Entscheidungsstichwort (Thema)

Kosten für Batterien eines elektrisch betriebenen Krankenfahrzeuges

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Elektrofahrzeug kann ein von der Krankenversicherung zu leistendes Hilfsmittel sein. Das hängt aber vom Gesundheitszustand des Versicherten ab und davon, ob es erforderlich oder notwendig ist und ob nicht wegen des Zwecks des Fahrzeuges (Zurücklegen eines längeren Arbeitsweges) ein anderer Sozialleistungsträger in Betracht kommt.

 

Orientierungssatz

Ist die KK unter Beachtung des Postulats des RVO § 182 Abs 2 zur Gewährung eines Elektrofahrstuhls verpflichtet, so hat sie auch gewisse Nebenansprüche zu diesem Hilfsmittel (RVO § 182b S 2), zu erfüllen. Zumindest bei der Neubeschaffung des Elektrofahrstuhles wird dessen Erstausstattung mit einem Satz von Batterien von der Kasse zu gewähren sein.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Fassung: 1974-08-07, § 182b S. 2 Fassung: 1974-08-07, § 182 Abs. 2 Fassung: 1930-07-26

 

Verfahrensgang

SG Münster (Entscheidung vom 13.01.1976; Aktenzeichen S 14 Kr 66/75)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13. Januar 1976 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kosten für Batterien eines elektrisch betriebenen Krankenfahrzeugs.

Der Beigeladene, Mathias W., der an einer multiplen Sklerose leidet, benutzt seit 1968 einen Elektrofahrer. Im Jahre 1974 wurde ihm antragsgemäß vom klagenden Sozialhilfeträger ein Satz neuer Batterien bewilligt, nachdem sowohl die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) als auch das Arbeitsamt die Kostenübernahme dafür abgelehnt hatten. Die Beklagte lehnte auch die Forderung des Klägers ab, die Batteriekosten zu ersetzen.

Die Klage, mit der der Kläger seinen Ersatzanspruch gegen die Beklagte weiterverfolgte, hat das Sozialgericht (SG) Münster abgewiesen (Urteil vom 13. Januar 1976): Der Beigeladene sei zwar hilfsbedürftig iS des Bundessozialhilfegesetzes und ein Elektrofahrstuhl sei auch ein Hilfsmittel iS des § 182 b der Reichsversicherungsordnung (RVO), die Beschaffung von Batterien gehöre jedoch - ebenso wie die von Benzin für ein Kraftfahrzeug - zu den Betriebskosten und nicht zur Ersatzbeschaffung. Die Betriebskosten seien dem allgemeinen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen, nicht von der Krankenkasse zu ersetzen, sondern, wie der sonstige Lebensbedarf, vom Versicherten selbst aufzubringen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision des Klägers, der die Beklagte zugestimmt hat. Er führt aus, die Batterien eines Elektrofahrzeugs seien keineswegs dem Benzin beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs vergleichbar. Das Elektrofahrzeug werde vielmehr mit Strom betrieben und die Batterien seien daher Zubehör des Fahrzeugs, das nach Verbrauch instand gesetzt werden müsse.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Münster vom 13. Januar 1976 - S 14 Kr 66/75 - aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß die Batterien lediglich als "Verpackung" für den zum Verbrauch bestimmten elektrischen Strom dienten, daher diesem rechtlich zuzuordnen seien. Da die Krankenkasse nicht den Verbrauch des elektrischen Stroms zu ersetzen habe, müsse für die Batterien das gleiche gelten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG. Der erkennende Senat vermag den Rechtsstreit nicht sachlich zu entscheiden, weil das angefochtene Urteil zwar Probleme erörtert, die zu § 182 b RVO von Bedeutung werden können, es enthält jedoch keine Tatsachenfeststellungen, aus denen zu entnehmen ist, ob es im vorliegenden Rechtsstreit überhaupt auf diese Probleme ankommt.

