Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage, ob eine Krankenkasse verpflichtet ist, einem Versicherten Familienkrankenhilfe für seine Ehefrau zu gewähren, kann Gegenstand einer Feststellungsklage nach SGG § 55 Abs 1 Nr 1 sein.
2. Im Verhältnis von Ehegatten, die beide Einkommen haben, ist derjenige unterhaltsberechtigt im Sinne des RVO § 205, dem aus den insgesamt zum Familienunterhalt geleisteten Geldbeträgen mehr zuzufließen hat als er selbst zum Familienunterhalt beisteuert.
Normenkette
RVO § 205 Abs. 1 Fassung: 1930-12-01; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Dezember 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der 1889 geborene Kläger stand seit dem Jahre 1934 bis zu seiner Invalidisierung am 1. Mai 1957 in einem krankenpflichtversicherten Beschäftigungsverhältnis als Büroangestellter. Die Krankenversicherung hat er auch als Rentner freiwillig fortgesetzt. Seine Ehefrau A geb. S ist seit längerer Zeit als angestellte Lehrerin im staatlichen Schuldienst beschäftigt; ihre Bezüge richten sich nach der Tarifordnung A für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst (TO. A); ihre Grundvergütung betrug vom 1. Oktober 1955 an nach Gruppe V b 548,10 DM, daneben wurden die tariflichen Zuschüsse gewährt. Die Gesamt-Bruttobezüge der Ehefrau des Klägers, die mit dem 1. März 1956 aus der gesetzlichen Krankenversicherung wegen Überschreitung der Versicherungspflichtgrenze ausschied, betrugen im September 1957 736,- DM.
Der Kläger hat, nachdem die Beklagte sein entsprechendes Begehren abgelehnt hatte, am 6. Juli 1956 fristgemäß Klage bei dem Sozialgericht Köln erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, aus seiner Versicherung für seine Ehefrau Familienkrankenhilfe zu gewähren.
Weder mit seiner Klage noch mit der gegen das ablehnende Urteil des Sozialgerichts vom 27. März 1957 eingelegten Berufung hatte der Kläger Erfolg.
Mit seinem Urteil vom 17. Dezember 1957 wies das Landessozialgericht die Berufung im wesentlichen mit folgender Begründung zurück:
Zwar sei die (mit einer Anfechtungsklage verbundene) Feststellungsklage zulässig, da - gleichgültig, ob man das Begehren des Klägers auf die Feststellung eines besonderen selbständigen Rechtsverhältnisses oder auf die Feststellung einer einzelnen Berechtigung aus einem umfassenderen Rechtsverhältnis gerichtet ansehe - die fragliche einem Rechtsverhältnis entspringende Berechtigung jedenfalls Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 55 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sein könne. Daß der Kläger die Beklagte bisher nicht habe in Anspruch nehmen müssen, weil seine Ehefrau bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung nicht krank gewesen sei, könne die Zulässigkeit dieser Klage nicht beeinflussen. Auch das Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Feststellung sei gegeben, weil der Kläger sich bei einem Unterliegen gegebenenfalls nach einer anderweitigen Krankenversicherung umsehen müsse.
Sachlich sei die Berufung jedoch nicht begründet.
Die Ehefrau des Klägers sei zwar offensichtlich selbst anderweitig gegen Krankheit nicht versichert. Es fehle jedoch an der weiteren Voraussetzung des § 205 RVO für eine Gewährung der Krankenhilfe, daß nämlich die Ehefrau des Klägers auch berechtigt sei, von dem Kläger als krankenpflichtversichertem Ehemann Unterhalt zu fordern. Der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsbegriff, von dem auch im vorliegenden Falle auszugehen sei, habe durch den Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes eine gewisse Änderung erfahren. Es könne dahingestellt bleiben, ob von der vom 1. Senat des LSG. Nordrhein-Westfalen in seinen Urteilen vom 17.9.1957 vertretenen Auffassung, nur derjenige Ehegatte habe einen Unterhaltsanspruch, der seinen Unterhalt überwiegend aus den vom anderen Ehegatten für den gemeinsamen Familienunterhalt zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln beziehen müsse, allgemein auszugehen sei. Im vorliegenden Fall ergebe sich die Ablehnung bereits aus der Erwägung, daß ein Unterhaltsanspruch jedenfalls insoweit nicht anerkannt werden könne, wie der Unterhalt des einen Ehegatten auch ohne die Unterhaltsleistung des anderen Ehegatten als gewährleistet angesehen werden könne. Dies sei nach den festgestellten Einkommensverhältnissen der Ehefrau des Klägers hier anzunehmen.
Es sei auch widersinnig, daß die Ehefrau zwar, solange sie infolge geringerer eigener Einkünfte der Krankenpflichtversicherung angehört habe, nicht berechtigt gewesen sei, vom Kläger die Tragung etwaiger Krankheitskosten als Unterhalt zu verlangen, daß ihr dies jedoch zuzusprechen sei, wenn sie jene Verdienstgrenze überschritten habe. Wenn der Gesetzgeber davon ausgehe, daß ein Ehegatte wegen der Höhe seines eigenen Einkommens für einen etwaigen Krankheitsfall ohne Pflichtversicherung selbst vorsorgen müsse, könne es nicht rechtens sein, daß dieser Ehegatte die Fürsorgepflicht über die gesetzlichen Unterhaltsvorschriften auf den anderen Ehegatten, und damit praktisch auf die gesetzliche Krankenversicherung, abwälzen könne.
Gegen das am 28. Juni 1958 zugestellte Urteil, in dem das Landessozialgericht die Revision zugelassen hat, legte der Kläger unter Antragstellung und gleichzeitiger Begründung am 10. Juli 1958 Revision ein.
Der Kläger rügt, daß das Landessozialgericht rechtsirrig eine überwiegende Unterhaltspflicht als Voraussetzung der Familienhilfe fordere. Unabhängig von der Höhe des beiderseitigen Einkommens bzw. Vermögens sei auch heute noch der Ehemann seiner Ehefrau gegenüber stets unterhaltspflichtig; daran habe auch die Gleichberechtigung nichts geändert. Der Familienhilfeanspruch würde gesetzlich nur dadurch ausgeschlossen, daß der Familienangehörige anderweit einen eigenen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege habe, was hier zweifelsfrei nicht der Fall sei.
Ebenso wie bei der Rentenversicherung sei auch bei der Krankenversicherung der Anspruch auf die Familienhilfe durch einen in dem gesamten Beitrag enthaltenen Beitragsanteil begründet.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die von ihm begehrte Feststellung zu treffen.
Die Beklagte beantragt demgegenüber
kostenpflichtige Zurückweisung der Revision.
Sie verneint mit dem angefochtenen Urteil im vorliegenden Falle einen Unterhaltsanspruch der Ehefrau. Nur ein unterhaltsberechtigter Ehegatte habe Anspruch auf Krankenhilfe; daran gerade fehle es jedoch hier. In dem Krankenversicherungsbetrag befinde sich kein besonderer Anteil für die Familienangehörigen; dies ergebe sich besonders deutlich daraus, daß ledige und verheiratete Versicherte Beiträge in der gleichen Höhe zu entrichten hätten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden; sie ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
I Der Kläger begehrt die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, aus seiner Krankenversicherung Familienkrankenhilfe für seine Ehefrau zu gewähren; diese ist nach der mit der Revision nicht angefochtenen und daher für das Bundessozialgericht maßgeblichen Feststellung des Landessozialgerichts in der Zeit von der Klageerhebung bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz nicht krank gewesen.
Die erhobene Feststellungsklage ist mit dem angefochtenen Urteil als zulässig anzusehen. Bei der begehrten Feststellung des Anspruchs auf Familienkrankenhilfe handelt es sich nämlich weder um eine unzulässige Feststellung reiner Tatsachen, da die Klärung des Begriffs "Unterhaltsberechtigung" eindeutig eine Rechtsfrage ist, noch um die ebenfalls unzulässige Feststellung einer bloßen fiktiven gedachten Rechtsfrage, also nicht um einzelne Anspruchselemente, sondern um einen echten Teilanspruch. Dies ergibt sich deutlich daraus, daß der erhobene Anspruch, festzustellen, daß Familienkrankenhilfe zu gewähren sei, sein Wesen nicht ändert, wenn er in entsprechend gelagerten Fällen als Klage auf Leistung von Familienkrankenhilfe erhoben wurde, während sich bei einer unselbständigen Anspruchsvoraussetzung ein derartiger im Anspruchsgrund gleichbleibender Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage nicht denken läßt (vgl. dazu auch BSG. 4 S. 184; 7 S. 4).
Mit dem angefochtenen Urteil ist daher die Zulässigkeit der Feststellungsklage zu bejahen (vgl. dazu auch das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Februar 1959 (Amtsbl. Bayer. Staatsministerium für Arbeit 1959 S. 69 B)).
Es besteht weiterhin auch ein berechtigtes Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung schon um deswillen, weil von der erwarteten Klarstellung abhängig ist, ob der Kläger bei zukünftigen Erkrankungen seiner Ehefrau mit der Übernahme der entsprechenden Kosten durch die Beklagte rechnen kann oder ob er sich um einen anderweitigen Versicherungsschutz bemühen muß.
Für eine die Zeit vor der letzten mündlichen Verhandlung betreffende Feststellung fehlt es im vorliegenden Fall allerdings bereits deshalb an jedem Rechtsschutzinteresse, weil für diese Zeit nach den bindenden Feststellungen des Berufungsurteils die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Beklagten entfällt, da die Ehefrau des Klägers in jener Zeit nicht krank gewesen ist.
II In der Sache selbst ist mit dem Landessozialgericht davon auszugehen, daß bei der für den Rechtsstreit allein entscheidenden Frage, ob die Ehefrau des Klägers unter den vorliegenden Umständen berechtigt ist, von ihrem versicherten Ehemann Unterhalt zu fordern - sämtliche übrigen im § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorgeschriebenen Voraussetzungen sind erfüllt-, der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsbegriff zugrunde zu legen ist. Ebenso muß mit dem Landessozialgericht § 1360 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) a. F., der die gegenseitige Unterhaltspflicht der Eheleute durchaus verschieden regelte, durch das Grundgesetz (GG) als außer Kraft gesetzt angesehen werden, womit die von dem Kläger in erster Linie auch noch mit seiner Revision vertretene Auffassung, der Ehemann sei auch in der hier fraglichen Zeit stets seiner Frau gegenüber unterhaltspflichtig gewesen, sich als irrig erweist. Das Landessozialgericht läßt es alsdann dahingestellt, von welcher Unterhaltsregelung im Zeitpunkt seiner Entscheidung als geltendem Recht auszugehen sei, - entgegen der Behauptung des Klägers fordert es im vorliegenden Fall nicht die Gewährung überwiegenden Unterhalts, so daß die dieserhalb erhobene Rüge nicht durchgreift -, da es jedenfalls für den vorliegenden Rechtsstreit die Ablehnung des Unterhaltsanspruchs der Ehefrau des Klägers bereits deshalb für gerechtfertigt hält, weil deren Unterhalt wegen der Höhe des von ihr erzielten eigenen Einkommens auch ohne jede Unterhaltsleistung des Klägers gewährleistet sei. Diese Auffassung wird dem Begriff der Unterhaltsverpflichtung, wie er im Zeitpunkt des anzufechtenden Urteils anzuwenden war, nicht gerecht.
Wie der 3. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 26. Mai 1959 (BSG 10 S. 28) unter Anführung zahlreicher Literaturstellen zutreffend ausgeführt hat, wird auch für die Zeit von der Änderung der Unterhaltsregelung des § 1360 BGB a. F. durch den Ablauf der durch das GG gesetzten Frist (31.3.1953) bis zum Inkrafttreten des die Neuregelung enthaltenen Gleichberechtigungsgesetzes (1.7.1958) davon auszugehen sein, daß mit den §§ 1360 ff. BGB in der neuen Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes nur das schon infolge der Änderung durch das GG ohnehin gültige Recht ausdrücklich normiert wurde und daß deshalb diese neue Vorschriften auch für die Zeit vor dem 1. Juli 1958 - insbesondere also hier bereits für den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht - als eine den Gleichberechtigungsgrundsatz voll verwirklichende Interpretation angesehen werden und der Rechtsfindung auch für jene Zeit bereits zugrunde gelegt werden können.
Mit dem 3. Senat ist weiter darauf hinzuweisen, daß § 205 RVO, der ohne Fassungsänderung noch mit dem (früheren) Begriff der "Unterhaltsberechtigung" arbeitet, in das neue System des Familienunterhaltsrechts nicht reibungslos eingepaßt werden kann und deshalb seine Anwendung auf gewisse Schwierigkeiten stößt. Zunächst ist es auch nach dem neuen Recht, das für den "Normalfall" der nicht getrennt lebenden Ehegatten überhaupt nur die beiden Eheleuten gleichermaßen auferlegte Pflicht kennt, jeweils nach den Verhältnissen des Einzelnen zum Familienunterhalt beizutragen, jedenfalls nicht angängig, die Frage der Unterhaltsberechtigung eines Ehegatten allein auf Grund seiner persönlichen (insbesondere Einkommens)-verhältnisse zu entscheiden. Gerade die in der Neuregelung erheblich stärker als früher betonte Einheit der Familie gebietet in dieser Beziehung eine die Verhältnisse beider Ehegatten einbeziehende gemeinsame Betrachtung, da sich je nach der Höhe des Einkommens des anderen Ehegatten eine unterschiedliche Auffassung von dem angemessenen Unterhalt der Familie und damit auch des anderen Ehegatten trotz gleichbleibender Höhe von dessen Einkommen ergeben kann und daraus dann möglicherweise auch eine unterschiedliche Beurteilung der bestehenden "Unterhaltspflicht" abzuleiten wäre.
Ist somit der Ausgangspunkt der Überlegungen des Landessozialgerichts insofern unzutreffend, so kann auf der anderen Seite daraus, daß nach der Neuregelung jeder Ehegatte von dem anderen verlangen kann, in einem ihm zumutbaren Ausmaß zum angemessenen Unterhalt beizutragen, nicht gefolgert werden (wie dies in der Literatur häufig geschieht - z. B. Brühl in FamRZ. 1957 S. 401), daß dieser wechselseitige Anspruch dem bisherigen Unterhaltsanspruch gleichzusetzen sei und daß daher nach der Neuregelung in allen Fällen die Ehegatten wechselweise einen echten Unterhaltsanspruch gegeneinander hätten. Mit dem 3. Senat ist vielmehr insoweit anzunehmen, daß die im § 205 RVO vorausgesetzte "Unterhaltsberechtigung eine Wechselbezüglichkeit der Ansprüche.. ausschließt". Es kann vielmehr im Sinne des § 205 RVO auch heute nur einer von beiden Ehegatten unterhalts berechtigt sein.
Es braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, ob mit dem 3. Senat anzunehmen ist, daß andererseits regelmäßig immer einer der Ehegatten dem anderen unterhaltsverpflichtet sein muß , denn jedenfalls wird ein Unterhaltsanspruch eines Ehegatten dann bejaht werden können, wenn aus den insgesamt zum Familienunterhalt geleisteten Geldbeträgen dem "Unterhaltsberechtigten" mehr zuzufließen hat als er aufgebracht hat.
Wenn das Landessozialgericht den § 205 RVO demnach insoweit rechtsirrig ausgelegt hat, als es die Frage der Unterhaltsberechtigung des Ehegatten des Versicherten allein auf Grund von dessen eigenen Einkommensverhältnissen entscheiden zu können glaubte, so erweist sich seine Entscheidung im Ergebnis doch aus anderem Grunde als richtig. In dem Tatbestand des angefochtenen Urteils hat das Landessozialgericht festgestellt, daß der Kläger zum 1. Mai 1957 invalidisiert worden ist. Hierin liegt gleichzeitig die Feststellung, daß die Einnahmen des Klägers im Zeitpunkt des Urteils niedriger waren als diejenigen seiner Ehefrau, da als gerichtsbekannt davon auszugehen ist, daß die Rente eines versicherungspflichtigen Bergbauangestellten im Dezember 1957 keinesfalls den Betrag von 700,- DM überschritten hat. Unter diesen Umständen kann auch nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger, der zur Zeit der maßgeblichen letzten Tatsachenverhandlung ein niedrigeres Einkommen als seine Ehefrau hatte, dieser gegenüber im Sinne des § 205 RVO unterhaltsverpflichtet gewesen ist, so daß sich sein Anspruch als unbegründet erweist.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten erfolgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen