Leitsatz (amtlich)
Nach Auflösung einer dritten Ehe lebt der Anspruch auf Witwenrente nicht nach AVG § 68 Abs 2 (= RVO § 1291 Abs 2) wieder auf (Anschluß an BSG 1965-06-23 11/1 RA 70/62 = BSGE 23, 124, 127; BSG 1971-01-21 4 RJ 227/70 = SozR Nr 30 zu § 1291 RVO; BSG 1973-05-23 9 RV 344/72 = SozR Nr 19 zu § 44 BVG und Fortführung von BSG 1977-07-21 GS 1/76, GS 2/76).
Normenkette
AVG § 68 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 18.09.1975; Aktenzeichen S 1 An 3005/74) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. September 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus dem Versicherungsverhältnis ihres ersten Ehemannes Dr. Max F (Dr. E.) wieder aufgelebt ist.
Die im Jahre 1900 geborene Klägerin hatte Dr. E. 1926 geheiratet; die Ehe endete durch dessen Tod im Jahre 1942. In der Folge war die Klägerin noch zweimal verheiratet: Die zweite Ehe wurde 1957 geschieden, der dritte Ehemann starb im Jahre 1963.
Ihren erst 1974 gestellten Antrag auf Witwenrente nach Dr. E. lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß eine Frau, die nach dem Tode des Versicherten noch mehrmals verheiratet gewesen sei, nicht mehr dessen Witwe sei (Bescheid vom 19. Juli 1974).
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) im angefochtenen Urteil vom 18. September 1975 abgewiesen. Das Gericht ist unter Bezug auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Auffassung, daß eine ehemalige Ehefrau nur nach Auflösung der Ehe, "die ihrem Witwenstand gefolgt" sei, wieder Anspruch auf Witwenrente habe.
Gegen dieses Urteil hat das SG die Revision zugelassen (Beschluß vom 19. Mai 1976).
Die Klägerin hat die Revision eingelegt. Mit ihr trägt sie vor, man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Sozialversicherer einen unberechtigten Vorteil gewinne, wenn er nicht nur während der Dauer einer späteren Ehe der früheren Ehefrau des Versicherten, sondern auch noch nach dem Ende dieser Ehe keine Hinterbliebenenrente zahle. Der Gesetzgeber verwende den Ausdruck "Witwe" nicht gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch. Nicht überzeugend erscheine es, auf den gesetzestechnischen Standort der Regelung abzustellen. Verständlicherweise ordne der Gesetzgeber das Wiederaufleben der Rente dann an, wenn der Grund für den Rentenwegfall, die erneute Heirat nämlich, entfallen sei. Eine unterschiedliche Regelung der hier streitigen Frage im Vergleich zum Beamtenrecht verstoße gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Daß der Gesetzgeber § 68 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) im Neunzehnten Rentenanpassungsgesetz (19. RAG) nicht geändert habe, lasse nicht den Schluß zu, er stimme den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu. Die vom Großen Senat des BSG im Beschluß vom 21. Juli 1977 - GS 1,2/76 - zur Frage einer Witwenrentenabfindung anläßlich einer zweiten Wiederheirat entwickelte Rechtsauffassung könne nicht überzeugen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu verurteilen, ihr Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann Dr. E. zu gewähren,
hilfsweise,
die Sache dem Großen Senat des Bundessozialgerichts zur Entscheidung vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die bisherige ablehnende Rechtsprechung des BSG für zutreffend. Ihrer Auffassung nach ist im übrigen noch nicht geklärt, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Wiederheirat im Jahre 1947 in den Vereinigten Staaten von Amerika überhaupt Anspruch aus der Versicherung ihres verstorbenen ersten Ehemannes gehabt habe; dies aber setze § 68 Abs 2 AVG voraus.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Sprungrevision ist nicht begründet.
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin aus dem Versicherungsverhältnis ihres bereits im Jahre 1942 verstorbenen ersten Ehemannes kann nur § 68 Abs 2 AVG (= § 1291 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) in der bis zum Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 am 1. Januar 1973 (Art 6 Abs 1 aaO) gültig gewesenen Fassung sein (vgl auch die Überleitungsvorschrift des Art 2 § 25 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - idF des RRG). Nach § 68 Abs 2 Satz 1 AVG in der - alten - Fassung (aF) des AnVNG vom 23. Februar 1957 (= § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG - vom 23. Februar 1957) lebt dann, wenn sich eine Witwe wieder verheiratet und diese Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst wird, der Anspruch auf Witwenrente wieder auf. Diese Vorschrift gilt nach Art 2 § 25 Abs 1 AnVNG aF (= Art 2 § 26 Abs 1 ArVNG aF) nur, wenn die neue Ehe nach dem Inkrafttreten des AnVNG (ArVNG) aufgelöst worden ist; mittelbar ist hierdurch, was nicht näher begründet zu werden braucht, zugleich bestimmt, daß § 68 Abs 2 AVG aF auch für vor dem Inkrafttreten des AnVNG am 1. Januar 1957 eingetretene Versicherungsfälle gilt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl den 11. Senat in BSGE 23, 124, 127 = SozR Nr 5 zu § 1302 RVO, den 5. Senat in SozR Nr 2 zu § 83 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -, den 4. Senat in SozR Nr 30 zu § 1291 RVO; zu der vergleichbaren Vorschrift in der Kriegsopferversorgung vgl ferner den 9. Senat des BSG in SozR Nr 19 zu § 44 BVG) lebt der Anspruch auf Witwenrente nur nach Auflösung einer zweiten, also nicht nach Auflösung einer dritten - und weiteren - Ehe wieder auf. Der Senat könnte mithin dem Begehren der Klägerin nur entsprechen, wenn er von der genannten ständigen Rechtsprechung des BSG abweichen wollte. Dann aber müßte er die Rechtsfrage gemäß § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem Großen Senat des BSG zur Entscheidung vorlegen. Indessen hat der Große Senat diese Rechtsfrage in seinem - zur Veröffentlichung bestimmten - Beschluß vom 21. Juli 1977 - GS 1/76, GS 2/76 - soeben erst jedenfalls mittelbar in einer der Auffassung der Klägerin entgegenstehenden Weise entschieden. Es ist zwar richtig, daß der Große Senat unmittelbar nur entschieden hat, daß einer Witwe Witwenrentenabfindung nach § 81 AVG (= § 1302 RVO) aus Anlaß einer neuen Eheschließung "nur bei der ersten Wiederheirat" gewährt werden kann. In den Gründen seiner Entscheidung hat der Große Senat keine begründbaren Zweifel gelassen, daß er die rechtliche Tragweite des anspruchsbegründenden Merkmals der "Wiederheirat" der Witwe in § 68 Abs 2 AVG nicht anders beurteilt wie in § 81 AVG. So zitiert der Große Senat zur Stützung seiner Rechtsauffassung eingehend und ausdrücklich die in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Wiederaufleben der Witwenrente angestellten Überlegungen und hebt insbesondere hervor, daß sowohl Witwenrentenabfindung wie Wiederaufleben der Witwenrente dem gleichen sozialpolitischen Zweck - Erleichterung einer Wiederheirat, Vermeidung von "Onkelehen" - dienen (vgl zB S 15, 17, 19, 20, 23 aaO). Getragen wird die Entscheidung des Großen Senats letztlich von der Auffassung, daß sich eine "unbegrenzte Fortsetzung der vom ersten Ehemann abgeleiteten Versorgungskette" unter rechtssystematischen und rechtspolitischen Gesichtspunkten nicht rechtfertigen lasse. Eine solche nach Auffassung des Großen Senats ungerechtfertigte Fortsetzung der "Versorgungskette" über eine zweite Eheschließung hinaus liegt aber, wie nicht ausgeführt zu werden braucht, stärker noch in einem Wiederaufleben der Witwenrente nach der dritten Eheschließung als in einer erneuten Hinterbliebenenrentenabfindung.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kann sich der erkennende Senat nicht veranlaßt sehen, die hier streitige Rechtsfrage dem Großen Senat - nochmals - zur Entscheidung vorzulegen. Im Anschluß an die gesicherte Rechtsprechung des BSG ist vielmehr davon auszugehen, daß nach Auflösung einer dritten Ehe - einer zweiten, nach dem Tode des Versicherten geschlossenen Ehe - kein Leistungsanspruch nach § 68 Abs 2 RVO mehr besteht.
Bei den vorliegenden Gegebenheiten braucht nicht weiter geprüft zu werden, inwieweit die Klägerin nach dem Tode ihres Ehemannes überhaupt rentenberechtigt gewesen ist und ihren Antrag überhaupt fristgerecht gestellt hat.
Das den Anspruch der Klägerin verneinende Urteil des SG trifft nach allem zu, so daß ihre Revision hiergegen als unbegründet zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen