Leitsatz (amtlich)
Soldaten, die auf einer Urlaubsfahrt zufällig zusammentreffen und Alkohol trinken, verrichten insoweit keinen militärischen Dienst. Der Genuß des Alkohols, der zur Erblindung eines Soldaten geführt hat, kann auch nicht als Unfall während der Ausübung militärischen Dienstes angesehen oder den dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnissen zugerechnet werden.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Bremen vom 18. Januar 1962 und des Sozialgerichts Bremen vom 10. Januar 1961 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 12. Mai 1958 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 1958 abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) bis 4) - nachfolgend mit M. bezeichnet - war Angehöriger der früheren deutschen Wehrmacht. Am 12. März 1944 fuhr er als Feldwebel von seinem Truppenteil in P zu seiner Familie nach D auf Erholungsurlaub. Während der Eisenbahnfahrt in einem D-Zug mit Wehrmachtsabteil (DmW) trank er aus einer ihm von einem anderen Wehrmachtsangehörigen angebotenen Flasche Alkohol. Am darauffolgenden Tage trat eine Sehverschlechterung ein. Nach Einlieferung in ein Lazarett erblindete M. rasch, da es sich bei dem Alkohol um Methylalkohol gehandelt hatte. Die Truppe sah die Erblindung nicht als Wehrdienstbeschädigung an (Schreiben vom 30.4.1944).
Das Versorgungsamt (VersorgA) H teilte M. zu seinem Antrag auf Fürsorge und Versorgung mit Schreiben vom 22. August 1946 mit, daß nach amtsärztlichem Gutachten der Wehrdienst auf die Entwicklung und den Verlauf des Augenleidens nicht bestimmend eingewirkt habe und der Antrag somit als erledigt angesehen werden müsse.
Am 21. Mai 1952 stellte M. erneut einen Antrag auf Gewährung von Versorgung wegen Erblindung beider Augen nach Sehnervenatrophie. Das VersorgA B lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Mai 1958 ab. Der Widerspruch des M. war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20.10.1958). M. erhob Klage. Während des Klageverfahrens ist er am 28. Juli 1959 verstorben. Die Kläger als seine Rechtsnachfolger haben das Verfahren fortgesetzt.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 10. Januar 1961 unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 1958 und des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 1958 die Beklagte verurteilt, "den Klägern als Erben wegen der Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung 'Erblindung beider Augen nach Sehnervenatrophie' für die Zeit vom 1. Mai 1952 bis 31. Oktober 1959 Erbenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. sowie Pflegezulage in gesetzlicher Höhe zu zahlen". Es hat die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 18. Januar 1962 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Bremen vom 10. Januar 1961 als unbegründet zurückgewiesen.
Es hat ausgeführt, das Schreiben der Truppe vom 30. April 1944, in dem die Anerkennung der Erblindung als Wehrdienstbeschädigung verneint werde, sei kein nach § 85 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) verbindlicher Verwaltungsakt, weil es sich dabei nicht um einen förmlichen Bescheid einer Versorgungsbehörde oder die Entscheidung einer Spruchbehörde gehandelt habe. Auch das Schreiben des VersorgA H vom 22. August 1946 sei keine Entscheidung im Sinne des § 85 BVG, weil darin nur zum Ausdruck komme, daß der Antrag des M. auf Gewährung von Fürsorge und Versorgung nach dem Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsgesetz (WFVG) als erledigt angesehen werde. Zu Recht habe daher das LandesversorgA eine neue Entscheidung getroffen. Da somit noch keine verbindliche Entscheidung im Sinne des § 85 BVG vorliege, müsse über den am 21. Mai 1952 gestellten Antrag sachlich entschieden werden.
Der angefochtene Bescheid sei unrichtig, da die Voraussetzungen des § 1 BVG erfüllt seien. Die Urlaubsfahrt des M. sei durch die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse bedingt und diese Verhältnisse seien auch die Ursache für den während der Fahrt eingetretenen Unfall gewesen. Während der Bahnfahrt habe in weitgehendem Maße eine Eingliederung in den militärischen Dienstbetrieb bestanden. M. habe Uniform getragen, habe als Urlauber die ihm vorgeschriebenen Züge benutzen müssen und sei auf den Bahnhöfen der Wehrmachtskontrolle und der Befehlsgewalt der Wehrmachtszugstreifen und Bahnhofswachen unterworfen gewesen. Er habe selbst Befehlsgewalt über die im Dienstrang niedrigeren Soldaten gehabt und sei notfalls auch verpflichtet gewesen, diese Befehlsgewalt gegenüber unbekannten Soldaten auszuüben. Zwar befinde sich ein Soldat in Urlaub teils in einer dem militärischen Dienst zuzurechnenden, teils aber auch in einer privaten Lebenssphäre, jedoch sei M. während seiner Urlaubsfahrt so in den militärischen Apparat eingegliedert gewesen, daß daneben eine private Sphäre nicht bestanden habe. Wesentliche Bedingung für den Eintritt des schädigenden Ereignisses sei somit allein der militärische Dienst des M. gewesen. Das Verhalten von Soldaten unterscheide sich grundsätzlich von dem der Zivilisten. Das Verhältnis von Soldaten untereinander sei durch das straffe Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet, das sein Korrelat in der Kameradschaftlichkeit finde. Es entspreche durchaus der von einem Vorgesetzten geforderten Haltung gegenüber Untergebenen, wenn M. sich an der Unterhaltung mit den ihm fremden Urlaubern beteiligt und auch den ihm angebotenen Umtrunk nicht ausgeschlagen habe. Er habe immerhin damit rechnen müssen, daß die Ablehnung der ihm angebotenen Flasche eine Mißstimmung bei den anderen Soldaten hätte hervorrufen können. Es sei selbstverständlicher Brauch unter Soldaten gewesen, Nahrungs- und Genußmittel während einer Bahnfahrt miteinander zu teilen. Nicht nur die Urlaubsfahrt, sondern auch der Verzehr von Alkohol im Kameradenkreise sei daher durch die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse bedingt gewesen.
Der Hinweis der Beklagten auf einen Tagesbefehl, durch den Anfang des Jahres 1944 in P auf die Gefährlichkeit des Genusses von Methylalkohol hingewiesen und dieser Genuß verboten worden sei, gehe fehl, da dieser Befehl M. nicht bekannt gewesen sei. Selbst bei verbotswidrigem Genuß des Methylalkohols sei der Versorgungsanspruch nicht entfallen, da nach § 1 Abs. 4 BVG nur eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung nicht als Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG gelte. Daß M. den ihm angebotenen Alkohol in der Absicht getrunken habe, sich dadurch seine Erblindung zuzuziehen, könne ernstlich nicht behauptet werden. Im übrigen könne nicht festgestellt werden, daß M. durch die Beteiligung am Umtrunk vorsätzlich oder fahrlässig einen neuen selbständigen Gefahrenkreis begründet habe, der die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Ereignisses darstelle. Dies könne nur dann vorliegen, wenn der Beschädigte die Gefahr erkannt hätte und gleichwohl tätig geworden wäre. Das sei aber nicht der Fall.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat gegen das ihr am 7. März 1962 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 20. März, beim Bundessozialgericht (BSG) am 21. März 1962 eingegangen, Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 7. Juni 1962 mit Schriftsatz vom 28. Mai 1962, beim BSG am 2. Juni 1962 eingegangen, begründet.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG Bremen vom 18. Januar 1962 aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 1 BVG durch das LSG. Sie führt vornehmlich dazu aus, daß zwar die Urlaubsfahrt des M. nach D durch den militärischen Dienst bedingt gewesen sei, jedoch sei die Erblindung nicht auf diese Urlaubsfahrt zurückzuführen. Entgegen den Feststellungen des LSG ergebe sich aus den Versorgungsakten, daß in dem D-Zug-Abteil mit M. Soldaten und Zivilisten gesessen hätten.
Es sei nicht erwiesen, daß M. gerade mit dem von ihm benutzten Zut hätte reisen müssen. Die Annahme des LSG, M. sei während der Bahnfahrt so sehr in den militärischen Dienstbetrieb eingegliedert gewesen, daß daneben eine private Lebenssphäre nicht mehr habe bestehen können, gehe fehl. Es sei unerheblich, ob es bei Soldaten üblich sei, Nahrungs- und Genußmittel miteinander zu teilen. M. habe, als er den ihm angebotenen Alkohol getrunken habe, dies auf Grund freier Willensbestimmung getan. Eine Verbindung dieses Verhaltens mit den dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnissen bestehe nicht. Die Erblindung sei nur auf Ereignisse gelegentlich der Urlaubsfahrt, nicht aber auf die Urlaubsfahrt selbst zurückzuführen. Durch das Trinken sei der militärische Dienst als solcher unterbrochen worden. Es müßten zwei Gefahrenkreise getrennt werden, einmal die Urlaubsfahrt und andererseits der private Lebenskreis, dem der Genuß von Alkohol zuzurechnen sei. M. habe durch sein Verhalten einen eigenen selbständigen Gefahrenkreis geschaffen, der mit der Urlaubsfahrt und den durch sie bedingten Gefahren in keinem Zusammenhang stehe. Das BSG habe zu Recht in seinem Urteil vom 14. November 1961 (11 RV 12/61) zwei Gefahrenkreise voneinander abgegrenzt, von denen nur der eine Gefahrenkreis versorgungsrechtlich geschützt sei. Im vorliegenden Fall sei die gleiche Rechtslage gegeben. Bedingung für den Eintritt des Unfalles und damit der Gesundheitsstörung sei allein die private Lebenssphäre des M. Im übrigen wird auf die Revisionsbegründung verwiesen.
Die Kläger beantragen,
die Revision des Beklagten vom 20. März 1962 gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 18. Januar 1962 als unbegründet zurückzuweisen sowie dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.
Sie halten den Ausführungen der Beklagten gegenüber die Entscheidungsgründe des LSG für zutreffend. Insbesondere wenden sie sich gegen die Ansicht der Beklagten, daß die Urlaubsfahrt des M. als militärischer Dienst nur hinsichtlich eintretender Verkehrsunfälle versorgungsrechtlich geschützt gewesen sei und die Teilnahme an einem Umtrunk nicht zu den militäreigentümlichen Verhältnissen gehört habe. Auf die Ausführungen in den Schriftsätzen der Kläger vom 13. Juni 1962 und 3. Januar 1963 wird verwiesen.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die sonach zulässige Revision ist auch begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Bescheid vom 12. Mai 1958 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 1958, mit dem die Versorgungsbehörde die Anerkennung der Erblindung des M. als Schädigung im Sinne des BVG und die Gewährung der Rente abgelehnt hat, rechtmäßig ist. Bei der Beurteilung des Sachverhalts ist das LSG zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß die Versorgungsbehörde weder durch das Schreiben der Truppe vom 30. April 1944 noch durch die Mitteilung des VersorgA H vom 22. August 1946 gehindert war, über den Versorgungsantrag des M. vom Mai 1952 erneut sachlich zu entscheiden. Das Schreiben vom 30. April 1944, eine Antwort des Kompanieführers des M. auf eine Anfrage des Reservelazaretts D ist nach Form und Inhalt nicht eine versorgungsrechtliche Entscheidung, die irgendeine Bindungswirkung bei späteren Entscheidungen äußern konnte. Entgegen der Ansicht des LSG ist aber die Mitteilung des VersorgA H vom 22. August 1946 an M. als ein Bescheid (Verwaltungsakt) anzusehen, denn trotz des Gebrauchs der Worte "Ihr Antrag muß somit als erledigt angesehen werden" geht eindeutig aus dieser Mitteilung hervor, daß damit der Versorgungsantrag des M. abgelehnt werden sollte. Dieser Bescheid, der nach dem früheren Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz (WFVG) ergangen ist, war jedoch mit dem Inkrafttreten des BVG unwirksam geworden und konnte aus diesem Grunde bei künftigen Entscheidungen grundsätzlich keine Wirkungen mehr äußern (vgl. BSG 3, 251, 255; 4, 21, 23 und BSG in SozR BVG § 85 Bl. Ca 10 Nr. 17), insbesondere also nicht gemäß § 77 SGG. Er konnte auch nicht die beschränkte Bindungswirkung gemäß § 85 BVG bei Erteilung des Bescheides vom 12. Mai 1958 äußern. Einmal hätte er gemäß § 85 BVG nämlich nur Bindungswirkungen hinsichtlich der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen schädigendem Ereignis und Gesundheitsstörung äußern können, eine solche Beurteilung des Zusammenhangs ist aber in dem angefochtenen Bescheid vom 12. Mai 1958, mit dem der Versorgungsantrag abgelehnt worden ist, weil kein schädigendes Ereignis vorgelegen habe, gar nicht erfolgt; zum anderen hätte aber auch die Bindungswirkung gemäß § 85 BVG nicht die Versorgungsverwaltung gehindert, nach erneuter sachlicher Prüfung den Versorgungsantrag nochmals wegen fehlenden Zusammenhangs zwischen schädigendem Ereignis und Gesundheitsstörung abzulehnen (vgl. BSG in SozR BVG § 85 Bl. Ca 10 Nr. 17). Die Versorgungsbehörde konnte somit ohne Rücksicht auf das Schreiben vom 30. April 1944 und den Bescheid vom 22. August 1946 über den Versorgungsantrag des M. vom Mai 1952 entscheiden.
Der nach erneuter sachlicher Prüfung erlassene Bescheid vom 12. Mai 1958, mit dem der Versorgungsantrag des M. abgelehnt wurde, ist entgegen der Auffassung des LSG rechtmäßig. Die Beklagte rügt zu Recht eine unrichtige Anwendung des § 1 BVG durch das LSG, das den Versorgungsanspruch des M. für begründet angesehen hat.
Nach § 1 BVG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag derjenige Versorgung, der entweder durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Keine dieser drei Voraussetzungen lag im vorliegenden Fall vor, als M. den Methylalkohol trank, wodurch seine Erblindung herbeigeführt wurde. Das LSG hat zunächst mit Recht angenommen, daß die Urlaubsfahrt Ende März 1944 von Peenemünde nach Danzig für M. militärischer Dienst im Sinne des § 1 BVG war (vergl. dazu Urteil des erkennenden Senats vom 18. März 1958, BSG 7, 75 mit weiteren Hinweisen und BSG in SozR BVG § 1 Bl. Ca 8 Nr. 19 und Bl. Ca 20 Nr. 44). Nicht jede Handlung, die M. während dieses Dienstes ausführte, war deswegen eine Dienstverrichtung (BSG 10, 251, 254). Auch allein dadurch, daß M. Uniform trug, ein Wehrmachtsabteil benutzte, gegebenenfalls den Anordnungen von Vorgesetzten und Wachen Folge zu leisten hatte oder selbst Befehlsgewalt ausüben konnte, wurden seine Handlungen noch nicht Dienstverrichtungen. Als "Dienstverrichtung" im Sinne der ersten Alternative des § 1 BVG sind vielmehr nur diejenigen Handlungen des Klägers anzusehen, die er zur Verrichtung seines Dienstes, hier seiner Urlaubsfahrt, ausführte. Darunter fielen der Aufenthalt im Zuge, alle Handlungen zur Benutzung und bei der Benutzung des Zuges, sowie schließlich auch solche Handlungen, die M. außerhalb seiner Urlaubsfahrt in Erfüllung allgemeiner Dienstobliegenheiten auf Grund ungeschriebener soldatischer Pflichten und militärischer Grundsätze oder auf Grund allgemeiner Dienstvorschriften oder besonderer Befehle ausführte (BSG 10, 251, 254; BSG 18, 199, 200). Die Annahme und das Trinken des Alkohols aus der angebotenen Flasche waren keine solche militärische Dienstverrichtung. Damit erfüllte M. weder einen Dienst auf Grund allgemeiner militärischer Obliegenheiten, insbesondere auf Grund einer allgemeinen soldatischen Pflicht oder allgemeiner militärischer Grundsätze, noch schrieb ihm eine allgemeine Dienstvorschrift oder ein besonderer Befehl eine solche Dienstverrichtung vor. Dahinstehen kann in diesem Fall, ob und wieweit auch freiwillige militärische Dienstverrichtungen, also ohne eine Verpflichtung ausgeführte Verrichtungen, als militärische Dienstverrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG angesehen werden können. Selbst wenn freiwillige Verrichtungen unter diese Vorschrift fallen, dann kann es sich immer nur um "militärische" Dienstverrichtungen handeln, d. h. nur solche, die ihrer Art nach auch durch allgemeine oder besondere militärische Verpflichtung üblicherweise auferlegt worden sind oder wenigstens vernünftigerweise auferlegt werden können. Das Trinken des Alkohols während der Bahnfahrt auf das Anerbieten mitreisender Soldaten kann aber nicht als freiwillige militärische Dienstverrichtung in diesem Sinne angesehen werden.
Ferner kann dahingestellt bleiben, ob eine Nahrungsaufnahme, wie etwa die Einnahme der militärischen Verpflegung, als militärische Dienstverrichtung oder als eine notwendige Folge einer Verrichtung anzusehen ist, und ob auch das Trinken von Alkohol zur Nahrungsaufnahme gerechnet werden kann. Selbst wenn noch im Trinken von Alkohol dann eine Nahrungsaufnahme gesehen wird, wenn dies zur Erhaltung oder Förderung der militärischen Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft geschieht, so spricht nichts dafür, auch im vorliegenden Fall in der Annahme des angebotenen Trunkes und in dem Trinken des Alkohols eine Nahrungsaufnahme in dem erwähnten Sinne zu sehen. Ein Anspruch auf Versorgung nach der ersten Alternative des § 1 BVG scheidet somit aus, weil in dem Trinken des Alkohols, das zur Erblindung führte, keine militärische Dienstverrichtung zu erblicken ist.
Ein Anspruch auf Versorgung ergibt sich aber auch nicht aus der zweiten Alternative des § 1 BVG, denn M. hat die Erblindung nicht "durch einen Unfall während der Ausübung militärischen Dienstes erlitten". Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 25. November 1958 (BSG 8, 264, 270), von der abzuweichen kein Anlaß besteht, ausgeführt hat, ist als Unfall im Sinne des § 1 BVG ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares und einen Körperschaden verursachendes Ereignis anzusehen. Es muß sich auch, diesem Begriff nach, um ein unabhängig vom Willen des Betroffenen eintretendes schädigendes Ereignis handeln. Danach kann das vorliegende schädigende Ereignis, nämlich das freiwillige Trinken des Alkohols, das erst nach Verarbeitung des Alkohols im Körper am darauffolgenden Tage zu einer Sehverschlechterung und noch später erst zur Erblindung des M. führte, nicht als Unfall angesehen werden. Somit kann der Anspruch der Kläger auch nicht auf diese Alternative des § 1 Abs. 1 BVG gestützt werden.
Der Anspruch auf Versorgung ist schließlich auch nicht nach der dritten Alternative des § 1 BVG begründet, weil das Trinken von Alkohol nicht zu den "dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnissen" zu rechnen ist. Es muß sich bei diesen Verhältnissen, um sie als dem Militärdienst eigentümlich ansehen zu können, um Sonderverhältnisse handeln, die sich grundsätzlich von den Verhältnissen des zivilen Lebens unterscheiden und für die Eigenart des militärischen Dienstes typisch sowie in der Regel zwangsläufig mit ihm verbunden sind (BSG 18, 199, 201; BSG in BVBl 1963 S. 105; Wilke, BVG Anm. III zu § 1).
Das Trinken von Alkohol kann danach weder schlechthin als dem militärischen Dienst eigentümlich bezeichnet werden noch besonders in den Fällen, in denen das Trinken auf das Anerbieten anderer zufällig anwesender Soldaten erfolgt. Im vorliegenden Fall hat das LSG nicht klar die einzelnen Alternativen des § 1 BVG auseinandergehalten, so daß auch nicht klar zu erkennen ist, welche Feststellungen und Erwägungen es rechtfertigen sollen, das Trinken des Alkohols den militärdiensteigentümlichen Verhältnissen zuzurechnen. Auf jeden Fall beruht diese Auffassung des LSG auf einer zu weiten Auslegung des Begriffes "diensteigentümlich" im Sinne des § 1 BVG. Nach den angeführten Merkmalen konnte das Trinken des Alkohols nicht allein dadurch militärdiensteigentümlich werden, daß M. Soldat war, daß er sich auf einer Dienstfahrt befand, daß er sich zu anderen Soldaten in einem Vorgesetzten- oder Untergebenenverhältnis befand oder daß ihm der Trunk von einem anderen Soldaten angeboten worden war. Selbst wenn es unter Soldaten Brauch gewesen ist - wie vom LSG unterstellt, vom Beklagten aber bestritten ist -, bei den verschiedensten Anlässen Eßwaren und Genußmittel miteinander zu teilen, und wenn es auch zutrifft, daß M. als Feldwebel den Trunk aus der ihm angebotenen Flasche wegen der guten Stimmung im Eisenbahnabteil nicht abgelehnt hat, so ist es deswegen nicht gerechtfertigt, in dem Trinken des M. ein dem militärischen Dienst eigentümliches Verhalten zu erblicken. Nicht alles, was unter Soldaten Brauch ist, kann daher als militäreigentümliches Verhalten angesehen werden (BSG 18, 199, 201), und die Absicht, eine fröhliche Stimmung unter zufällig zusammentreffenden Soldaten zu erhalten, ist ebenso wenig geeignet, in dem Trinken von Alkohol ein militärdiensteigentümliches Verhalten zu sehen. Das LSG hat nicht feststellen können, daß es nur zwischen Soldaten unter den gegebenen Umständen Brauch war, das Angebot zum Trinken von Alkohol anzunehmen, und daß sich insoweit zwangsläufig das Verhalten von Soldaten deutlich von dem Verhalten von Zivilisten, die unter ähnlichen Umständen zusammenkommen, unterschied.
Der Senat verkennt nicht, daß das Trinken von Alkohol bei Soldaten unter besonderen Umständen, etwa in einem schweren Einsatz, bei strenger Kälte, bei längerer Durchnässung, zur Hebung der Kampfbereitschaft vor besonderen Aufgaben, möglicherweise militärdiensteigentümlich sein kann, wenn in solchem Falle das Trinken nicht schon unter den Begriff der Dienstverrichtung fällt. In diesen Fällen unterscheiden sich aber schon die allgemeinen Verhältnisse, unter denen der Alkohol im Militärdienst genossen wird, so grundsätzlich von anderen Verhältnissen, die im Zivildienst nicht denkbar sind, daß schon aus diesem Grunde das Trinken von Alkohol in einer solchen Lage als dem militärischen Dienst eigentümlich bezeichnet werden kann. Das Zusammentreffen von Personen in einem Eisenbahnabteil, wie im vorliegenden Fall, ist aber nicht nur eine im Militärdienst denkbare Begebenheit, so daß aus diesem Grunde auch das Trinken in einer solchen Lage nicht als dem Militärdienst eigentümlich bezeichnet werden kann.
Schließlich kann in vorliegendem Fall auch aus dem Gesichtspunkt der Kameradschaft das Trinken von Alkohol nicht als dem Militärdienst eigentümlich angesehen werden. Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. November 1958 - BSG 8, 264, 268 - ausgeführt hat, ist die Teilnahme an "Kameradschaftsabenden" regelmäßig als militärische Dienstverrichtung anzusehen. Es liegt daher nahe, das Trinken von Alkohol bei solchen Gelegenheiten, wenn nicht als eine Dienstverrichtung, so doch wenigstens als dem Militärdienst eigentümlich anzusehen. Ob überhaupt außerhalb von Kameradschaftsabenden und den erwähnten besonderen militäreigentümlichen Verhältnissen allein aus der Kameradschaft eine Verpflichtung zum Trinken von Alkohol hergeleitet werden kann, so daß deswegen das Trinken ein dem Militärdienst eigentümliches Verhalten wäre, kann dahinstehen. Wenn überhaupt eine derartige verpflichtende Kameradschaft bestanden haben sollte, dann kann es sich nur um eine Kameradschaft zwischen Soldaten einer kleineren Einheit oder engeren Gemeinschaft gehandelt haben, die der militärische Dienst zusammengeführt und zusammengehalten hat. Um eine solche Kameradschaft handelt es sich aber unzweifelhaft nicht bei einem zufälligen und vorübergehenden Zusammentreffen von Soldaten. Zwar ist zuzugeben, daß Soldaten üblicherweise jeden anderen Soldaten als Kameraden bezeichneten, und es mag auch sein, daß in weiter Ausdehnung des Begriffes Kameradschaft unter diesem Begriff die Beziehung unter Soldaten schlechthin verstanden wurde. Jedoch waren die Gewohnheiten und Verpflichtungen aus dieser Kameradschaft unterschiedlich nach der Enge oder Weite des Kreises der Soldaten, die in diesen Begriff einbezogen wurden. Eine derartig enge Kameradschaft, in der im Gegensatz zum Zivilleben das Trinken von Alkohol auf ein Angebot hin kameradschaftliche Verpflichtung und damit dem Militärdienst eigentümlich gewesen wäre, kann jedenfalls aus einer Kameradschaft, die in dem zufälligen und vorübergehenden Zusammensein von Soldaten auf einer Eisenbahnfahrt bestanden hat, nicht gefolgert werden. Im vorliegenden Fall kann somit das Trinken von Alkohol auch nicht als dem Militärdienst eigentümlich angesehen werden, so daß auch die auf das Trinken zurückzuführende Gesundheitsstörung des M., d. h. die Erblindung, nicht einen Versorgungsanspruch begründen kann.
Das LSG hat somit bei seiner Entscheidung den § 1 BVG verletzt. Die Revision der Beklagten ist somit begründet.
Das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Bremen vom 18. Januar 1961 waren daher aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 12. Mai 1958 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 1958 war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
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