Leitsatz (amtlich)

An der Rechtsprechung, daß die Besetzung eines Senats des LSG mit 2 an das LSG abgeordneten Sozialgerichtsräten als Hilfsrichtern vorschriftswidrig ist und einen wesentlichen Mangel im Verfahren des LSG darstellt, wird festgehalten (Vergleiche BSG 1959-11-03 9 RV 758/56 = BSGE 11, 22 ; BSG 1959-02-04 10 RV 663/58 = BSGE 9, 137 ; BSG 1959-11-03 9 RV 296/56 ; BSG 1960-02-25 7 RAr 34/57 = SozR Nr 4 zu § 33 SGG ; BSG 1960-03-23 1 RA 143/59 ; BSG 1960-03-23 1 RA 48/60 ; BSG 1960-07-22 11 RV 1172/59 = BSGE 12, 298 ; BSG 1959-09-15 8 RV 301/59 ; BSG 1959-11-12 5 RKn 22/59 ; BSG 1959-11-13 5 RKn 14/59 ; BSG 1960-01-22 11/8 RV 239/57).

 

Normenkette

SGG § 33 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. November 1958 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger erhielt eine 70 %ige Versorgungsrente, die ihm mit Bescheid vom 14. Juni 1954 entzogen wurde; Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos. An dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein - Westfalen vom 6. November 1958, mit dem die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Münster vom 31. Juli 1956 zurückgewiesen wurde, wirkten ein Landessozialgerichtsrat als Vorsitzender und zwei Sozialgerichtsräte als weitere Berufsrichter neben den beiden ehrenamtlichen Beisitzern mit.

Gegen das am 24. Januar 1959 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Februar 1959 Revision eingelegt und diese damit begründet, daß die Mitwirkung von zwei an das LSG abgeordneten Sozialgerichtsräten als Hilfsrichter an der Entscheidung unzulässig sei, da in einem derartig besetzten Senat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Stetigkeit und Unabhängigkeit der Rechtsprechung nicht mehr gewährleistet sei. Er beanstandete ferner, daß die Revision trotz ausdrücklichen Antrags nicht zugelassen worden sei, obwohl die für die Entscheidung wesentlichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gewesen seien.

Der Kläger beantragte, die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte sah von einer sachlichen Stellungnahme ab und stellte keinen Antrag.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist statthaft und auch begründet.

Der Kläger rügt ordnungsgemäß und zutreffend, daß der Senat des LSG insofern unvorschriftsmäßig besetzt war, als in der Sitzung vom 6. November 1958 zwei an das LSG abgeordnete Sozialgerichtsräte als Hilfsrichter mitwirkten.

Das BSG hat bereits mehrfach entschieden, daß die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern nicht zulässig ist (vgl. BSG 9, 137 ff; 11, 22 ff; 12, 298 f; Urteile des BSG vom 3. November 1959 - 9 RV 296/56 -, vom 25. Februar 1960 - 7 RAr 34/57 - (mit Leitsatz in SozR SGG § 33 Da 1 Nr. 4) und vom 23. März 1960 - 1 RA 143/59 und 1 RA 48/60 -; Beschlüsse des BSG vom 15. September 1959 - 8 RV 301/59 -, vom 12. November 1959 - 5 RKn 22/59 -, vom 13. November 1959 - 5 RKn 14/59 - und vom 22. Januar 1960 - 11/8 RV 239/57 -). An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest. Wie in den genannten Entscheidungen des BSG ausgeführt ist, widerspricht die Besetzung der Richterbank eines LSG mit zwei Hilfsrichtern rechtsstaatlichen Grundsätzen, weil dadurch die Unabhängigkeit der Rechtspflege von Politik und Verwaltung (vgl. Art. 97 des Grundgesetzes - GG-, § 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG-, § 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG-) sowie die Einheitlichkeit, Stetigkeit und Güte der Rechtsprechung gefährdet wird. Da die Hilfsrichter nur zum LSG abgeordnet sind und jederzeit mit dem Widerruf ihrer Abordnung rechnen müssen, ist nicht auszuschließen, daß diese Umstände ihre richterliche Meinungsbildung beeinflussen. Soweit deshalb in einem Richterkollegium Personen mitwirken dürfen, deren richterliche Unabhängigkeit in Zweifel gezogen werden könnte, muß ihr Einfluß auf die Entscheidung so gering als möglich gehalten werden. Die Grenze hierfür ist überschritten, wenn in einem Senat gleichzeitig mehr als ein Hilfsrichter mitwirkt. Der Geschäftsverteilungsplan des LSG hat deshalb in jedem Falle dafür Sorge zu tragen, daß die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einer Sitzung unterbleibt (vgl. BSG 12, 299).

Die Revision ist wegen dieses Verfahrensmangels statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).

Die Revision ist auch begründet. Das Urteil des LSG beruht auf der Verletzung von § 33 SGG; es ist möglich, daß das LSG, wenn es ordnungsgemäß besetzt gewesen wäre, anders entschieden hätte Das Urteil des LSG ist daher mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden. Die Feststellungen des LSG sind nicht in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise zustande gekommen und deshalb für das BSG nicht bindend (§ 163 SGG). Die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Bei einer neuen Entscheidung wird das LSG auch zu prüfen haben, ob nicht die Zulassung der Revision, weil es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt, gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG geboten ist.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2308652

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