Leitsatz (amtlich)
Ein ehemaliger Gerichtsreferendar, dessen Vorbereitungsdienst im Land Schleswig-Holstein vor und nach dem Inkrafttreten der Nachversicherungsvorschriften des AnVNG (1957-03-01) lag, hat keinen Anspruch darauf, für die Zeit seines Vorbereitungsdienstes vor März 1957 nachversichert zu werden.
Normenkette
RVO § 1232 Fassung: 1961-04-25; ArVNG Art. 2 § 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 172 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. Juni 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob ehemalige Gerichtsreferendare, die nach dem Inkrafttreten der Nachversicherungsvorschriften des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 aus dem Vorbereitungsdienst und zugleich aus dem Staatsdienst des Landes Schleswig-Holstein ausgeschieden sind, auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten dieser Vorschriften (1. März 1957) nachversichert werden müssen oder nicht.
Der Kläger war von Oktober 1953 bis Juni 1958 im Land Schleswig-Holstein (Bereich der ehemals britischen Zone) Gerichtsreferendar im Beamtenverhältnis. Er bezog von Mitte 1954 an laufend Unterhaltszuschuß. Beiträge zur Rentenversicherung wurden für ihn nicht entrichtet. Das Land Schleswig-Holstein hatte damals weder für den Kläger noch für die Widerrufsbeamten allgemein eine Entscheidung über die Versicherungsfreiheit nach §§ 172 Abs. 2, 169 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) getroffen. Der Kläger schied aus dem Staatsdienst ohne Versorgung aus. Er wurde für die Zeit von März 1957 an nachversichert. Die Beklagte lehnt eine Nachversicherung für die Zeit bis Februar 1957 ab. Dagegen wendet sich der Kläger. Beide Vorinstanzen bestätigten die Rechtsansicht der Beklagten. Das Landessozialgericht (LSG) ließ die Revision zu.
Der Kläger legte Revision ein und beantragte, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seine Nachversicherung auch für die Zeit von Oktober 1953 bis Februar 1957 durchzuführen. Er rügte eine unrichtige Anwendung des Art. 2 § 4 AnVNG durch das Berufungsgericht.
Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Das - beigeladene - Land Schleswig-Holstein stellte keine Anträge.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Die Beklagte wäre zur Durchführung der Nachversicherung auch für die Zeit des Vorbereitungsdienstes vor März 1957 verpflichtet, wenn u. a. der Kläger in dieser Zeit nach Vorschriften versicherungsfrei gewesen wäre, die den heutigen in § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 und § 8 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nF sinngemäß entsprechen; dabei käme es nicht darauf an, ob der Kläger Entgelt bezogen oder vielleicht sogar die damalige Versicherungspflichtgrenze überschritten hat (Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG). Der Kläger war jedoch vor März 1957 nach keiner Vorschrift, die den genannten sinngemäß entspricht, versicherungsfrei; auch ist Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG, der Nachversicherungen für andersliegende Sachverhalte regelt, nicht zu seinen Gunsten anwendbar. Er hat deshalb, wie schon die Vorinstanzen entschieden haben, keinen Anspruch auf die weitergehende Nachversicherung.
Der Kläger war ursprünglich versicherungsfrei, weil er als Gerichtsreferendar zu den Personen gehörte, die während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf in Schleswig-Holstein nicht in der Krankenversicherung und damit auch nicht in der Rentenversicherung versicherungspflichtig waren (§ 1 Abs. 2 AVG aF, § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO; BSG 11, 278). Der früheren Regelung, wonach Personen, die zu oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf in der Rentenversicherung versicherungsfrei blieben, entspricht keine der Vorschriften, die in Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG aufgeführt sind. Aus der Zugehörigkeit zu dieser Personengruppe kann deshalb - wie auch schon nach früherem Recht (§ 1 Abs. 6 AVG aF, § 1242 a RVO aF) - kein Anspruch auf eine Nachversicherung hergeleitet werden.
Der Kläger war nicht etwa versicherungsfrei, weil er während des Vorbereitungsdienstes Beamter eines Landes war und lediglich für seinen Beruf ausgebildet wurde (§ 1 Abs. 2 AVG aF, § 172 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Dafür wäre es erforderlich gewesen, daß die zuständige oberste Verwaltungsbehörde des Landes durch eine ausdrückliche Entscheidung das Vorliegen der Voraussetzungen zur Versicherungsfreiheit bestätigt hätte (§§ 172 Abs. 2, 169 Abs. 2 RVO). Die Erfüllung des Tatbestandes von § 172 Abs. 1 Nr. 1 RVO führt allein die Versicherungsfreiheit nicht herbei. Die Prüfung und Entscheidung der dienstrechtlichen Vorfragen dieser Vorschrift ist besonderen Verwaltungsbehörden zugewiesen worden. Die Versicherungsfreiheit in der Sozialversicherung folgt dem Ausspruch dieser Behörden. Nur wenn eine solche Entscheidung vorgelegen hätte, wäre die Beschäftigung des Klägers als Gerichtsreferendar auch nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherungsfrei gewesen (BSG aaO). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 163 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist aber keine solche Entscheidung des zuständigen Ministeriums ergangen. Mangels einer Entscheidung dieser Art bestand beim Kläger keine Versicherungsfreiheit nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Diese Vorschrift ist zwar inhaltlich der in § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG nF, auf die Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG hinweist, vergleichbar, doch war der Kläger bis Februar 1957 tatsächlich nicht aufgrund dieser Vorschrift versicherungsfrei. Er erfüllt somit eine der wesentlichen Voraussetzungen, die in Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG für die Nachversicherung aufgestellt sind, nicht. Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt es, weil der Freistellungsgrund aus § 172 Abs. 1 Nr. 1 RVO für den Kläger nie gegeben war, nicht auf ein etwaiges Rangverhältnis zwischen den Bestimmungen in § 172 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 RVO an (vgl. dazu BSG aaO). Beide Bestimmungen müssen aber rechtlich auseinandergehalten werden. Das hat der Kläger in seiner Revisionsbegründung nicht getan. Er kommt zu einem für ihn günstigen Schluß, weil er die Vorschriften in § 172 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 RVO gedanklich vereinigt und sie zusammengefaßt mit § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG nF vergleicht. Das ist nicht richtig.
Der Senat hat bereits anläßlich seiner früheren Entscheidung klargestellt, daß es nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) verstößt, wenn für eine Nachversicherung nur die Referendare in Betracht kommen, die nach dem Inkrafttreten des AnVNG aus dem Staatsdienst ausgeschieden sind. Nach seiner Ansicht verletzt es auch den Gleichheitssatz nicht, wenn der Vorbereitungsdienst dieser - überhaupt nachzuversichernden - Referendare entweder ganz oder nur zu einem Teil nachversichert wird, je nachdem, ob der Vorbereitungsdienst ganz oder nur zu einem Teil nach dem gesetzlichen Stichtag (1. März 1957) liegt. Der Vorbereitungsdienst wird gleichbehandelt, wenn er von einem bestimmten Tag an der Nachversicherung unterliegt. Es ist nicht notwendig, wie der Kläger meint, daß alle Referendare, deren Nachversicherungsfall nach dem Inkrafttreten der Neuregelung liegt, einen Anspruch auf die Nachversicherung der gesamten Referendarzeit haben müssen. Der Gesetzgeber ist berechtigt, bei Neuregelungen Stichtage allgemein festzulegen, es sei denn, die durch einen Stichtag entstehende unterschiedliche Behandlung bestimmter Sachverhalte müßte als Willkür erscheinen. Dafür, daß dies bei der in diesem Rechtsstreit umstrittenen Regelung so sein könnte, ist nichts vorgebracht oder ersichtlich. Auch sonst ist keine Grundgesetzwidrigkeit erkennbar. Es kommt auch nicht, wie der Kläger annimmt, in den einzelnen Bundesländern zu einer unterschiedlichen Behandlung der Referendare hinsichtlich ihrer Nachversicherung, nämlich je nachdem ob eine Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörden nach § 172 Abs. 2 RVO ergangen ist oder nicht, und dadurch zu einer - nach der Ansicht des Klägers - grundgesetzwidrigen Ungleichheit. Abgesehen davon, daß eine solche Ungleichheit ihre Ursache in dem freien Recht der Länder hätte, selbst zu bestimmen, ob und in welchem Umfang sie von den Möglichkeiten des § 172 Abs. 2 RVO Gebrauch machen wollen, und deshalb nicht grundgesetzwidrig sein dürfte, entsteht selbst beim Vorliegen einer Entscheidung nach § 172 Abs. 2 RVO kein Anspruch der Referendare auf Nachversicherung für Zeiten vor März 1957 (BSG aaO und Urteil vom 18.7.1962 - 1 RA 309/61).
Es mag zwar sein, daß dem Gesetzgeber eine Lösung vorgeschwebt hat, wonach beim Ausscheiden eines Referendars nach Februar 1957 die gesamte Zeit des Vorbereitungsdienstes einheitlich zu behandeln und nachzuversichern wäre (vgl. Schreiben des BMA vom 13.4.1959 - BABl 1959 S. 364, A III 3). Dem steht jedoch die in Art. 2 § 4 Abs. 1 AnVNG gewählte Fassung des Gesetzes entgegen; sie erlaubt ein solches Ergebnis nicht.
Das Urteil des LSG ist also richtig und muß bestätigt werden (§§ 170 Abs. 1, 193 SGG).
Fundstellen