Leitsatz (amtlich)
Einem in der Volksrepublik Polen wohnenden polnischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1943 einen Arbeitsunfall in einem Gebiet erlitten hat, das nunmehr zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland gehört, ist die Rente vom deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ab 1972-09-01 wieder auszuzahlen.
Normenkette
RVO § 625 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30; IAOÜbk 19 Art. 1 Abs. 1 Fassung: 1925-06-05
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Juni 1975 und des Sozialgerichts Landshut vom 16. Oktober 1973 geändert:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 5. September 1972 wird insoweit aufgehoben, als er das Ruhen der Rente für die Zeit ab 1. September 1972 feststellt.
2. Im übrigen werden die Klage des Klägers abgewiesen sowie die Berufung und die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel der Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Am 19. Februar 1943 hatte er im Betrieb des Landwirts M. in Siegersdorf (Niederbayern) einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem es zum Teilverlust des Mittel-, Ring- und Kleinfingers der linken Hand gekommen war. Die Beklagte gewährte dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls durch Bescheid vom 17. September 1943 eine Dauerrente nach einer abgestuften Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 und 30 v.H. Die Rentenzahlungen an den Verletzten, der nach Abschluß der ärztlichen Behandlung in seine Heimat nach Malowka zurückgekehrt war, wurde mit Ablauf des Monats Juni 1944 eingestellt.
Im April 1972 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die Unfallrente weiterzuzahlen. Durch Bescheid vom 5. September 1972 stellte die Beklagte ab 1. Mai 1968 eine Dauerrente nach einer MdE von 30 v.H. fest, die gemäß § 625 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ruhe. Leistungen vor dem 1. Mai 1968 lehnte die Beklagte ab, weil der Anspruch insoweit nach § 29 Abs. 3 RVO verjährt sei.
Mit der beim Sozialgericht (SG) Landshut erhobenen Klage hat der Kläger begehrt, die Beklagte zur Rentenzahlung ab 1944 zu verurteilen. Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 5. September 1972 insoweit aufgehoben, als sie darin das Ruhen der Rentenzahlung festgestellt hat. Im übrigen hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Oktober 1973). Die Berufung des Klägers, mit der er seinen Rentenzahlungsanspruch ab 1944 weiterverfolgte, hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) als unzulässig verworfen, die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 10. Juni 1975). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger begehre mit der Berufung Rente von 1944 bis zum 30. April 1968, mithin für bereits abgelaufene Zeiträume. Seine Berufung sei daher gemäß § 145 Nr. 2 SGG nicht statthaft und habe nach § 158 Abs. 1 SGG als unzulässig verworfen werden müssen. Die Berufung der Beklagten sei unbegründet. Ungeachtet der Ruhensvorschrift des § 625 Abs. 1 RVO sei die Rente an den Kläger nach dem Übereinkommen Nr. 19 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlaß von Betriebsunfällen vom 5. Juni 1925, dem auch Polen beigetreten sei, zu zahlen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe die Auffassung vertreten, daß der einzelne Unfallversicherungsträger das Fehlen einer faktischen Gegenseitigkeit im Verhältnis zu Polen nicht zum Anlaß nehmen dürfe, die Rentenzahlung ins Ausland zu verweigern; ein solches unter den Begriff der Repressalie fallendes Verhalten wäre völkerrechtlich nicht dem einzelnen Versicherungsträger gestattet, vielmehr bedürfe es hierzu eines Hoheitsaktes der Bundesrepublik Deutschland, der jedoch bislang nicht ergangen sei (BSG 13, 206; 30, 226). Die von der Beklagten erwähnten Ministerialentschließungen seien für die Gerichte nicht bindend und nähmen auch zum Übereinkommen Nr. 19 nicht eindeutig Stellung.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Leistungen deutscher Versicherungsträger auf der Grundlage des Übereinkommens Nr. 19 seien unvertretbar, solange Polen nicht bereit sei, tatsächlich entsprechend dem Übereinkommen zu verfahren und an deutsche Staatsangehörige in gleichem Umfang und unter den gleichen Voraussetzungen Leistungen wie an eigene Staatsangehörige zu gewähren. Sie sehe sich in dieser Auffassung - zumindest im Ergebnis - auch durch die Rechtsprechung des BSG bestätigt. Danach sei es von Bedeutung, ob seitens des Staates, also aus dem politischen Bereich, eine Erklärung vorliege, "welche die Beklagte zu einem Vorgehen im Sinne von Repressalien gegenüber polnischen Rentenempfängern ermächtigen könnte (BSG 13, 206, 210; 30, 226, 228). Eine solche Erklärung sei durch den insoweit sachlich zuständigen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) nach Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt durch Schreiben vom 22. Februar 1974 - IV b 5 - 4537 - P6 - VIII - 1104/74 - abgegeben worden. Das Schreiben empfehle eine bestimmte Formulierung, mit der Rentenzahlungen an im polnischen Hoheitsgebiet einschließlich der früheren deutschen Ostgebiete lebende Personen wegen Ruhens der Leistungen abgelehnt werden. Damit habe die Bundesrepublik Deutschland die Versicherungsträger zur Verweigerung der Rentenzahlungen ermächtigt. Als weitere Besonderheit komme hier hinzu, daß der Kläger im früheren B in Oberschlesien lebe. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 26. Februar 1965 - 5 RKn 49/60) beständen gegen eine Rentengewährung solange Bedenken, als nicht feststehe, ob und inwieweit die für diese Gebiete nunmehr zuständigen polnischen Versicherungsträger für die dort wohnenden Deutschen die Unfallentschädigungsansprüche nicht nur aus Billigkeitsgründen übernommen haben. Das LSG habe überdies versäumt, den Sachverhalt hinreichend aufzuklären. In Anbetracht der hier bestehenden Besonderheiten zur Rechtslage in den vorliegend interessierenden Ostgebieten hätten sich dem LSG weitere Ermittlungen geradezu aufdrängen müssen. Da das LSG dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, habe es gegen die §§ 103 und 106 SGG verstoßen. Das LSG habe auch den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) nicht gesetzeskonform angewandt. Es verstoße nämlich gegen die Denkgesetze, daß das LSG einerseits ausführe, Rentenzahlungen ins Ausland dürften nur nach entsprechender Billigung durch die Bundesrepublik Deutschland versagt werden, andererseits jedoch die dahingehenden Ministerialentschließungen als für die Gerichte nicht bindend bezeichne.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Juni 1975 sowie des Sozialgerichts Landshut vom 16. Oktober 1973 aufzuheben, die Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen und die Klage abzuweisen,
hilfsweise
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Juni 1975 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten zugestimmt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet.
Die Beklagte hat dem Kläger die durch Bescheid vom 5. September 1972 als ruhend festgestellte Rente ab 1. September 1972 auszuzahlen.
Da der Kläger den Arbeitsunfall im Zusammenhang mit einer Beschäftigung in einem Gebiet erlitten hat, das nunmehr zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland gehört, handelt es sich um keinen Fremdrentenfall (vgl. § 5 des Fremdrentengesetzes). Die Entscheidung ist vielmehr aufgrund der Vorschriften der RVO und zwischenstaatlichen Rechts zu treffen.
Nach § 625 Abs. 1 Nr. 1 RVO ruhen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, solange der Berechtigte weder Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) noch früherer deutscher Staatsangehöriger im Sinne des Art. 116 Abs. 2 GG ist und sich freiwillig gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs des GG aufhält. Diese durch das am 1. Juli 1963 in Kraft getretene Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz -UVNG- vom 30. April 1963 (BGBl I 241) in die RVO eingefügte Vorschrift gilt auch für Arbeitsunfälle, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind (Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG). Seine Voraussetzungen treffen auf den Kläger zu. Er hatte zur Zeit des Unfalls und hat auch jetzt die polnische Staatsangehörigkeit; sein Wohnort P (früher B) liegt zwar innerhalb der früheren deutschen Ostgebiete, aber außerhalb des Geltungsbereichs des GG.
Die Anwendung des § 625 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist im vorliegenden Fall jedoch für die Zeit ab 1. September 1972 durch das Übereinkommen Nr. 19 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlaß von Betriebsunfällen vom 5. Juni 1925 ausgeschlossen. Wie der erkennende Senat bereits ausgeführt hat (BSG 30, 226, 227), war das Übereinkommen Nr. 19 für Polen am 28. Februar 1928 und für das Deutsche Reich am 18. September 1928 in Kraft getreten (vgl. Bekanntmachung vom 27. Dezember 1928 RGBl II 1929, 13). Nach dem späteren Austritt des Deutschen Reiches aus der IAO im Jahre 1933 und seinem Zusammenbruch mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland in einer Erklärung vom 12. Juni 1951 anerkannt, daß die Verpflichtungen aus den vom Deutschen Reich ratifizierten Übereinkommen der IAO für sie verbindlich sind, soweit diese Verpflichtungen im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind oder entstehen (vgl. Erlaß des BMA vom 8. August 1951, BABl 1951, 389). Diese Erklärung gilt auch für das Übereinkommen Nr. 19. Es geht der Ruhensvorschrift des § 625 Abs. 1 Nr. 1 RVO vor (vgl. Art. 25 GG).
Nach Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 19 verpflichtet sich jedes Mitglied der IAO, das dieses Übereinkommen ratifiziert, den Staatsangehörigen jedes anderen, das Übereinkommen ratifizierenden Mitglieds, die auf seinem Gebiet einen Betriebsunfall erlitten haben, oder ihren Hinterbliebenen die gleiche Behandlung bei der Entschädigung aus Anlaß von Betriebsunfällen zu gewähren wie seinen eigenen Staatsangehörigen. Das in dieser Vorschrift zum Ausdruck gebrachte Prinzip der Gleichbehandlung bedeutet, daß ausländische Staatsangehörige ebenso wie Deutsche zu behandeln sind. Sofern und solange deutsche Staatsangehörige in gewissen Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs des GG keine Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten, sind solche Leistungen auch den nach dem Übereinkommen Nr. 19 berechtigten Personen eines anderen Mitgliedsstaates in diesen Gebieten nicht zu gewähren (vgl. Pesch, SGb 1968, 59, 60; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 43 zu § 625). Das LSG hat im angefochtenen Urteil nicht geprüft, ob deutschen Staatsangehörigen, die in der Volksrepublik Polen wohnen, wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls, den sie in einem Gebiet erlitten haben, das nunmehr zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland gehört, von einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung Leistungen gewährt werden. Die Frage nach der Anwendung des Übereinkommens Nr. 19 stellt sich jedoch erst, wenn eine solche Leistungsgewährung vorliegt. Das ist für die Vergangenheit zu verneinen. Nach den Ausführungen der Bundesregierung in der Denkschrift zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung und der Vereinbarung über die pauschale Abgeltung von Rentenansprüchen vom 9. Oktober 1975 (Bundesrats-Drucksache 633/75 vom 17. Oktober 1975 S. 16) werden Renten aus der deutschen Renten- und Unfallversicherung nach Polen im allgemeinen nicht gezahlt. Lediglich in wenigen Fällen werden Renten nach Zentralpolen - etwa 1.700 Renten -, in die früheren deutschen Ostgebiete jedoch überhaupt nicht gezahlt. Von diesen tatsächlichen Verhältnissen ist bei der Beantwortung der Frage nach der Anwendung des Übereinkommens Nr. 19 auszugehen, und zwar unbeschadet dessen, daß die RVO beim Aufenthalt eines Deutschen oder früheren deutschen Staatsangehörigen im Sinne des Art. 116 GG außerhalb des Geltungsbereichs des GG ein Ruhen der Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht vorsieht (Gegenschluß aus § 625 RVO). Es kann auch dahinstehen, aufgrund welcher vorwiegend politischen Umstände es zu dieser Entwicklung gekommen ist. Da deutschen Staatsangehörigen in die hier betreffenden Gebiete keine Renten aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gezahlt worden sind, ist das Prinzip der Gleichbehandlung nicht verletzt, wenn auch polnische Staatsangehörige wegen der Folgen eines im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland erlittenen Arbeitsunfalls keine Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung erhalten, solange sie in den früheren deutschen Ostgebieten wohnen.
In der Erkenntnis, daß der Zustand der gesetzlich nicht geregelten gegenseitigen Leistungsverweigerung nicht länger haltbar ist und für die Zukunft eine Klärung herbeigeführt werden muß, hat die Bundesrepublik Deutschland das Rentenabkommen vom 9. Oktober 1975 geschlossen (vgl. Bundesrats-Drucksache 633/75 aaO S. 1 und 16). Das Abkommen befindet sich gegenwärtig im Ratifizierungsverfahren. Unabhängig von diesem Rentenabkommen, dessen Vorschriften noch kein geltendes Recht sind und die daher auf die Entscheidung dieses Rechtsstreits keinen Einfluß haben, aber im sachlichen Zusammenhang mit dem Rentenabkommen, haben die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen in einem am 7. Oktober 1975 vollzogenen Notenwechsel vereinbart, daß die deutschen und polnischen Versicherungsträger vom 1. September 1972, dem Zeitpunkt der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, im Rahmen der Verpflichtungen beider Staaten als Mitgliedsstaaten der IAO die gegenseitige Rentenzahlung gemäß dem Übereinkommen Nr. 19 aufnehmen werden. Das bedeutet, daß die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten gleichbehandelt werden müssen (Bundesrats-Drucksache 633/75 aaO S. 18).
Für die Zeit ab 1. September 1972 sind daher die deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung verpflichtet, deutschen Staatsangehörigen, die in der Volksrepublik Polen wohnen, wegen der Folgen einen Arbeitsunfalls, den sie in einem Gebiet erlitten haben, das nunmehr zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland gehört, Leistungen zu gewähren. Aus dem Prinzip der Gleichbehandlung folgt daraus gemäß Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 19 für Staatsangehörige der Volksrepublik Polen, die in einem zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland gehörenden Gebiet einen Arbeitsunfall erlitten haben, daß auch ihnen wegen der Folgen des Arbeitsunfalls von den Trägern der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung Leistungen zu zahlen sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, an welchem Ort innerhalb der Volksrepublik Polen sie wohnen. Die Verbalnoten vom 7. Oktober 1975 sind ihrem Inhalt nach als eine völkerrechtliche Vereinbarung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 des Übereinkommens Nr. 19 anzusehen (vgl. Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Stichwort: Verbalnote; Dahm, Völkerrecht, Bd. III S. 72; Wengler, Völkerrecht S. 210), die unbeschadet einer etwa nicht bestehenden Einigung der Vertragsstaaten über den Status der früheren deutschen Ostgebiete rechtliche Wirkungen auch für diese im Machtbereich der Volksrepublik Polen liegenden Gebiete herbeiführt. Sie ist am 7. Oktober 1975 in Kraft getreten.
Da die Gleichbehandlung polnischer Staatsangehöriger mit deutschen Staatsangehörigen erst für die Zeit ab 1. September 1972 zur Gewährung von Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung führt und durch den Notenwechsel vom 7. Oktober 1975 die tatsächliche Aufnahme der Zahlungen durch die Versicherungsträger beider Vertragsstaaten völkerrechtlich verbindlich vereinbart worden ist, bedarf es keiner Ausführungen mehr darüber, ob - wie die Beklagte behauptet - die deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch die Bundesregierung als ermächtigt anzusehen sind, wegen fehlender Gegenseitigkeit Rentenzahlungen an polnische Staatsangehörige nach Polen zu verweigern. Dieses Problem stellt sich gegenwärtig nicht.
Für die Rentenzahlungen ab 1. September 1972 aufgrund der Verbalnoten vom 7. Oktober 1975 ist es, wie bereits ausgeführt wurde, unerheblich, ob die Berechtigten - polnische Staatsbürger und Deutsche - in Zentralpolen oder in den früheren deutschen Ostgebieten wohnen. Das Übereinkommen Nr. 19 bestimmt in Art. 1 Abs. 2 Satz 1 ausdrücklich, daß die Gleichbehandlung ohne Rücksicht auf den Wohnsitz gewährt wird.
Der Hinweis der Beklagten auf das Urteil des 5. Senats vom 26. Februar 1965 - 5 RKn 49/60 - (Sozialrechtl. Entscheidung Slg. BSG IV Nr. 4 zu § 615 RVO) führt im Hinblick auf die inzwischen eingetretene Änderung der Rechtslage zu keinem anderen Ergebnis. Eine Rentengewährung an den Kläger ab 1. September 1972 entfällt nicht wegen des nach Meinung der Beklagten hier anzuwendenden Rechtsgrundsatzes, daß Personen, die vom Versorgungssystem ihres Aufenthaltsstaates erfaßt werden, Leistungsansprüche nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr geltend machen können. Den durch die Rechtsprechung entwickelten "Wohnsitzgrundsatz" (BSG 3, 286; 11, 271; 17, 144) hat der 5. Senat zwar in gewissem eingeschränkten Umfang für die früheren deutschen Ostgebiete angewendet (vgl. aber auch Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 21. Dezember 1971 - GS 6/71 - Bd. 33, 280, 283). Das Urteil des 5. Senats (aaO) konnte jedoch noch nicht von einer völkerrechtlich geregelten Gleichbehandlung deutscher und polnischer Staatsangehöriger und der Anwendung des Übereinkommens Nr. 19 ausgehen, weshalb die Entscheidung im vorliegenden Fall keine Abweichung von der vom 5. Senat entschiedenen Rechtsfrage darstellt, die zu einer Anrufung des Großen Senats nötigen würde (§ 42 SGG).
Auf die von der Beklagten gerügten Verfahrensmängel braucht nicht eingegangen zu werden. Sie beziehen sich auf Tatsachen, die für die Entscheidung ohne rechtliche Bedeutung sind.
Hinsichtlich des Zahlungsbeginns ab 1. September 1972 weicht der erkennende Senat nicht vom Urteil des 8. Senats vom 22. Oktober 1975 (8 RU 236/74) ab, das einen gleichartigen Fall betrifft. Dem Urteil des 8. Senats, das das Problem der Gleichbehandlung polnischer Staatsangehöriger mit deutschen Staatsangehörigen als Voraussetzung für die Anwendung des Übereinkommens Nr. 19 und die Auswirkungen der Verbalnoten vom 7. Oktober 1975 nicht behandelt, ist zwar im Ergebnis zuzustimmen. Wie der 8. Senat kommt auch der erkennende Senat, allerdings mit einer wesentlich anderen Begründung, zu dem gleichen Ergebnis, daß nämlich einem polnischen Staatsangehörigen wegen der Folgen eines Unfalls, den dieser in einem Gebiet erlitten hat, das nunmehr zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland gehört, von dem zuständigen deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund des Übereinkommens Nr. 19 Leistungen an seinem Wohnort in Polen zu gewähren sind. Den Beginn der Leistungsgewährung hat der 8. Senat offengelassen. Er hat die Revision des beklagten Versicherungsträgers gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts zurückgewiesen, durch die dieser verurteilt worden war, dem Kläger wegen eines Arbeitsunfalls vom 17. März 1943 Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Von welchem Zeitpunkt an die Rente zu zahlen ist, hat der 8. Senat ausdrücklich der Prüfung durch den beklagten Versicherungsträger überlassen. Seine Erwägungen, daß der Kläger eine Rente erst ab Antragstellung begehrt und möglicherweise Verjährungsvorschriften zu berücksichtigen sind, tragen die Entscheidung nicht.
Da im vorliegenden Fall eine Zahlung der Unfallrente an den Kläger erst ab 1. September 1972 in Betracht kommt, mußte auf die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG dieses geändert werden. Der Bescheid der Beklagten vom 5. September 1972 ist nur insoweit aufzuheben, als er das Ruhen der Rente für die Zeit ab 1. September 1972 feststellt. Für die Zeit davor ist das Ruhen der Rente zu Recht angeordnet und die Klage abgewiesen worden. Die weitergehende Berufung und die weitergehende Revision der Beklagten konnten keinen Erfolg haben; sie waren deshalb zurückzuweisen. Da der Kläger gegen das Urteil des LSG keine Revision eingelegt hat, bleibt der Ausspruch bestehen, daß die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG verworfen wird. Im Hinblick auf den nunmehrigen Beginn der Rentenzahlung ab 1. September 1972 und nicht schon ab 1. Mai 1968 war die gemäß § 193 zu treffende Kostenentscheidung gleichfalls zu ändern.
Fundstellen