Entscheidungsstichwort (Thema)
Soldatenversorgung. NVA-Soldat. Einigungsvertrag. Rentenüberleitung. Sonderversorgung. Eigentumsgarantie. Berufsbeamtentum. Grundsatz. Gleichheitssatz. Systemgerechtigkeit. Übergangszeit. Unfallausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Es verstößt nicht gegen das Grundgesetz, daß ehemalige Soldaten der Nationalen Volksarmee keine Versorgung wie ehemalige Soldaten der Bundeswehr erhalten.
2. Für dienstunfallgeschädigte ehemalige Soldaten der Nationalen Volksarmee ist es für eine Übergangszeit verfassungsrechtlich hinzunehmen, daß sie neben einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Unterschied zu zivilen Arbeitnehmern in der ehemaligen DDR keine Unfallrente oder einen sonstigen Unfallausgleich erhalten.
Normenkette
EinigVtr Anlage I Kap XIX B III Nr. 5; EinigVtr Anlage I Kap XIX B II Nr. 2; EinigVtr Anlage II Kap VIII H III Nr. 9; BVG § 82; GG Art. 3 Abs. 1, 3, 3 S. 2, Art. 14, 33 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 9. Februar 1995 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger erlitt als Berufsoffizier der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen DDR im Jahre 1988 einen schweren Unfall, durch den er dienstuntauglich wurde. Ab Dezember 1989 bezog er nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst eine Dienstbeschädigungsvollrente iH von 1.477,00 Mark, ab Juli 1990, dem Zeitpunkt der Währungsunion, iH von 1.538,70 DM. Seit Januar 1992 erhält der Kläger nach Überführung der Ansprüche aus den Sonderversorgungssystemen der DDR in die Rentenversicherung von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) iH von anfangs 1.417,03 DM.
Wie schon zuvor bei der NVA war der Kläger auch nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland stundenweise bei der Bundeswehr in einem zivilen Beschäftigungsverhältnis als Arbeiter tätig. Ein im März 1991 gestellter Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) wurde vom beklagten Land mit bindend gewordenen Bescheiden abgelehnt (Bescheid vom 10. April 1991; Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1991). Im März 1993 beantragte der Kläger erneut, ihm Versorgungsleistungen nach dem SVG zu gewähren. Dies wurde wiederum mit der Begründung abgelehnt, nach dem Einigungsvertrag (EinigVtr) werde Versorgung nur denjenigen Soldaten gewährt, die in die Bundeswehr übernommen worden seien (Bescheid vom 1. Juni 1993; Widerspruchsbescheid vom 17. September 1993). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 29. März 1994), ebenso die Berufung (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 9. Februar 1995). Nach Auffassung des LSG steht dem Kläger kein Anspruch auf Versorgung zu, weil er nicht zu den ehemaligen Soldaten der Bundeswehr gehört. Mit dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 seien nur solche Soldaten der ehemaligen NVA Soldaten der Bundeswehr geworden, die im aktiven Wehrdienst gestanden hätten. Der Kläger sei aber zum Zeitpunkt des Beitritts bereits aus dem Soldatenverhältnis entlassen gewesen. Selbst wenn der Kläger noch zu diesem Zeitpunkt aktiver Soldat gewesen wäre, könne er nach dem EinigVtr Versorgung nach den Vorschriften des SVG nur für solche Dienstunfälle erhalten, die nach dem Beitritt eingetreten seien. Der Dienstunfall des Klägers sei aber schon vorher eingetreten und nach den bis Ende 1991 fortgeltenden Versorgungsregelungen der DDR entschädigt worden. Ab 1. Januar 1992 sei diese Versorgung nach den Vorschriften des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) in eine Rente wegen EU übergeführt worden, so daß der Kläger nicht ohne jede Versorgung dastehe. Die eine Versorgung nach dem SVG ausschließende gesetzliche Regelung aufgrund des EinigVtr sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es habe keine Verpflichtung des Gesetzgebers bestanden, Soldaten der ehemaligen NVA hinsichtlich der Versorgung nach Dienstunfällen mit Bundeswehrsoldaten gleich zu behandeln.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes (GG), weil er schlechtergestellt werde als ein ehemaliger Angehöriger der Bundeswehr. Außerdem verstoße die Versagung einer Versorgung gegen das ebenfalls in Art. 3 GG enthaltene Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung. Der vollständige Entzug der auf ein Sonderopfer zurückgehenden Entschädigungsleistung verletze das Willkürverbot und die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. Entgegen der Auffassung des LSG sei er Ende 1990 auch nicht nur Reservist gewesen, sondern habe Bezüge als Soldat erhalten.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 9. Februar 1995 und des Sozialgerichts Cottbus vom 29. März 1994 sowie die Bescheide des beklagten Landes vom 1. Juni 1993 und 17. September 1993 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, unter Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Bescheide vom 10. April 1991 und 1. Juli 1991 wegen der gesundheitlichen Folgen des Unfalls vom 8. April 1988 unter Anerkennung von Schädigungsfolgen dem Grunde nach Versorgung nach dem SVG iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren, hilfsweise, den Unfallversicherungsträger beizuladen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat in Übereinstimmung mit dem SG zu Recht entschieden, daß dem Kläger Leistungen der Soldatenversorgung nicht zustehen. Die angefochtenen Bescheide, mit denen es die Versorgungsverwaltung abgelehnt hat, unter Zurücknahme der früheren, bestandskräftig gewordenen Bescheide (§ 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫) Leistungen zu gewähren, sind nicht zu beanstanden.
Das LSG hat zutreffend erkannt, daß der Kläger Ansprüche nach dem SVG aus zwei Gründen nicht haben kann: Er war nie Soldat der Bundeswehr und hat außerdem seine Wehrdienstbeschädigung bereits zu einem Zeitpunkt erlitten, den das SVG im Beitrittsgebiet nicht rückwirkend erfaßt. Nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 5 EinigVtr (Zustimmungsgesetz vom 23. September 1990, BGBl II 885, 1146) findet das SVG im Beitrittsgebiet in der ab 1. Januar 1992 geltenden Fassung Anwendung (Buchst a). Das Gesetz findet nicht Anwendung auf Soldaten, die aus einem Wehrdienstverhältnis der ehemaligen NVA ausgeschieden sind (Buchst b). Der Kläger war aber bereits vor dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 aus dem Wehrdienstverhältnis der ehemaligen NVA ausgeschieden. Das ergibt sich aus den bindenden Feststellungen des LSG, wonach der Kläger Ende 1989 aus dem Wehrdienstverhältnis entlassen worden war und zum Zeitpunkt des Beitritts lediglich als teilzeitbeschäftigter Arbeiter in den Diensten der NVA gestanden hat. Diese Feststellungen sind vom Kläger nicht mit beachtlichen Rügen angegriffen worden und deshalb für den Senat verbindlich (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Im übrigen ergibt sich aber auch für weiterverwendete Soldaten der früheren NVA aus dem EinigVtr eindeutig, daß Versorgung nach dem SVG nur für nach dem Beitritt erlittene Wehrdienstbeschädigungen geleistet wird, während sich die Versorgung im übrigen nach den bis zur Überführung weitergeltenden bisherigen Vorschriften der DDR richtet (Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 2 § 6 Abs. 1 iVm Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchst a).
Auch nach anderen bundesrechtlichen Vorschriften als dem SVG hat der Kläger wegen seines Dienstunfalls keinen Anspruch auf Versorgung. Nach § 82 Abs. 2 BVG kann zwar Versorgung nach diesem Gesetz auch an Vertriebene iS des § 1 Bundesvertriebenengesetz (BVFG), die Deutsche oder deutsche Volkszugehörige sind, gewährt werden, wenn sie nach dem 8. Mai 1945 in Erfüllung ihrer gesetzlichen Wehrpflicht nach den im Vertreibungsgebiet geltenden Vorschriften eine Schädigung iS des § 1 Abs. 1 BVG erlitten haben. Der Kläger gehört nicht zu dem Personenkreis der Vertriebenen iS des § 1 BVFG. Allerdings hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) im Einzelfall Flüchtlingen aus der ehemaligen DDR Versorgung im Wege des Härteausgleichs nach § 89 BVG zuerkannt, wenn sie in Erfüllung ihrer gesetzlichen Wehrpflicht eine Schädigung erlitten und ihre Versorgungsansprüche wegen der Flucht verloren hatten (vgl Rundschreiben vom 6. Februar 1969 – V/3-5241-2773/68 –, vom 29. Oktober 1970 – V/3-5241-1208/70 – und vom 8. Oktober 1991 -Vla1-52056- = BVBl 10-12/1991 S 81). Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung eines Härteausgleichs vom BMA in diesen Fällen zu Recht bejaht: worden sind (vgl auch Urteil des Senats vom 18. Juni 1996 – 9 RV 6/94 – zum Anspruch ehemaliger Soldaten der NVA auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung bei Übertritt ins frühere Bundesgebiet vor der Einigung – zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Kläger war nicht Wehrpflichtiger. Mit der Überführung der früheren Versorgungsansprüche des Klägers in die gesetzliche Rentenversicherung, die durch das AAÜG (Art. 3 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung – Renten-Überleitungsgesetz – ≪RÜG≫ vom 25. Juli 1991, BGBl I 1605) erfolgt ist und zur Zahlung einer EU-Rente an den Kläger geführt hat, ist auch eine besondere Härte, der durch Gewährung einer Versorgung nach dem BVG Rechnung zu tragen wäre, nicht zu erkennen.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen hat der Kläger keinen Anspruch darauf, wie ein ehemaliger Bundeswehrsoldat Versorgung zu erhalten.
Ein solches Recht folgt nicht aus Art. 33 Abs. 5 GG, wonach das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln ist. Durch dieses Verfassungsgebot werden zwar Besoldung und Versorgung der Beamten, wozu im weiteren Sinne auch die Berufssoldaten zählen, in ihrem Kernbestand garantiert (BVerfGE 16, 94, 115; 44, 249, 264). Diese Garantie setzt aber bereits ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis zum Staat voraus, wie es in der ehemaligen DDR allgemein nicht bestanden hat, selbst wenn die Angehörigen der NVA auch hoheitsrechtliche Befugnisse wie Berufssoldaten der Bundeswehr ausgeübt haben. Die DDR wollte bewußt keine dem Berufsbeamtentum vergleichbare Institution schaffen. Deshalb hat der EinigVtr das Beamten- und Soldatenrecht im Beitrittsgebiet erst eingeführt, ohne an vergleichbare Strukturen anknüpfen zu können (vgl Unterrichtung durch die Bundesregierung, BT-Drucks 11/7817, S 183). Im Unterschied zu den Arbeitsverhältnissen in der öffentlichen Verwaltung, die kraft Rechtsnachfolge auf die erweiterte Bundesrepublik übergegangen sind (vgl BVerfGE 84, 133, 147; Stern/Schmidt-Bleibtreu, Einigungsvertrag, S 143; kritisch dazu Merten, Verfassungsprobleme der Versorgungsüberleitung, S 66), fehlt es bezüglich des Berufsbeamtentums an einem entsprechenden System, das hätte übernommen und durch Art. 33 Abs. 5 GG in seinen Grundzügen garantiert werden müssen (so auch Merten, a.a.O., S 69; Schmidt-Bleibtreu, a.a.O. S 144).
Das durch Gesetz vom 27. Oktober 1994 (BGBl I 3146) in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG eingefügte Verbot der Benachteiligung Behinderter begründet einen Anspruch auf Versorgung nach dem SVG ebenfalls nicht. Dieses Grundrecht wird beeinträchtigt, wenn Maßnahmen der öffentlichen Gewalt Behinderte schlechter als Nichtbehinderte behandeln (Jarass/Pieroth, GG, 3, Auf! 1995, Art. 3 RdNr. 82). Der Kläger macht aber nicht geltend, daß er im Verhältnis zu Nichtbehinderten benachteiligt wird, sondern daß er nicht anderen Behinderten (Bundeswehrsoldaten) hinsichtlich der Versorgung gleichgestellt wird. Das betrifft den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der in dieser Hinsicht nicht verletzt wird, weil die aufgezeigten Unterschiede zwischen Bundeswehrsoldaten und NVA-Soldaten die unterschiedliche gesetzliche Regelung rechtfertigen.
Auch der ersatzlose Wegfall der Dienstbeschädigungsvollrente, einer Leistung aus einem Sonderversorgungssystem der DDR (Anlage 2 Nr. 1 zum AAÜG) nach der nicht veröffentlichten Ordnung Nr. 005/9/003 des Ministers für Nationale Verteidigung über die soziale Versorgung der Angehörigen der Nationalen Volksarmee vom 1. September 1982 (abgedruckt bei Aichberger II Nr. 230), durch § 4 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 AAÜG und ihre Umwandlung in eine EU-Rente (§ 302a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫, eingefügt durch Art. 1 RÜG) hat nicht zur Folge, daß dem Kläger statt dessen Versorgung nach dem SVG oder eine Sozialleistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren ist. Für eine unfallversicherungsrechtliche Leistung gibt es keine gesetzliche Grundlage. Das Fehlen einer solchen Grundlage ist auch nicht verfassungswidrig. Deshalb ist eine Beiladung eines Unfallversicherungsträgers nach §§ 168, 75 Abs. 2 SGG nicht erforderlich, und es besteht auch kein Grund, den Rechtsstreit gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und die Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen.
Art. 14 Abs. 1 GG ist durch die Umwandlung der Dienstbeschädigungsvollrente in eine EU-Rente der gesetzlichen Rentenversicherung nicht verletzt. Nach dieser Verfassungsnorm werden das Eigentum und das Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Das GG definiert nicht ausdrücklich, was unter Eigentum iS des An 14 GG zu verstehen ist. Nach der Rechtsprechung des BVerfG können auch sozialrechtliche Ansprüche darunterfallen. Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialrechtlicher Ansprüche ist danach zunächst eine Vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist. Diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des einzelnen beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient (vgl BVerfGE 64, 87, 97; 69, 272, 300 = SozR 2200 § 165 Nr. 81). Allerdings ist zweifelhaft, ob Rechtspositionen, die von Staatsorganen der DDR zugunsten von Privatpersonen geschaffen worden sind, als solche bereits dem Schutz bereich des Art. 14 GG unterfallen. Diese Frage braucht im vorliegenden Zusammenhang indessen nicht weiter vertieft zu werden (vgl dazu Merten, a.a.O., S 70, 78, 82 ff; Marschner, SGb 1994, S 664, 666; Rokita, SGb 1995, S 513, 515). Denn es geht hier nicht um einen Eingriff des Bundesgesetzgebers in Versorgungsanwartschaften des Klägers gegen die ehemalige DDR, sondern um die Begründung einer Rechtsposition, die er auch nach dem Recht der ehemaligen DDR nicht hatte, Gegenstand der Eigentumsgarantie können aber grundsätzlich nur Ansprüche sein, die als bestehend anerkannt (vgl BVerfGE 87, 1.42 = SozR 3-5761 Allg Nr. 1) worden sind. Die vier Sonderversorgungssysteme (Anlage 2 zum AAÜG) enthielten im wesentlichen Vorschriften über die soziale Sicherung der hauptberuflich im engeren Staatsdienst der DDR Beschäftigten und ihrer Familienangehörigen bei Krankheit, Dienstunfall, Invalidität, Alter und Tod. Außerdem regelten sie auch Übergangsleistungen (zB bei Einkommenseinbußen) für die Zeit nach dem vorzeitigen Ausscheiden aus dem aktiven Dienst. Strukturell stimmten diese Regelungen weitgehend mir den allgemeinen, für alle sonstigen Beschäftigten geltenden Regeln über die soziale Sicherheit überein. Die Dienstbeschädigungsvollrente, die grundsätzlich eine dienstunfallbedingte Invalidität oder Dienst- und Arbeitsverwendungsunfähigkeit voraussetzte, war ähnlich wie eine Invalidenvollrente zu berechnen und dieser insoweit gleichartig. Einen besonderen Zuschlag oder Ausgleich für die durch die Schädigung verursachte immaterielle Beeinträchtigung oder erhöhte Aufwendungen gab es nicht (vgl VersO 005/9/003-NVA, a.a.O., S 43). Durch die EU-Rente, die diese besondere Ursache der EU nicht rentenerhöhend berücksichtigt, ist der Kläger gegenüber seiner früheren Rechtsposition nicht benachteiligt worden. Er hat vielmehr anstelle einer durch den drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch gefährdeten staatlichen Versorgung eine im Rahmen des Vorhersehbaren sichere Existenzgrundlage im Rahmen der Solidargemeinschaft der Sozialversicherung erhalten. Damit ist auch die in Art. 20 Abs. 2 Satz 3 des Staatsvertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialordnung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 (Zustimmungsgesetz vom 25. Juni 1990 – BGBl II 518) abgegebene Bestandsgarantie eingehalten worden.
Auch aus dem Gesichtspunkt eines Sonderopfers zugunsten der Allgemeinheit läßt sich ein besonderer Entschädigungsanspruch des Klägers verfassungsrechtlich nicht begründen. Dabei kann dahinstehen, ob ein Dienstunfall im freiwilligen Staatsdienst der DDR ein „Sonderopfer” iS des sog Aufopferungsanspruchs sein könnte, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ebenfalls dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterfallen kann (vgl BSG SozR 3100 § 56 Nr. 3); denn für dieses Sonderopfer hätte die Bundesrepublik Deutschland nicht einzustehen, weil es dem Kläger nicht von ihr abverlangt worden wäre, auch eine historische Verpflichtung aus der Rechtsnachfolge des Deutschen Reichs wie im Falle der Kriegsopfer nicht besteht und ein vorstaatliches Recht auf eine besondere Soldatenversorgung nicht zu erkennen ist.
Die Versagung einer besonderen Entschädigung für den erlittenen Dienstunfall ist auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Es ist allerdings einzuräumen, daß der Kläger im Vergleich zu den Arbeitnehmern, die in der Allgemeinen Sozialversicherung der DDR versichert waren und einen Arbeitsunfall erlitten haben, und im Vergleich zu allen anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft im Bundesgebiet (Arbeiter, Angestellte, Beamte, Soldaten, Richter) schlechter gestellt wird, weil nur die dienstunfallverletzten Bestandsrentner aus dem engeren Staatsdienst der DDR mit einer Sonderversorgung keine eigenständige Unfallentschädigung erhalten. Das RÜG hat An- Sprüche und Anwartschaften wegen vor dem 1. Januar 1992 eingetretener Arbeitsunfälle in die gesetzliche Unfallversicherung überführt (§ 1150 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫). Die Arbeiter und Angestellten haben nach den Bestimmungen der gesetzlichen Unfallversicherung Anspruch auf eine Verletztenrente, die bei einem Zusammentreffen mit einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung iH der entsprechenden Grundrente nach dem BVG anrechnungsfrei bleibt (§ 93 SGB VI). Den wehrdienstbeschädigten Soldaten wird ein wegen des Dienstunfalls erhöhtes Unfallruhegehalt oder eine auf andere Leistungen im wesentlichen nicht anrechenbare Grundrente nach den §§ 80 f SVG iVm §§ 30, 31 BVG gewährt. Die Beamten und Richter erhalten nach einem Dienstunfall mit dauerhafter Beeinträchtigung der Erwerbsfähigket einen Unfallausgleich neben den Dienstbezügen oder dem Ruhegehalt (§ 35 Beamtenversorgungsgesetz ≪BeamtVG≫), ferner bei dienstunfallbedingter Dienstunfähigkeit Unfallruhegehalt oder erhöhtes Unfallruhegehalt (§§ 36, 37 BeamtVG).
Diese Ungleichbehandlung ist jedoch verfassungsrechtlich noch hinzunehmen. Selbst wenn es einen bundesrechtlichen Grundsatz gäbe, allen abhängig Beschäftigten eine eigenständige Entschädigung bei Arbeits oder Dienstunfall zu gewähren, der Gesetzgeber also das selbst gewählte Regelungssystem durchbrochen hätte (zur sog Systemgerechtigkeit vgl BVerfGE 34, 03, 115: 76, 130, 139: 81, 156, 207; Jarass/Pieroth, GG. Art. 3 RdNr. 19), gebietet der Gleichheitssatz nicht, auch alle mit der Einigung übernommenen. Verpflichtungen sofort und ausnahmslos nach diesem Grundsatz auszugestalten. Dem Gesetzgeber ist kein grober Mißgriff unterlaufen, und die Beeinträchtigung ist nicht existenzbedrohend. Bei komplexen Sachverhalten ist zunächst ein großzügiger Prüfungsmaßstab anzulegen (vgl BVerfGE 33, 171, 189 f; 70, 1, 3, 4; 78, 249, 288). Im Blick auf die vielfältigen und vielschichtigen Probleme der Bewältigung der Folgen des Zusammenbruchs der DDR muß dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zugebilligt werden, in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht Prioritäten für die Annäherung der Lebensverhältnisse in Deutschland zu setzen. Dabei können die unter dem Gesichtspunkt der Priorität getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen nicht denselben strengen Kriterien hinsichtlich Systemgerechtigkeit und Ausgewogenheit unterworfen werden wie langfristige, unter gründlicher Auswertung von Erfahrungen und intensiver Diskussion durchgeführte Reformvorhaben. Dem Gesetzgeber muß deshalb zugestanden werden, auch vorläufige politische Wertungen vorzunehmen und Regelungen danach zu differenzieren, in weichem Umfang bestimmte Personenkreise an den SED-Unrechtsmaßnahmen beteiligt waren und zur Stabilisierung des staatlichen Systems der DDR beigetragen haben. Er mußte besonders darauf achten, durch Versorgungsregelungen nicht diejenigen gegenüber den Opfern des Systems zu begünstigen, die es maßgeblich mitgetragen haben. Eine solche Staatsnähe hat der Gesetzgeber zunächst bei den Angehörigen der Sonderversorgungssysteme vermutet und sie pauschal anders behandelt als die normalen Staatsbürger der DDR. Weil das AAÜG mit seinen Regelungen mehr als das notwendige Existenzminimum der dienstunfallverletzten NVA-Soldaten gewahrt hat, hat schon der 4. Senat des BSG (BSGE 74, 184, 194 = SozR 3-1100 Art. 14 Nr. 34) eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots durch Nichtgewährung einer besonderen Unfallentschädigung nicht feststellen können, wenn er auch eine weitere Angleichung der Angehörigen von Sonderversorgungssystemen aus seiner Sicht als die angemessenere Lösung angesehen hat. Die darin liegende Anregung ist aufgegriffen worden, nachdem inzwischen genauere Erkenntnisse über die Lebensverhältnisse in der DDR und die durchaus unterschiedliche Systemnähe der Sonderversorgungsberechtigten gewonnen werden konnten. Die Bundesregierung hat inzwischen einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AAÜG in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht, der einen Anspruch auf einen Dienstbeschädigungsausgleich iH der für das Beitrittsgebiet geltenden Grundrente nach dem BVG für Körper- oder Gesundheitsschäden vorsieht, die nach den Regelungen der Sonderversorgungssysteme zu einem Anspruch auf eine Dienstbeschädigungsrente geführt haben (vgl BT-Drucks 13/4587, S 6). Tritt diese Regelung in Kraft, dürften die bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt sein, selbst wenn sich die Rückwirkung auf die Zeit ab Januar 1996 beschränkte. Verfassungwidrig würde die Rechtslage erst dann, wenn sich feststellen ließe, daß das Gesetzgebungsverfahren ohne triftige Gründe verzögert wird. Bislang ist das nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1049481 |
SozSi 1997, 199 |