Das Urteil enthält zunächst schon keine Feststellungen, ob und ggf in welcher Form oder zu welcher Zeit ein Versicherungsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen bestanden hat. Auf diese Feststellungen jedoch kommt es an, denn der Kläger könnte Ersatzansprüche gegen die Beklagte nur dann erheben, wenn sie verpflichtet gewesen wäre, für den Beigeladenen Hilfsmittel zu gewähren (§ 1531 Satz 1 iVm § 1533 Nr 2 RVO). Selbst aber bei Unterstellung eines Versicherungsverhältnisses ließe sich der Rechtsstreit noch nicht sachlich entscheiden. Wie der Senat bereits in dem Urteil vom 10. November 1977 - 3 RK 7/77 - (zur Veröffentlichung bestimmt) dargelegt hat, setzt die Verpflichtung einer Krankenkasse, gewisse Nebenansprüche zu einem Hilfsmittel (§ 182 b Satz 2 RVO) zu erfüllen, voraus, daß der Hauptanspruch begründet wäre. Es kommt mithin zunächst darauf an, ob die Krankenkasse verpflichtet ist, das Hilfsmittel selbst zu gewähren. Auch dazu hat das SG keinerlei Tatsachen festgestellt, die dem Senat eine Entscheidung über diese Frage ermöglichten.

Es unterliegt zwar keinem Zweifel, daß ein Elektrofahrstuhl ein Hilfsmittel sein kann, das eine Krankenkasse einem Versicherten gemäß § 182 b RVO im gegebenen Fall zu gewähren hat. In einem solchen Fall wird auch zumindest bei der Neubeschaffung des Elektrofahrstuhls dessen Erstausstattung mit einem Satz von Batterien von der Kasse zu gewähren sein (vgl dazu die Entscheidung des Senats vom heutigen Tage zu 3 RK 47/77). Aber bei anderer Sachlage kann ebenso die Folge eintreten, daß die Krankenkasse zur Gewährung eines Elektrofahrstuhls nicht verpflichtet ist. Da die unter § 182 b RVO fallenden Hilfsmittel zur Krankenpflege gehören (§ 182 Abs 1 Nr 1 c RVO), stehen sie unter dem Postulat des § 182 Abs 2 RVO. Sie müssen mithin ausreichend und zweckmäßig sein, dürfen das Maß des Notwendigen jedoch nicht überschreiten. Ob sie diese Voraussetzungen erfüllen, ist in erster Linie aus dem Gesundheitszustand des Behinderten abzuleiten. Die Feststellung im angefochtenen Urteil, daß der Beigeladene an multipler Sklerose leidet, läßt noch keine hinreichende Schlußfolgerung darüber zu. Gerade diese Krankheit kann in den verschiedensten Erscheinungsformen auftreten, angefangen von leichten Beeinträchtigungen in der Beweglichkeit der äußeren Gliedmaße bis hin zu den schwersten Formen, bei denen der Behinderte sich so gut wie überhaupt nicht mehr zu bewegen vermag. Bei einer solch schweren Form wäre ein Behinderter wohl kaum in der Lage, den Elektrofahrstuhl selbst bedienen zu können und schon dadurch könnte sich gerade dieses Hilfsmittel als nicht geeignet erweisen. Bei einer nur leichten Beeinträchtigung könne ein Elektrofahrzeug andererseits die Grenzen des Notwendigen überschreiten; dieses Ergebnis würde sich herausstellen, wenn mit einem sog Selbstfahrer die Behinderung in ausreichendem Maße ausgleichbar wäre. Es wäre auch denkbar, daß der Behinderte zwar in der Lage wäre, sich ohne Hilfsmittel fortzubewegen und das Elektrofahrzeug - etwa ein Elektromobil anstelle eines Elektrofaltfahrers - lediglich dazu benötigte, um einen längeren Arbeitsweg zurücklegen und auf diese Art einen Arbeitsverdienst erwerben zu können. In einem solchen Fall wäre das Hilfsmittel, wie der Senat bereits in der Entscheidung vom 22. Februar 1974 - 3 RK 27/73 - (BSGE 37, 138) im einzelnen dargelegt hat, dem Bereich zuzuordnen, der die Eingliederung des Behinderten in das Arbeitsleben betrifft, für den ihm (auch) Arbeitsentgelt zur Verfügung steht und das Fahrzeug würde deshalb nicht als Hilfsmittel der Krankenversicherung in Betracht kommen. Sollte ein derartiger Sachverhalt dem Rechtsstreit zugrunde liegen, müßte das SG den Träger der Arbeitsförderung dem Rechtsstreit beiladen und prüfen, ob nach den vom Bundessozialgericht im Urteil vom 11. März 1976 - 7 RAr 184/74 - (BSGE 41, 241, 247 ff) entwickelten Grundsätzen ein Anspruch des Behinderten gegen diesen Versicherungsträger gegeben wäre, der zu einem Ersatzanspruch des Klägers führen könnte.

Da das angefochtene Urteil keine der erforderlichen Feststellungen enthält und der Senat sie nicht nachzuholen vermag, war der Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654795

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