Leitsatz (amtlich)
Eine Rente wegen Berufsunfähigkeit ist auf Übergangsgeld auch anzurechnen, wenn das Übergangsgeld nach einem fiktiven Arbeitsentgelt für eine Beschäftigung bemessen worden ist, das ohne die Behinderung nach den beruflichen Fähigkeiten und dem Lebensalter des Rehabilitanden erzielbar wäre.
Stand: 24. Juli 2000
Beteiligte
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. August 1999 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Höhe des Übergangsgeldes (Übg) während einer Maßnahme der beruflichen Rehabilitation.
Der 1958 geborene Kläger hat eine Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker abgeschlossen. Er war zuletzt von 1986 bis August 1992 beitragspflichtig beschäftigt. Das Landessozialgericht (LSG) ist von seinen Angaben ausgegangen, er habe Kraftfahrzeugschlosser ausgebildet und vertretungsweise die Staplerwerkstatt geleitet. In der Folgezeit bezog der Kläger folgende Leistungen: Arbeitslosengeld (Alg) vom 17. Oktober 1992 bis zum 2. Oktober 1993; Krankengeld (Krg) vom 4. Oktober 1993 bis 29. März 1994; erneut Alg vom 2. bis 13. Januar 1995; Arbeitslosenhilfe vom 14. Januar bis zum 7. August 1995; Übg vom 8. August bis 5. September 1995 und Krg vom 6. September 1995 bis zum 20. Juni 1996. Vom 27. Juni bis 19. Oktober 1996 bezog der Kläger erneut Alg. Aufgrund eines Bescheids der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz vom 3. Mai 1996 erhielt er zunächst Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit, die mit Bescheid vom 14. November 1996 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres verlängert wurde. Der Netto-Zahlbetrag dieser Rente betrug 1.201,16 DM monatlich.
Die beklagte Bundesanstalt (BA) förderte mit Bescheid vom 2. Oktober 1996 die Umschulung des Klägers zum Versicherungskaufmann als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation. Diese fand seit dem 21. Oktober 1996 statt. Am 8. Mai 1997 hat der Kläger die Maßnahme aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen. Er bezog ab 9. Mai 1997 Alg und ab 13. September 1998 Krg. Seit dem 1. August 1998 ist ihm rückwirkend Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit bewilligt worden.
Übg bewilligte das Arbeitsamt (ArbA) Regensburg mit Bescheid vom 11. November 1996 für die Zeit vom 21. bis 31. Oktober 1996 in Höhe von kalendertäglich 73,89 DM, auf das die Rente wegen Berufsunfähigkeit mit 40,04 DM kalendertäglich angerechnet wurde. Bei der Feststellung dieser Leistung ging die BA fiktiv von einem ohne die Behinderung erzielbaren Arbeitsentgelt von 4.547 DM aus. Die gleiche Regelung traf das ArbA Krefeld mit Bescheid vom 11. Dezember 1996 für die Zeit vom 1. November 1996 bis 30. Juni 1997. Die Widersprüche des Klägers, mit denen er sich gegen die Anrechnung der Rente wegen Berufsunfähigkeit auf das Übg wandte, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid des ArbA Regensburg vom 16. April 1997; Widerspruchsbescheid des ArbA Krefeld vom 3. Juli 1997).
Auch Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts vom 13. November 1997; Urteil des LSG vom 25. August 1999). Das LSG ist davon ausgegangen, mit der bindenden Bewilligung der Förderung einer Umschulung zum Versicherungskaufmann seien auch die Behinderteneigenschaft des Klägers und die allgemeinen Förderungsvoraussetzungen anerkannt. Das Übg habe die BA zutreffend auf der Grundlage der fiktiven tariflichen Einstufung mit 73,89 DM kalendertäglich bemessen. Auf diesen Betrag habe die BA zu Recht die Rente wegen Berufsunfähigkeit mit 40,04 DM kalendertäglich nach § 59e Abs 3 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) angerechnet. Zwar komme die Anrechnung einer Rente nach dieser Vorschrift nur in Betracht, wenn die Bemessung des Übg auf vor der Rentengewährung erzieltem Arbeitsentgelt oder -einkommen beruhe. Das treffe zwar bei fiktivem Arbeitseinkommen dem Wortlaut nach nicht zu. Allerdings sei die Vorschrift im Wege „erweiternder Auslegung” auch auf diesen Fall anzuwenden. Das ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Ihr liege der Gedanke zugrunde, daß ein solches Arbeitsentgelt oder -einkommen regelmäßig höher sei, als das neben einem Rentenbezug erzielte Einkommen. Der Normzweck gebiete es, ein ohne die Behinderung erzielbares Arbeitsentgelt dem erzielten Arbeitsentgelt iS des § 59e Abs 2 Nr 3 AFG gleichzustellen. Durch den Rückgriff auf ein fiktives Arbeitsentgelt ohne Berücksichtigung der behinderungsbedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit werde der Kläger so gestellt, als hätte er vor Beginn der Maßnahme ein seiner beruflichen Stellung entsprechendes tarifliches Arbeitsentgelt erzielt. Auf ein fiktives Arbeitsentgelt greife der Gesetzgeber unter den Voraussetzungen des § 59a AFG zurück, um eine gleichwertige Sicherstellung des Lebensunterhaltes zu gewährleisten. Der Einwand des Klägers, das fiktive Einkommen sei in der Regel niedriger als das erzielte Arbeitseinkommen, treffe nicht zu. Das fiktive Einkommen werde ermittelt, ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Unter diesen Umständen verbleibe kein über die Rente wegen Berufsunfähigkeit hinaus zu kompensierender Einkommensverlust. Der Kläger sei deshalb so zu stellen, als habe er bis zum Maßnahmebeginn das volle Arbeitsentgelt bezogen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 59e Abs 3 Nr 2 AFG geltend. Er vertritt die Ansicht, die Vorschrift sei „eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich”. Sie regele klar, Renten seien nicht anzurechnen, wenn der Bemessung des Übg nicht das vor Beginn der Rentengewährung tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt zugrunde liege. Diese Entscheidung sei im Interesse der Verwaltungsvereinfachung unwiderleglich. Nur wenn Übg und Rente wegen Berufsunfähigkeit auf demselben Versicherungsfall beruhten, käme es zu einer Doppelversorgung. Wollte man alle Fallgestaltungen einbeziehen, so bedürfte es der Formulierung in § 59e Abs 3 Nr 2 AFG nicht. Der Gesetzgeber hätte sich mit einer Regelung der Anrechenbarkeit von Renten auf das Übg begnügen können. Es sei im Hinblick auf § 59a AFG nicht zu erwarten, daß der Gesetzgeber den Zusammenhang mit § 59e Abs 3 Nr 2 AFG nicht gesehen hätte. Die Beschränkung der Anrechenbarkeit von Rente wegen Berufsunfähigkeit hänge auch damit zusammen, daß diese Rentenart keine Vollrente darstelle. Sie setze voraus, daß der Versicherte weiterhin Arbeitsverdienst erziele. Deshalb solle die Rente auf das Übg nur angerechnet werden, wenn das Bemessungsentgelt vor der Rentengewährung tatsächlich erzielt sei. Die Rente wegen Berufsunfähigkeit sei dem Kläger mit Bescheid vom 3. Mai 1996 bewilligt worden, das Übg, das auf einem fiktiven Entgelt beruhe, aber erst mit Bescheid vom 2. Oktober 1996. Der gleiche Regelungszusammenhang finde sich in § 116 Abs 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Rentenversicherung (SGB VI). Dem Kläger sei deshalb das Übg ohne Anrechnung seiner Rente wegen Berufsunfähigkeit ungekürzt in Höhe von 73,89 DM zu bewilligen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. August 1999 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. November 1997 aufzuheben, den Bescheid vom 11. November 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. April 1997 sowie den Bescheid vom 11. Dezember 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Juli 1997 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, das Übergangsgeld bis 8. Mai 1997 ohne Anrechnung der Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, die Bemessung des Übg sei ohne Rücksicht auf die Behinderung, die Grund für den Bezug der Rente wegen Berufsunfähigkeit gewesen sei, erfolgt. Die Argumentation der Revision sei schon im Ansatz verfehlt. Im übrigen nimmt die Beklagte auf die Ausführungen des LSG Bezug.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Entscheidung des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung.
1. Das LSG hat die Voraussetzungen der Berufsförderung durch die BA und einen Anspruch auf Übg dem Grunde nach nicht geprüft. Sollte die BA ihre Zuständigkeit für berufsfördernde Leistungen (§ 57 AFG iVm §§ 9 ff SGB VI) oder die Voraussetzungen für den Anspruch auf Übg (§§ 56 Abs 2 Nr 1, 59 Abs 1 AFG) zu Unrecht angenommen haben, so wäre der Anspruch auf Auszahlung des Übg ohne Anrechnung der Rente wegen Berufsunfähigkeit schon unter diesem Gesichtspunkt unbegründet. Das kann jedoch auf sich beruhen, denn die BA hat mit Recht den Zahlbetrag des Übg wegen der gleichzeitigen Rentenleistung gekürzt.
2. Die Bemessung des Übg nach § 59a AFG ist nicht zu beanstanden. Der Bemessungszeitraum der letzten abgerechneten vier Wochen des letzten Beschäftigungsverhältnisses vor Beginn der Maßnahme (§ 59 Abs 3 Satz 1 AFG) lag im Falle des Klägers zu Beginn der Maßnahme länger als drei Jahre zurück (§ 59a Satz 1 Nr 1 AFG). Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger zuletzt bis zum 28. August 1992 beitragspflichtig beschäftigt. Die Umschulung zum Versicherungskaufmann hat er am 21. Oktober 1996 aufgenommen. Maßgebend für die Bemessung des Übg war deshalb das tarifliche Arbeitsentgelt im letzten Kalendermonat vor dem Beginn der Maßnahme für diejenige Beschäftigung, für die der Kläger ohne seine Behinderung nach seinen beruflichen Fähigkeiten und nach seinem Lebensalter in Betracht gekommen wäre (§ 59a Satz 2 AFG). Bei dem Kläger, der zuletzt als Kraftfahrzeugschlosser ausgebildet und vertretungsweise eine Staplerwerkstatt geleitet hat, erscheint die fiktive tarifliche Einstufung als Bereichsleiter in der Automobil/Metallindustrie in Nordrhein-Westfalen jedenfalls nicht zu seinem Nachteil unangemessen. Aus dem fiktiven tariflichen Arbeitsentgelt von 4547 DM war nach § 59a Satz 1 AFG ein fiktives Netto-Arbeitsentgelt zu ermitteln, wobei das Gesetz mit dem Vomhundertsatz 65 unterstellt, daß die Lohnabzüge 35 vH betragen hätten (Niesel, Arbeitsförderungsgesetz, 2. Aufl 1997, § 59a RdNr 12). Aus dem sich daraus ergebenden kalendertäglichen Netto-Arbeitsentgelt von 98,52 DM ergibt sich nach dem für den Kläger maßgeblichen erhöhten Leistungssatz von 75 vH (§ 59 Abs 2 Nr 1 AFG) das ihm kalendertäglich ohne Anrechnung von Rentenleistungen zustehende Übg von 73,89 DM. Ist mithin das Übg zutreffend ermittelt, kann dem Kläger ein Anspruch auf eine höhere Leistung, auch unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt als der Anrechnung seiner Rente, nicht zustehen.
3. Auch die Anrechnung der Rente wegen Berufsunfähigkeit auf den Anspruch auf Übg, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für die Anrechnung ist § 59e Abs 3 Nr 2 AFG, wonach das Übg um den um gesetzliche Abzüge verminderten Betrag von Renten zu kürzen ist, wenn dem Übg ein vor Beginn der Rentengewährung erzieltes Arbeitsentgelt zugrunde liegt. Das Bedenken der Revision, der Wortlaut dieser Vorschrift decke nicht die Kürzung von Übg, welches nach einem fiktiven Arbeitsentgelt bemessen worden ist, greift nicht durch.
3.1 Zwar erfaßt das Tatbestandsmerkmal „erzieltes Arbeitsentgelt” bei isolierter Betrachtung des Wortlauts nicht auch das für die Bemessung hier maßgebende ohne die Behinderung erzielbare Arbeitsentgelt. Eine solche Betrachtungsweise ließe aber den systematischen Zusammenhang der Anrechnungsvorschrift mit den Bemessungsvorschriften (§§ 59 Abs 2, 59a AFG), die Entstehungsgeschichte des § 59e AFG und den Zweck der Vorschrift außer Acht. Die Bemessung des Übg nach dem vor der Rehabilitationsmaßnahme erzielten Arbeitsentgelt hat den Zweck, den vor der Maßnahme erreichten Lebensstandard des Behinderten im Rahmen der Netto-Lohnersatzquote (§ 59 Abs 2 AFG) zu gewährleisten. Insoweit kommt dem erzielten Arbeitsentgelt – ähnlich wie bei der Bemessung des Alg – grundsätzlich Indizfunktion zu (BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 3; BSG SozR 3-4100 § 59c Nr 3; BSG Urteil vom 24. Juni 1999 - B 11 AL 75/98 R - unveröffentlicht): Das im Bemessungszeitraum vor der Rehabilitationsmaßnahme erzielte Arbeitsentgelt zeigt grundsätzlich an, welches Arbeitsentgelt der Behinderte ohne die Behinderung erzielte, wäre eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht wegen der Teilnahme an der Maßnahme ausgeschlossen (§ 59 Abs 1 AFG). Für die Fälle, in denen Arbeitsentgelt nach § 59 Abs 3 AFG nicht erzielt worden ist, die Indizfunktion des erzielten Arbeitsentgelts wegen zeitlichen Abstandes (§ 59a Satz 1 Nr 1 AFG) oder aus sonstigen Gründen (§ 59a Satz 1 Nr 3 AFG) versagt, ist auf ein nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ohne die Behinderung erzielbares tarifliches Arbeitsentgelt zurückzugreifen. Das für die Bemessung des Übg hier nach § 59a AFG zugrunde gelegte erzielbare Arbeitsentgelt erfüllt für die Bemessung des Übg die gleiche Funktion wie das erzielte Arbeitsentgelt iS des § 59 Abs 3 AFG.
3.2 Bei der Anrechnungsvorschrift des § 59e Abs 3 Nr 2 AFG, die durch das Gesetz über die Angleichung von Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) eingefügt worden und in der Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) anzuwenden ist, ist der Gesetzgeber für Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit (Niesel, AFG, 2. Aufl 1997, § 59e RdNr 15; vgl jetzt: § 168 Abs 1 Nr 5 SGB III) davon ausgegangen, vor dem Rentenbezug liegendes Arbeitseinkommen sei noch nicht durch die Behinderung geschmälert. Auch die Rente wegen Berufsunfähigkeit ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 33 Abs 3 Nr 1 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung). In diesen Fällen sollte ausnahmsweise eine Anrechnung der Rente auf das Übg auch dann stattfinden, wenn die Rehabilitationsmaßnahme aus einem anderen Anlaß als die Rente gewährt wird (BT-Drucks 7/1237 S 61). Der darin steckende Rechtsgedanke trifft aber auch für den hier zu beurteilenden Fall zu, in dem das Übg nicht nach einem erzielten, sondern nach den beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten ohne Rücksicht auf die Behinderung erzielbaren tariflichen Arbeitsentgelt bemessen worden ist. Klarer gefaßt hat der Gesetzgeber den hier zu berücksichtigenden Gedanken in der Parallelvorschrift des § 27 Abs 1 Nr 3 SGB VI. Danach ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf das Übg anzurechnen, wenn sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf die Höhe der Berechnungsgrundlage für das Übg nicht ausgewirkt hat. Das trifft für die Bemessung nach einem fiktiven Arbeitsentgelt wegen § 59a Satz 2 AFG zu.
3.3 Der Sinn der Anrechnungsregelung besteht darin, eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur dann ohne Auswirkungen auf den Zahlbetrag des Übg zu lassen, wenn dieses schon nach einem durch die Behinderung geschmälerten Arbeitsentgelt bemessen worden ist. Mit dem vor Beginn der Rentengewährung erzielten Arbeitsentgelt bringt der Gesetzgeber typisierend zum Ausdruck, daß die Rente anzurechnen ist, weil das Bemessungsentgelt für das Übg nicht – wie hier nach § 59a Satz 2 AFG – durch die behinderungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit herabgesetzt war (vgl zu der übereinstimmenden Anrechnungsvorschrift des § 168 Abs 1 Nr 4 SGB III: Gagel/Lauterbach, SGB III, § 168 RdNr 27 - Stand Juli 1999; Niesel, SGB III, 1998, § 168 RdNr 17).
Der Anrechnungsbetrag ist mit 40,04 DM kalendertäglich aus dem Nettobetrag der Rente von 1.201,16 DM monatlich zutreffend errechnet. Dagegen erhebt der Kläger auch keine Einwände.
4. Gegenüber diesem Verständnis des § 59e Abs 3 Nr 2 AFG greifen auch methodische und verfassungsrechtliche Einwände nicht durch.
4.1 Entgegen der Annahme der Revision ist der Wortlaut des § 59e Abs 3 Nr 2 AFG nicht so eindeutig, daß die Vorschrift nicht „auslegungsfähig” wäre. Die Beschränkung auf eine reine Wortauslegung machte die Vorschrift im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang mit den Bemessungsvorschriften und der sozialpolitischen Zielsetzung des Gesetzgebers unverständlich. Unabhängig von der hier anzuwendenden Vorschrift erkennt die juristischen Methodenlehre ein Verbot des Rückgriffs auf andere Konkretisierungselemente bei angeblich klarem Wortlaut von Vorschriften ohnehin nicht an (Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. Aufl 1997, S 92 Fn 31; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 7. Aufl 1991, S 343; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 1970, S 134 f; E.A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S 68). Die Feststellung, eine Vorschrift sei eindeutig, ist vielmehr das Ergebnis einer „Auslegung”, die nicht nur den Wortlaut zu berücksichtigen hat. Das hängt mit der „Unbestimmtheit von Sprache” und der Abhängigkeit der Bestimmtheit von Begriffen in rechtlichen und außerrechtlichen Bezugssystemen zusammen. Ein rechtsstaatliches Gebot der Bestimmtheit von Normen läßt sich deshalb nur als Bestimmbarkeit des Normgehalts nach Grundsätzen der juristischen Methodik begreifen (vgl Friedrich Müller, Juristische Methodik, 7. Aufl 1997, S 131 ff, 186 ff, 341 ff mwN). Das erklärt die allgemeine Ansicht, dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot werde auch bei Verwendung allgemeiner Gesetzesbegriffe Genüge getan.
4.2 Der Anwendung des § 59e Abs 3 Nr 2 AFG auf Fälle, in denen das Übg nach einem ohne Berücksichtigung der Behinderung erzielbaren Arbeitsentgelt bemessen worden ist, steht auch nicht ein allgemeines Gebot enger Auslegung von Ausnahmevorschriften entgegen. Nach den Materialien sollen Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit allerdings nur ausnahmsweise auf Übg angerechnet werden (BT-Drucks 7/1237 S 61). Die grundsätzliche Offenheit von Ausnahmevorschriften für eine erweiternde Auslegung ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anerkannt (zB: BSG SozR 3-7833 § 2 Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 138 Nr 5 vgl auch: Bachof JZ 1966, 11, 15, der die Gegenansicht als Schulbeispiel dafür ansieht, „wie hartnäckig sich überlieferte Schulmeinungen halten können, auch wenn ihre Unrichtigkeit längst erwiesen ist” - mwN). Soweit sich gegenteilige Aussagen finden, beruhen diese auf einer Verallgemeinerung des Umstandes, daß der spezielle Zweck der jeweiligen Ausnahmevorschrift einer ausdehnenden Auslegung entgegenstehen kann (vgl zB: BSG SozR 3-2500 § 5 Nr 32, wo eine solche Verallgemeinerung allerdings vermieden wird). Gegenüber formalistischen Regeln ist der Berücksichtigung sachlicher Konkretisierungserwägungen (wie zu 3. erörtert) der Vorzug zu geben (vgl auch: Friedrich Müller aaO S 251).
4.3 Der Entscheidung des Senats steht schließlich ein allgemeines Analogieverbot im öffentlichen Recht zum Nachteil von Bürgern nicht entgegen. Allerdings wird ein solches Analogieverbot verfassungsrechtlich mit Hinweis auf das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip vertreten (BVerfG NJW 1996, 3146; Konzak NVwZ 1997, 872 f mwN). Ein generelles Analogieverbot muß schon an der Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen extensiver Auslegung (Normkonkretisierung) und Analogie scheitern (Arthur Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache” - Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Typus, 1965, 3 ff mwN; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd III/2 1959, S 909, 1002 Fn 292). Selbst beim strafrechtlichen Analogieverbot kann es sich nur um die Frage handeln, „ob es möglich ist, innerhalb der Analogie mittels brauchbarer Kriterien eine einigermaßen zuverlässige Grenze zu ziehen” (Kaufmann aaO S 5). Die Vorstellung eines Analogieverbots im Verwaltungsrecht zu Lasten des Bürgers beruht auf einer nicht gerechtfertigten Identifikation von Normtext und Normgehalt. Auf der Grundlage methodengerechter Konkretisierung ist dem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt ebenso genüge getan wie der demokratischen Legitimation von Entscheidungsvorgaben für den konkreten Fall (dazu eingehend: Friedrich Müller, Juristische Methodik, 7. Aufl 1997, S 131 ff; 144 ff). Dies gilt um so mehr, wenn die Konkretisierung – wie hier – einer den Materialien zu entnehmenden Zielsetzung des Gesetzgebers entspricht. Nach der Gegenansicht bleibt unerklärlich, wie die Rechtsanwendungsgleichheit durch verfassungskonforme Auslegung folgerichtig zu gewährleisten wäre. Das Ausschöpfen dieser Möglichkeit ist aber Zulässigkeitsvoraussetzung für Vorlagen nach Art 100 Grundgesetz (BVerfGE 89, 132, 141 = SozR 3-4100 § 186c Nr 1; BSG Urteil vom 21. Oktober 1999 - B 11/10 AL 8/98 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die Anwendung der Anrechnungsvorschrift des § 59e Abs 3 Nr 2 AFG auf Fälle, in denen das Übg nach einem ohne Berücksichtigung der Behinderung erzielbaren Arbeitsentgelt bemessen worden ist, ist danach selbst dann gerechtfertigt, wenn man diese Anwendung als einen Fall der Gesetzesanalogie einstuft.
5. Unter diesen Umständen ist nicht der Frage nachzugehen, ob eine Anrechnung der Rente wegen Berufsunfähigkeit auf das Übg auch nach § 59e Abs 3 Nr 3 AFG gerechtfertigt wäre. Dieser Gedanke liegt nahe, weil das BSG den gleichzeitigen Bezug einer Rente und dem Übg für unbillig gehalten hat, wenn beide Leistungen den gleichen Schaden abdecken (SozR 4100 § 59e Nr 1). Dafür spricht der Umstand, daß das Übg ohne Berücksichtigung der behinderungsbedingten Leistungseinschränkung des Klägers bemessen worden ist.
Die Revision des Klägers kann nach alledem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 513978 |
SozSi 2001, 320 |