Leitsatz (amtlich)

AnVNG Art 2 § 3 bietet keine Rechtsgrundlage für "neue" Befreiungen von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung. Gleichstellungsbeschlüsse nach früherem Recht (AVG § 17 aF, RVO § 174 Fassung: 1945-03-17) können nach dem Inkrafttreten des AnVNG nicht mehr die Grundlage für den Erlaß von Gewährleistungsbescheiden und damit für Befreiungen von der Versicherungspflicht sein.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 17 Fassung: 1945-03-17; RVO § 174 Fassung: 1945-03-17

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. September 1962 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Dezember 1959 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger beantragte im Mai 1959 bei dem Beklagten, elf bei ihm - dem Kläger - angestellte Ingenieure, die er namentlich bezeichnete, von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (AnV) zu befreien; er berief sich auf einen "Gleichstellungsbeschluß nach § 17 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF" des früheren Reichsversicherungsamts (RVA) vom 16. Januar 1942. Dieser Gleichstellungsbeschluß lautet:

"I. Die §§ 11, 12 Nr. 1, 2, §§ 14 und 16 des Angestelltenversicherungsgesetzes gelten ab 1. April 1942 für die bei den Technischen Überwachungsvereinen B, B, C, E, F, F, H, H, K, K, M, M, M, S, W W und D beschäftigten Angestellten,

a) denen gegenüber dem Verein ein Anrecht auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung zugesichert ist und

b) bei denen die Kündigung auf wichtige Gründe im Sinne des § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches beschränkt ist sowie

c) deren Versorgungsansprüche durch die Mitgliedschaft des Vereins bei der Alters- und Hinterbliebenen-Versorgungsstelle Deutscher Dampfkessel-Überwachungsvereine gesichert sind.

Ob im einzelnen nach den Anstellungsverträgen eine Gewährleistung der Anwartschaften im Sinne des § 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes vorliegt, bleibt der Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörde (§ 11 Abs. 3) vorbehalten."

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. Juli 1959 ab: Die Voraussetzungen für die Befreiung der Angestellten lägen nach den neuen Vorschriften (§ 8 Abs. 1 AVG idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -) nicht mehr vor, da der Kläger keine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei; auch auf die Übergangsvorschrift des Art. 2 § 3 AnVNG könne die Befreiung nicht gestützt werden.

Mit der Klage beim Sozialgericht (SG) machte der Kläger geltend, der Gleichstellungsbeschluß des RVA sehe die Befreiung der bei ihm angestellten Ingenieure von der Versicherungspflicht vor, er habe konstitutive Wirkung, er gelte nach Art. 2 § 3 AnVNG weiter und verpflichte den Beklagten, einen "Gewährleistungsbescheid" zu erteilen und "damit die Befreiung von der Versicherungspflicht deklaratorisch auszusprechen."

Der Beklagte vertrat die Auffassung, Art. 2 § 3 AnVNG bedeute nur die Weitergeltung einer vor 1957 erreichten Versicherungsfreiheit; in den Fällen, in denen vor Inkrafttreten des AnVNG ein Gewährleistungsbescheid nicht erteilt worden sei, fehle eine Voraussetzung der Versicherungsfreiheit; Art. 2 § 3 AnVNG gebe keine Möglichkeit, diese Voraussetzung nachträglich zu schaffen.

Das SG wies die Klage durch Urteil vom 8. Dezember 1959 ab, es folgte der Auffassung des Beklagten.

Der Kläger legte Berufung ein und beantragte, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des SG und des Bescheids des Beklagten vom 8. Juli 1959 zu verurteilen, über die Gewährleistung der Anwartschaft für die in der Klageschrift bezeichneten Ingenieure des Klägers zu entscheiden.

Das Landessozialgericht (LSG) lud die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Berlin zum Rechtsstreit bei. Die AOK folgte der Ansicht des Beklagten; einen besonderen Antrag stellte sie nicht.

Mit Urteil vom 21. September 1962 hob das LSG das Urteil des SG und den Bescheid des Beklagten vom 8. Juli 1959 auf; es verurteilte den Beklagten, dem Kläger einen Bescheid zu erteilen und hierin über die Gewährleistung der Anwartschaft der elf namentlich bezeichneten Ingenieure zu entscheiden. Das LSG führte aus, der Kläger habe zwar keinen Anspruch auf Befreiung der bei ihm angestellten Ingenieure nach § 8 AVG, weil er unstreitig nicht zu den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Verbänden im Sinne dieser Vorschrift gehöre. Der Kläger könne aber sein Ziel, die Versicherungsfreiheit seiner Ingenieure herbeizuführen, durch einen Gewährleistungsbescheid erreichen, er habe auch einen Anspruch auf Erteilung eines solchen Bescheides; nach dem Grundgedanken der Besitzstandswahrung sei Art. 2 § 3 AnVNG so auszulegen, daß die Befreiung von der Versicherungspflicht auch noch dann möglich sei, wenn bis zum Inkrafttreten des AnVNG zwar ein Gleichstellungsbeschluß, aber noch kein Gewährleistungsbescheid ergangen sei; der Beklagte sei daher verpflichtet, über die Anwartschaft auf Versorgung der von dem Kläger benannten Ingenieure zu entscheiden. Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil wurde dem Beklagten am 7. November 1962 zugestellt. Der Beklagte legte am 30. November 1962 Revision ein und beantragte,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Er machte geltend, das LSG habe Art. 2 § 3 AnVNG verletzt; es habe verkannt, daß diese Vorschrift nur für die Fälle gelte, in denen bereits vor dem Inkrafttreten des AnVNG Versicherungsfreiheit bestanden habe.

