Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrechnung nicht erbrachter Leistungen
Orientierungssatz
Die Pflicht zu gewissenhafter, peinlich genauer Leistungsabrechnung ist eine der Grundpflichten des Kassenarztes; verletzt er diese Pflicht gröblich, so hat er seine Eignung als Kassenarzt (Vertragsarzt) verloren (vergleiche BSG 1972-08-18 6 RKa 28/71).
Normenkette
EKV-Ä § 7 Nr. 2 Fassung: 1963-07-20, § 12 Nr. 2 Fassung: 1963-07-20
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 12.05.1971) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 12. Mai 1971 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der jetzt 55-jährige Kläger, der seit 1954 in Hamburg als praktischer Arzt zu den RVO-Kassen zugelassen und an der Ersatzkassenpraxis beteiligt ist, wendet sich gegen den Widerruf seiner Beteiligung, den die zuständigen Verwaltungsstellen wegen gröblicher Verletzung der Pflichten aus dem Arzt-Ersatzkassen-Vertrag (EKV) ausgesprochen haben (Beschlüsse der Beteiligungskommission vom 26. November 1969 und der beklagten Berufungskommission vom 15. April 1970). Nach der Begründung dieser Beschlüsse hatte der Kläger im ersten Vierteljahr 1969, ähnlich wie im Bereich der RVO-Kassen, auch bei Mitgliedern der Ersatzkassen in größerem Umfange nicht erbrachte Leistungen abgerechnet. Die Beteiligungskommission verwies dabei auf neun namentlich genannte Fälle, bei denen die (stichprobenweise) Befragung von Patienten des Klägers Abrechnungsfehler ergeben hatte.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage nach Vernehmung von 27 Zeugen, die teils bei RVO-Kassen, teils bei Ersatzkassen versichert waren, als unbegründet abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Bei 15 der vernommenen Zeugen habe die Beweisaufnahme eindeutig ergeben, daß abgerechnete Leistungen (Injektionen, Untersuchungen) nicht ausgeführt worden seien. Die Ursache der falschen Abrechnungen müsse nach den Aussagen der Ehefrau und der Tochter des Klägers sowie einer Angestellten in einer unzulänglichen Organisation der Praxis gesehen werden; der Kläger habe nichts getan, um seine eigene Überbeanspruchung und die seiner Tochter, die im wesentlichen die Abrechnung gemacht habe, durch eine andere Aufgabenverteilung unter den Hilfspersonen oder durch zusätzliche Einstellung weiteren Personals zu beheben. Er habe auch nicht überwacht, ob verordnete und sogleich in die Abrechnungsunterlagen eingetragene Leistungen tatsächlich ausgeführt worden seien. Die bloße Absicht, sein Abrechnungssystem nunmehr zu ändern, könne ihn angesichts der nachgewiesenen und eingestandenen Fehlabrechnungen, die keine Einzelfälle seien und sich über längere Zeit hingezogen hätten, nicht entlasten. Andernfalls würde die soziale Krankenversicherung gefährdet, da die Krankenkassen ihre Aufgabe nur bei gewissenhafter Abrechnung der Kassenärzte erfüllen könnten. Auf die Höhe des zuviel beanspruchten Honorars komme es für die Entscheidung ebensowenig an wie auf ein Verschulden des Klägers. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schließe bei einer so gröblichen Verletzung der kassenärztlichen Pflichten wie hier die Zulassungsentziehung nicht aus (Urteil vom 12. Mai 1971).
Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt, mit der er die unrichtige Anwendung von Bestimmungen des EKV, insbesondere eine Verkennung des Rechtsbegriffs der gröblichen Verletzung von Vertragspflichten rügt. Die nicht bestrittenen Fehlabrechnungen seien auf seine ständige Überforderung als Arzt und auf Organisationsmängel seiner Praxis zurückzuführen; ein ihm unterstelltes Bereicherungsmotiv habe nicht vorgelegen. Seit Einleitung des Widerrufsverfahrens habe er sich im übrigen in jeder Hinsicht korrekt verhalten und geradezu "übersorgfältig" abgerechnet. Auch habe er durch organisatorische Umstellungen in der Praxis dafür gesorgt, daß sich die früheren Abrechnungsfehler nicht wiederholen könnten. Eine Bestätigung der angefochtenen Entscheidung würde zu einer Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz führen und wäre mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die beklagte Berufungskommission und die Beigeladenen - die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) H und der Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) - beantragen, die Revision zurückzuweisen. Sie halten das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für zutreffend. Die KÄV hat Zweifel geäußert, ob nach den Umständen des Falles allein eine Überarbeitung des Klägers für die festgestellten Unregelmäßigkeiten als ursächlich angesehen werden könne. Es falle schwer, nicht an eine Bereicherungsabsicht zu glauben, wenn der Kläger z.B. angebliche Krankenbesuche unter falscher Wohnungsangabe vermerkt habe. Die Erstattungsansprüche der beteiligten Ersatzkassen habe er bisher nicht anerkannt.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die angefochtenen Beschlüsse mit Recht für rechtmäßig gehalten.
Nach § 6 Nr. 7 des EKV-Ärzte vom 20. Juli 1963 wirken in der Berufungskommission, die in zweiter Instanz über den Widerruf von Beteiligungen zu entscheiden hat, neben Vertretern der Ärzte und einem Vorsitzenden mit der Befähigung zum Richteramt auch zwei vom VdAK benannte Mitglieder mit. Dementsprechend sind die gerichtlichen Spruchkörper mit je einem ehrenamtlichen Beisitzer aus den Kreisen der Kassenärzte und der Krankenkassen zu besetzen (SozR Nr. 1 zu EKV-Ärzte Allg.).
Nach § 7 Nr. 2 EKV-Ärzte in der genannten Fassung ist die Beteiligung eines Arztes an der Ersatzkassenpraxis u.a. zu widerrufen, wenn der Arzt seine Pflichten aus diesem Vertrage gröblich verletzt. Zu diesen Pflichten gehört die Beachtung der Regeln für den Abrechnungsverkehr zwischen Vertragsarzt und KÄV. Nach § 12 Nr. 2 EKV-Ärzte hat der Vertragsarzt zu bestätigen, daß er die abgerechneten Leistungen persönlich erbracht hat und daß die von ihm eingereichte Abrechnung sachlich richtig ist. Daß es sich bei der Pflicht des Kassenarztes zu gewissenhafter, peinlich genauer Leistungsabrechnung um eine seiner Grundpflichten handelt, daß der Kläger diese Pflicht durch sein Verhalten gröblich verletzt und damit seine Eignung als Kassenarzt verloren hat, hat der Senat in der gleichzeitig entschiedenen Sache 6 RKa 28/71 näher ausgeführt. Da für das Verhältnis des Klägers als Vertragsarzt nichts anderes gilt, kann insoweit auf die genannte Entscheidung des Senats verwiesen werden.
Die Verwaltungsinstanzen der Beklagten haben somit die Beteiligung des Klägers an der Ersatzkassenpraxis zu Recht widerrufen, das SG und das LSG haben die dagegen erhobene Klage zutreffend für unbegründet gehalten. Die Revision des Klägers war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen