Leitsatz (amtlich)

Mit der Erhöhung der Teilrente auf die Vollrente in Anwendung des RVO § 587 tritt das Ruhen der Rente aus der Rentenversicherung nach RVO § 1278 - bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen - auch dann ein, wenn die Berufsgenossenschaft die Vollrente gewährt, ohne dazu verpflichtet zu sein.

 

Normenkette

RVO § 1278 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09, § 587 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 3. Mai 1968 wird aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 8. Februar 1968 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Landesversicherungsanstalt zu Recht das Ruhen eines Teils der Versichertenrente des Klägers gemäß § 1278 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) angenommen hat. Der Kläger bezog in der Zeit vom 21. Oktober 1964 bis zum 31. Oktober 1967 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nach §§ 1246, 1276 RVO. Von der Bau-Berufsgenossenschaft H (BG) erhält er wegen einer Berufskrankheit eine Verletztenrente in Höhe von 30% der Vollrente, die seit dem 21. September 1966 als Dauerrente gewährt wird. In der Zeit vom 1. September 1966 bis zum 31. Juli 1967 wurde er auf Kosten der BG zum Verwaltungsangestellten ausgebildet. Für diese Zeit bewilligte ihm die BG in Anwendung des § 587 RVO die Vollrente. Die Beklagte ging daraufhin davon aus, daß die Versichertenrente des Klägers in dieser Zeit gemäß § 1278 Abs. 1 RVO zum Teil ruhe, sie stellte daher insoweit den Rentenzahlbetrag neu fest. Anstelle von monatlich 258,20 DM zahlte sie 150,40 DM aus (Bescheid vom 27. Dezember 1966).

Die auf Auszahlung der vollen Berufsunfähigkeitsrente gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Bremen vom 8. Februar 1968). Das SG hat die Berufung zugelassen. Durch Urteil vom 3. Mai 1968 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 27. Dezember 1966 aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 1. September 1966 bis 31. Juli 1967 die Rente ungekürzt zu zahlen. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung damit begründet daß die BG während der Umschulung des Klägers (Berufshilfe) zu Unrecht die Vollrente nach § 587 Abs. 1 RVO bewilligt habe. Nach dieser Vorschrift müsse der Träger der Unfallversicherung die Teilrente auf die Vollrente erhöhen, solange der Verletzte infolge des Unfalls ohne Arbeitseinkommen sei. Der damit geforderte Kausalzusammenhang sei nicht schon deshalb gegeben, weil die BG die Berufskrankheit zum Anlaß genommen habe, dem Kläger Berufshilfe im Sinne des § 537 Nr. 2 Buchst. a RVO zukommen zu lassen. Für diesen Fall gelte § 568 RVO, dort sei u. a. die dem Verletzten im Rahmen der Berufshilfe zustehende wirtschaftliche Hilfeleistung dem Grunde nach geregelt. Da die zur Ausgestaltung von Einzelheiten vorgesehene Rechtsverordnung noch nicht erlassen sei, finde die Verordnung (VO) über Krankenbehandlung und Berufsfürsorge vom 14. November 1928 (RGBl I, 387) Anwendung. In § 18 Abs. 2 dieser VO sei bestimmt, daß der Versicherungsträger während der Ausbildung die Kosten des notwendigen Unterhalts des Verletzten und seiner Angehörigen zu gewähren habe, soweit der Verletzte den Unterhalt aus seinem laufenden Einkommen nicht bestreiten könne. Die BG hätte also einen Unterhaltszuschuß gewähren müssen, dieser könne nicht als Erhöhung der Rente gewertet werden. § 587 Abs. 1 RVO finde daher keine Anwendung, mithin scheide auch ein Ruhen der Berufsunfähigkeitsrente nach § 1278 RVO aus.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Revision. Sie rügt eine fehlerhafte Auslegung des § 587 RVO durch das LSG. Für die Anwendung dieser Vorschrift sei entscheidend, daß der Versicherte infolge der Berufskrankheit kein Arbeitseinkommen habe. Insoweit müsse der mittelbare Zusammenhang - wie er bei einer Umschulung bestehe - genügen. Im übrigen habe die BG jedenfalls die Vollrente gewährt. Dieser Umstand führe - gleichgültig aus welchem Grunde die Teilrente auf die Vollrente erhöht worden sei - zur Anwendung des § 1278 Abs. 1 RVO.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision der Beklagten ist begründet, sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung des Klägers.

Das SG hat zu Recht die Auffassung der Beklagten bestätigt, in der Zeit vom 1. September 1966 bis zum 31. Juli 1967 sei das Ruhen eines Teils der von ihr festgestellten Rente eingetreten. Diese Rechtsfolge - das Ruhen der Rente - ergibt sich beim Zusammentreffen einer Rente aus der Rentenversicherung mit einer Verletztenrente aus der Unfallversicherung - wenn die übrigen in § 1278 Abs. 1 RVO bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind - unmittelbar aus dem Gesetz, ohne daß es einer besonderen Entscheidung des Trägers der Rentenversicherung bedarf. In dem vorliegenden Fall sind Renten dieser Art zusammengetroffen. Der Kläger bezog von der Beklagten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit; während derselben Zeit zahlte ihm die BG eine Verletztenrente. Die Teilrente in Höhe von 30% der Vollrente konnte das Ruhen allerdings nicht auslösen, weil damit die in § 1278 Abs. 1 RVO hinsichtlich des Gesamtrentenbetrags gezogene Grenze nicht erreicht war. Anders war es dagegen während der Zeitspanne, auf die sich der Rechtsstreit bezieht. Es besteht nun Streit darüber, ob die von der BG über die Teilrente hinaus gewährte Leistung als Verletztenrente im Sinne des § 1278 Abs. 1 RVO zu werten ist. Diese Frage hat der Senat bejaht. Für die Zeit der Ausbildung des Klägers zum Verwaltungsangestellten ist ihm von der BG ausdrücklich eine Vollrente - nach § 587 RVO - zugesprochen und auch ausgezahlt worden. Der eindeutige - bindend gewordene - Bescheid der BG läßt keine andere Auslegung zu. Davon ist auch das LSG ausgegangen. Seiner Meinung, es müsse geprüft werden, ob die Vollrente zu Recht bewilligt und gezahlt worden sei, vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Andere Versicherungsträger - etwa der Träger der Rentenversicherung - sind ebensowenig wie die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Fällen dieser Art befugt, die eigene Auffassung über die Rechtmäßigkeit der Gewährung der Verletztenrente - dem Grunde oder der Höhe nach - an die des Trägers der Unfallversicherung zu setzen und damit einem bindend gewordenen Bescheid dieses Versicherungsträgers einen anderen Inhalt zu geben. Dem steht sowohl der Wortlaut des Gesetzes - der allein auf die Tatsache des Zusammentreffens der Renten abstellt - als auch der durch § 1278 RVO angestrebte Zweck entgegen. Der Gesamtbetrag der tatsächlich gezahlten Renten soll die Grenze, die vom Gesetzgeber zur Vermeidung unangemessen hoher Leistungen aus der Sozialversicherung gezogen worden ist, nicht überschreiten. Geschähe dies bei voller Auszahlung der beiden Renten, so soll der Träger der Rentenversicherung entlastet werden. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung würde dazu führen, daß der Träger der Rentenversicherung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gehalten wären, eine Entscheidung auch darüber zu treffen, ob der Unfallversicherungsträger zu Recht einen Arbeitsunfall angenommen oder den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit zutreffend festgestellt hat. Bei einer gesetzgemäßen Gewährung der Verletztenrente durch den Träger der Unfallversicherung würde das Ruhen der Rente aus der Rentenversicherung oder eines Teils derselben eintreten, es wäre dagegen ausgeschlossen, wenn die Verletztenrente zu Unrecht festgesetzt, der Versicherte also schon dadurch eine ihm nicht zukommende Begünstigung erführe. - Wenn es hiernach nur auf das tatsächliche Zusammentreffen der in § 1278 Abs. 1 RVO genannten Renten ankommt, so kann auch dann nichts anderes gelten, wenn die Vollrente in Anwendung des § 587 RVO gewährt wird. Die Ruhensbestimmung des § 1278 Abs. 1 RVO enthält keine differenzierte Regelung in dem Sinne, daß darauf abgestellt wäre, welche Gründe zur Gewährung der Rente aus der Unfallversicherung geführt haben. Ebensowenig läßt sich aus § 587 RVO ein Hinweis darauf entnehmen, daß die nach dieser Vorschrift festgesetzte Vollrente die Anwendung des § 1278 RVO ausschließen könnte. Ihr Wortlaut läßt eher erkennen, daß dem Gesetzgeber eine unterschiedliche Behandlung fernlag. In § 587 Abs. 2 RVO heißt es nämlich, daß die Leistungen (nach Abs. 1) auf das Arbeitslosengeld oder die Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe nicht angerechnet werden. Dem Gesetzgeber war nicht unbekannt, daß ein Zusammentreffen der nach § 587 RVO gewährten Vollrente mit einer Rente aus der Rentenversicherung möglich ist. Er hat es jedoch unterlassen, dafür eine Sonderregelung zu treffen.

Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß es streitig ist, ob in Fällen dieser Art eine Verpflichtung des Trägers der Unfallversicherung zur Gewährung der Vollrente besteht, oder ob er berechtigt ist, lediglich einen Zuschuß zur Teilrente zu bewilligen. Diese Frage kann jedoch offen bleiben. Die BG hat unmißverständlich eine Vollrente nach § 587 RVO festgesetzt. Es ist dem Träger der Rentenversicherung im Rahmen des § 1278 RVO verwehrt nachzuprüfen, ob die Rente aus der Unfallversicherung zu Recht gewährt wird. Hinsichtlich der nach § 587 RVO bewilligten Vollrente gilt nichts anderes.

Das angefochtene Urteil kann hiernach keinen Bestand haben. Da über die Höhe des Rententeils, hinsichtlich dessen das Ruhen eingetreten ist, kein Streit besteht, muß die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669586

BSGE, 103

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