Der Kläger beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die beigeladene AOK stellte keine Anträge.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist auch begründet.

1. Das LSG hat den Beklagten nach dem Antrag des Klägers verurteilt, dem Kläger einen Bescheid zu erteilen und hierin über die Gewährleistung der Anwartschaft (auf Versorgung) für elf bei dem Kläger angestellte, namentlich bezeichnete Ingenieure zu entscheiden. Das Ziel der Klage ist jedoch unmittelbar auf die Befreiung der Angestellten des Klägers von der Versicherungspflicht gerichtet. Der Antrag ist daher im richtig verstandenen Interesse des Klägers dahin auszulegen, daß die Erteilung eines Befreiungsbescheides nach § 8 Abs. 1 AVG begehrt wird (§ 123 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); daran ändert nichts, daß § 8 Abs. 1 AVG eine Befreiungsmöglichkeit auf Antrag des Arbeitgebers nur noch vorsieht, wenn der Arbeitgeber - von gewissen, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - zu den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Verbänden zu rechnen ist. Der Kläger gehört unstreitig nicht zu dieser Gruppe von Arbeitgebern; seinem Klagebegehren liegt indes die Behauptung zugrunde, er sei in bezug auf die Befreiungsmöglichkeit durch den nach früherem Recht (§ 17 AVG aF) erlassenen Gleichstellungsbeschluß des früheren RVA vom 16. Februar 1942 den "qualifizierten Dienstherrn" (§ 11 AVG aF) gleichgestellt, dieser Beschluß sei nach Art. 2 § 3 AnVNG noch wirksam und berechtige ihn - wie einen der in § 8 Abs. 1 AVG genannten Arbeitgeber -, einen Befreiungsantrag zu stellen. Der Kläger kann sein Klageziel - die Befreiung seiner Angestellten von der Versicherungspflicht - heute nur noch in dem Befreiungsverfahren nach geltendem Recht (§ 8 AVG) erreichen; der Antrag nach § 8 AVG ist unmittelbar auf Befreiung, d. h. auf Erteilung eines Befreiungsbescheides, gerichtet; das Befreiungsverfahren nach § 8 AVG schließt die Prüfung der Gewährleistung der Anwartschaft auf Versorgung untrennbar ein. Die Erteilung eines Gewährleistungsbescheides kann daher insoweit nicht mehr Gegenstand eines besonderen Verfahrens sein. Das "richtige" Klagebegehren ist daher der Antrag auf Aufhebung des - die Befreiung ablehnenden - Bescheides des Beklagten vom 8. Juni 1959 und auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines Befreiungsbescheides. Solche Streitigkeiten gehören zu den Streitigkeiten in "Angelegenheiten der Sozialversicherung" im Sinne des § 51 SGG; für sie sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sachlich zuständig (Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts - BSG -; SozR Nr. 28 zu § 51 SGG).

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob das LSG die elf Ingenieure des Klägers und die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nach § 75 Abs. 2 SGG zum Verfahren hätte beiladen müssen und ob in der Unterlassung der Beiladung ein wesentlicher Mangel des Verfahrens zu erblicken ist; ein solcher Mangel ist jedenfalls nicht gerügt.

3. Die Auffassung des Klägers, der Beklagte sei verpflichtet, auf seinen Antrag vom 5. Mai 1959 die elf in der Klage namentlich bezeichneten Ingenieure von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung zu befreien, trifft nicht zu. Der Senat vermag der Ansicht des Klägers und des LSG, der Kläger könne nach der Übergangsvorschrift des Art. 2 § 3 AnVNG noch auf Grund des nach früherem Recht (§ 17 AVG aF) erlassenen Gleichstellungsbeschlusses die Befreiung seiner Angestellten von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung herbeiführen, nicht folgen. Für Anträge des Arbeitgebers auf Befreiung von der Versicherungspflicht, die nach Inkrafttreten des AnVNG gestellt werden, gilt grundsätzlich das neue Recht des AnVNG (§ 8), soweit die Übergangsvorschriften dieses Gesetzes nichts anderes bestimmen. Die Befreiungsmöglichkeit auf Antrag des Arbeitgebers ist durch das AnVNG - gegenüber dem früheren Recht - eingeschränkt worden; es sind jetzt nur noch öffentlich-rechtliche Körperschaften und Verbände antragsberechtigt; eine Gleichstellung anderer Körperschaften - wie nach § 17 Nr. 1 AVG aF - ist nicht mehr vorgesehen; außerdem muß die Gewährleistung der Anwartschaft auf Versorgung verschärften Anforderungen genügen (vgl. hierzu Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, Das Angestelltenversicherungsgesetz, zu § 8 Anm. B). In den Übergangsvorschriften des AnVNG ist in Art. 2 § 3 zur Befreiung von der Versicherungspflicht auf Antrag des Arbeitgebers bestimmt: "Soweit auf Grund des § 17 AVG aF ... auf Antrag des Arbeitgebers eine Freistellung von der Versicherungspflicht erfolgt ist, verbleibt es dabei auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes, solange nicht die nach § 6 Abs. 2 AVG zuständigen Stellen die Freistellung widerrufen, weil ihre Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind." Diese Vorschrift ist als Übergangsvorschrift eng auszulegen; Sinn und Zweck des AnVNG gehen dahin, die Befreiungsmöglichkeit auf Antrag der Arbeitgeber für die Zukunft einzuschränken. Es ist daher geboten, die Vorschrift des Art. 2 § 3 AnVNG nur auf die Fälle anzuwenden, die ihr Wortlaut deckt. Eine "Freistellung" von der Versicherungspflicht nach den früheren Vorschriften ist im Sinne des Art. 2 § 3 AnVNG dann "erfolgt", wenn die Versicherungsfreiheit auf Grund der früheren Vorschriften bereits beständen hat, d. h. wenn der Vorgang, der nach früherem Recht die Versicherungsfreiheit auf Antrag des Arbeitgebers herbeigeführt hatte (Erlaß des Gewährleistungsbescheids der obersten Landesbehörde - § 11 Abs. 3 AVG aF - unter Bezugnahme auf den Gleichstellungsbeschluß des RVA - § 17 AVG aF, § 174 der Reichsversicherungsordnung - RVO - idF vom 17. März 1945 -), vor dem Inkrafttreten des AnVNG bereits abgeschlossen gewesen ist. Nur insoweit, als für einen Angestellten bereits Versicherungsfreiheit bestanden hat , verbleibt es nach Art. 2 § 3 AnVNG dabei; nur insoweit folgt das Gesetz dem Gedanken der Besitzstandswahrung. Dagegen bietet Art. 2 § 3 AnVNG keine Rechtsgrundlage für "neue" Befreiungen von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung, auch nicht in den Fällen, in denen zwar bereits ein Gleichstellungsbeschluß nach früherem Recht (§§ 17 AVG aF, 174 RVO idF vom 17. März 1945) erlassen, ein Gewährleistungsbescheid aber nicht mehr erteilt worden ist. Das Gleichstellungsverfahren ist - nach früherem Recht - lediglich ein Teil des Befreiungsverfahrens und der Gleichstellungsbeschluß lediglich eine Voraussetzung für die Befreiung gewesen. Soweit es zu einer Befreiung von Angestellten von der Versicherungspflicht nach früherem Recht nicht gekommen ist, weil eine Voraussetzung hierfür - der Gewährleistungsbescheid - gefehlt hat, haben weder der Kläger noch die betreffenden Angestellten eine "Rechtsstellung" erlangt, die nach Art. 2 § 3 AnVNG fortbesteht. Aus dieser Vorschrift läßt sich nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinngehalt nicht die Auslegung herleiten, daß Gleichstellungsbeschlüsse nach früherem Recht auch heute noch die Grundlage für den Erlaß von Gewährleistungsbescheiden und damit für Befreiungen von der Versicherungspflicht abgeben können. Es ist danach wohl möglich, daß Angestellte eines Arbeitgebers, die unter sonst gleichen Voraussetzungen tätig sind, hinsichtlich der Versicherungsfreiheit unterschiedlich zu behandeln sind. Dies allein verstößt jedoch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Der Gleichheitsgrundsatz ist nur verletzt, wenn ein sachgemäßer Grund für die unterschiedliche Behandlung fehlt. Daß aber Angestellte, für die beim Inkrafttreten des AnVNG auf Grund der früheren Befreiungsvorschriften bereits Versicherungsfreiheit bestanden hat, und Angestellte, bei denen dies nicht der Fall ist, versicherungsrechtlich verschieden behandelt werden, ist weder willkürlich noch sachfremd. Es handelt sich hier nicht um gleiche Tatbestände, die eine gleiche Behandlung erforderten. Die Regelung des Art. 2 § 3 AnVNG entspricht mithin dem Zweck der Neuregelung, die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit zu ändern und der Rechtsentwicklung anzupassen. Hieraus folgt, daß das LSG zu Unrecht in Art. 2 § 3 AnVNG eine Grundlage für das Klagebegehren erblickt hat und daß sein Urteil deshalb aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das - klageabweisende - Urteil des SG zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2325489

BSGE, 202

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