Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung einer Ersatzkasse nach EKV § 5 Nr 7

 

Leitsatz (amtlich)

Verurteilt ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit auf eine "echte Leistungsklage hin (SGG § 54 Abs 5) nur dem Grunde nach, so ist dieses Urteil ein Zwischenurteil (ZPO § 304). Der Rechtsstreit bleibt bei dem erkennenden Gericht zur Durchführung des Nachverfahrens (Höhe der Leistung) abhängig.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. In einem Verfahren nach SGG § 54 Abs 5, in dem ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat, muß - im Gegensatz zu einer nach SGG § 54 Abs 4 verbundenen Anfechtungs- und Leistungsklage - nach Erlaß eines Grundurteils ein Nachverfahren stattfinden, sofern sich die Parteien über die Höhe des Anspruchs nicht gütlich einigen und dem Gericht die Erledigung in der Hauptsache anzeigen.

2. Stellt ein zur Ersatzkassenpraxis zugelassener Arzt fest, daß ein Ersatzkassenmitglied oder dessen Familienangehöriger nicht berechtigt ist, auf Krankenschein behandelt zu werden, so muß er vor einer Inanspruchnahme der Ersatzkasse aus EKV § 5 Nr 7 versuchen, seine Honorarforderung von dem einzuziehen; im Falle der Weigerung des Patienten ist es dem Arzt aber nicht zumutbar, das mit einem Zivilprozeß verbundene Risiko auf sich zu nehmen.

3. Wer sich auf Krankenschein in die Behandlung eines Arztes begibt, muß die Versicherungsbedingungen der Ersatzkasse und die gleichlautenden Vereinbarungen des EKV gegen sich gelten lassen.

 

Normenkette

SGG § 130; ZPO § 304 Abs. 1; EKV-Ä § 5 Nr. 7; SGG § 54 Abs. 5

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Grundurteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Juni 1968 wird zurückgewiesen, soweit es sich nicht um die Kosten des Rechtsstreits handelt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers aus § 5 Nr. 7 des Arzt/Ersatzkassenvertrages idF vom 12. Mai 1950 (AEV-1950).

Der Kläger ist als praktischer Arzt niedergelassen und an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. In der Zeit von August 1950 bis Dezember 1961 behandelte er den Beigeladenen, der Mitglied der beklagten Ersatzkasse (EK) ist, und seine Ehefrau gegen Vorlage von Krankenscheinen, die von der EK ausgestellt waren. Die Honorierung des Klägers für seine Leistungen wurde von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KÄV) vorgenommen. Bei dieser rechnete er sämtliche vertragsärztlichen Leistungen quartalsweise ab.

Mit Schreiben vom 8. Februar 1964 wandte sich der Kläger an den Beigeladenen und wies darauf hin, daß dieser vom Beginn der durchgeführten Behandlung an nicht berechtigt gewesen sei, einen Krankenschein zu erhalten, da sein Einkommen stets über der Angestelltenversicherungspflichtgrenze gelegen habe. Er forderte die Zahlung eines Honorars in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den doppelten EK-ADGO-Sätzen und dem, was die KÄV für die Behandlung gewährt hatte, und bezifferte diesen Betrag auf 1.904,50 DM. Der Beigeladene lehnte die Begleichung dieser Forderung ab und berief sich auf Verjährung.

Hierauf wandte sich der Kläger an die EK unter Bezugnahme auf § 5 Nr. 7 AEV-1950. Die EK wies die erhobene Forderung zurück. Sie bestritt sie dem Grunde nach und erhob den Einwand der Verjährung. Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) beantragte der Kläger, die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, an ihn den Differenzbetrag zwischen dem von der KÄV für die Behandlung des Beigeladenen und seiner Ehefrau in der Zeit vom August 1950 bis Dezember 1961 gezahlten Honorar und den doppelten ADGO-Sätzen zu zahlen. Das SG wies die Klage ab (Urteil vom 19. Mai 1967). Die Berufung ließ es zu.

Auf die Berufung des Klägers erkannte das LSG entsprechend dem Klageantrag. Zur Begründung führte es aus:

Ein Schaden i.S. des § 5 Nr. 7 AEV-1950 sei dem Kläger aus der Erteilung der Krankenscheine insofern entstanden, als er im Vertrauen auf den dadurch erzeugten Rechtsschein der Anspruchsberechtigung des Beigeladenen und seiner Ehefrau die beiden als Kassenpatienten behandelt, den Abschluß eines privatrechtlichen Behandlungsvertrages mit ihnen unterlassen und infolgedessen sich der Möglichkeit begeben habe, höhere Honoraransprüche aus privatem Vertrag zu erwerben. Die in § 5 Nr. 7 Satz 1 AEV-1950 getroffene Feststellung, der vom Vertragsarzt auf Krankenschein und damit als Kassenpatient behandelte Nichtanspruchsberechtigte sei dennoch Privatpatient, vermöge die auf die Entstehung einer Honorarforderung aus privatrechtlichem Behandlungsvertrag nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zwingend erforderliche Einigung zwischen Arzt und Patient über das Zustandekommen eines solchen Vertrages nicht zu ersetzen. Ein schuldhaftes Verhalten der Kasse bei Ausstellung des Krankenscheines sei nicht Voraussetzung für ihre private Haftung. Nach dem Wortlaut des § 5 Nr. 7 AEV 1950 sei zwar die Unkenntnis des Arztes von der mangelnden Anspruchsberechtigung ebenfalls kein Tatbestandsmerkmal; immerhin sei sie jedoch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu fordern. Der Beigeladene habe jedoch erst im Jahre 1963 mit dem Kläger über seine Einkommensverhältnisse gesprochen und erst von diesem Zeitpunkt an habe er - der Kläger - davon gewußt, daß der Beigeladene zu dem Personenkreis gehöre, der infolge seines Einkommens keinen Anspruch auf einen Krankenschein habe. Der Anspruch des Klägers setze auch nicht voraus, daß dieser vergeblich versucht habe, eine sich evtl. aus der Behandlung des Beigeladenen und dessen Ehefrau ergebende Forderung gegen den Beigeladenen im Rechtswege geltend zu machen. Der Anspruch sei auch nicht verjährt. Es könne dahingestellt bleiben, ob § 29 der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder § 223 RVO oder § 852 BGB oder § 195 BGB anzuwenden sei. In jedem Falle sei der Anspruch schon deswegen nicht verjährt, weil der Kläger erst im Jahre 1963 von der fehlenden Anspruchsberechtigung des Beigeladenen Kenntnis erlangt und bereits im Mai 1964 die Klage erhoben habe.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die zugelassene Revision eingelegt und sie wie folgt begründet:

Der Wille der Vertragsparteien des AEV-1950, zu dem sie sich zu äußern deswegen für befugt halte, weil sie beim Zustandekommen der umstrittenen Vertragsbestimmung mitgewirkt habe, sei dahin gegangen, in den Fällen, in denen keine Anspruchsberechtigung bestehe, ein Privatrechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient vorauszusetzen. An ein Wahlrecht des Arztes, entweder den Patienten oder die EK in Anspruch zu nehmen, sei bei Abschluß des AEV-1950 nicht gedacht worden, ebensowenig an ein Verschulden der EK. Dem Kläger sei nach Treu und Glauben zuzumuten gewesen, seine Forderung gegenüber dem Patienten (Versicherten) nicht nur zu erheben, sondern auch mit allen geeigneten Mitteln durchzusetzen.

Die Beklagte hat beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und unter Bestätigung des Urteils des SG Düsseldorf vom 19. Mai 1967 die Klage kostenfällig abzuweisen.

Der Kläger hat beantragt,

die Revision der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für zutreffend.

Der Beigeladene ist nicht vertreten.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch aus § 5 Nr. 7 AEV-1950 zu, ohne daß diese die Einrede der Vorausklage geltend machen kann. Nach der genannten Vereinbarung haftet die Vertragskasse zur Abgeltung des Schadens, der daraus entstanden ist, daß einem Nichtanspruchsberechtigten ein Krankenschein ausgestellt wurde, dem Vertragsarzt für die Bezahlung seiner dem Patienten ausgestellten Rechnung, jedoch nur bis zur Höhe der doppelten Vertragssätze. Anspruchsberechtigt auf einen Krankenschein ist nach § 1 Nr. 2 Satz 1, 2. Halbs., 1. Alternative AEV-1950 dasjenige Mitglied der Vertragskasse, dessen Einkommen die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze nicht übersteigt. Der Beigeladene gehörte, wie zwischen den Beteiligten unbestritten ist, nicht zu den Anspruchsberechtigten im vorgenannten Sinne. Die EK hat demnach dem Beigeladenen zu Unrecht einen Krankenschein ausgestellt. Ob dieses auf einem Verschulden der Kasse beruht oder nicht, kann offenbleiben; denn auf ein solches kommt es nicht an (vgl. Urteil des Senats vom 24. September 1968 - 6 RKa 17/66 -). Die EK meint allerdings, an ein Wahlrecht des Arztes, entweder seinen Patienten oder die EK in Anspruch zu nehmen, sei bei der Formulierung des § 5 Nr. 7 AEV-1950 nicht gedacht worden. Dieser Frage brauchte der Senat jedoch nicht nachzugehen. In dem zur Entscheidung stehenden Fall hat der Kläger nicht gewählt. Er hat vielmehr dem Beigeladenen einen Betrag von 1 904,50 DM in Rechnung gestellt und erst, nachdem dieser die Bezahlung der Rechnung ernstlich abgelehnt und sich auf Verjährung berufen hatte, die EK in Anspruch genommen. Er hat also zunächst versucht, seine Forderung einzuziehen, ehe er die Beklagte aufforderte zu zahlen. Damit ist auf jeden Fall dem Erfordernis des § 5 Nr. 7 AEV-1950 genügt, daß dem Patienten eine Rechnung "ausgestellt" worden sein muß, bevor die EK in Anspruch genommen wird.

Es kann dem Arzt, wenn die Bestimmung in § 5 Nr. 7 AEV-1950 überhaupt einen Sinn haben soll, nicht zugemutet werden, erst im Wege eines u.U. langwierigen Zivilprozesses mit dem dadurch bedingten Prozeßrisiko zu versuchen, seine Forderung durchzusetzen; denn ob er damit Erfolg haben würde, erschien zumindest bis 1967 zweifelhaft. Erst damals wurde die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 3. Februar 1967 (NJW 1967, 673) bekannt, nach der derjenige, der sich auf Grund des Krankenscheins in die Behandlung eines Arztes begibt, die Versicherungsbedingungen der Krankenkasse und die gleichlautenden Vereinbarungen des AEV gegen sich gelten lassen muß. Noch die mit der Revision angefochtene Entscheidung war davon ausgegangen, zwischen einem Nichtanspruchsberechtigten, der einen von seiner Kasse ausgestellten Krankenschein vorlegt, und dem Arzt, der daraufhin den Patienten widerspruchslos behandelt, sei überhaupt kein Vertrag über Dienste höherer Art (Behandlungsvertrag) zustande gekommen, weil es an einer Einigung nach §§ 145 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches mangele. Unterliegt nun aber der Arzt im Zivilprozeß, so hat er mangels Anspruchsgrundlage keine Möglichkeit, sich hinsichtlich der Prozeßkosten bei der EK schadlos zu halten. Es ist deswegen für den Anspruch nach § 5 Nr. 7 AEV-1950 ausreichend, daß der Arzt durch Ausstellung einer Rechnung versucht, von seinem Patienten sein Honorar zu erhalten. Weigert sich der Patient, dann ist der Arzt berechtigt, die den Krankenschein erteilende Vertragskasse in Anspruch zu nehmen.

Diese Auffassung wird auch der Interessenlage gerecht; denn der Arzt hat im viel geringeren Maße als die Krankenkasse die Möglichkeit festzustellen, ob ein bei ihm mit Krankenschein vorsprechender Patient tatsächlich anspruchsberechtigt ist oder nicht. Er muß sich daher auf den Rechtsschein des Krankenscheins grundsätzlich verlassen dürfen, und es darf ihm nicht ein höheres Risiko - in Gestalt kostspieliger Einziehungsversuche - aufgebürdet werden als der EK.

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auf Verjährung. Wie der Senat in seinem Urteil vom 24. September 1968 - 6 RKa 17/66 - bereits entschieden hat, verjährt der Anspruch des Vertragsarztes nach § 5 Nr. 7 AEV-1950 in 30 Jahren (§ 195 BGB analog).

Da das LSG über der Anspruch des Klägers (§ 5 Nr. 7 AEV-1950) nur dem Grunde nach entschieden hat, wird es über die Höhe der Forderung des Klägers im Nachverfahren zu entscheiden haben und eine abschließende Kostenentscheidung treffen müssen. In diesem Falle liegt nämlich nur eine Vorabentscheidung über den Grund des Anspruchs i.S. des § 304 Zivilprozeßordnung vor. Die beiden Fallgruppen, in denen das Gericht nach § 130 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilen darf - § 54 Abs. 4 oder 5 SGG -, sind unterschiedlich zu behandeln. Ergeht bei einem Verfahren auf Grund einer verbundenen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG), wie sie für Leistungsstreitigkeiten der Sozialgerichtsbarkeit typisch ist, ein Grundurteil, so findet kein Nachverfahren vor dem erkennenden Gericht über die Höhe des Anspruchs statt (BSG 27, 81, 82 ff). Vielmehr wird über die Höhe des Anspruchs durch den in Ausführung des Grundurteils ergehenden Bescheid des Trägers der Leistungsverwaltung entschieden, der seinerseits selbständig anfechtbar ist (BSG aaO S. 83).

An einem solchen die Höhe der Leistung festsetzenden Verwaltungsakt fehlt es jedoch bei einem durch eine Klage nach § 54 Abs. 5 SGG eingeleiteten Verfahren. Bei einem Streit zwischen einander gleichgeordneten Beteiligten würde das Prozeßziel mangels eines der Bindungswirkung (§ 77 SGG) fähigen Feststellungsbescheids nur unvollkommen erreicht werden, wenn das Verfahren nicht nach Erlaß eines Grundurteils mit einer der Vollstreckung fähigen Entscheidung abgeschlossen werden könnte. Deshalb muß bei "echten" Leistungsklagen nicht anders als im Zivilprozeß Raum für ein Nachverfahren in dem Fall bleiben, daß die Beteiligten sich nicht nach Erlaß des Grundurteils gütlich über die Höhe der Leistung einigen und dem Gericht die Erledigung in der Hauptsache anzeigen.

 

Fundstellen

BSGE, 69

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