Leitsatz (amtlich)
1. Läßt sich ein Ersatzkassenmitglied von einem Vertragsarzt privatärztlich - also ohne Vorlage eines Krankenscheins - behandeln, so ist es dadurch nicht gehindert, Versorgung mit Arznei als Sachleistung in Anspruch zu nehmen.
In diesem Fall hat jedoch der verordnende Vertragsarzt den Krankenschein des Versicherten sowie den Behandlungs- und Leistungsnachweis für ihn der KÄV mit der Honorarabrechnung vorzulegen.
2. Die Verpflichtung eines Vertragsarztes zum Schadenersatz wegen Verletzung vertragsärztlicher Pflichten setzt Verschulden dieses Arztes voraus.
3. Ein Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten kann einem Vertragsarzt im allgemeinen nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn ein überwiegend mit Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht dessen Verhalten für objektiv berechtigt gehalten hat.
Dies gilt auch dann, wenn die Entscheidung des Kollegialgerichts erst in dem Prozeß, in dem der fragliche Verstoß zur Beurteilung steht, ergangen ist.
Normenkette
RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1911-07-19; EKV-Ä § 8 Nr. 11 Fassung: 1963-07-20, § 16 Nr. 5 Fassung: 1963-07-20
Tenor
Die Revisionen des Klägers, der Beklagten und des Beigeladenen gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 1970 werden zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten dieses Rechtszuges zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger ist praktischer Arzt in H/Holstein, zu den RVO- und Ersatz-Kassen zugelassen und Mitglied der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV). Mit Schreiben vom 30. August 1967, gerichtet an die Prüfungskommission der Beklagten, hatte der Ortsausschuß H der Beigeladenen gemäß § 16 Nr. 1 des Arzt-Ersatzkassenvertrages vom 20. Juli 1963 (EKV) beantragt, die Verordnungsweise des Klägers in acht Behandlungsfällen des ersten Quartals 1967 zu prüfen. Mit Bescheid vom 6. Februar 1968 wurde von der Beklagten eine Schadensersatzverpflichtung des Klägers in Höhe von DM 737,80 festgestellt.
Der Widerspruch des Klägers wurde von der Beschwerdekommission der Beklagten zurückgewiesen; die Klage beim Sozialgericht (SG) blieb erfolglos. Das SG Kiel führte u.a. in seinem Urteil vom 16. April 1969 aus, daß es der Einschaltung eines Gutachters nicht bedürfe, da die erkennende Kammer mit zwei Ärzten als Sozialrichtern, darunter einem Facharzt für innere Medizin, besetzt sei. Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
Mit Schreiben vom 2. Februar 1968 hatte der Ortsausschuß des Beigeladenen ferner beantragt, die Verordnungsweise des Klägers für das dritte Quartal 1967 zu überprüfen. Im Bescheid vom 20. Juli 1968 stellte die Beklagte eine weitere Schadensersatzverpflichtung des Klägers in Höhe von DM 2.208,21 fest: Wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise müsse der Kläger DM 547,51 ersetzen. Außerdem habe der Kläger Rezepte zu Lasten der H-Ersatzkasse in Höhe von DM 1.660,70 für die Patienten Johann, Charlotte und Almut C. ausgestellt, obwohl ein Krankenschein nicht vorgelegen habe.
Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Bescheid der Beschwerdekommission der Beklagten vom 27. Mai 1969).
Mit Urteil vom 17. Dezember 1969 hat das SG die Klage abgewiesen. Auch gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen des Klägers betreffend die Schadensersatzfeststellungen für das erste und dritte Vierteljahr 1967 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und eine gutachtliche Äußerung von dem Facharzt für innere Medizin und Oberregierungsmedizinalrat Dr.Dr. H vom 18. Dezember 1970 eingeholt. Mit Urteil vom gleichen Tage wies es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 16. April 1969 zurück. Auf die Berufung des Klägers wurde unter Zurückweisung der Berufung im übrigen das Urteil des SG vom 17. Dezember 1969 dahin geändert, daß unter Abänderung der Bescheide der Prüfungskommission vom 20. Juli 1968 und der Beschwerdekommission vom 27. Mai 1969 der Schadensersatzanspruch für das dritte Vierteljahr 1967 auf DM 547,51 festgestellt und die Klage im übrigen abgewiesen wurde; die Revision wurde zugelassen.
Zur Begründung des Urteils wurde ausgeführt, daß die gegen den Kläger wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festgesetzten Arzneimittelregresse in Höhe von rd. 737 DM (I/1967) und rd. 547 DM (III/1967) rechtmäßig seien. Die von der Prüfungskommission der Beklagten anhand der einzelnen Behandlungsfälle durchgeführte Prüfung habe ergeben, daß die verordneten Medikamente teils überflüssig, teils kontraindiziert und teils bei der gestellten Diagnose unverständlich gewesen seien. Auch der vom LSG herangezogene Sachverständige Dr. Dr. H habe unter Heranziehung von Einzelbeispielen dargelegt, daß die Verordnungen zum Teil kontraindiziert gewesen seien. Außerdem habe der Kläger anstatt Normalpackungen Anstaltspackungen verschrieben, so daß dem Patienten Medikamente in einer Menge verabreicht worden seien, die im Rahmen eines Krankheitsfalles gar nicht hätte verbraucht werden können. Eine weitere Beweisaufnahme sei nicht erforderlich gewesen; auch § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
Hingegen hat das LSG den Schadensersatzanspruch in Höhe von DM 1.660,70 wegen der für die Familie C. ausgestellten Rezepturen für unbegründet erachtet:
Der EKV enthalte keine Vorschrift, die es dem Vertragsarzt verbiete, Rezepte zu Lasten der Ersatzkasse auszustellen, falls sich der Versicherte als Privatpatient behandeln lassen wolle. Ein solches Verbot sei auch nicht aus § 8 Nr. 11 EKV zu entnehmen, wonach der Vertragsarzt berechtigt sei, die Verordnung auf Privatrezept ohne Angabe der Kassenzugehörigkeit mit dem Vermerk "mangels Krankenscheins" auszustellen. Diese Vorschrift räume dem Vertragsarzt ausdrücklich nur eine Berechtigung zur Ausstellung eines Privatrezepts ein; sie begründe jedoch keine Verpflichtung, ein Privatrezept auszustellen, wenn der Versicherte keinen Krankenschein vorlege oder sogar ausdrücklich als Privatpatient behandelt werden wolle. Auch die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Klägers hätte im vorliegenden Falle nachgeprüft werden können. Im übrigen habe der Kläger auch nicht schuldhaft gehandelt.
In seiner Revisionsbegründung rügt der Kläger die Verletzung der §§ 62, 103, 117 und 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Durch die Ablehnung des Antrags des Klägers, eine Professorenkommission mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen, sei sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs i.S. des § 62 SGG verletzt worden. Er hat beantragt,
das Urteil des LSG in dem ihn beschwerenden Umfang zu ändern und die Urteile des SG vom 16. April 1969 und vom 17. Dezember 1969 sowie die Bescheide der Prüfungskommission vom 16. Februar 1968 und 20. Juli 1968 in der Fassung der Bescheide der Beschwerdekommission vom 24. Juli 1968 und 27. Mai 1969 in vollem Umfange aufzuheben,
hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat beantragt,
das angefochtene Urteil des LSG zu ändern und die Berufung des Klägers in vollem Umfange zurückweisen sowie die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Der Beigeladene stellte sinngemäß den gleichen Antrag wie die Beklagte.
Die Beklagte und der Beigeladene sind der Auffassung, das LSG habe zu Unrecht den Schadensersatzanspruch in Höhe von DM 1.660,70 für unbegründet erachtet, der dadurch entstanden sei, daß der Kläger dem privatärztlich behandelten Patienten C. und seinen Angehörigen zu Lasten der H-Ersatzkasse Rezepte ausgestellt habe. Ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei könnten nur Gegenstand eines einheitlichen Anspruchs des Versicherten gegen die Ersatzkasse sein, wie aus § 182 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) folge, wonach zu dem Anspruch des Versicherten auf Krankenpflege u.a. ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei gehöre. Außerdem sei eine Wirtschaftlichkeitsprüfung ohne Vorlage eines Behandlungsausweises undurchführbar. Die Arzneimittelversorgung stehe mit der persönlichen ärztlichen Tätigkeit des Arztes in einem engen und untrennbaren Zusammenhang. Auf ein schuldhaftes Verhalten des Klägers könne es nicht ankommen. Da der Arzneiregreß als Entschädigung eigener Art anzusehen sei, dürften die für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geltenden Grundsätze nicht in Betracht kommen.
II
Die Revisionen aller Beteiligten sind unbegründet.
Die Festsetzung der Schadensersatzverpflichtungen des Klägers in dem vom LSG begrenzten Umfange besteht zu Recht.
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1.) |
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Zur Revision des Klägers: |
Die Rüge des Klägers, die Grundsätze der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) seien verletzt und der Sachverhalt nur mangelhaft aufgeklärt worden (§ 103 SGG), ist unbegründet. Der Kläger ist in den eingehenden und sorgfältig begründeten Bescheiden der Prüfungskommission der Beklagten vom 6. Februar 1968 und vom 20. Juli 1968 unter genauer Darlegung der einzelnen Behandlungsfälle, mit Benennung der Medikamente und deren Mengenangaben sowie der Fundstellen der einschlägigen Fachliteratur darüber unterrichtet worden, aus welchem Grunde die einzelnen Rezepte beanstandet werden. Der Kläger hat gegen diese Feststellungen weder in den Verfahren vor den Prüfungsorganen der Beklagten noch in den Verfahren vor dem SG und dem LSG sachliche Einwendungen erhoben. In einem der beiden Vorverfahren hatte er über die Erhebung des Widerspruchs hinaus lediglich die Anhörung eines bestimmten Gutachters (Prof. H, U) beantragt, ohne darzulegen, welche Punkte der Bescheide der Prüfungskommission - und gegebenenfalls aus welchen Gründen - einer gutachtlichen Würdigung bedurft hätten. Auch von der ihm ausdrücklich eingeräumten Möglichkeit, die persönliche Anhörung vor der Beschwerdekommission zu beantragen, hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Er hat - trotz seiner Obliegenheit, an der Aufklärung des den Prüfungsinstanzen unterbreiteten Sachverhalts mitzuwirken (vgl. BSG 11, 102, 115) - nicht die Gelegenheit genutzt, seine Einwände gegen die konkreten Feststellungen der Prüforgane der Beklagten - sei es schriftlich, sei es in den mündlichen Verhandlungen vor dem SG und dem LSG - substantiiert darzulegen. Bei dieser Sachlage kann weder die Rede davon sein, daß ihm das rechtliche Gehör (§ 62 SGG) versagt worden ist, noch davon, daß das LSG gegen seine Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) verstoßen hat. Insbesondere brauchte sich das LSG angesichts der Fülle der übereinstimmenden Beweisgrundlagen zu den einzelnen Unwirtschaftlichkeitsverstößen - der Feststellungen zweier mit sachkundigen, erfahrenen Prüfärzten besetzten Kommissionen und eines Sachverständigengutachtens - sowie seiner eigenen durch die ehrenamtlichen Beisitzer (Ärzte) vermittelten Sachkunde nicht veranlaßt zu sehen, weitere Sachverständigengutachten einzuholen. Daß der Kläger nicht zu dem in § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG genannten Personenkreis mit dem Anspruch auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes gehört, hat das LSG zutreffend dargetan.
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2.) |
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Zu den Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen: |
Bei der Frage, ob der Kläger dem von ihm privatärztlich behandelten Ersatzkassenmitglied C. und dessen Familienangehörigen ohne Vorlage eines Krankenscheins Medikamente auf Kassenrezepten verordnen durfte, ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß die Ansprüche des Versicherten auf ärztliche Behandlung und auf Versorgung mit Arznei nicht voneinander abhängig sind und selbständig geltend gemacht werden können. Wenn § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO im Rahmen eines Leistungskatalogs die Krankenpflege näher dahin erläutert, daß sie u.a. ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei umfasse, so ist damit nur rechtssystematisch die Zugehörigkeit der genannten Leistungen zu einem gemeinsamen Oberbegriff ("Krankenpflege") festgelegt. Über die Art und Weise, wie die Anspruchsberechtigungen ausgeübt werden können, ist damit nichts ausgesagt.
Zu Unrecht beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf, daß der 3. Senat des BSG (Urteil vom 31. Juli 1963 - 3 RK 92/59 - in BSG 19, 270, 271) ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei als "unselbständige Teilleistungen" bezeichnet hat. Wie der Gedankengang, in dem diese Wendung steht, klar erkennen läßt - es ging für die Frage der Zulässigkeit der Berufung darum, ob der Rechtsstreit einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als dreizehn Wochen i.S. des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG betrifft -, ist das BSG mit dem Hinweis auf die Unselbständigkeit der Teilleistungen nur der irrigen Auffassung entgegengetreten, daß im Rahmen einer Behandlung, bei der von vornherein zu erwarten sei, daß sie sich auf einen längeren Zeitraum erstrecken werde, die einzelnen Leistungen der Krankenpflege - wie auch der Krankenhauspflege (BSG 2, 135, 136) - jede für sich als einmalige Leistungen anzusehen seien. Mit der Feststellung, daß die im Rahmen eines Behandlungsfalls in zeitlicher Aufeinanderfolge getätigten Verordnungen von Arzneien in ihrer Zusammenfassung ein geschlossenes Ganzes bildeten, ist demnach nur die prozeßrechtliche Frage bejaht worden, ob eine solche Versorgung mit Arznei eine wiederkehrende Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist.
Für die Sachfrage des vorliegenden Rechtsstreits findet sich jedoch an anderer Stelle der genannten Entscheidung eine richtungweisende Feststellung (BSG 19, 270, 274): Die Ansprüche des Versicherten auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei hingen zwar nicht begriffsmäßig zusammen (vgl. Reichsversicherungsamt in GE Nr. 3923, AN 1931, 7); die Versicherten hätten jedoch nur Anspruch darauf, die Arznei in der vom Gesetz vorgeschriebenen Weise als Sachleistung auf Kassenkosten zu beziehen. War hieraus in der genannten Entscheidung der Schluß zu ziehen, daß die Versorgung mit Arznei als Sachleistung nur im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung (§ 368 Abs. 2 RVO), d.h. regelmäßig nur über einen zu dieser Versorgung zugelassenen Arzt beansprucht werden kann, so ist für den vorliegenden Rechtsstreit die Folgerung gerechtfertigt, daß die Inanspruchnahme der Versorgung mit Arznei als Sachleistung bedingt, daß der Versicherte den Krankenschein vorlegt und der verordnende Arzt den Behandlungs- und Leistungsnachweis in der üblichen Form erbringt. Diese Rechtslage verdeutlicht § 187 b Abs. 1 Satz 1 RVO in der für den vorliegenden Rechtsstreit noch anwendbaren alten Fassung i.V.m. § 507 Abs. 1 Satz 2 RVO, wonach der Versicherte für die Krankenhilfe einen Krankenschein zu lösen hat. Nur so kann auch die Regelung in § 8 Nr. 11 EKV verstanden werden, wonach der Vertragsarzt mangels Vorlage eines Krankenscheins berechtigt ist, die Verordnungen auf Privatrezept ohne Angabe der Kassenzugehörigkeit mit dem Vermerk "mangels Krankenscheins" auszustellen. Sie zeigt dem Vertragsarzt den allein möglichen Weg, wie er bei der Ausstellung von Rezepten für einen Versicherten, der keinen Krankenschein vorlegt, verfahren darf.
Wird die Inanspruchnahme der Versorgung mit Arznei als Sachleistung dergestalt beschränkt, so ist damit auch der Gefahr begegnet, daß die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Verordnungsweise erschwert oder sogar unmöglich werden könnte (vgl. zu diesem bereits für die damalige Entscheidung wichtigen Gesichtspunkt BSG 19, 270, 274). Hat der Vertragsarzt im Rahmen der Honorarabrechnung mit der KÄV auch in den Fällen, in denen er privatärztlich behandelt, aber auf Kassenrezept verordnet hat, Krankenschein und Leistungsnachweis mit den üblichen Vermerken vorzulegen, so sind die Prüforgane der KÄV uneingeschränkt in der Lage, auf Prüfungsanträge hin die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise anhand der hierfür benötigten Unterlagen zu überprüfen. Damit entfällt aber das einzige ernstlich aus der Interessenlage der KÄV oder der beteiligten Ersatzkasse in Betracht kommende Bedenken gegen eine Berechtigung des Versicherten, trotz Inanspruchnahme eines Vertragsarztes als Privatarzt für die ärztliche Behandlung die Versorgung mit Arznei als Sachleistung zu wählen.
Zu Unrecht hat somit das LSG den Kläger für berechtigt gehalten, einem Versicherten ohne Vorlage eines Krankenscheins Arzneimittel auf Kassenrezept zu verordnen mit der Folge, daß die Kosten der hierauf bezogenen Medikamente von der Ersatzkasse getragen werden. Der Kläger hat objektiv den EKV verletzt.
Diese Feststellung genügt aber nicht, um den gegen den Kläger insoweit festgesetzten Schadensersatz zu rechtfertigen. Wie der Schadensersatz wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise (vgl. BSG 19, 123, 127) ist auch der Schadensersatz wegen unzulässiger Verordnungsweise eine "Ersatzleistung eigener Art", womit aber nur gesagt ist, daß diese Ersatzleistung gegenüber den bekannten Schadensersatzgruppen des bürgerlichen Rechts (Vertragsverletzung, unerlaubte Handlung) Besonderheiten aufweist wie die, daß der Schadensersatz durch einen Dritten (KÄV) verwaltungsaktsmäßig festgestellt wird. Mit der Kennzeichnung einer Ersatzleistung als "Schadensersatz", wie in § 16 Nr. 5 EKV geschehen, wird jedoch zum Ausdruck gebracht, daß diese Verpflichtung jedenfalls das für Schadensersatzleistungen typische Merkmal enthalten soll, nämlich Verschulden des Leistungspflichtigen als Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs. Dementsprechend hebt § 23 Abs. 2 des Bundesmantelvertrags (Ärzte), der die dem EKV entsprechende Regelung für sonstige - nicht Unwirtschaftlichkeitsverstöße betreffende - Schadensersatzfeststellungen im Kassenarztrecht enthält, bei der Zuweisung dieser Aufgabe an die Prüfungseinrichtungen hervor, daß es sich dabei um "schuldhafte Verletzung kassenärztlicher Pflichten" handeln muß.
Dieser Auffassung, steht nicht entgegen, daß die gröbliche Verletzung kassenärztlicher Pflichten, die die Entziehung der Zulassung rechtfertigt (§ 368a Abs. 6 RVO), kein individuelles Verschulden des Kassenarztes im Sinne eines vorwerfbaren Verhaltens voraussetzt (BSG, Urteil vom 28. Februar 1963 - 6 RKa 14/61 - in SozR § 368a RVO Nr. 24). Bei diesem Sachverhalt geht es um einen grundsätzlich vom Verschulden unabhängigen Tatbestand, nämlich um die Frage, ob die gröbliche Verletzung kassenärztlicher Pflichten die Eignung des Arztes für die kassenärztliche Versorgung berührt. Insofern genügt die objektive Zerstörung der für die Zusammenarbeit der Beteiligten unentbehrlichen Vertrauensgrundlage.
Demnach wäre die Festsetzung des Schadensersatzes gegen den Kläger wegen seiner unzulässigen Verordnungsweise nur dann rechtmäßig, wenn der Kläger schuldhaft gehandelt hätte. Bei der Frage, ob sein Rechtsirrtum entschuldbar war, muß berücksichtigt werden, daß es sich um eine schwierige Rechtsfrage handelt, die in der vor allem maßgeblichen Rechtsgrundlage, dem EKV, nicht klar geregelt ist. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung über die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Versorgung mit Arznei als Sachleistung trotz privatärztlicher Behandlung lag bisher nicht vor. Besonders zugunsten des Klägers ins Gewicht fallen muß aber die Erwägung, daß das LSG das Verhalten des Klägers für rechtmäßig erachtet hat. Der im Amtshaftungsrecht entwickelte Grundsatz, einem Beamten könne im allgemeinen eine Handlung oder Unterlassung nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn sie ein - überwiegend mit Berufsrichtern besetztes - Kollegialgericht für objektiv berechtigt gehalten hat (vgl. RGZ 106, 406, 410; 164, 32, 41; BGHZ 27, 338, 343; BGH, Beschl. vom 21. September 1957 - III ZA 16/57 - in NJW 1957, 1835, 1836), muß erst recht für einen - regelmäßig rechtsunkundigen - Vertragsarzt gelten. Diese entlastende Wirkung hat die Entscheidung des Kollegialgerichts auch dann, wenn sie erst in dem Prozeß, in dem der fragliche Verstoß zur Beurteilung steht, ergangen ist (BGH, Urteil vom 23. November 1959 - III ZR 125/58 - in Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des BGH, § 839 (Fg) BGB). Demnach ist der Irrtum des Klägers über die Zulässigkeit seiner Verordnungsweise gegenüber der Familie C. entschuldbar. Zu Recht hat daher das LSG den angefochtenen Regreßbescheid der Beklagten insoweit aufgehoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen