsunfähigkeit der §§ 46 RKG, 23 AVG vergleichbaren Grund lag aber bei dem Kläger bereits vor Vollendung seines 55. Lebensjahres vor, allerdings erst seit dem 1. März 1935. Die Invalidenpension, die spätere Knappschaftsrente alten Rechts, die dem Kläger bereits ab 10. November 1915 bewilligt worden war, entspricht nicht einer Rente neuen Rechts wegen Berufsunfähigkeit, sondern vielmehr - wie sich aus Art. II § 24 Abs. 1 KnVNG ergibt - der Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit, bei der die Anrechnung einer Zurechnungszeit nicht möglich ist. Diese Rentenleistung beruht auf einem Versicherungsfall, der das Erwerbsleben des Versicherten regelmäßig nicht abschließt, sondern es nur auf andere Erwerbstätigkeiten beschränkt. Dementsprechend ist auch der Zeitraum, in dem der Kläger allein die Invalidenpension bezogen hat, bei ihm überwiegend mit Versicherungszeiten ausgefüllt. Anders ist es jedoch beim Ruhegeld aus der AV nach den §§ 26 Nr. 1, 27 AVG aF. Hier entspricht die Bestimmung des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit fast wörtlich der des neuen Rechts in § 23 AVG nF. Darüber hinaus bedeutete dieser Versicherungsfall regelmäßig auch bei Wanderversicherten den tatsächlichen Abschluß des Versicherungsverhältnisses; Angestellte, die Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit bezogen, haben - wie bereits im Urteil vom 18. November 1958 (BSG 8, 234) ausgeführt - in der Regel keine invalidenversicherungspflichtige Tätigkeit mehr aufgenommen, Rentner in der Regel keine freiwilligen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung mehr entrichtet. Demgemäß ist in dem vorgenannten Urteil entschieden worden, daß bei der pauschalen Umstellung der Gesamtrente eines Wanderversicherten, der zunächst Rente nur aus der AV und erst später die Gesamtleistung aus AV und JV bezogen hat, als maßgebliches Jahr des Rentenbeginns das Jahr des Beginns der zuerst gewährten Rente und nicht das Jahr des Beginns der Gesamtleistung anzusehen ist. Es ist kein hinreichender Grund erkennbar, bei der individuellen Umstellung, die für Gesamtleistungen mit knappschaftlichen Anteilen vorgeschrieben ist, in der Sache etwas anderes gelten zu lassen. Der Umstand, daß der Wanderversicherte vor Beginn seiner Versicherungszeit in der AV schon knappschaftlich versichert war, kann für die hier vorliegende Frage, ob bereits der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit nach dem AVG oder erst der spätere Versicherungsfall der Invalidität für die Berechnung der Gesamtleistung maßgeblich sein soll, nicht von entscheidender Bedeutung sein. Die besondere, aus der Entwicklung der knappschaftlichen Rentenversicherung durch die Verordnung vom 4. Oktober 1942 (RGBl I 569) hergeleitete Begründung der oben erwähnten Entscheidung in BSG 19, 71 (keine Anrechnung einer Zurechnungszeit) kann daher nur für Versicherte gelten, die das Ruhegeld (später Knappschaftsrente) wegen Berufsunfähigkeit aus der knappschaftlichen Angestellten-Pensionsversicherung nach § 57 RKG idF vom 1. Juli 1926 bezogen haben, nicht aber für solche, die - wie der Kläger - das Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit aus der AV nach den §§ 26, 27 AVG aF erhielten.
Das LSG hat hiernach zu Recht die Berufung des Klägers, mit der er die Anrechnung einer Zurechnungszeit bereits ab November 1915 begehrt, zurückgewiesen; dementsprechend war insoweit auch seine Revision zurückzuweisen. Soweit es sich aber um die Anrechnung einer Zurechnungszeit ab März 1935 handelt, hätte das LSG der Berufung der Beklagten nicht ohne weiteres stattgeben und die Klage abweisen dürfen. Es hätte vielmehr die Berufung der Beklagten zurückweisen müssen, falls zu diesem Zeitpunkt die sogenannte Halbdeckung nach den §§ 58 RKG, 37 AVG als weitere Voraussetzung für die Anrechnung einer Zurechnungszeit noch vorgelegen hat. Da in dem angefochtenen Urteil hierzu keine Feststellungen getroffen worden sind, konnte der Senat insoweit nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern mußte sie an das LSG zurückverweisen, damit es diese Feststellung nachholen kann, falls nicht die Beklagte nunmehr den Anspruch des Klägers insoweit schon von sich aus erfüllen sollte. Das LSG hat auch über die Kosten zu entscheiden.
Fundstellen