Entscheidungsstichwort (Thema)

Wehrdienstbeschädigung. wehrdiensteigentümliche Verhältnisse. Fußballspielen während der Mittagspause. Kameradschaft

 

Orientierungssatz

1. Eine während der Mittagspause beim Fußballspielen auf dem Kasernensportplatz erlittene Handverletzung ist keine Wehrdienstbeschädigung iS des § 81 Abs 1 SVG.

2. Zu den Kriterien der Kameradschaft im Zivilleben sowie im soldatischen Bereich.

 

Normenkette

SVG §§ 80, 81 Abs 1; SG § 12; SVG § 81 Abs 1 Alt 3

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 24.03.1981; Aktenzeichen L 4 V 135/80)

SG Trier (Entscheidung vom 22.08.1980; Aktenzeichen S 4 V 122/79)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG).

Während seiner Bundeswehrdienstzeit 1962/63 spielte er eines Mittags mit Kameraden auf dem Kasernensportplatz Fußball. Hierbei zog er sich eine Handverletzung zu. Das Spiel war weder von einem Dienstvorgesetzten geleitet noch aus dienstlichen Gründen genehmigt; es stand auch nicht auf dem Dienstplan.

Das Versorgungsamt lehnte es ab, Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen (Bescheid vom 9. April 1979; Widerspruchsbescheid vom 6. August 1979). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat ua ausgeführt: Der Kläger habe während des Unfalls keinen militärischen Dienst geleistet. Die spielerische Betätigung sei nicht nachträglich deswegen als Dienstleistung zu bewerten, weil sie der Kameradschaft förderlich gewesen sei und als Ausgleichssport habe dienen können. Auch durch die anschließende Dienstverrichtung sei keine Verschlimmerung der Unfallfolgen eingetreten.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 81 Abs 1 SVG. Die Begründung und Erhaltung einer soldatischen Gemeinschaft sei - so führt der Kläger ua aus - wehrdiensteigentümlich. Die in einem unmittelbaren Zusammenhang damit erlittenen gesundheitlichen Schädigungen seien als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Instanzgerichte sowie die angefochtenen

Verwaltungsbescheide aufzuheben und den Beklagten zu

verurteilen, bei ihm "Kahnbeinbruch der linken Hand" als

Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und ihm ab 1. Juni 1978

Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von

mindestens 25 vH zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er trägt vor, das Fußballspielen habe zwar der Pflege der Kameradschaft gedient. Allein deswegen habe die Teilnahme an dem Mannschaftsspiel nicht unter Versorgungsschutz gestanden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Das LSG hat unter den gegebenen Umständen den Versorgungsanspruch zu Recht verneint.

Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 80 SVG idF seit der Bekanntmachung vom 1. September 1971 (BGBl I 1481). Danach erhält ein Soldat wegen einer erlittenen Wehrdienstbeschädigung nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Als Wehrdienstbeschädigung in diesem Sinne gilt eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG). Keiner dieser genannten Schädigungstatbestände ist erfüllt.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), zog sich der Kläger die Handverletzung beim Fußballspielen während der Mittagspause auf dem Kasernensportplatz zu. Diese sportliche Betätigung war keine Wehrdienstverrichtung im Sinne der ersten Alternative des § 81 SVG. Sie war weder dienstlich befohlen noch durch ungeschriebene soldatische Pflicht oder militärische Grundsätze veranlaßt (BSG SozR 3200 § 81 Nr 7 und 8 mwN). Überdies diente die Sportausübung nicht dienstlichen Zwecken (BSG aaO). Vielmehr erlitt der Kläger die gesundheitliche Schädigung während der Freizeit bei einer Tätigkeit, die seinem eigenen Willen entsprach (BSG SozR 3200 § 81 Nr 11) und unabhängig vom Dienst verrichtet wurde (BSG SozR Nr 50 zu § 1 BVG; SozR 3200 § 81 Nr 14).

Die Schädigung ist auch nicht durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall verursacht (zweite Alternative des § 81 Abs 1 SVG). Im Unterschied zur ersten Alternative dieser Vorschrift, die einen sachnotwendigen Zusammenhang mit der Wehrdienstverrichtung erfordert, ist hier der Tatbestand dadurch gekennzeichnet, daß sich der Unfall während der tatsächlichen Ausübung des Dienstes ereignet haben muß (BSGE 7, 19, 20; 8, 264, 273 = SozR Nr 32 § 1 BVG; BSGE 41, 153, 154 = SozR 3200 § 81 Nr 5; 3200 § 81 Nr 6, 7, 8, 11, 14). Damit ist einerseits deutlich gemacht, daß diese Vorschrift einen zeitlichen Zusammenhang genügen läßt, andererseits das Bestehen eines Dienstverhältnisses allein nicht ausreicht.

An einem solchen versorgungsrechtlich geschützten Unfalltatbestand fehlt es nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt. Der Kläger war während der Mittagspause vorübergehend von der Dienstausübung entbunden; in der Regel wird während dieser Zeit militärischer Dienst nicht geleistet (BSG SozR 3200 § 81 Nr 11 mwN). Infolgedessen war es dem Kläger gestattet, diese freie Zeit in eigener Verantwortung zu nutzen. Allerdings unterliegt diese Freizügigkeit gewissen Einschränkungen, etwa weil der Kasernenbereich nicht verlassen werden darf oder Bereitschaft zum Dienst besteht. Dennoch wird die Freizeit als solche nach eigenen Vorstellungen gestaltet und ist somit der Privatsphäre zuzurechnen. Nur wenn im Einzelfall zwischen der Art der Freizeitbeschäftigung und dem Wehrdienst eine besondere Verknüpfung besteht, zB ein besonderer Befehl vorliegt oder soldatische Zielsetzungen mitverfolgt werden, können Urlaub oder Freizeit als Dienst gewertet werden (BSGE 7, 75, 76; SozR Nr 80 zu § 1 BVG). Dann ist das Tätigwerden nicht mehr dem privaten Bereich zuzuordnen, sondern ist Folge militärischer Ein- und Unterordnung. So ist es hier nicht.

Der Kläger gibt selbst an, am Fußballspielen freiwillig teilgenommen zu haben. Er will jedoch hierzu durch eine dem Soldaten obliegende Kameradschaftlichkeit motiviert worden sein. Indes stellt sich nicht jede Handlung eines Soldaten, die an sich geeignet sein kann, solchen allgemeinen soldatischen Obliegenheiten unmittelbar oder mittelbar zu genügen, ohne weiteres als Dienstverrichtung dar. Vielmehr setzt dies ein spezifisches wehrdienstliches Interesse voraus (BSG SozR 3200 § 81 Nr 7). Ein solches wäre beispielsweise bei Kameradschaftsabenden anzunehmen. Zwar wird dort regelmäßig die Teilnahme weder durch allgemeine Dienstvorschriften angeordnet noch im Einzelfall befohlen; sie ergibt sich aber aus einer allgemeinen soldatischen Pflicht und aus militärischen Gepflogenheiten. Militärischer Dienst wird dann geleistet, wenn diese Veranstaltung der soldatischen Verbundenheit von Vorgesetzten und Untergebenen sowie der Untergebenen untereinander dient und von einem Vorgesetzten geleitet oder mindestens von diesem gebilligt und gefördert wird (BSGE 8, 264 = SozR Nr 32 zu § 1 BVG). Unter gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen könnte auch eine nicht dienstlich angeordnete Sportveranstaltung als Dienst anzunehmen sein. Hier wären die von der Rechtsprechung zum Beamtenrecht bzw Unfallrecht erarbeiteten Grundsätze ergänzend heranzuziehen (BVerwG DVBl 1968, 78; BVerwGE 44, 36; Buchholz 232 § 135 BBG Nr 47 und 52; BSGE 16, 1 = SozR Nr 49 zu § 542 RVO aF; SozR 2200 § 548 Nr 29). An einem derart engen Bezug zum Wehrdienst fehlt es im vorliegenden Falle gerade.

Schließlich fehlt es an wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen im Sinne der dritten Alternative des § 81 Abs 1 SVG, die den Versorgungsanspruch stützen könnten. Unter jenen Rechtsbegriff zählen die mit den besonderen Gegebenheiten des Dienstes verknüpften Lebensbedingungen, die typische Merkmale des Dienstes aufweisen und sich außerdem deutlich von denjenigen des Zivillebens abheben (BSG SozR Nr 69 und 80 zu § 1 BVG; Nr 1 und 2 zu § 81 SVG; 3200 § 80 Nr 2; BSGE 37, 282, 232 = SozR 3200 § 81 Nr 1; SozR 3200 § 81 Nr 6, 7, 9, 11, 14). Als Vergleich sind regelmäßig die normalen Umstände und Verhaltensweisen sowie die durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben maßgebend (BSG SozR 3100 § 1 Nr 15 mwN), es sei denn, die Fallgestaltung erfordert die Heranziehung gruppenspezifischer Vergleichsmerkmale (BSGE 37, 282, 285 = SozR 3200 § 81 Nr 1). Letzteres scheidet nach dem Tatbestand aus.

Unter Beachtung der genannten Rechtsprechung drängt sich ein Vergleich mit Verhältnissen auf, wie sie etwa bei Industrieunternehmungen bzw Betrieben bestehen. Dort ist das Fußballspielen von Belegschaftsmitgliedern während der Mittagspause ein nicht unübliches Geschehen. Zur Ausübung dieser Mannschaftssportart sind mehrere Personen erforderlich. Die Teilnahme daran kann einer gemeinsamen Interessenlage entsprechen. Andererseits kann ein Mitglied einer Gemeinschaft durch äußere Umstände, etwa weil die erforderliche Spielerzahl nicht vorhanden ist, von sich aus oder durch andere bewogen werden, mitzumachen. Es ordnet sich dann dem Willen der Gemeinschaft unter, weil es sich nicht ausschließen und insbesondere nicht als "Spielverderber" angesehen werden will. Damit ist, selbst wenn den Belangen der Gemeinschaft Vorrang eingeräumt wird, die Entscheidungsfreiheit des einzelnen nicht wesentlich eingeschränkt. Die sportliche Betätigung geschieht auch dann allein auf freiwilliger Basis.

Nicht anders ist ein gleichgearteter Sachverhalt während des Wehrdienstes zu beurteilen. Dem Einwand des Klägers, die kameradschaftliche Verbundenheit habe einen bestimmten Einfluß auf die Art der Freizeitgestaltung ausgeübt und sei somit als Bindeglied zwischen Freizeit und Wehrdienst zu verstehen, ist mindestens in dieser allgemein gehaltenen Aussage nicht zu folgen. Richtig ist, daß nach § 12 des Soldatengesetzes vom 19. März 1956 (BGBl I S 114 mit den späteren Änderungen) der Zusammenhalt der Bundeswehr wesentlich auf der Kameradschaft beruht; jeder Soldat ist verpflichtet, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen. Die soldatische Kameradschaft gilt somit als ein tragendes Element der Bundeswehr; sie ist dem Soldaten als Rechtspflicht auferlegt (BSGE 33, 239, 246 = SozR Nr 2 zu § 81 SVG 1964). Begrifflich versteht man unter Kameradschaft ua das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Einstehen füreinander, das unbedingte Aufeinander-verlassen-können und die besondere Hilfsbereitschaft innerhalb und außerhalb des Dienstes. Diese Wesenselemente sind nicht allein ein Spezifikum des Wehrdienstes, sondern sie bilden auch bei anderen Gemeinschaftsformen die Grundlage des Zusammenlebens. Daraus folgt, daß nicht jedes kameradschaftlich motivierte Handeln eines Soldaten von vornherein dem Rechtsbegriff "wehrdiensteigentümlich" unterzuordnen ist, sondern nur, wenn es typische Merkmale des soldatischen Zusammenseins aufweist. Beurteilungskriterien dafür lassen sich aus den Besonderheiten des Dienstverhältnisses gewinnen. Es ist geprägt durch eine strikte Über- und Unterordnung, durch die Befehlsbefugnis des Vorgesetzten und die Gehorsamspflicht des Untergebenen; zum anderen dadurch, daß der Soldat dienstlich wie auch außerdienstlich auf längere Zeit einer Gemeinschaft angehört. In ihr muß er leben und sich darin einfügen. Das gedeihliche Zusammenleben einer größeren Zahl fremder Menschen, vornehmlich jüngeren Alters und auf engem Raum, erscheint nur möglich, wenn gegenseitige Rücksichtnahme, Verständnis und Kameradschaft, um nur einige Kriterien zu nennen, geübt werden. Infolgedessen erfordert das Tatbestandsmerkmal "diensteigentümlich" eine gewisse Zwangsläufigkeit in der Verknüpfung mit typischen dienstlichen Verhältnissen (BSG SozR 3100 § 3 Nr 6 mwN). Sie unterscheiden sich von zivilen Gegebenheiten insbesondere dadurch, daß der Soldat gewissermaßen einem Zwang unterliegt, so handeln zu müssen, und daß er sich dem nicht zu entziehen vermag. Dabei mag im Vordergrund stehen, sich nicht dem berechtigten Vorwurf der Unkameradschaftlichkeit aussetzen zu wollen. Der Begriff "berechtigt" ist dabei vom Standpunkt eines vernünftig denkenden Soldaten und unter Beachtung der dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen zu beurteilen (BSGE 33, 239, 244f = SozR Nr 2 zu § 81 SVG 1964). Derartige durch militärische Autorität beeinflußte Beweggründe, die den Kläger veranlaßt haben könnten, am Fußballspielen teilzunehmen, waren nach dem festgestellten Sachverhalt nicht bestimmend.

Im übrigen ist eine sonstige wehrdiensteigentümliche Verursachung, so etwa die Beschaffenheit des bundeswehreigenen Sportplatzes (BSG SozR 3200 § 81 Nr 7) oder das mit einer besonderen Härte geführte Fußballspiel als Ausdruck eines Aggressionsstaus (BSG SozR 3200 § 81 Nr 11), nicht behauptet und ist nach den bindenden Feststellungen des LSG auch nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1655069

Breith. 1982, 610

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge