Leitsatz (amtlich)
Die Aufhebung des § 2 Abs 5 S 2 Nr 1 Buchst a BKGG idF vom 31.1.1975 (BGBl I 1975, 412) durch Art 1 Nr 1 des 8. Gesetzes zur Änderung des BKGG vom 14.11.1978 (BGBl I 1978, 1757), wonach vom Ablauf der vom 1.1. bis 31.12.1979 geltenden Übergangsregelung an im Ausland lebende Kinder auch dann nicht mehr berücksichtigt werden, "wenn die Berechtigten mindestens 15 Jahre lang einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG gehabt haben", verletzt weder den Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 und 3 GG), noch das Schutzgebot gegenüber Ehe und Familie (Art 6 Abs 1 GG), noch das Rechts- und Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 und 3 GG).
Orientierungssatz
Kinder von Eltern ausländischer Staatsangehörigkeit haben unabhängig von ihrem Alter und Geburtsort keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, solange sie sich im Heimatstaat in Ausbildung befinden, auch wenn sie zuvor bei ihren Eltern im Bundesgebiet gelebt haben. Den Eltern kann ein Kindergeldanspruch für diese Kinder nur nach zwischenstaatlichen Abkommen zustehen.
Normenkette
BKGG § 2 Abs 5 S 2 Nr 1 Buchst a Fassung: 1975-01-31; BKGGÄndG 8 Art 1 Nr 1 Fassung: 1978-11-14; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 3 Abs 3 Fassung: 1949-05-23; GG Art 6 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 3 Fassung: 1949-05-23; BKGG § 1 Nr 2, § 2 Abs 5 S 1; SGB 1 § 30 Abs 3 S 1 Fassung: 1975-12-11; SGB 1 § 30 Abs 3 S 2 Fassung: 1975-12-11
Verfahrensgang
SG Stuttgart (Entscheidung vom 25.08.1980; Aktenzeichen S 6 Kg 357/80) |
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch der Kläger auf das gesetzliche Kindergeld ab 1. Januar 1980 für ihre in der Türkei und in Jugoslawien lebenden Kinder.
Der Kläger zu 1. ist türkischer Staatsangehöriger. Er erhielt für seine beiden in der Türkei wohnhaften minderjährigen Kinder Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Der Kläger zu 2. ist jugoslawischer Staatsangehöriger. Er erhielt für seine vier in Jugoslawien lebenden Kinder Kindergeld nach dem BKGG. Durch Bescheide vom 15. November 1979 und 7. November 1979 entzog die Beklagte den Klägern das Kindergeld mit Ablauf des Monats Dezember 1979. Ab 1. Januar 1980 würden Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG hätten, nicht mehr berücksichtigt (§ 2 Abs 5 Satz 1 BKGG idF des Gesetzes vom 14. November 1978 iVm der Übergangsregelung des Art 2 Abs 1 dieses Gesetzes). Die Widerspruchsverfahren blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 7. Januar 1980). Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die von den Klägern eingereichten Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 25. August 1980 abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Sie halten § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG und die darauf beruhenden Entscheidungen der Beklagten und des SG für verfassungswidrig und beantragen,
das Urteil des SG Stuttgart vom 25. August 1980 und
die Bescheide der Beklagten vom 7. und 15. November 1979
in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7. Januar 1980
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen für ihre
in der Türkei und in Jugoslawien lebenden Kinder Kindergeld
in der von § 10 BKGG vorgesehenen Höhe über den Monat
Dezember 1979 hinaus zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen. Den Klägern steht für ihre in der Türkei und in Jugoslawien wohnenden Kinder ab 1. Januar 1980 Kindergeld nicht mehr zu.
Der Anwendung des durch das 8. Gesetz zur Änderung des BKGG vom 14. November 1978 (BGBl I S 1757) neu gefaßten § 2 Abs 5 BKGG stehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Diese Vorschrift bringt das Territorialitätsprinzip wieder verstärkt zur Geltung, indem sie Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG haben, bei der Gewährung des Kindergeldes nach dem BKGG nicht berücksichtigt. Darauf weisen die Gesetzesmaterialien ausdrücklich hin (BT-Drucks 8/2102, 4/5; BT-Drucks 8/2183, 6/7). Bedenken des Bundesrates gegen diese Neuregelung waren nicht verfassungsrechtlicher Art (BT-Drucks 8/2120, 9). Der erkennende Senat hat schon im Urteil vom 22. Januar 1981 (10/8b RKg 7/79 = SozR 5870 § 2 Nr 21) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 23, 258 ff) und des Bundessozialgerichts -BSG- (BSGE 25, 295 ff; BSG SozR 5870 § 2 Nr 11) Regelungen des Kindergeldrechts, die auf dem Territorialitätsgrundsatz beruhen, für verfassungsmäßig erachtet.
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) wird durch § 2 Abs 5 BKGG nicht verletzt. Sinn und Zweck des mit dem Kindergeld beabsichtigten Familienlastenausgleichs im Geltungsbereich des Gesetzes rechtfertigen es, im Inland lebende Kinder anders zu behandeln als im Ausland lebende. Kinder, die im Ausland leben, verursachen zwar durch ihre Unterbringung und den sonstigen Unterhalt ebenso Kosten, wie im Inland lebende Kinder. Das Kindergeldrecht dient jedoch nicht dem Ausgleich jeder von Kindern ausgehenden finanziellen Belastung, sondern will nur die Familien im Geltungsbereich des Gesetzes begünstigen, in denen Kinder dauernd leben. Derjenige, der einem Kind im Geltungsbereich des Gesetzes eine Heimstatt bietet und sich um sein persönliches Wohl kümmert, soll für die damit verbundenen persönlichen und finanziellen Opfer einen Ausgleich von der Gesellschaft erhalten (BVerfGE 22, 163, 169, 173; 23, 258, 263, 264; BSG SozR 5870 § 2 Nr 11).
In der Begrenzung auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, den Geltungsbereich des BKGG (vgl hierzu den Grundsatz des § 1 Nr 1 BKGG) kommt der das Kindergeldrecht beherrschende Gedanke zum Ausdruck: Wer im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein Kind aufzieht und dadurch einen Beitrag zur künftigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz der Gesellschaft in diesem Staat leistet, soll dafür einen gewissen Ausgleich von der Gesellschaft erhalten. Dabei konnte der Gesetzgeber grundsätzlich nur von den im Bundesgebiet erzogenen und aufgewachsenen Kindern das Hineinwachsen in die politische, wirtschaftliche und soziale Verbundenheit der Gesellschaft dieses Staatsgebietes erwarten, nicht aber von Kindern, die im Ausland leben und deshalb mit Wahrscheinlichkeit in die dort existierende staatliche Gesellschaft und somit gerade nicht in die der Bundesrepublik Deutschland hineinwachsen werden. Das lassen insbesondere die in § 2 Abs 5 Satz 2 BKGG angezogenen Sondertatbestände des § 1 Nr 2 BKGG erkennen. In diesen Fällen bleibt trotz und während des Auslandsaufenthalts der Eltern und Kinder oder der Eltern oder Kinder allein der Anspruch auf Kindergeld dann erhalten, wenn der Auslandsaufenthalt entweder zeitlich begrenzt (vgl § 1 Nr 2 Buchst a BKGG) oder von seinem Anlaß her nicht geeignet ist, die Bindungen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art zur Bundesrepublik zu lösen (vgl § 1 Nr 2 Buchst b, c und d BKGG).
Auch ein Verstoß gegen Art 3 Abs 3 GG ist nicht zu erkennen. § 2 Abs 5 BKGG benachteiligt niemanden wegen seiner Abstammung, seiner Heimat oder Herkunft. Denn danach haben nicht nur Ausländer, sondern auch Deutsche für die Kinder, welche weder einen Wohnsitz noch den gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG haben, keinen Anspruch auf das gesetzliche Kindergeld.
§ 2 Abs 5 BKGG verletzt auch nicht Art 6 Abs 1 GG, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Denn dieser verfassungsrechtliche Schutzauftrag gebietet dem Staat nicht, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen (BVerfGE 23, 258, 263).
Verfassungsrechtlich unbedenklich ist endlich, daß der Gesetzgeber die frühere Regelung des § 2 Abs 5 Satz 2 Nr 1a BKGG ab 1. Januar 1979 gestrichen hat. Danach hatten Ausländer, die insgesamt mindestens 15 Jahre lang einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG gehabt hatten, Anspruch auf gesetzliches Kindergeld auch für Kinder, die hier weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Der Wegfall dieser früheren, die Ausländer begünstigenden Regelung verletzt weder den Gleichbehandlungsgrundsatz noch das Rechts- und Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 3 GG). Der Gesetzgeber kann Durchbrechungen des Territorialitätsprinzips zulassen, sie aber auch wieder beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht hat in den bereits genannten Entscheidungen wiederholt ausgesprochen, daß der Gesetzgeber gerade im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit einen weiten Gestaltungsspielraum hat. In diesem Bereich ist somit das Vertrauen auf den Fortbestand der den Ausländern günstigen Regelung des § 2 Abs 5 Satz 2 Nr 1a BKGG aF für die Zukunft grundgesetzlich nicht geschützt. Einen gewissen Vertrauensschutz hat der Gesetzgeber diesem Personenkreis gleichwohl durch die bis zum 31. Dezember 1979 geltende Übergangsregelung gewährt.
Nach alledem steht den Klägern ab 1. Januar 1980 der Anspruch auf das gesetzliche Kindergeld für ihre in der Türkei und in Jugoslawien lebenden Kinder nicht mehr zu. Gemäß der in der mündlichen Verhandlung gegebenen Zusage wird die Beklagte jedoch die Kindergeldanträge der Kläger nunmehr als Anträge auf Kindergeld nach den mit den Heimatstaaten der Kläger bestehenden Sozialversicherungsabkommen behandeln und verbescheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen