Leitsatz (amtlich)
Arbeitslosigkeit iS des RVO § 1259 Abs 1 Nr 3 setzt voraus, daß der Versicherte der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Das trifft für die Zeit einer Untersuchungshaft regelmäßig nicht zu.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1965-06-09; AFG § 101 Fassung: 1969-06-25
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Februar 1971 wird aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 7. Oktober 1970 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Dem Kläger war das Altersruhegeld unter Berücksichtigung einer pauschalen Ausfallzeit von 27 Monaten bindend festgestellt worden. Für nachgewiesen hatte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) lediglich eine Ausfallzeit von 22 Monaten gehalten, nämlich die Arbeitslosigkeit des Klägers von Oktober 1951 bis Juli 1953. Nachträglich beantragte der Kläger die Überprüfung der Rentenfestsetzung. Er machte geltend, daß er über die angegebene Zeit hinaus bis zum 21. Juli 1959 ohne Beschäftigung gewesen sei. Dazwischen habe er sich lediglich vom 30. Juli bis 6. Oktober 1953 in Untersuchungshaft befunden. - Später ist der Kläger zu einer Strafe von 7 Monaten Gefängnis verurteilt worden.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers ab, weil die auf die Haftzeit folgende Arbeitslosigkeit keine Beschäftigung unterbrochen habe (Bescheid vom 24. März 1969; Widerspruchsbescheid vom 3. September 1969).
Die Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) hat diese Entscheidung aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Altersruhegeld unter Anrechnung einer Ausfallzeit vom 7. Oktober 1953 bis 21. Juli 1959 neu zu bestimmen. Es hat die Zeit der Arbeitslosigkeit des Klägers von 1951 bis 1959 als ein einheitliches Ganzes angesehen. Während seiner Haftzeit habe der Kläger bloß keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Die Merkmale des Begriffs der Arbeitslosigkeit habe er aber weiterhin erfüllt, indem er vorübergehend nicht in Beschäftigung gestanden habe. Allerdings könne die Zeit der Haft nicht als Ausfallzeit anerkannt werden, weil der Kläger dabei nicht - wie es § 1259 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verlange - Arbeitslosengeld bezogen habe. Im übrigen - so hat das LSG weiter argumentiert - nehme auch das Bundessozialgericht (BSG) (SozR Nrn. 22 und 29 zu § 1259 RVO) an, daß gewisse Intervalle zu überbrücken seien.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Sie meint, von einer Arbeitslosigkeit des Klägers während seiner Haft könne keine Rede sein: er habe der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden, außerdem auch keine Unterstützung bezogen.
Die Revision der LVA ist begründet.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war der Kläger während seiner Untersuchungshaft nicht arbeitslos, so wie dieser Begriff in § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO zu verstehen ist. Infolgedessen können dem Kläger die Zeiten der Haft und nach der Haft nicht als Ausfallzeiten gutgebracht werden. Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der vorübergehend in keinem Beschäftigungsverhältnis steht (so § 75 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG - sowie § 101 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG -). Zur Berücksichtigung einer Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit muß aber hinzukommen, daß der Arbeitnehmer in der fraglichen Zeit ein Arbeitsverhältnis hätte aufnehmen können und wollen. Der Arbeitnehmer, um dessen Arbeitslosigkeit es geht, muß der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Die Verfügbarkeit ist in diesem Zusammenhang Bestandteil des Begriffs der Arbeitslosigkeit (im Ergebnis ebenso: BSG 15, 131, 133; 18, 287, 288). Daß dieses Kriterium nicht in die Definition der Arbeitslosigkeit in § 75 AVAVG und § 101 AFG einbezogen und statt dessen in § 76 AVAVG, § 103 AFG gesondert normiert worden ist, steht nicht entgegen. Die nur einen Teil der wesentlichen Begriffselemente wiedergebende Legaldefinition im Recht der Arbeitslosenversicherung erklärt sich aus der Systematik und Zielsetzung dieses Rechtsgebiets (dazu Näheres: BSG 23, 235). Sie ist für den Inhalt dieses Begriffs allgemein und besonders im Recht der Rentenversicherung nicht ohne weiteres verbindlich. Hier kommt es vielmehr auf die dem Wesen des Gegenstandes zu entnehmenden Begriffsfaktoren an. Dazu gehört, daß der Arbeitsuchende frei über seine Arbeitskraft disponieren kann. In den 9 Wochen, in denen der Kläger in Gewahrsam gehalten wurde, konnte und durfte er keine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben (vgl. § 76 Abs. 1 Nr. 3 AVAVG, § 103 Abs. 1 Nr. 1 AFG). Er hielt sich also für ein gegenwärtiges Arbeitsangebot nicht bereit (ebenso: RVA Nr. 4001 AN 1931, IV 86). Von der Rechtslage, die hier für maßgebend gehalten wird, gehen auch die Bestrebungen in jüngerer Zeit aus, die es im Zusammenhang mit einer Verbesserung des Strafvollzugs nicht bei dem Schutz der sozialen Unfallversicherung (§ 540 RVO) bewenden lassen wollen, sondern die Arbeit von Straf- und Untersuchungsgefangenen einer Beschäftigung gegen Entgelt anzupassen suchen (dazu: Hauck, BABl 1970, 10; Robert Schmidt, BABl 1970, 3, 710; ders. Arbeit, Beruf und Arbeitslosenhilfe, 1970, 140, 144). Dadurch würden die Gefangenen in die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung einbezogen; arbeitslos wären sie aber gerade nicht.
Die Frage, ob in Verbindung mit der Ausfallzeitenregelung ein Umstand, der nur für eine kurze Zeit die Bereitschaft zur Arbeitsvermittlung aufhebt, außer Betracht bleiben kann, ist hier nicht zu beantworten. Ein Einschnitt von mehr als einem Monat hindert jedenfalls die Annahme, der Versicherte sei zur gegebenen Zeit arbeitslos gewesen.
Die Haftzeit vermag auch nicht als Brücke zu dienen zwischen der zunächst gegebenen Ausfallzeit und der späteren Zeit der Arbeitslosigkeit. Für den späteren Abschnitt fehlt es an dem Erfordernis des § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist. Diesem Erfordernis ist genügt, wenn sich der Ausfalltatbestand unmittelbar an das Ende der Beschäftigung oder einer Tätigkeit anschließt (BSG 16, 120; SozR Nr. 18 zu § 1259 RVO; BSG 29, 120, 122). Nur wenn das eine dem anderen zeitlich unvermittelt folgt, ist die Unterstellung gerechtfertigt, von der das Gesetz ausgeht, nämlich, daß ohne den angeführten Grund in der betroffenen Zeit Beiträge aufgewendet worden wären. Dieser Grundsatz duldet keine Ausnahme. Die Fälle, in denen das BSG von der Überbrückung einer Zeitlücke zwischen dem Ende der Beschäftigung und dem Beginn eines anrechenbaren Ausfallzeitgeschehens ausgegangen ist, stellen keine Ausnahme von der Regel, sondern nur ihre Konkretisierung dar. Das trifft einmal für die Situation zu, daß mehrere Ausfalltatbestände in einer Kette lückenlos hintereinandergereiht verwirklicht werden (§ 1259 Abs. 1 Satz 2 RVO; SozR Nr. 32 zu § 1259 RVO). Zum anderen gilt dies, wenn ein Beschäftigter arbeitslos - in dem oben erörterten Sinn - wird und sich nur nicht sogleich beim Arbeitsamt meldet (so BSG 29, 120). Mit einer solchen Sachlage ist die Besonderheit einer Untersuchungshaft nicht gleich zu erachten; dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht dargetan ist, daß die Haft auf Gründen beruhte, die der Betroffene nicht zu vertreten hatte.
Der abweichenden Entscheidung des LSG ist nicht zuzustimmen, sein Urteil ist aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen