Orientierungssatz

Zum Versorgungsanspruch der Hinterbliebenen bei Verurteilung zum Tode und Hinrichtung durch ein Fliegendes Standgericht wegen Fahnenflucht.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 2 Buchst. d Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Februar 1963 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerinnen sind im Juli 1953 im Wege der Umsiedlung in die Bundesrepublik Deutschland gekommen und haben im selben Monat Antrag auf Gewährung von Witwen- und Waisenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes und Vaters gestellt.

Dieser war von Beruf Lehrer, wurde am 1. Oktober 1941 zur Kriegsmarine einberufen und am 1. Oktober 1944 zum Leutnant befördert. Am 27. Dezember 1944 heiratete er die Klägerin zu 1). Aus einem ihm im Januar 1945 nachträglich bewilligten, bis zum 6. Februar 1945 verlängerten Hochzeitsurlaub zum Besuch seiner Ehefrau in F. (ehem. Protektorat Böhmen-Mähren) kehrte er zu seiner Einheit nicht mehr zurück. Er wurde am 13. März 1945 von einer Wehrmachtsstreife aufgegriffen und am 15. März durch ein "Fliegendes Armeestandgericht" der Armeegruppe H. wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Dieses Todesurteil wurde am selben Tage in der Militärkaserne in Teschen durch Erschießen vollstreckt.

Das Versorgungsamt (VersorgA) II in Stuttgart lehnte mit Bescheid vom 22. Juli 1954 den Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG ab, weil der Tod des Ehemannes und Vaters die Folge einer militärischen Strafmaßnahme und nicht in Auswirkung des militärischen Dienstes eingetreten sei. Ein Tatbestand im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG liege somit nicht vor; das Todesurteil und seine Vollstreckung seien auch nicht als ein mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängendes offensichtliches Unrecht anzusehen, so daß auch die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG nicht zugunsten der Klägerinnen angewandt werden könne. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 1955 zurückgewiesen.

Mit Urteil vom 4. Juli 1957 wies das Sozialgericht (SG) Heilbronn die Klage ab: Das Todesurteil vom 15. März 1945 und seine Vollstreckung seien nicht als offensichtliches Unrecht anzusehen, da der Ehemann und Vater der Klägerinnen sich unerlaubt von der Truppe entfernt habe und Fahnenflucht regelmäßig mit dem Tode geahndet worden sei. Aus dem Abschiedsbrief an die Klägerin zu 1) ergebe sich auch, daß der Verstorbene seinen Entschluß zum Untertauchen nicht etwa aus einer durch die eigentümlichen Verhältnisse des militärischen Dienstes bedingten Zwangslage heraus gefaßt habe.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg wies mit Urteil vom 30. April 1959 auch die Berufung der Klägerinnen zurück. Dabei ging es davon aus, daß ihr Ehemann und Vater von seinem Urlaub nicht zur Truppe zurückgekehrt und durch ein Standgericht erschossen worden sei. Die näheren Umstände seien mangels eines schriftlichen Urteils des Wehrmachtgerichts nicht mehr aufzuklären, es könne aber dahingestellt bleiben, ob der Verstorbene damals eine zivile Beschäftigung angenommen gehabt habe - das hatte im Verwaltungsverfahren ein Zeuge bekundet - und ob der Tatbestand der Fahnenflucht erfüllt gewesen sei. Jedenfalls habe das LSG nicht die Überzeugung gewinnen können, daß die Verurteilung zum Tode ein offensichtliches Unrecht dargestellt habe. Es habe sich zwar um eine mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Strafmaßnahme gehandelt, jedoch habe kein offenbares Mißverhältnis zwischen der Tat und der Strafe bestanden. Das Strafmaß habe nicht im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Anschauungen gestanden, der von dem Verstorbenen verlangte Einsatz sei ihm zuzumuten gewesen, Wenn auch das Standgericht wahrscheinlich ein stark vereinfachtes Verfahren angewandt habe, so lasse sich doch nicht feststellen, daß das Todesurteil unter Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze verhängt und vollstreckt worden sei. Das LSG ließ die Revision nicht zu. Dieses Urteil des LSG wurde rechtskräftig.

Am 28. Juli 1962 übersandte die Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs dem LSG eine Abschrift des inzwischen aufgefundenen Todesurteils des Fliegenden Armeestandgerichts der Armeegruppe H. vom 15. März 1945, aus dem folgendes hervorgeht: Der Verstorbene hatte einen - bis zum 6. Februar 1945 verlängerten - Urlaub erhalten. Er ließ sich dann von seiner Ehefrau überreden, nicht zur Truppe abzureisen, fuhr in Zivilkleidung nach Z. und nahm dort mit Vermittlung des Arbeitsamtes einen Arbeitsplatz als Dolmetscher in einer Schuhfabrik an. Er hatte angegeben, staatenlos und als ehemaliger Tscheche aus dem Reich evakuiert zu sein. Nachdem seine Frau und seine Schwester seine Identität bestätigt hatten, wurden ihm ohne weitere Nachforschungen ein vorläufiger Fremdenpaß, ein Arbeitsbuch und Lebensmittelkarten ausgestellt. Er hielt sich dann als Zivilist in Z. auf, besuchte aber seine Ehefrau mehrmals in ihrer Wohnung, beim dritten Male wurde er durch die Wehrmachtsstreife des Panzerarmeeoberkommandos I festgenommen. Zu seiner Verteidigung gab er an, er sei durch die Bitten seiner Ehefrau veranlaßt worden zu bleiben, und er habe schließlich geglaubt, daß der Krieg ohnehin nicht mehr lange dauern könne, und es deshalb zwecklos sei, zur Truppe zurückzukehren. Das Standgericht sah den Tatbestand der Fahnenflucht als erfüllt an, da sich der Ehemann und Vater der Klägerinnen dem Dienst in der Wehrmacht dauernd habe entziehen wollen, um unerkannt das Kriegsende zu überstehen. Bei der Strafzumessung wurde berücksichtigt, daß nach den "Richtlinien des Führers" die Todesstrafe geboten sei, wenn die Aufrechterhaltung der Manneszucht dies erfordere. Durch bewußt falsche Angaben des Verstorbenen seien überdies falsche Papiere ausgestellt worden; er habe sich damit auch einer mittelbaren Falschbeurkundung schuldig gemacht. Er wurde schließlich wegen Fahnenflucht zum Tode und zum Verlust der Wehrwürdigkeit verurteilt. In einer anschließenden Verfügung des Gerichtsherrn des "Fliegenden Armeestandgerichts" vom gleichen Tage wurde das Urteil bestätigt und angeordnet, daß es aus Abschreckungsgründen und zur Aufrechterhaltung der Manneszucht ohne Rücksicht auf ein Gnadengesuch sofort zu vollstrecken sei.

Mit Schreiben vom 7. August 1962 hat das LSG dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen Kenntnis von diesem Urteil gegeben. Dieser hat mit Schriftsatz vom 28. August 1962 die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt und geltend gemacht, daß im Verfahren des Standgerichts militärrechtliche Verfahrensvorschriften verletzt worden seien, insbesondere auch durch die Verweigerung des Gnadenrechts. Die Vollstreckung des Urteils zur Abschreckung sei im damaligen Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll gewesen, sie könne nur durch die allgemeinen Auflösungserscheinungen des beginnenden Zusammenbruchs erklärt werden und stelle ein offensichtliches Unrecht dar.

Auf diese Restitutionsklage hat das LSG mit Urteil vom 14. Februar 1963 sein Urteil vom 30. April 1959 mit der Maßgabe bestätigt, daß die Revision zugelassen werde. Es hat die Restitutionsklage mit näherer Begründung nach § 580 Nr. 7 b der Zivilprozeßordnung (ZPO) als zulässig angesehen.

In der Sache selbst hat das LSG Versorgungsansprüche der Klägerinnen nach wie vor verneint. Das Todesurteil und seine Vollstreckung hätten zwar mit den "allgemeinen Auflösungserscheinungen" in der Endphase des Krieges im Zusammenhang gestanden, sie seien aber kein offensichtliches Unrecht gewesen. Denn dies hätte nur dann der Fall sein können, wenn das Gericht, welches das Urteil gefällt habe, nicht ordnungsgemäß zustande gekommen wäre, wenn die verhängte Todesstrafe wegen Überschreitung des rechten Strafmaßes rechtsstaatlichen Anschauungen widersprochen hätte, oder wenn schließlich die verhängte Strafe unter Verletzung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze vollstreckt worden wäre. Von alledem könne aber vorliegend nicht die Rede sein, so daß eine Anwendung des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG zugunsten der Klägerinnen nicht möglich sei. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die "Fliegenden Standgerichte" in der letzten Phase des Krieges rechtsstaatlichen Erfordernissen entsprochen haben, hat das LSG die Revision zugelassen.

Gegen dieses ihnen am 2. Juli 1963 zugestellte Urteil haben die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 19. Juli 1963, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am selben Tage, Revision eingelegt. Mit der - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 2. Oktober 1963 - am 25. September 1963 eingegangenen Revisionsbegründung vom 24. September 1963 rügen sie die Verletzung des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG und tragen vor. ein "Fliegendes Standgericht" auf Grund des "Führererlasses" vom 9. März 1945 sei lediglich ein Mittel gewesen, den sich allenthalben anbahnenden Zusammenbruch und die durch ihn eintretende Auflösung der militärischen Ordnung zur Aufrechterhaltung der damaligen Gewaltherrschaft in letzter Stunde aufzuhalten. Der Erlaß sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen und deshalb rechtswidrig gewesen. Es bleibe auch die - vom LSG unbeantwortet gebliebene - Frage offen, was überhaupt die Rechtsgrundlage für die Bildung solcher "Fliegender Standgerichte" gewesen sei. Im übrigen gehöre zu den elementaren Rechten jedes Angeklagten das auf Verteidigung und im Vollstreckungsverfahren das auf Anbringung eines Gnadengesuchs; aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergebe sich nicht, daß dem Verstorbenen diese Rechte eingeräumt gewesen seien. Schließlich sei am Inhalt des Urteils vom 15. März 1945 zu beanstanden, daß es von Richtern gefällt worden sei, die nicht persönlich und sachlich unabhängig, sondern an Richtlinien des "Führers" gebunden gewesen seien. Nach allem habe es sich bei Verhängung der Todesstrafe und ihrer Vollstreckung um ein offensichtliches Unrecht im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG gehandelt.

Die Klägerinnen beantragen,

das angefochtene Urteil, die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 1959 und des Sozialgerichts Heilbronn vom 4. Juli 1957 sowie die Bescheide vom 22. Juli 1954 und 13. Juli 1955 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Klägerinnen vom 1. Juli 1953 an Hinterbliebenenrente zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf den Schriftsatz der Klägerinnen vom 24. September 1963 sowie auf den Schriftsatz des Beklagten vom 6. November 1963 wird verwiesen.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist von den Klägerinnen form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 162 Abs. 1 Satz 1 SGG) und deshalb zulässig. Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Dabei bestehen gegen die Zulässigkeit der von den Klägerinnen beim Berufungsgericht angestrengten und von diesem entschiedenen Restitutionsklage gegen das rechtskräftig gewordene Urteil vom 30. April 1959 keine rechtlichen Bedenken. Mit der Zusendung des Feldurteils des Fliegenden Armeestandgerichts der Armeegruppe H. (Pz. AOK 1) vom 15. März 1945 durch die Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs an das LSG ist eine Urkunde aufgefunden worden, die dem Gericht während des ersten Berufungsverfahrens noch nicht zur Verfügung gestanden hatte und die im Falle ihres Vorliegens im Sinne des § 179 Abs. 1 SGG i. V. m. § 580 Nr. 7 b ZPO geeignet gewesen wäre, das Ergebnis des früheren Verfahrens für die Klägerinnen günstig zu beeinflussen. Denn bei seinem Berufungsurteil war das LSG - nach einer damaligen Auskunft des Bundesarchivs - davon ausgegangen, daß das Verfahren des Standgerichts am 15. März 1945 ordnungsgemäß gewesen sei, das keine Veranlassung zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Todesurteils und seiner Vollstreckung biete; der Sachverhalt, den das Standgericht seinerzeit zu beurteilen gehabt habe, lasse sich jedenfalls nach Lage der Sache nicht mehr völlig aufklären, weil ein Urteil dieses Gerichts nicht vorliege und auch nicht mehr beigezogen werden könne. Eine im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO mögliche und für die Klägerinnen günstige Beeinflussung des früheren Verfahrens hat das LSG auch zutreffend darin gesehen, daß es bei Kenntnis des Inhalts des standgerichtlichen Urteils in seinem ersten Verfahren auch bei einer Zurückweisung der Berufung gegen das Urteil des SG zumindest die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hätte, um die Frage, ob es sich bei dem Todesurteil eines sog. "Fliegenden Standgerichts" um ein offensichtliches Unrecht i. S. des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG gehandelt habe, vom Revisionsgericht überprüfen zu lassen. Die Zulassung der Revision in einem Urteil des Berufungsgerichts mit der Verpflichtung des Revisionsgerichts, den gesamten, auch materiell-rechtlichen Inhalt des Berufungsurteils auf Rüge nachzuprüfen, ist zweifelsfrei eine günstigere Entscheidung als die Zurückweisung einer Berufung ohne Zulassung der Revision mit der alleinigen Möglichkeit für die unterlegene Partei, die Statthaftigkeit der - nicht zugelassenen - Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGG geltend zu machen.

Entgegen der Auffassung der Revision hat das LSG aber auch § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG nicht verletzt. Nach dieser Vorschrift stehen einer Schädigung i. S. des § 1 Abs. 1 BVG - mit einem Anspruch der Hinterbliebenen auf Versorgung im Falle des Todes als Folge einer Schädigung (§ 38 Abs. 1 Satz 1 BVG) - Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen (während der letzten Phasen des Krieges) zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist. Daß die Maßnahme mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhing, macht sie noch nicht zum offensichtlichen Unrecht. Es genügt auch nicht, daß auch andere Maßnahmen möglich und - rückblickend - vielleicht sogar angemessener gewesen wären. Das Gesetz fordert vielmehr offensichtliches Unrecht als Voraussetzung des Versorgungsanspruchs.

Das LSG hat zunächst festgestellt, daß die gegen den Ehemann und Vater der Klägerinnen durch eine deutsche militärische Stelle verhängte Strafmaßnahme, die Verurteilung zum Tode, durch ein Fliegendes Standgericht wegen Fahnenflucht und die Vollstreckung des Todesurteils sowohl mit dem militärischen Dienst als auch mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen in der Endphase des zweiten Weltkrieges, die vor dem staatlichen Zusammenbruch durch die Auflösung der militärischen Ordnung gekennzeichnet gewesen seien, im Zusammenhang gestanden hat: Der Verstorbene habe als Soldat wegen der herannahenden Front und wegen des von ihm vorausgesehenen baldigen Endes der Kampfhandlungen beschlossen, nach Ablauf seines Urlaubs nicht mehr zur Truppe zurückzukehren. Diese Feststellungen sind, da sie nicht angegriffen worden sind, für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG).

Die Revision wendet sich aber gegen die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, die mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Strafmaßnahme gegen den Verstorbenen, das Todesurteil und seine Vollstreckung, stelle kein offensichtliches Unrecht im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG dar.

Der erkennende Senat hat in BSG 6, 195, 196 ein offensichtliches Unrecht im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG ua dann bejaht, wenn mit der verhängten Strafmaßnahme den Umständen nach unzweifelhaft eine Überschreitung des rechten Strafmaßes verbunden gewesen ist. Die Prüfung, ob offensichtliches Unrecht geschehen ist, darf sich deshalb nicht nur darauf erstrecken, ob nach dem während des Krieges geltenden Recht eine strafbare Handlung überhaupt vorlag und ob das Strafmaß sich innerhalb des damaligen Strafrahmens hielt, sondern sie muß sich vor allem auch darauf erstrecken, ob das Strafmaß zum Unrechtswert der bestraften Tat im rechten Verhältnis stand. Wie bereits oben dargelegt, ist nicht jede im Zusammenhang mit dem Wehrdienst oder dem Kriegsgeschehen verhängte Straf- oder Zwangsmaßnahme, bei der Kriegsstrafrecht angewandt worden ist, schlechthin auch offensichtliches Unrecht gewesen und kann einen Versorgungsanspruch nach § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG begründen ... Für Fälle, in denen in einem Militärstrafverfahren Todesurteile wegen Fahnenflucht - mit anschließender Vollstreckung - ergangen sind, hat der erkennende Senat allgemein ausgeführt (BSG aaO), daß jeder Soldat, der sich im Felde oder im Kriegseinsatz in der Absicht von der Truppe entfernte, sich der Verpflichtung zum Dienst in der Wehrmacht dauernd zu entziehen, damit rechnen mußte, daß ihm wegen Fahnenflucht die Todesstrafe drohte (§§ 69 Abs. 1, 70 Abs. 2 des Militärstrafgesetzbuches - MSTGB - idF vom 10. Oktober 1940 - BGBl. I, S. 1348); im übrigen sei jede Wehrmacht darauf angewiesen (vgl. auch BSG 3, 131, 135), daß die Truppenangehörigen auch, und insbesondere während des Krieges und des Kriegseinsatzes, bei der Truppe blieben; deshalb sei Fahnenflucht im Felde während des Krieges nicht nur nach deutschen Gesetzen mit der Todesstrafe bedroht gewesen; die Verurteilung zum Tode wegen Fahnenflucht im Felde und die Vollstreckung des Urteils könne daher grundsätzlich nicht als offensichtliches Unrecht im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG angesehen werden.

Diese Grundsätze sind auf den Fall des Ehemannes und Vaters der Klägerinnen anwendbar. Denn nach den nicht angegriffenen, auf das Feldurteil vom 15. März 1945 gestützten Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich der Erschossene, Leutnant zur See und vor seiner Fahnenflucht als solcher im Dienste auf dem Kreuzer Leipzig, im Ansehen an einen Urlaub Ende Januar/Anfang Februar 1945 mit ausdrücklich bewilligtem Nachurlaub von seiner Ehefrau, der Klägerin zu 1), überreden lassen, nicht zu seiner Einheit zurückzukehren. Er zog Zivilkleidung an, fuhr nach Z. und nahm dort mit Vermittlung des Arbeitsamts einen Arbeitsplatz als Dolmetscher in einer Schuhfabrik an, nachdem er auf Grund falscher Angaben eine Bescheinigung erhalten hatte, daß er als Staatenloser und ehemaliger Tscheche aus dem Reich evakuiert worden sei. Nachdem seine Ehefrau und seine Schwester ihn identifiziert hatten, erhielt er ohne Schwierigkeiten auch einen vorläufigen Fremdenpaß, ein Arbeitsbuch und Lebensmittelkarten. Er hielt sich dann als Zivilist in Z. auf, besuchte wiederholt in Zivilkleidung seine Ehefrau und wurde beim dritten dieser Besuche am 13. März 1945 von der Wehrmachtstreife des Panzerarmeeoberkommandos festgenommen und vor Gericht gestellt.

Es kann nicht zweifelhaft sein, daß auf Grund dieser Feststellungen der Tatbestand der Fahnenflucht im Kriege und während des kriegerischen Einsatzes als erfüllt angesehen werden muß. Denn auch wenn sich im Januar/Februar/März 1945 der nahe Zusammenbruch des Reiches und das baldige Ende des Krieges schon abzeichneten und Auflösungserscheinungen unverkennbar waren, so waren Wehrmacht und Marine trotz schon erkennbarer Auflösungserscheinungen doch noch so weitgehend intakt und operationsfähig, daß ihr Verlassen aus eigenem Entschluß und mit der Absicht, unerkannt und für die Wehrmacht nicht greifbar unterzutauchen und so das Ende des Krieges zu überstehen, im Falle der Ergreifung nur als Fahnenflucht im Kriege und während des kriegerischen Einsatzes angesehen werden konnte und kann, als Fahnenflucht also, die als besonders schwere Straftat des Soldaten nicht nur zu Ende des Krieges, sondern während dessen ganzer Dauer mit dem Tode bedroht war (MStGB aaO). Darüber ist sich im übrigen auch der Ehemann und Vater der Klägerinnen, dem das Standgericht eine anerkannt hohe Begabung und ein besonderes Einsichtsvermögen hinsichtlich der Pflichten eines Offiziers bestätigt hat, klar gewesen. Das ergibt sich nicht nur aus seiner Einsicht vor Gericht, daß er seine Pflicht als Offizier verletzt habe und deshalb bitte, ihm Gelegenheit zu einem Einsatz zu geben, bei dem er sein Leben mit Sicherheit verlieren würde, sondern auch aus seinem vom Berufungsgericht angeführten, eine halbe Stunde vor der Vollstreckung des Todesurteils an die Klägerin zu 1) gerichteten Abschiedsbrief, in dem es u. a. heißt, daß nun alles so gekommen sei, wie es habe kommen müssen, seine Ehefrau solle bemüht sein, den Namen K. reinzuwaschen.

Nun wendet sich allerdings die Revision auch nicht gegen die Feststellungen und die Entscheidung des Berufungsgerichts, daß die Fahnenflucht des Ehemannes und Vaters der Klägerinnen i. S. der §§ 69 Abs. 1, 70 Abs. 2 MStGB erwiesen sei, daß das Strafmaß im Feldurteil vom 15. März 1945 zum Unrechtswert der Straftat in keinem unrechten Verhältnis gestanden habe und daß deshalb die Verurteilung zum Tode und die Vollstreckung des Urteils nicht als offensichtliches Unrecht i. S. des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG anzusehen seien, sondern sie führt aus, Verurteilung zum Tode und Vollstreckung des Urteils seien deshalb offensichtliches Unrecht, weil es sich bei dem "Fliegenden Standgericht", welches das Todesurteil ausgesprochen habe, nicht um ein Gericht mit einem ordnungsgemäßen Militärstrafverfahren gehandelt habe. Dies habe das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet; denn der "Führer -erlaß" vom 9. März 1945 (s. Absolon, das Wehrmachtsstrafrecht im 2. Weltkrieg, S. 221), mit dem das "Fliegende Standgericht" errichtet worden sei, sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht in Zusammenhang zu bringen und deshalb rechtswidrig; mit seiner Hilfe hätten der sich allenthalben anbahnende staatliche Zusammenbruch und die in dessen Gefolge eintretende Auflösung der militärischen Ordnung im ausschließlichen Interesse der Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in letzter Stunde hintangehalten werden sollen.

Danach war zu prüfen, ob es sich bei dem Verfahren des "Fliegenden Armeestandgerichts der Armeegruppe H." um ein ordnungsgemäßes Militärstrafverfahren gehandelt hat. Denn nach der Entscheidung des erkennenden Senats (BSG aaO) reicht die Fahnenflucht im Felde allein nicht aus, um die Verurteilung zum Tode und die Vollstreckung des Urteils zu rechtfertigen und damit ein offensichtliches Unrecht i. S. des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG zu verneinen. Hinzukommen muß vielmehr auch noch, daß das Urteil und seine Vollstreckung auf einem "ordnungsgemäßen Militärstrafverfahren" beruht haben. Bei dieser Prüfung muß jedoch von vornherein davon ausgegangen werden, daß auch das rückschauende rechtsstaatliche Denken die besonderen Bedürfnisse der Strafrechtspflege im Kriege anerkennen muß, anders wäre nämlich schon die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe während des Krieges mit heutigem rechtsstaatlichen Denken nicht vereinbar, nachdem die Todesstrafe durch das Grundgesetz abgeschafft worden ist.

Die Rechtmäßigkeit der "zur Sicherung der Wehrmacht und des Kriegszweckes" am 17. August 1938 (RGBl 1939 I S. 1457) erlassenen Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) und damit auch ihre Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen wird von der Revision selbst nicht in Frage gestellt. Nach ihr folgte die Gerichtsbarkeit der Befehlsgewalt (§ 12 KStVO), das Schwergewicht jedes militärischen Strafverfahrens ruhte beim zuständigen Gerichtsherrn als der alles beherrschenden Persönlichkeit des Verfahrens (vgl. ua §§ 4 Abs. 1, 8 Abs. 4, 12 Abs. 1 Nr. 1 a, 16, 17, 19, 34, 47, 49, 116), wobei in § 5 neben den übrigen Gerichtsherren der "Führer und Reichskanzler" als oberster Gerichtsherr der Wehrmacht bezeichnet war. Auch die Einfügung des § 13 a in die KStVO (4. VO zur Durchführung und Ergänzung der KStVO vom 1. November 1939 - RGBl 1939 I S. 2132) über die Einführung von Standgerichten ("der nächsterreichbare Kommandeur eines Regiments oder ein mit derselben Disziplinarstrafgewalt versehener Truppenbefehlshaber kann die Befugnisse des Gerichtsherrn ausüben, wenn ...") wird - im übrigen zutreffend - von der Revision "auch bei rückschauender Betrachtung unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze als legitim angesehen", und zwar selbst im Hinblick auf die damalige mit der heutigen in keiner Weise vergleichbaren Gesetzgebungspraxis - ohne strengere Unterscheidung zwischen Gesetzen und Verordnungen - und auf die nach § 118 KStVO dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) eingeräumten uneingeschränkten Befugnisse zur Änderung und Ergänzung der gesamten KStVO. Ob aber darüber hinaus auch das durch Hitlererlaß vom 9. März 1945 errichtete "Fliegende Standgericht" noch als legitim und als mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar angesehen werden kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn nach Auffassung des erkennenden Senats hat es sich bei dem Gericht, das am 15. März 1945 den Ehemann und Vater der Klägerinnen zum Tode verurteilt hat, weder um das "Fliegende Standgericht" i. S. des vorgenannten Hitlererlasses noch um eine - wie das LSG meint - Unterabteilung desselben gehandelt. Wie auch die Revision zutreffend ausführt, ist durch den Erlaß vom 9. März 1945 nur "ein" Fliegendes Standgericht errichtet worden (Nr. 1 des Erlasses), das Hitler unmittelbar unterstellt war und seine Aufträge - nur - von ihm erhielt (Nr. 2 des Erlasses). Entgegen jeder bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Regelung im Militärstrafverfahren wurde der dienstälteste Offizier dieses Fliegenden Standgerichts gleichzeitig auch als Gerichtsherr mit der Befugnis bestellt, die Ermittlungen zu leiten und nach seinem Ermessen sogar den Vorsitz in der Hauptverhandlung zu führen (Nr. 3 des Erlasses); überdies wurden ihm das uneingeschränkte Bestätigungsrecht und die Vollstreckungsentscheidung eingeräumt (Nr. 5 des Erlasses), und das, obwohl er - neben seiner Eigenschaft als Gerichtsherr - in jedem Verfahren nach seinem Ermessen auch Vorsitzender in der Hauptverhandlung sein konnte. Die Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Senats, daß mit dem Erlaß vom 9. März 1945 nur "ein" Fliegendes Standgericht - und wohl auch ohne Unterabteilungen - errichtet worden ist, wird schließlich auch durch das Rundschreiben des OKW - an Verteiler - vom 12. März 1945 (Absolon S. 221) bestätigt, nach dem "der Führer durch den Bezugserlaß (vom 9. März 1945) ein Fliegendes Standgericht eingesetzt und sich unmittelbar unterstellt" habe; hierbei handele es sich um eine Sondermaßnahme, die die Eigenschaft der Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile als Gerichtsherr und ihre Verantwortung für die Disziplin nicht beeinträchtigen solle; sie enthebe vor allem die Truppenführer nicht ihrer Pflicht, selbständig zu handeln und stand- oder kriegsgerichtlich einzuschreiten, wo es die Erhaltung der Disziplin gebiete. Überdies hatte das "Fliegende Standgericht" i. S. des Erlasses vom 9. März 1945, das noch am selben Tage zusammengetreten ist und am 10. März 1945 seine Tätigkeit aufgenommen hat, auch seine von vornherein bestimmte Besetzung: Kommandeur und gleichzeitig Gerichtsherr wurde ein Generalleutnant, als Richter wurden zwei Oberstleutnante bestellt; dem Fliegenden Standgericht folgte ein Exekutionskommando in Stärke von 1 Unteroffizier und 8 Mann (vgl. Absolon S. 221 Fußnote 194).

Aus all dem und im Zusammenhang mit dem dem Senat vorliegenden Feldurteil des Fliegenden Armeestandgerichts der Armeegruppe H. vom 15. März 1945, das Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gewesen ist, ergibt sich zweifelsfrei, daß der Ehemann und Vater der Klägerinnen nicht durch "das" mit Erlaß vom 9. März 1945 errichtete "Fliegende Standgericht" - oder eine wie bereits dargelegt zumindest fragliche Unterabteilung dieses Gerichts -, sondern durch ein Standgericht i. S. des § 13 a der KStVO - keine Bindung der Gerichtsbarkeit an die Befehlsgewalt (§ 12 KStVO) - zum Tode verurteilt worden ist. Das ist schon aus seiner Zusammensetzung ersichtlich: Ein Oberstabsrichter (richterlicher Militärjustizbeamter) als Verhandlungsleiter und zwei Beisitzer (§ 9 Abs. 1 KStVO), davon der eine mit einem höheren Dienstgrad (Hauptmann) als der damals Angeklagte und der andere aus der Rangklasse (Leutnant) wie dieser (§ 9 Abs. 3 KStVO); darüber hinaus war Gerichtsherr auch nicht - wie nach dem Erlaß vom 9. März 1945 - der dienstälteste Offizier des Gerichts, der nach seinem Ermessen in der Hauptverhandlung den Vorsitz hätte führen können und - mit uneingeschränktem Bestätigungsrecht - anschließend sogar berechtigt gewesen wäre, die Vollstreckungsentscheidung zu treffen, sondern Gerichtsherr war hier nach der dem Urteil anhängenden Bestätigungsverfügung vom 15. März 1945 offensichtlich ein mit der Disziplinargewalt eines Regimentskommandeurs versehener Truppenbefehlshaber (Oberstleutnant) i. S. des § 13 a KStVO, der unabhängig vom Gericht das gegen den Ehemann und Vater der Klägerinnen ergangene "Feldurteil" (§ 4 Abs. 1 Satz 2 KStVO) bestätigt und die Vollstreckungsentscheidung getroffen hat. Danach ist der Ehemann und Vater der Klägerinnen durch ein auch von der Revision als legitim angesehenes (§ 13 a KStVO), zuständiges und ordnungsgemäß besetztes Standgericht wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt worden. Dabei kann im übrigen dahinstehen, warum sich das Armeestandgericht der Armeegruppe H. als "Fliegendes" bezeichnet hat; als wahrscheinlicher Grund dafür muß angenommen werden, daß zu Beginn des Jahres 1945 im Hinblick auf die veränderte Kriegslage das nach § 13 a KStVO bei der Armeegruppe H. bestehende Standgericht keinen festen Sitz mehr hatte und deshalb - "fliegend" - gerade dort immer tätig wurde, wo es für erforderlich gehalten wurde und wie es dabei der gesamtmilitärischen Lage entsprach.

Die Revision kann auch keinen Erfolg mit ihrem Vorbringen haben, im Verfahren am 15. März 1945 sei dem Ehemann und Vater der Klägerinnen eines der "elementarsten Rechte jedes Angeklagten im rechtsstaatlich geordneten Strafverfahren", das Recht auf Verteidigung durch einen Verteidiger nicht gewährt worden. Nach § 51 Abs. 2 KStVO idF der 11. DVO zur KStVO vom 11. Januar 1945 habe ein Verteidiger bestellt werden müssen, wenn sich der Beschuldigte noch nicht nach Abs. 1 aaO einen Verteidiger gewählt habe. Hierbei trifft nur zu, daß das LSG - mangels Unterlagen darüber - keine Feststellungen über eine Verteidigung des Verstorbenen durch einen bestellten Verteidiger getroffen hat, es hat sie nach Lage der Sache auch gar nicht treffen können; das bedeutet aber nicht auch, daß die Behauptung der Revision deshalb zuträfe; denn wie dargelegt, ist das in Frage stehende Standgericht am 15. März 1945 ordnungsgemäß zusammengetreten und tätig geworden, ohne daß sich aus dem Urteil ergibt, daß wesentliche Grundsätze des militärgerichtlichen Strafverfahrens verletzt worden wären. Die durch nichts belegte Behauptung der Revision, die insbesondere auch nicht mehr durch eine Niederschrift (oder deren Abschrift) zur Strafverhandlung am 15. März 1945 belegt werden kann, ist deshalb objektiv nicht beweisbar; diese objektive Beweislosigkeit einer Tatsache, aus der die Klägerinnen Rechte herleiten wollen, geht aber zu deren Lasten, so daß sie die Folgen des Nichtfestgestelltseins der von ihnen behaupteten Tatsache zu tragen haben (BSG im SozR SGG § 128 Nr. 23).

Ebensowenig vermag der Revision das Vorbringen zum Erfolg zu verhelfen, die den verstorbenen Ehemann und Vater der Klägerinnen zum Tode verurteilenden Richter hätte im Rahmen der Strafzumessung nicht die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erforderliche Gewissensfreiheit und Unabhängigkeit besessen, um ihren Urteilsspruch als gerecht i. S. einer geläuterten Rechtsanschauung erscheinen zu lassen. Aus dem Urteil vom 15. März 1945 ergebe sich jedenfalls, daß sich das Standgericht bei Verhängung der Todesstrafe an die "Richtlinien des Führers" über die Aufrechterhaltung der Manneszucht gebunden gefühlt habe und daß deshalb die einzelnen Richter persönlich und sachlich nicht unabhängig gewesen seien. Hierbei trifft zwar zu, daß das Standgericht bei der Strafzumessung ua auch die Richtlinien des "Führers" berücksichtigt hat, nach denen "die Todesstrafe geboten sein sollte, wenn die Aufrechterhaltung der Manneszucht dies erforderte". Das Gericht hat sich aber keineswegs nur auf diese Richtlinien bezogen, sondern es hat auch erwogen, daß die Art, wie der Angeklagte sich falsche Papiere verschafft hat, besonders strafschärfend ins Gewicht falle, und daß seine Schuld unso schwerer wiege, als er bei seiner hohen Begabung und seiner Erziehung ein besonderes Unschuldsvermögen in seine Pflichten als Offizier besessen habe. Sein Verschulden wiege darum ungleich viel schwerer als das eines einfachen Soldaten, der seiner Truppe genau so lange Zeit fernbliebe. Das übersieht die Revision. Im übrigen hat das Gericht sich in seinem Urteilsspruch an den ihm durch das Gesetz gesetzten Strafrahmen gehalten, der die Verhängung der Todesstrafe auf jeden Fall zuließ.

Schließlich ist auch der Befehl des Gerichtsherrn vom 15. März 1945 im Anschluß an die Urteilsbestätigung durch diesen, das Urteil des Standgerichts aus Abschreckungsgründen und zur Aufrechterhaltung der Manneszucht "ohne Rücksicht auf ein Gnadengesuch" sofort zu vollstrecken - mit der sofortigen Vollstreckung -, nicht geeignet, das in einem wie dargelegt ordnungsgemäßen Militärstrafverfahren zustandegekommene Todesurteils lediglich wegen der vorenthaltenen Möglichkeit zur Stellung "eines Gnadengesuchs und damit zugleich der Erwirkung eines Strafaufschubs" als offensichtliches Unrecht i. S. des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG zu sehen. Nach § 115 KStVO wurde das Gnadenrecht von Amts wegen oder auf Antrag ausgeübt. Dabei sollte nach § 116 Abs. 2 KStVO der Gerichtsherr den Strafvollzug nur aussetzen, wenn er ein Gnadengesuch befürwortete und nach seinem pflichtgemäßen Ermessen mit Wahrscheinlichkeit ein Gnadenerweis solchen Umfangs zu erwarten war, daß der sofortige oder weitere Vollzug der Strafe den "erwarteten" Gnadenerweis ganz oder teilweise gegenstandslos gemacht hätte. Aus der mit Urteil des Standgerichts vom 15. März 1945 beigefügten Verfügung des zuständigen Gerichtsherrn vom selben Tage ist ersichtlich, daß dieser zumindest geprüft hat, ob im Falle des Verstorbenen das Gnadenrecht ausgeübt werden sollte oder nicht; dem Befehl auf sofortige Vollstreckung des Urteils "ohne Rücksicht auf ein Gnadengesuch" muß und kann auch nur entnommen werden, daß er ein - im übrigen offenbar gar nicht gestelltes - Gnadengesuch nicht befürworten wollte, weil nach seinem pflichtgemäßen Ermessen ein Gnadenerweis oder auch ein Strafaufschub mit Wahrscheinlichkeit ohnehin nicht erwartet werden konnte. Im übrigen war der Gerichtsherr nicht nur an die Vorschriften der KStVO gebunden, sondern als Soldat und Offizier hatte er auch den Befehl des OKW und der Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile zu folgen. Als solcher ihn bindender Befehl müssen vorliegend - neben anderen (vgl. Erlaß vom 27. April 1943 - Absolon S. 78 - und Fernschreiben des Oberbefehlshabers der Marine vom 13. März 1945 - Absolon S. 222) - auch die Bestimmungen des OKW vom 28. Januar 1945 "über das Verhalten von Offizier und Mann in Krisenzeiten" angesehen werden, nach denen nach Abschnitt V Abs. 2 und 3 die Gerichtsherrn und Standgerichtsherrn ua bei Fahnenflucht das Recht hatten, Todesurteile gegen jedermann - auch Offiziere jeden Ranges - unmittelbar zu bestätigen - mit der gleichzeitigen Verpflichtung zur unverzüglichen Vollstreckung -, wenn die sofortige Vollstreckung der Todesstrafe zur Aufrechterhaltung der Manneszucht und aus Gründen der Abschreckung geboten war (vgl. Absolon S. 93, 95). Aus all dem ergibt sich, daß auch hinsichtlich der Vollstreckung des Todesurteils gegen den Ehemann und Vater der Klägerinnen die Vorschriften der KStVO, allerdings im Zusammenhang mit den wegen der veränderten Kriegslage ergangenen Verordnungen und Befehlen, angewandt worden sind, ohne daß erkennbar wäre, daß der Gerichtsherr des Fliegenden Armeestandgerichts der Armeegruppe H. auch die Nr. 7 des hier gar nicht berücksichtigten Hitlererlasses vom 9. März 1945 - "Das Gnadenrecht entfällt" - für seine Entscheidung in Anspruch genommen hätte.

Die Anerkennung des von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG scheitert deshalb, wie auch das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, daran, daß das gegen ihren Ehemann und Vater verhängte Todesurteil wegen Fahnenflucht im Kriegseinsatz und die Vollstreckung des Urteils kein offensichtliches Unrecht gewesen sind; die verhängte Strafmaßnahme, die Verurteilung zum Tode, stellt auch rückschauend betrachtet keine mit rechtsstaatlichen Anschauungen im Widerspruch stehende Überschreitung des rechten Strafmaßes dar, darüber hinaus beruhen das Todesurteil und seine Vollstreckung auf einem ordnungsgemäßen Militärstrafverfahren. § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG ist somit zugunsten der Klägerinnen nicht anwendbar.

Die Revision mußte deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2387452

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