Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisibilität von allgemeinen Auslegungsregeln. Verfassungsmäßigkeit der Nichtanrechnung, eine hilfskassenärztliche Tätigkeit bei der erweiterten Honorarverteilung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine an sich irrevisible Norm wird nicht dadurch revisibel, daß die Verletzung allgemeiner Auslegungsregeln gerügt wird.
2. Die tatrichterliche Entscheidung beruht dann nicht auf der Anwendung von Bundesrecht (§ 162 SGG), wenn dieses (Bundes-) Recht bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale einer irrevisiblen Norm herangezogen worden ist.
3. Zur Verfassungsmäßigkeit satzungsrechtlicher Nichtanrechnung einer hilfskassenärztlichen Tätigkeit bei der erweiterten Honorarverteilung.
Orientierungssatz
1. Denkgesetze oder sonstige allgemeine Grundsätze für die Auslegung von Rechtsnormen unterliegen nicht der Prüfung durch das Revisionsgericht, soweit sie bei der Anwendung irrevisiblen Rechts herangezogen werden (vgl BVerwG 1976-05-13 II C 26/74 = Buchholz 237.4 § 35 HmbBG Nr 1). Vielmehr können allgemeine Auslegungsgrundsätze dem revisiblen Bundesrecht nur zugeordnet werden, wenn sie der Ergänzung von Bundesrecht dienen (vgl BVerwG 1975-06-11 11 VIII B 62/74 = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 133).
2. Die satzungsrechtliche Nichtanrechnung einer hilfskassenärztlichen Tätigkeit bei der erweiterten Honorarverteilung verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1, Art 20 Abs 1 und Art 3, 28 Abs 1 GG.
Normenkette
SGG § 162 Fassung: 1974-07-30; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 3 Fassung: 1949-05-23; GG Art 28 Abs 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 23.04.1980; Aktenzeichen L 7 Ka 1239/78) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 16.08.1978; Aktenzeichen S 5 Ka 7/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Anspruchs des Klägers auf Teilnahme an der erweiterten Honorarverteilung der Beklagten.
Der 1909 geborene Kläger erhielt nach erfolgreicher medizinischer Aus- und Weiterbildung am 24. Februar 1939 seine Anerkennung als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Für die Zeit vom 1. Oktober 1939 bis 31. Dezember 1944 wurde er als sog Hilfskassenarzt dienstverpflichtet und anschließend für mehrere Monate als Sanitätsoffizier an der Ostfront eingesetzt. Ab 1. Oktober 1945 war er dann als niedergelassener Hautarzt in F. tätig. Zum 31. März 1976 verzichtete der Kläger auf seine Kassenzulassung, woraufhin ihm die Beklagte mit Bescheid vom 9. Februar 1976 als Altersversorgung einen Anspruch auf weitere Teilnahme an der kassenärztlichen Honorarverteilung mit einer vorläufigen Quote von 28,75 % - gemindert um 7 % wegen vorzeitigen Ausscheidens - für die Zeit ab 1. April 1976 zubilligte. Dabei legte sie ihre am 1. Januar 1954 in Kraft getretenen Grundsätze der erweiterten Honorarverteilung (im folgenden: GEHV ) zugrunde, deren § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 folgenden Wortlaut hat: "Wurde auf Grund rechtskräftiger Zulassung bereits vor dem 1.9.1939 kassenärztliche Tätigkeit ausgeübt, so sind 400 Punkte je Jahr kassenärztlicher Tätigkeit bzw. 100 Punkte je Vierteljahr, längstens jedoch für die Zeit ab 1.1.1935, gutzuschreiben. Für die Zeit ab 1.9.1939 erfolgt die Gutschrift nur, wenn der Kassenarzt an der Honorarverteilung teilgenommen hat oder Anspruch auf freiwillige Zuwendung aus der Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands hatte."
Mit Bescheid vom 1. September 1976 setzte die Beklagte den endgültigen Anspruchssatz auf 26,27 % fest, indem sie dem Kläger für dessen Kassenarztzeiten ab Oktober 1945 entsprechend den erzielten Kassenhonoraren vierteljährlich bestimmte Punktwerte gutschrieb. Die Tätigkeit des Klägers als Hilfskassenarzt von 1939 bis 1944 ließ sie insoweit unberücksichtigt.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger sein auf eine höhere Quote gerichtetes Begehren im Klagewege weiterverfolgt. Gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Frankfurt vom 16. August 1978 hat er Berufung eingelegt, mit welcher er im wesentlichen geltend gemacht hat: Seine Hilfskassenarztzeit sei bei der Berechnung des Anspruchssatzes zu berücksichtigen, da er bereits im vierten Quartal 1939 zur kassenärztlichen Tätigkeit zugelassen worden sei und diese ab 1. Oktober 1945 in F. im Einvernehmen mit den damals als Nachfolgerinnen der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands in K. und F. zuständigen Instanzen fortgesetzt habe. Außerdem habe er als Hilfskassenarzt bereits an der Honorarverteilung teilgenommen, wie sich insbesondere aus den Erlassen des Reichsministers des Inneren und des Reichsfinanzministers vom 18. März 1940 (DÄ 1940, 191) und 15. Mai 1940 (DÄ 1940, 251) ergebe. Die von der Beklagten praktizierte Handhabung der erweiterten Honorarverteilung verstoße gegen Art 3 des Grundgesetzes (GG) und gegen das Sozialstaatsprinzip, indem Ärzten, die im Jahre 1939 Inhaber einer Kassenpraxis gewesen seien oder später aufgrund einer Ausnahmebewilligung eine formelle Zulassung erhalten hätten, auch solche Zeiten angerechnet würden, in denen sie infolge von Kriegsdienst oder anderen militärischen Verpflichtungen die Kassenpraxis nicht ausgeübt hätten. Hingegen sollten bei sog Hilfskassenärzten, die tatsächlich an der kassenärztlichen Versorgung mitgewirkt hätten, diese Zeiten kassenärztlicher Tätigkeit nicht berücksichtigt werden. Dafür lasse sich kein sachlicher Grund finden, zumal er, der Kläger, damals als Bezieher eines "Tagegeldes" keine Möglichkeit gehabt habe, anderweitig Vorsorge zu treffen.
Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Urteil vom 23. April 1980 als unbegründet zurückgewiesen, da es für die vom Kläger begehrte Berücksichtigung der Zeiten von Oktober 1939 bis Dezember 1944 nach den GEHV an einer Anspruchsgrundlage fehle. Aus den Bestimmungen dieses autonomen Satzungsrechts sei zu entnehmen, daß sich die erweiterte Honorarverteilung nur auf Mitglieder der Beklagten erstrecke. Deren Arzttätigkeit werde zeitlich insoweit berücksichtigt, als nach rechtskräftiger Zulassung bzw Beteiligung im Bereich der Beklagten Kassenarzt-Honorarforderungen anerkannt worden seien. Nach den in § 10 GEHV enthaltenen Übergangsbestimmungen sei Ärzten, die bereits vor dem 1. September 1939 als Kassenärzte tätig gewesen seien, eine bestimmte Punktzahl gutzuschreiben, für die Zeit ab 1. September 1939 jedoch ua nur, wenn sie als Kassenärzte an der Honorarverteilung teilgenommen hätten. Auch daraus folge, daß die Teilnahme an der Honorarverteilung unabdingbare Voraussetzung für die Anspruchsberechtigung hinsichtlich der erweiterten Honorarverteilung sei. Da ab 1. September 1939 unstreitig keine Zulassungen mehr vorgenommen worden seien, könne für eine nach diesem Zeitpunkt aufgrund einer Dienstverpflichtung zustandegekommene Hilfskassenarzttätigkeit keine Gutschrift erfolgen. In der Zeit von 1939 bis 1944 sei der Kläger nur als Hilfskassenarzt in einer verwaisten Praxis gegen festes Tagegeld tätig gewesen und habe selbst nicht mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) abgerechnet. Die erweiterte Honorarverteilung gehe jedoch von dem Grundsatz aus, daß ein Kassenarzt nur dann an ihr teilnehmen könne, wenn er selbst Honorare abgerechnet und dafür von der KÄV entsprechende Leistungen erhalten habe. Es wäre deshalb systemfremd, die vom Kläger geleistete Tätigkeit ebenso anzurechnen wie bei dem selbst abrechnenden Kassenarzt. Allein die Tatsache einer nicht formalen Zulassung des Klägers als Kassenarzt ab 1945 begründe keinen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Anrechnung von Zeiten vor 1945, da der Kläger nach dem Kriege nicht mehr als Hilfskassenarzt ein festes Tagegeld erhalten, sondern selbst mit den von ihm erbrachten Leistungen mit der Beklagten abgerechnet habe. Wenn Hilfskassenärzte in eigener Praxis nach 1945 keinen Antrag auf Neuzulassung hätten stellen müssen, so habe dies seinen Grund darin, daß es sich um Ärzte in eigener Praxis gehandelt habe. Dazu habe der Kläger erst nach 1945 gehört. Eine andere Stellung des Klägers ergebe sich auch nicht aus der Dritten Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Notdienstverordnung) vom 15. Oktober 1938 (RGBl I, 1441) und den von ihm angeführten reichsministeriellen Erlassen. Schließlich verstoße die Regelung der GEHV weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch gegen das Willkürverbot, da aus sachlichen Gründen zwischen Ärzten, die an der Honorarverteilung teilgenommen hätten, und solchen unterschieden würde, bei denen dies nicht der Fall gewesen sei.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger, daß dieses Gericht wegen Verstoßes gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze zu dem unrichtigen Ergebnis gekommen sei, er habe in dem streitigen Zeitraum nicht iS von § 10 Abs 1 GEHV als Kassenarzt an der Honorarverteilung teilgenommen. Aus der Notdienstverordnung, den Erlassen des Reichsministers des Inneren und des Reichsfinanzministers vom 18. März 1940 und 15. Mai 1940 sowie der Bekanntmachung der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands vom 10. Mai 1940 (DÄ 1940, 239) ergebe sich nämlich, daß er die Stellung eines Kassenarztes gehabt und an der Honorarverteilung teilgenommen habe. Es sei den Hilfskassenärzten nicht nur ein pauschaler Tagessatz, sondern es seien noch zusätzliche Vergütungen entsprechend den erbrachten Leistungen gezahlt worden, die auch er tatsächlich erhalten habe. Demgegenüber hätten abwesende Praxisinhaber ab 1. April 1940 nicht mehr an der Honorarverteilung teilgenommen. Darüber hinaus stellten die Bescheide der Beklagten einen Verstoß gegen Art 3 GG dar, weil sich überzeugende Gesichtspunkte für eine Schlechterstellung des Klägers nicht finden ließen. Er habe seinerzeit die vollen Rechte und Pflichten eines Kassenarztes gehabt. Gegenüber den im Felde befindlichen Ärzten, die nur formell weiterhin Kassenärzte gewesen seien und heute an der erweiterten Honorarverteilung teilnehmen könnten, sei er um so schutzwürdiger, als er damals eine Vergütung erhalten habe, die weit unter der der eingezogenen Kassenärzte gelegen habe. Außerdem könne er eine Gleichbehandlung mit den vom LSG erwähnten "Hilfskassenärzten in eigener Praxis" beanspruchen, wenn eine solche rechtlich differenzierte Gruppe de facto bestanden habe. Schließlich verstoße die Nichtberücksichtigung der Hilfskassenarzttätigkeit um so mehr gegen den Gleichheitsgrundsatz, als in den GEHV an anderer Stelle versucht worden sei, formelle Ungerechtigkeiten auszugleichen. Dies gelte zB für die Heimkehrer und die in § 10 Abs 11a GEHV erwähnten Ärzte, die aufgrund verfassungswidriger Zulassungsbeschränkungen keine Zulassung erhalten hätten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. April 1980 und das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 16. August 1978 sowie die Bescheide der Beklagten vom 9. Februar 1976 und 1. September 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 1977 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung des Anspruchssatzes aus der erweiterten Honorarverteilung die Zeit vom 1. Oktober 1939 bis 31. Dezember 1944 unter Zubilligung des höchstmöglichen Anspruchssatzes zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie macht im wesentlichen geltend: Soweit der Kläger rüge, das Berufungsgericht habe § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 Satz 2 GEHV fehlerhaft ausgelegt, habe er keine Vorschrift des Bundesrechts bezeichnet, welche durch die Entscheidung des LSG über eine nur in dessen Bezirk geltende Bestimmung verletzt sei. Insoweit sei die Revision gem § 162 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unbegründet. Darüber hinaus sei auch Art 3 GG durch die angegriffene Entscheidung nicht verletzt. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung des Klägers anderen Anspruchsberechtigten gegenüber liege nicht vor. Der Kläger sei in der Zeit vom 1. Oktober 1939 bis 31. Dezember 1944 nicht als zugelassener Kassenarzt, sondern als notdienstverpflichteter Hilfskassenarzt wie ein Kassenarzt tätig gewesen. Er habe im Felde befindliche Kassenärzte vertreten. Seine damalige Rechtsstellung sei derjenigen vergleichbar, welche heute der Assistent oder Vertreter eines Kassenarztes gem § 32 der Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZO-Ärzte) innehabe. Insoweit solle durch § 10 GEHV eine Doppelanrechnung für den Kassenarzt im Felde und gleichzeitig für dessen Vertreter verhindert werden. Im übrigen sei das Revisionsgericht an ihre in autonomer Rechtssetzung geschaffene Satzung gebunden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Urteil des LSG beruht nicht auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 SGG).
Seiner Entscheidung hat das LSG § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 GEHV zugrundegelegt. Selbst wenn es diese Vorschrift unrichtig angewandt haben sollte, so läge darin keine Rechtsverletzung iS des § 162 SGG, da es sich bei den GEHV nicht um Bundesrecht, sondern um autonomes Satzungsrecht handelt, welches auf einer landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage beruht und nur für den Bereich des Landes Hessen Geltung beansprucht (§§ 1, 8 des Gesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen vom 22. Dezember 1953, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen - GVBl He S 206). Die Ausdehnung des Landes Hessen entspricht wiederum dem Gerichtsbezirk des LSG (§ 1 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum SGG vom 22. Dezember 1953, GVBl He S 204, neu gefaßt durch Gesetz vom 11. Januar 1982, GVBl He I S 26). Zwar würde es auch ausreichen, wenn eine inhaltlich - gewollt - gleiche Vorschrift außerhalb des Landes Hessen besteht (so zB BSGE 1, 98, 100; 3, 77, 80f; 13, 189, 191; 16, 227, 234f; vgl auch BGH MDR 1975, 831), dies ist jedoch hinsichtlich der GEHV nicht ersichtlich, zumal die Neuerrichtung einer mit der Honorarverteilung gekoppelten kassenärztlichen Altersversorgung nach Inkrafttreten des Gesetzes über Änderungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung (RVO) und zur Ergänzung des SGG (Gesetz über Kassenarztrecht -GKAR-) vom 17. August 1955 (BGBl I S 513) ohnehin unzulässig ist (Art 4 § 1 Abs 2 GKAR; vgl BSG SozR Nrn 1 und 3 zu Art 4 § 1 GKAR).
Eine Verletzung revisiblen Rechts läßt sich - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht aus einem Verstoß gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze bei der Anwendung der GEHV herleiten. Denkgesetze oder sonstige allgemeine Grundsätze für die Auslegung von Rechtsnormen unterliegen nämlich nicht der Prüfung durch das Revisionsgericht, soweit sie bei der Anwendung irrevisiblen Rechts herangezogen werden (BVerwG Buchholz 310 § 137 VwGO Nr 53; 237.4 § 35 HmbBG Nr 1). Vielmehr können allgemeine Auslegungsgrundsätze dem revisiblen Bundesrecht nur zugeordnet werden, wenn sie der Ergänzung von Bundesrecht dienen (BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 133). Eine an sich irrevisible Vorschrift wird hingegen nicht dadurch revisibel, daß bei ihrer Auslegung auch allgemeine Rechtsgrundsätze berücksichtigt werden (BGH VersR 1959, 134). Zwar haben derartige Grundsätze mit Rücksicht auf ihre Allgemeingültigkeit durchaus einen normativen Charakter, ihnen kommt jedoch gegenüber den Vorschriften, bei deren Auslegung sie zur Anwendung gelangen, im Rahmen des § 162 SGG keine eigenständige Bedeutung zu. Anderenfalls könnte nämlich jede Fehlauslegung irrevisiblen Rechts, die letztlich immer auf der Verletzung von irgendwelchen Auslegungsgrundsätzen beruht, eben wegen dieser Verletzung als Verstoß gegen Bundesrecht deklariert und damit revisibel gemacht werden (BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 133). Seine abweichende Rechtsauffassung (BVerwG Buchholz 418.00 Ärzte Nr 5; 418.02 Tierärzte Nr 1), auf die sich offenbar noch einige Kommentierungen beziehen (Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 2. Aufl, 1981, § 162 RdNr 7; Peters/Sautter/Wolff, Komm zur SGb, 4. Aufl, 1968 ff, § 162 Anm 3, S III/81 - 51 -), hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in seinem Urteil vom 5. Juli 1973 - I C 29.70 - nicht mehr aufrechterhalten (vgl den Hinweis bei Buchholz 418.02 Tierärzte, S 7).
Ähnliches gilt, soweit der Kläger seine Revision darauf stützt, das LSG habe die Notdienstverordnung sowie die für seinen ehemaligen Status als Hilfskassenarzt maßgeblichen reichsministeriellen Erlasse und sonstigen amtlichen Verlautbarungen nicht richtig ausgelegt. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob und inwieweit die genannten Vorschriften als Bundesrecht anzusehen sind (hinsichtlich der Notdienstverordnung vgl Art X § 10 Abs 2 Nr 10 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 23. Dezember 1956 - BGBl I S 1018, 1055 -). Unabhängig von dieser Frage ist die Auslegung dieser Regelungen durch das LSG für den erkennenden Senat verbindlich. Denn es fehlt für eine revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit jedenfalls an der weiteren Voraussetzung des § 162 SGG, daß das angefochtene Urteil auf der Anwendung der betreffenden Bestimmungen beruht. Diese geben als solche nämlich für eine höhere Teilnahmequote des Klägers an der erweiterten Honorarverteilung nichts her. Vielmehr kommen sie nur im Rahmen der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die einschlägige Anspruchsnorm des § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 GEHV zum Tragen. Ist jedoch Bundesrecht lediglich für die Auslegung einer irrevisiblen Vorschrift heranzuziehen, so wird dadurch die Revisibilität des betreffenden Landesrechts nicht begründet (BVerwGE 1, 76, 78; ebenso Meyer-Ladewig, aa0, § 162 RdNr 5; Peters/Sautter/Wolff, aa0, § 162 Anm 3, S III/81 - 49 -).
Wenn der Kläger weiter behauptet, er habe als Hilfskassenarzt entgegen der Annahme des LSG nicht nur einen pauschalierten Tagessatz, sondern auch zusätzliche Vergütungen und Entschädigungen erhalten, so handelt es sich dabei um einen neuen Tatsachenvortrag, der im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden kann. Der Senat ist nämlich insoweit gem § 163 SGG an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, zumal der Kläger in bezug auf diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht hat. Insbesondere hat er iS von § 164 Abs 2 SGG weder allgemein geltend gemacht, das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, noch hat er im einzelnen die dafür relevanten Umstände dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich des Vorbringens des Klägers, abwesende Praxisinhaber hätten - abweichend von der Darstellung des LSG - auf Beschluß der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands ab 1. April 1940 nicht mehr an der Honorarverteilung teilgenommen.
Die Anwendung der GEHV, wie sie das LSG im vorliegenden Fall für den Senat verbindlich ausgelegt hat, steht entgegen der Ansicht des Klägers nicht im Widerspruch zu den Normen des GG. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3, 28 Abs 1 GG), insbesondere den Gedanken der Rechtssicherheit, liegt nicht vor, da das LSG bei der Auslegung der Grundsätze jedenfalls nicht offensichtlich willkürlich verfahren ist (vgl BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 133). Eine derartige mutwillige Fehlinterpretation der einschlägigen Vorschriften hat selbst der Kläger nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr läßt es sich durchaus mit dem Wortlaut des § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 GEHV vereinbaren, wenn das LSG zu dem Ergebnis gekommen ist, eine Punktgutschrift könne für die Zeit der Hilfskassenarzttätigkeit des Klägers nicht erfolgen, weil dieser insoweit weder als Kassenarzt zugelassen gewesen sei noch an der Honorarverteilung teilgenommen habe.
Die Nichtberücksichtigung der Zeiten des Klägers als Hilfskassenarzt verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG. Diese Vorschrift enthält das Gebot, wesentlich Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (s dazu Leibholz/Rinck, Komm zum GG, Art 3 Anm 2, mit ausführlichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG-). Diesen Kriterien wird § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 GEHV in der vom LSG vorgenommen Auslegung gerecht, zumal das Gestaltungsermessen eines Normgebers wie der Beklagten bei der Regelung von Ansprüchen im Bereich der darreichenden Verwaltung nach der Natur der Sache weiter gespannt ist als bei gesetzlichen Eingriffen (BVerfGE 11, 50). Insoweit war die Beklagte nicht verpflichtet, im Rahmen der Übergangsbestimmungen der GEHV Punktgutschriften auch für die Hilfskassenarztzeiten des Klägers vorzunehmen. Sie hat durch die Erteilung von Gutschriften für Zeiten vor Inkrafttreten der erweiterten Honorarverteilung am 1. Januar 1954 auch für altgediente Kassenärzte die Möglichkeit geschaffen, noch eine angemessene Versorgung zu erlangen. Dabei war es ihr unbenommen, diese Vergünstigung auf Zeiten zu beschränken, die nach einer rechtskräftigen Zulassung als Kassenarzt liegen. Dies ergibt sich bereits aus dem mitgliedschaftlichen Charakter dieser kassenärztlichen Altersversorgung. Denn die Solidargemeinschaft der aktiven Kassenärzte kann grundsätzlich nicht dazu gezwungen werden, auf Honoraranteile zugunsten ihrer inaktiven Kollegen auch hinsichtlich solcher Zeiten zu verzichten, welche jene vor ihrer Kassenzulassung zurückgelegt haben. Ebenso erscheint es unbedenklich, wenn die Gutschrift für die Zeit ab 1. September 1939 zusätzlich von einer vollwertigen Teilnahme an der kassenärztlichen Honorarverteilung oder von einem bestehenden Anspruch auf freiwillige Zuwendungen aus der Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands abhängig gemacht worden ist. Damit wird nämlich lediglich den kriegsbedingten Veränderungen des Kassenarztsystems Rechnung getragen.
Soweit ehemalige Hilfskassenärzte wie der Kläger, die nach den bindenden Feststellungen des LSG weder über eine ordnungsgemäße Kassenzulassung verfügten, noch - mit Rücksicht auf ihre festen Vergütungssätze - an der Honorarverteilung teilnahmen, auf dieser Grundlage nicht in den Genuß von Punktgutschriften kommen, liegt darin keine willkürliche Ungleichbehandlung gegenüber den durch die genannte Vorschrift begünstigten Kassenärzten. Es handelt sich nämlich nicht um gleichgelagerte Sachverhalte. Vielmehr ergibt sich die nach der Rechtsauffassung des LSG in § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 GEHV vorgenommene Differenzierung zwischen zugelassenen Kassenärzten und Hilfskassenärzten bereits aus den berufungsgerichtlich festgestellten Statusunterschieden zwischen diesen Personengruppen. Darüber hinaus rechtfertigt sie sich aus folgenden Erwägungen: Anders als bei der Zulassung eines niedergelassenen Arztes zur Kassenpraxis erfolgte die Einbeziehung von Hilfskassenärzten in die kassenärztliche Versorgung regelmäßig nicht aus freien Stücken, sondern aufgrund einer Notdienstverpflichtung nach der Notdienstverordnung. Für den einzelnen Arzt war die Zuweisung in eine Kassenpraxis insoweit nicht nur durch hoheitlichen Zwang, sondern auch durch Zufälligkeit des Eintritts gekennzeichnet. Entsprechend der Bedarfslage wurden Ärzte nämlich auch zur Tätigkeit in Krankenhäusern, Gesundheitsämtern oä notdienstverpflichtet (vgl den Runderlaß des Reichsministers des Inneren vom 18. März 1940 betreffend Notdiensteinsatz von Ärzten zur ärztlichen Versorgung der Zivilbevölkerung, DÄ 1940, 191). Der Staat bediente sich mithin lediglich des Kassenarztsystems, um die medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung im Kriege sicherzustellen, nachdem zahlreiche Kassenärzte eingezogen worden waren. Bedenkt man weiterhin, daß der durch Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 12. September 1939 (AN S 454) verhängte Zulassungsstop für Kassenärzte, verbunden mit dem Einsatz von Hilfskassenärzten, gerade den Bestand der verwaisten Kassenpraxen sichern sollte (s dazu die Verlautbarung der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands vom 11. September 1939, DÄ 1939, 587; ausführlich dazu auch Grote, DÄ 1939, 614 ff), so liegt der Gedanke fern, in der Nichtberücksichtigung von Hilfskassenarztzeiten bei der erweiterten Honorarverteilung eine willkürliche Benachteiligung der betroffenen Ärzte zu sehen. Vielmehr erscheint es durchaus sachgerecht, wenn der Kläger auf diese Weise mit anderen Ärzten gleichbehandelt wird, die seinerzeit in andere Tätigkeitsbereiche notdienstverpflichtet oder unmittelbar zur Wehrmacht einberufen worden sind und von daher ebenfalls keine Punktgutschriften für diese Zeiten erwarten können. Jedenfalls reicht eine tatsächliche Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung - wie auch ein Blick auf die Praxisvertreter iS des § 32 ZO-Ärzte zeigt - nicht aus, um einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Rahmen des § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 GEHV zu begründen.
Es kann dahinstehen, ob die Beklagte unter bestimmten Voraussetzungen nach § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 GEHV auch für Zeiten als sog "Hilfskassenarzt in eigener Praxis" Punktgutschriften vornimmt. Aus einer derartigen Rechtsanwendung kann der Kläger nämlich schon mit Rücksicht darauf keine weitergehenden Ansprüche herleiten, daß sich die Situation dieser Personengruppe wesentlich von seiner eigenen unterscheidet. Denn er hat sich, wie das LSG festgestellt hat, erst im Oktober 1945 in eigener Praxis niedergelassen. Im übrigen waren die Rechtsverhältnisse der niedergelassenen Nichtkassenärzte, die während des Krieges zur Ausübung kassenärztlicher Behandlung verpflichtet wurden, von vornherein anders als die der normalen Hilfskassenärzte ausgestaltet (s die Erste Durchführungsbestimmung zur Anordnung über die Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands während des Krieges, DÄ 1939, 680, 702; vgl auch Grote DÄ 1939, 651).
Soweit sich der Kläger weiterhin auf die Behandlung der Heimkehrer nach den GEHV bezieht, ist nicht ersichtlich, worin hierbei ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG zu sehen sein soll. Denn diese Personengruppe erhält nach § 10 Abs 1 Unterabsatz 2 GEHV besondere Punktgutschriften überhaupt nur, wenn sie vor dem 1. September 1939 eine kassenärztliche Tätigkeit ausgeübt hat. Letzteres war beim Kläger gerade nicht der Fall. Außerdem liegen die Unterschiede zwischen der Notdienstverpflichtung als Hilfskassenarzt und dem Schicksal der Flüchtlinge und Heimkehrer auf der Hand. Auch die Regelung des § 10 Abs 11a GEHV ist mit den hier in Rede stehenden Verhältnissen nicht vergleichbar, da sie anders als § 10 Abs 1 Unterabsatz 1 GEHV von dem Gedanken getragen ist, das durch verfassungswidrige Zulassungsbeschränkungen erlittene Unrecht der betroffenen Ärzte in sachgerechter Weise wiedergutzumachen.
Schließlich läßt sich auch kein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 28 Abs 1 GG) feststellen. Es mag zwar zutreffen, daß der Kläger im Hinblick auf seinen Einsatz als notdienstverpflichteter Hilfskassenarzt einen gewissen Schutz verdient. Dem hat jedoch der Gesetzgeber insbesondere durch § 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) - im Bereich der Rentenversicherung ua auch durch § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO, § 28 Abs 1 Nr 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) - hinreichend Rechnung getragen. Jedenfalls ist die Beklagte nicht aufgrund des Sozialstaatsgedankens verpflichtet, diese Umstände bei der Erteilung von Gutschriften im Rahmen ihrer erweiterten Honorarverteilung zu berücksichtigen. Denn zum einen erwächst dem einzelnen allein aus dem Grundsatz der Sozialstaatlichkeit grundsätzlich noch kein verfolgbarer Anspruch gegen den Staat oder die zur Normsetzung berechtigte Körperschaft auf Regelung eines bestimmten Lebenssachverhalts in einem für ihn günstigen Sinne, da der Verfassungsgeber in Art 20 Abs 1 GG besondere Richtlinien, die einzelne Ansprüche oder irgendwelche Rechte unmittelbar betreffen, nicht festgelegt hat (so zB BSG SozR Nr 72 zu Art 3 GG). Zum anderen kann es auch nicht Aufgabe der Beklagten sein, alle etwaigen Versorgungsnachteile, die einem Arzt - zumal vor seiner Kassenzulassung - durch Notdienstverpflichtung oder auch Militärdienst während des Krieges entstanden sind, aus eigenen Mitteln auszugleichen. Dabei handelt es sich nämlich um Inanspruchnahmen seitens des Staates, für die ggfs die Allgemeinheit, nicht jedoch die Risikogemeinschaft der Kassenärzte einzustehen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 115 |
Breith. 1984, 729 |