Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme des Restbetrages der Zahnersatzkosten in besonderen Härtefällen. Ermessensentscheidung über einen besonderen Härtefall bei den Restkosten für Zahnersatz
Leitsatz (amtlich)
Die Übernahme des Restbetrages der Zahnersatzkosten nach § 182c S 3 RVO setzt eine Satzungsregelung nicht voraus.
Orientierungssatz
Ermessensleistungen nach § 182c S 3 RVO können auch Sozialhilfeempfängern zustehen. Zu der Vorschrift des § 182a S 2 RVO, die die Krankenkassen ebenfalls nur in besonderen Härtefällen ermächtigt, den Versicherten von der Zahlung des Arzneikostenanteils zu befreien, hat der Senat bereits entschieden, daß Sozialhilfeempfänger von der in das Ermessen der Krankenkasse gestellten Vergünstigung nicht ausgeschlossen sind (vgl BSG 1979-03-28 3 RK 29/78 = SozR 2200 § 182a RVO Nr 1). Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, daß hinsichtlich des § 182c S 3 RVO etwas anderes gelten müsse. Die hier vorgesehene Ermessensleistung darf gemäß § 2 Abs 2 S 2 BSHG nicht allein deshalb versagt werden, weil nach diesem Gesetz entsprechende Leistungen vorgesehen sind.
Normenkette
RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst d Fassung: 1977-06-27, § 182c S 3 Fassung: 1977-06-27; SGB 4 § 35 Abs 2 Fassung: 1976-12-23
Verfahrensgang
SG Münster (Entscheidung vom 04.12.1979; Aktenzeichen S 14 Kr 242/78) |
Tatbestand
Streitig ist ein Ersatzanspruch nach §§ 1531 bis 1533 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der Beigeladene ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Seine 1938 geborene Tochter, die an Schwachsinn erheblichen Grades leidet, ist in einem Behindertenheim untergebracht. Sie wird vom klagenden Sozialhilfeträger unterstützt. Nach einem Heil- und Kostenplan des behandelnden Zahnarztes vom 17. Juli 1978 war bei ihr Zahnersatz erforderlich. Die Beklagte gewährte hierfür einen Zuschuß in Höhe von 80 vH der Kosten. Die Übernahme des Restbetrages lehnte sie ab, weil ihre Satzung eine über diesen Zuschuß hinausgehende Kostenbeteiligung nicht vorsehe.
Dem Kläger teilte die Beklagte auf dessen Widerspruch mit Schreiben vom 20. September 1978 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) mit: Der Gesetzgeber habe zwar den Kassen die Möglichkeit gegeben, im Rahmen einer sogenannten "Härterichtlinie" auch den Restbetrag zu übernehmen (§ 182c Satz 3 RVO). Dabei sollte es aber auf keinen Fall zu einer Entlastung der Sozialhilfeträger kommen. Die Anwendung einer solchen "Härterichtlinie" setze zudem eine entsprechende satzungsrechtliche Regelung voraus, die hier fehle. Ihr Vorstand habe sich dafür ausgesprochen, die Satzung in diesem Punkt zur Zeit nicht zu ändern. Er habe sich in seiner letzten Sitzung am 18. September 1978 mit diesem Problem befaßt und entschieden, daß eine weitere Beteiligung der Kasse an den Zahnersatzkosten über den satzungsrechtlich festgesetzten Zuschuß hinaus nicht erfolgen solle.
Mit der dagegen erhobenen Klage hat der Sozialhilfeträger zunächst nach § 1538 RVO einen Leistungsanspruch des Beigeladenen geltend gemacht und demgemäß den Antrag gestellt, die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide zu verpflichten, einen neuen Bescheid nach § 182c Satz 3 RVO zu erteilen. Sie hat die Beklagte gebeten, für den Fall, daß der Bescheid vom 20. September 1978 nicht die Voraussetzungen eines Widerspruchsbescheides erfülle, das Vorverfahren nachzuholen. Die Beklagte ist dieser Bitte nicht nachgekommen, sie hat sich jedoch damit einverstanden erklärt, ihr Schreiben vom 20. September 1978 als Widerspruchsbescheid anzusehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) hat der Kläger nach Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärt, die Klage stütze sich auf § 1531 RVO, das Verfahren nach § 1538 RVO werde nicht fortgesetzt. Er hat den Antrag gestellt, die Beklagte zur Zahlung von 322,46 DM zu verurteilen.
Das SG hat eine Klageänderung angenommen, diese als sachdienlich angesehen und zugelassen. Es hat dann die Klage aus folgenden Gründen abgewiesen: Die Zuschußleistung für Zahnersatz sei vom Gesetzgeber in die Autonomie des Krankenversicherungsträgers gestellt worden (§ 182c Satz 1 RVO). Die durch die Satzung zu bestimmende Höhe des Zuschusses könne wesentlich unter der gesetzlichen Höchstgrenze (80 vH der Kosten) liegen. Maßgebend sei die Leistungsfähigkeit der einzelnen Krankenkassen. Daraus ergebe sich, daß die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, in besonderen Härtefällen auch den Restbetrag der Zahnersatzkosten zu übernehmen (§ 182c Satz 3 RVO), ebenfalls in die freie Entscheidung des Krankenversicherungsträgers gestellt sei. Es bedürfe deshalb auch insoweit stets einer Satzungsregelung. Da die Satzung der Beklagten eine solche Regelung nicht enthalte, habe der Versicherte keinen Anspruch auf Prüfung, ob Restkosten zu übernehmen seien. Demzufolge könne auch dem Kläger kein Ersatzanspruch zustehen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der zugelassenen Sprungrevision. Er rügt eine Verletzung des § 182c RVO: Entgegen der Ansicht des SG obliege es der Geschäftsführung der Krankenkasse, darüber zu entscheiden, ob in einem besonderen Härtefall auch der Restbetrag der Zahnersatzkosten übernommen werde. Eine solche Entscheidung setze eine Satzungsregelung nicht voraus. Im vorliegenden Fall hätte die Beklagte im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zu einer vollen Übernahme der Restkosten kommen müssen, weil die Tochter des Beigeladenen, abgesehen von einem Taschengeld in Höhe von 50,-- DM, keine Einkünfte habe.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils
nach dem in der 1. Instanz gestellten Antrag
zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Darüber hinaus trägt sie ua vor: Ein eventueller Ersatzanspruch des Klägers wäre nach § 1539 RVO entfallen, weil er nach den bindenden Feststellungen im angefochtenen Urteil erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 4. Dezember 1979 geltend gemacht worden sei. Für eine auf § 1538 RVO gestützte Anfechtungsklage fehle es an einem Vorverfahren, denn ihr Schreiben vom 20. September 1978 sei kein Widerspruchsbescheid. Der Kläger habe nicht dargetan, daß sie bei der Ablehnung, den Restbetrag zu übernehmen, ermessensfehlerhaft gehandelt habe. Der vom Gesetzgeber gezogene Ermessensrahmen erstrecke sich von der vollständigen Übernahme der Restkosten bis zu deren vollständigen Ablehnung. In diesem Rahmen habe sie sich bewegt.
Der Beigeladene beteiligt sich nicht am Revisionsverfahren.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einer unrichtigen Anwendung des § 182c Satz 3 RVO. Der Senat kann jedoch in der Sache selbst nicht abschließend entscheiden, weil die Tatsachenfeststellungen des SG hierfür nicht ausreichen. Er macht deshalb von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Das SG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Ersatz von Zahnersatzkosten von einem auf eine gleichartige Leistung gerichteten Anspruch des beigeladenen Versicherten gegen die Beklagte abhängig ist und als Rechtsgrundlage dieses Anspruchs nur § 182c Satz 3 RVO in Frage kommt. Die übrigen Voraussetzungen des auf §§ 1531 bis 1533 RVO gestützten Ersatzanspruches sind erfüllt. Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Tatsachenfeststellungen, die der materiell-rechtlichen Prüfung des Senats zugrundezulegen sind (§ 163 SGG), hat der Kläger die den Zuschuß der Beklagten übersteigenden Kosten des der Tochter des Beigeladenen eingegliederten Zahnersatzes übernommen. Er hat damit nach gesetzlicher Pflicht eine Unterstützung gewährt, die der Leistung des Krankenversicherungsträgers nach § 182c Satz 3 RVO entspricht.
Der Kläger hat den Ersatzanspruch auch innerhalb der gesetzlichen Ausschlußfrist von 6 Monaten erhoben (§ 1539 RVO). Entgegen der von der Beklagten in der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung ist eine Geltendmachung des Ersatzanspruches nicht erst in dem nach Klageänderung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 4. Dezember 1979 gestellten Klageantrag zu sehen. Der Kläger hat zwar mit seinen früheren Anträgen, insbesondere mit seinem Widerspruch vom 12. September 1978 und seiner Klage vom 25. Oktober 1978 ausdrücklich nur die Feststellung der dem Beigeladenen zustehenden Leistung begehrt (§ 1536 RVO), er hat aber gleichzeitig deutlich gemacht, daß er als Sozialhilfeträger für den Restbetrag der Zahnersatzkosten, um den es hier geht, nur subsidiär einzustehen habe, die Beklagte dagegen auch insoweit endgültig verpflichtet sei. Damit hat der Kläger seinen Ersatzanspruch ausreichend geltend gemacht. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits früher darauf hingewiesen, daß dem Wort "Geltendmachung" im Zusammenhang mit § 1539 RVO keine andere als die allgemeine Bedeutung beizulegen und darunter soviel wie "vorbringen", "anführen" und "behaupten" zu verstehen ist (BSGE 21, 157, 159; vgl auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15. August 1980, S 972d; Schroeter in RVO-Gesamtkomm, Stand November 1980, Anm 5 zu § 1539). Widerspruch und Klage liegen innerhalb der 6-Monats-Frist, bezieht sich doch die Ersatzforderung des Klägers auf die Übernahme der Restkosten eines Zahnersatzes, der nach einem Heil- und Kostenplan vom 15. Juli 1978 eingegliedert worden ist.
Die Familienhilfeberechtigung des Beigeladenen für seine behinderte Tochter in der hier fraglichen Zeit ist unstreitig (§ 205 Abs 3 Satz 4 RVO). Die der Beklagten obliegenden Leistungen für Zahnersatz ergeben sich aus § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst d iVm § 182c RVO in der seit 1. Juli 1977 geltenden Fassung des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 - BGBl I 1069 - (Art 1 § 1 Nr 6 und 8, Art 2 § 17 Abs 1 KVKG). Danach steht allen Versicherten ein Rechtsanspruch auf einen Zuschuß zu den Zahnersatzkosten zu (§ 182 Abs 1 Nr 1 Buchst d RVO). Die Höhe des Zuschusses hat die Kasse in ihrer Satzung zu bestimmen (§ 182c Satz 1 RVO), der Zuschuß darf jedoch 80 vH der Kosten nicht übersteigen (§ 182c Satz 2 RVO). Die Versicherten haben folglich einen Teil der Kosten, und zwar mindestens 20 vH selbst zu tragen. Diese grundsätzliche Regelung wird durch eine Ausnahmeregelung ergänzt: Die Krankenkassen können in besonderen Härtefällen den vom Versicherten zu zahlenden Restbetrag ganz oder teilweise übernehmen (§ 182c Satz 3 RVO). Auf diese Bestimmung stützt der Kläger seine Ersatzforderung, die nur den von der Beklagten nicht übernommenen Restbetrag von 20 vH der Kosten zum Gegenstand hat.
§ 182c Satz 3 RVO kann einen Ersatzanspruch des Klägers begründen. Dem steht nicht entgegen, daß diese Vorschrift keinen Rechtsanspruch einräumt, sondern nur eine Kann-Leistung vorsieht, als die Leistung in das Ermessen der Krankenkasse stellt. Der Sozialhilfeträger kann auch aus einer Ermessensleistung der Krankenkasse Ersatz beanspruchen. Soweit eine solche Leistung bei rechtmäßiger Ermessensausübung nicht verweigert werden darf, ist die Krankenkasse zur Leistung verpflichtet. Der Versicherte hat dann iS des § 1531 RVO einen Anspruch auf diese Leistung (BSGE 9, 112, 123; 14, 261, 264; 40, 20, 21 = SozR 2200 § 187 RVO Nr 5; vgl auch Brackmann, aaO S 970t).
Dem angefochtenen Urteil liegt die unrichtige Auffassung zugrunde, die in Satz 3 des § 182c RVO vorgesehene Übernahme der Restkosten in besonderen Härtefällen setze ebenfalls wie die Zuschußleistung nach Satz 1 eine Satzungsregelung voraus. Diese Auffassung steht in Widerspruch zum Wortlaut, zur Zweckbestimmung und zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes.
Das SG hat zu Unrecht angenommen, Satz 1 des § 182c RVO enthalte einen Obersatz, dem auch Satz 3 untergeordnet sei. In Wirklichkeit handelt es sich bei jener Vorschrift und bei dem nachfolgenden Satz 2 um Einzelregelungen, die sich auf die nach § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst d RVO als Rechtsanspruch zustehende Zuschußleistung beschränken. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist der Satzungsautonomie der Krankenkasse lediglich übertragen, die Höhe der Anspruchsleistung zu bestimmen. Die Rechtsetzungsbefugnis der Krankenkasse erstreckt sich nicht auf den Anspruch als solchen. Dieser besteht kraft Gesetzes, er kann nicht durch Satzungsrecht beseitigt werden. Satz 3 des § 182c RVO betrifft jedoch den Rechtsanspruch weder dem Grunde noch der Höhe nach. Er enthält für Einzelfälle eine ergänzende Regelung, die eine andere Leistung, eine Ermessensleistung, zum Gegenstand hat. Es ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, daß die hinsichtlich des Rechtsanspruchs auf Zuschußgewährung, und zwar nur bezüglich der Höhe des Zuschusses vorbehaltene satzungsrechtliche Regelung auch Voraussetzung für die in besonderen Härtefällen vorgesehene Ermessensleistung sein soll. Satz 3 des § 182c RVO spricht vielmehr seinem Wortlaut nach dafür, daß die Krankenkasse die Ermessensleistung unmittelbar aufgrund der gesetzlichen Vorschrift gewähren darf.
Dem entspricht Sinn und Zweck der in § 182c RVO getroffenen Regelung. Wenn das Gesetz - wie Satz 1 dieser Vorschrift - die einzelne Krankenkasse ermächtigt und verpflichtet, die Höhe der als Rechtsanspruch zustehenden Kassenleistung zu bestimmen, so bedeutet das in der Regel, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse der in der Kasse zusammengeschlossenen Versichertengemeinschaft, insbesondere die Leistungsfähigkeit der Kasse und die finanzielle Belastbarkeit ihrer Mitglieder im allgemeinen berücksichtigt werden dürfen. Eine solche der Kasse vorbehaltene generelle Regelung hat normativen Charakter. Sie tritt an die Stelle des Gesetzes. Sie kann daher von der Kasse nur durch eine satzungsrechtliche Bestimmung getroffen werden. Anders verhält es sich, wenn das Gesetz die Kasse ermächtigt, in besonderen Härtefällen zusätzliche Leistungen zu gewähren. Hier wird auf die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles abgestellt, die eine Einzelfallprüfung erforderlich machen und einer umfassenden normativen Regelung oft nicht zugänglich sind. Das Gesetz kann sich in solchen Fällen - wie auch in Satz 3 des § 182c RVO geschehen - auf eine Ermächtigungsregelung beschränken, die die Leistungen in das Ermessen der Kasse stellt. Es handelt sich dann um eine Angelegenheit der Verwaltung, die dem Geschäftsführer der Kasse obliegt (§ 36 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV). Zur Gewährleistung einer sachgemäßen und gleichmäßigen Ermessensausübung kann der Vorstand zwar allgemeine Richtlinien erlassen (§ 35 Abs 2 SGB IV). Einer satzungsrechtlichen Regelung bedarf es dagegen nicht.
Auch das Gesetzgebungsverfahren, das zu der Härteregelung des § 182c Satz 3 RVO geführt hat, zeigt, daß die gesetzliche Ermessensleistung nicht noch von einer satzungsrechtlichen Regelung abhängig ist. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines KVKG sah vor, eine aus der generellen Begrenzung des Zuschusses sich ergebende sozialpolitisch unvertretbare Belastung des betroffenen Versicherten durch eine Begrenzung des Eigenanteils auf 500,-- DM zu vermeiden (BT-Drucks 8/166 S 5 und S 25, jeweils zu § 1 Nr 8). Es sollte also nicht der Satzungsautonomie der Krankenkasse überlassen sein, ob der betroffene Versicherte eine sozialpolitisch unvertretbare Belastung hinnehmen muß oder nicht. Demgegenüber machte der Bundesrat den Vorschlag, die Krankenkassen zu ermächtigen, in ihren Satzungen Voraussetzungen dafür vorzusehen, ob und in welchem Umfang auch der überschießende Betrag übernommen wird. Damit sollte durch Satzungsrecht sowohl dem Kostenauftrieb als auch unvertretbarer Belastung entgegengewirkt werden können (BT-Drucks 8/173 S 4 zu Nr 8). Der Bundestag widersprach diesem Vorschlag, weil aus sozialpolitischen Gründen eine größere Belastung der Versicherten auch dann nicht vertretbar erscheine, wenn die Satzung dies zulasse (BT-Drucks 8/173 S 20 zu Nr 8).Die Gesetz gewordene Fassung des § 182c Satz 3 RVO entspricht der Empfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, die dem Vorschlag des Bundesrates nicht folgt. Der Ausschuß beschloß zwar, die im Regierungsentwurf vorgesehene starre Obergrenze des vom Versicherten zu zahlenden Betrages zu beseitigen, er machte aber die vollständige und teilweise Übernahme des den Kassenzuschuß übersteigenden Restkostenbetrages nicht, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, von einer satzungsrechtlichen Ermächtigung abhängig. Er wollte die Regelung praktikabler gestalten und der Selbstverwaltung einen größeren Entscheidungsspielraum überlassen. Er wollte aber auch, daß die Ermächtigung der Krankenkasse, in besonderen Härtefällen den Eigenanteil des Versicherten ganz oder teilweise zu übernehmen, eine dem Einzelfall gerecht werdende Lösung gewährleistet (BT-Drucks 8/338 S 8 zu Nr 8, S 51 zu Ziff II und S 61 zu Art 1 § 1 Nr 8). Diesen Zweck erfüllt die Vorschrift des § 182c Satz 3 RVO nur dann, wenn sie dem Versicherten ein gerichtlich überprüfbares Recht, das Recht auf eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung einräumt. Das Regelungsziel, eine sozialpolitisch unvertretbare Belastung des betroffenen Versicherten zu vermeiden, wäre nicht erreicht, sollte es vom Satzungsrecht der einzelnen Krankenkassen abhängen, ob die im Gesetz vorgesehene Ermessensleistung überhaupt gewährt werden kann.
Die Krankenkassen sind somit allein aufgrund des § 182c Satz 3 RVO zur Prüfung und Entscheidung verpflichtet, ob sie im Einzelfall Restkosten eines Zahnersatzes übernehmen. Sie können diese gesetzliche Verpflichtung nicht durch Satzungsrecht aufheben oder einschränken. Sie haben wie bei der Befreiung von Arzneimittel-Kostenanteil nach § 182a Satz 2 RVO eine Einzelfallprüfung vorzunehmen und nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vgl Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand April 1980, Anm 7 zu § 182c RVO; Heinze in RVO-Gesamtkommentar, Stand November 1980, Anm 5 zu § 182c RVO; Peters/Mengert, Handbuch der Krankenversicherung, Stand April 1980, Anm 7 zu § 182c RVO; Zipperer, Die Ortskrankenkasse 1978, 11, 18).
Entgegen der Auffassung der Beklagten können Ermessensleistungen nach § 182c Satz 3 RVO auch Sozialhilfeempfängern zustehen. Zu der Vorschrift des § 182a Satz 2 RVO, die die Krankenkassen ebenfalls nur in besonderen Härtefällen ermächtigt, den Versicherten von der Zahlung des Arzneikostenanteils zu befreien, hat der Senat bereits entschieden, daß Sozialhilfeempfänger von der in das Ermessen der Krankenkasse gestellten Vergünstigung nicht ausgeschlossen sind (SozR 2200 § 182a RVO Nr 1). Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, daß hinsichtlich des § 182c Satz 3 RVO etwas anderes gelten müsse. Die hier vorgesehene Ermessensleistung darf gemäß § 2 Abs 2 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) nicht allein deshalb versagt werden, weil nach diesem Gesetz entsprechende Leistungen vorgesehen sind (vgl Krauskopf/Schroeder-Printzen, aaO, Anm 6 zu § 182c RVO; LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1979, 600 ff).
Da das SG der Meinung gewesen ist, eine Ermessensleistung nach § 182c Satz 3 RVO setze eine satzungsrechtliche Regelung voraus, ist es nicht der Frage nachgegangen, ob die Beklagte den der Ersatzforderung des Klägers zugrundeliegenden Anspruch des Beigeladenen auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB - Allgemeiner Teil - SGB I) verletzt hat. Es fehlen deshalb auch die zur Beantwortung dieser entscheidungserheblichen Frage erforderlichen Tatsachenfeststellungen. Bei seiner neuen Prüfung wird das SG zu beachten haben, daß eine Ermessensleistung grundsätzlich von einer Entscheidung des Leistungsträgers abhängig ist (§§ 39, 40 SGB I). Im vorliegenden Fall ist zwar eine Entscheidung der Krankenkasse ergangen, aber über den Widerspruch des Klägers nicht entschieden worden. Das Schreiben der Beklagten vom 20. September 1978 ist kein Widerspruchsbescheid. Es enthält keine Einzelfallentscheidung der zur Entscheidung über den Widerspruch berufenen Stelle, sondern nur die Mitteilung eines allgemein geltenden Vorstandsbeschlusses. Daß mit dem Schreiben auch kein Widerspruchsbescheid erteilt werden sollte, wird von der Beklagten nun in der Revisionserwiderung ausdrücklich eingeräumt. Unter diesen Umständen liegt es nahe, den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das Widerspruchsverfahren fortzuführen und abzuschließen (BSGE 25, 66 ff). Der Kläger hat zwar zuletzt vor dem SG erklärt, er setze das Verfahren nach § 1538 RVO nicht fort. Diese Erklärung bezieht sich aber auf die Klage vom 25. Oktober 1978, die ursprünglich auf § 1538 RVO und dann auf § 1531 RVO gestützt worden ist. Eine Rücknahme des Widerspruchs, die die Rechtsverbindlichkeit des ablehnenden Bescheides zur Folge gehabt und dem Ersatzverlangen des Klägers die Grundlage entzogen hätte, kann jedenfalls in der Erklärung des Klägers nicht gesehen werden. Die Umstellung des Klageantrages sollte offensichtlich dem Umstand Rechnung tragen, daß - was im Klageverfahren geltend gemacht worden ist - ein Vorverfahren nicht durchgeführt worden war. Dem Sozialhilfeträger ist es grundsätzlich nicht verwehrt, ein Feststellungsbegehren nach § 1538 RVO und einen Ersatzanspruch nach § 1531 RVO zusammen in einem Klageverfahren geltend zu machen (BSG SozR Nr 1 zu § 56 SGG). Dem zuletzt gestellten Klageantrag auf Verurteilung zur Zahlung des vom Kläger aufgewendeten Betrages kann jedoch nur entsprochen werden, wenn eine gesetzeskonforme Ermessensausübung nur diese eine Entscheidung zuläßt (vgl BSGE 28, 80, 83; 47, 278, 280 = SozR 1500 § 85 SGG Nr 7). Andernfalls ist auf die Stellung eines sachdienlichen (Hilfs-)Antrages hinzuwirken (§ 106 Abs 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung in der Sache vorbehalten.
Fundstellen