Leitsatz (redaktionell)
Berechnung des Ersatzanspruchs nach § 1531 iVm § 1524 RVO:
Den Anspruch des Sozialhilfeträgers nach § 1531 RVO auf Ersatz der Kosten für Krankenhausbehandlung kann die Krankenkasse nach § 1524 Abs 1 S 2 bis 4 RVO pauschal mit sieben Achtel des Grundlohns abgelten.
Orientierungssatz
Erstattungsanspruch gemäß § 1533 RVO - Pauschalierung:
Die Entwicklung der Krankenpflegekosten berechtigt nicht dazu, die vorgeschriebene Pauschalierungsregelung (RVO § 1533 Nr 2 iVm RVO § 1524 Abs 1) nicht mehr anzuwenden.
Normenkette
RVO § 1533 Nr. 2 Fassung: 1924-12-15, § 1524 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1924-12-15, S. 3 Fassung: 1924-12-15, S. 4 Fassung: 1924-12-15, § 1531 Fassung: 1945-03-29
Verfahrensgang
Tatbestand
Die klagende Betriebskrankenkasse verlangt von dem Beklagten als Sozialhilfeträger, daß dieser ihr einen Teil der Summe zurückerstattet, den sie für die stationäre Behandlung eines ihrer Versicherten an den Sozialhilfeträger gemäß § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gezahlt hat.
Insgesamt erstattete die Klägerin dem Beklagten 10.807,45 DM für eine Krankenhausbehandlung des M. R. (M.R.). Dieser hatte vom 6. November bis 10. Dezember 1975 Arbeitslosengeld (Alg) bezogen und war deshalb bei der Klägerin krankenversichert gewesen. Er erlitt am 9. Januar 1976 einen Verkehrsunfall und wurde bis zum 14. April 1976 stationär behandelt, wofür der Beklagte die Kosten übernahm. Da M.R. am 27. Februar 1976 einen Rentenantrag gestellt hatte und infolge dessen wieder bei der Klägerin versichert war, ersetzte die Klägerin dem Beklagten die Krankenhauskosten, soweit sie auf die Zeit vom 27. Februar bis 14. April 1976 entfielen. Als im August 1976 das zuständige Arbeitsamt dem M.R. rückwirkend für die Zeit vom 11. Dezember 1975 bis 8. Januar 1976 Alg bewilligte, erstattete die Klägerin dem Beklagten auch den Restbetrag. Noch im Jahr 1976 forderte die Klägerin den Beklagten auf, 4.671,52 DM zurückzuzahlen. Gemäß § 1533 iVm § 1524 Abs 1 Satz 2 bis 4 RVO habe sie, so lautete ihre Begründung, nur 7/8 des Grundlohns zu erstatten brauchen, und zwar pro Behandlungstag 62,69 DM.
Die auf die Weigerung des Beklagten erhobene Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ausgeführt: Die Pauschalierungsregelung in § 1524 Abs 1 Satz 2 bis 4 RVO sei hier nicht anwendbar; folglich sei der Beklagte nicht bereichert. Zweck der Pauschalierung sei es, dem Ersatzberechtigten den Nachweis der tatsächlichen Höhe seiner Aufwendungen zu ersparen. Die tatsächlichen Grundlagen hätten sich in den letzten Jahren durch den außerordentlichen Anstieg der Pflegesätze geändert. Pflegesätze und Höchstgrundlohn hätten sich derart auseinander entwickelt, daß in zunehmendem Maße ein an und für sich nicht zuständiger Träger, hier der Sozialhilfeträger, Krankenpflegekosten übernehmen müsse. Die jetzt im Voraus festgelegten Pflegesätze machten die durch die Pauschalierung erstrebte Vereinfachung unnötig, da die Bundespflegesatzverordnung (BPflV) mit ihrer Pauschalierung die nach § 1524 Abs 1 Satz 2 bis 4 RVO ersetze.
Ihre - vom LSG zugelassene - Revision hat die Klägerin wie folgt begründet: Zwar sei die Entwicklung der Grundlöhne in den letzten Jahren hinter derjenigen der Krankenhausbehandlung zurückgeblieben. Man dürfe aber nicht nur diesen kurzen Zeitabschnitt betrachten. In der Vergangenheit sei die Entwicklung aber umgekehrt gewesen. Es sei nicht richtig, daß den Sozialhilfeträgern im stationären Bereich immer eine Restbelastung bliebe. Außerdem hätte das LSG den ambulanten Bereich berücksichtigen müssen. Das Urteil des LSG überschreite die Grenzen richterrechtlicher Fortbildung. Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 1980 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9. März 1978 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen an den Kläger einen Betrag von 4.671,52 DM zu zahlen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Klägerin waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; der Klage war stattzugeben.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten zu Recht die Rückvergütung eines Teils der Summe, welche sie zur Abgeltung der Krankenhausbehandlung ihres Versicherten M.R. gezahlt hat. Die Höhe dieses Betrages besteht in der Differenz zwischen dem Betrag, den die Klägerin dem Beklagten erstattet hat, und der Summe, welche bei Anwendung der Berechnungsgrundsätze des § 1533 Nr 2 iVm § 1524 Abs 1 Satz 2 bis 4 RVO zu erstatten gewesen wäre.
Rechtsgrundlage für die Rückzahlung ist der allgemeine Rückerstattungsanspruch, wie er auch in dem Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages in seiner 109. Sitzung vom 25. Juni 1982 über das Dritte Kapitel des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB) über die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten (BR-Drucks 256/82) in § 112 zum Ausdruck gekommen ist. Demnach muß der Beklagte die empfangene Summe zurückzahlen, "soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist".
Der Beklagte konnte zwar gem § 1531 RVO eine Kostenerstattung von der Klägerin verlangen, weil er einen Hilfsbedürftigen, nämlich den M.R., unterstützte, der für diese Zeit gegen die Klägerin einen Anspruch auf Krankenpflege gehabt hat. Beanspruchen konnte M.R. die Krankenpflege, da er wegen des Bezuges von Alg bei der Klägerin krankenversichert war (§ 155 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-).
Die Beteiligten streiten um die Anwendbarkeit der in § 1533, § 1524 Abs 1 Satz 2 bis 4 RVO niedergelegten Berechnungsgrundsätze, nach welchen die Aufwendungen für eine stationäre Behandlung grundsätzlich pauschal mit 7/8 des Grundlohns (3/8 für Krankenpflege plus 4/8 für den Unterhalt im Krankenhaus) abgegolten werden, es sei denn, es gäbe keinen Grundlohn (dann Abrechnung nach den tatsächlichen Aufwendungen). Das LSG hält die Pauschalierungsregelung für nicht anwendbar. Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen.
Nach dem Wortlaut von § 1524 Abs 1 Satz 2 bis 4 RVO ist die Erstattung nach pauschalen Sätzen vorzunehmen. Die Vorschrift will den Ersatzberechtigten von dem oft schwer zu erbringenden Nachweis der tatsächlichen Aufwendungen befreien und dafür Durchschnittssätze aufstellen, nach denen der Erstattungsanspruch in einfacher Weise berechnet werden kann (BSGE 20, 12). Das heißt allerdings nicht, daß die Vorschrift nicht dem Gebot verpflichtet wäre, zwischen Aufwendungen und Erstattungen die größtmögliche Deckungsgleichheit zu gewährleisten, wenn auch nur iS einer "Durchschnittsgerechtigkeit" (vgl dazu Knoll, Die Pauschbeträge für Krankenpflege, Die Arbeiterversorgung 1962, 1 ff, 35 ff, 65 ff, hier S 2). Dem Gläubiger ist deshalb im einzelnen Erstattungsfall der Einwand versagt, ihm sei zu wenig erstattet worden (BSGE aaO, S 19). Freilich könnte der Sinngehalt der Berechnungsvorschrift durch Änderungen seiner Voraussetzungen derart beeinflußt worden sein, daß er sein Ziel, eine Durchschnittsgerechtigkeit zu gewährleisten, verfehlt. Tatsächlich haben sich die Krankenpflegekosten und die Höhe des Krankengeldes in den letzten Jahren auseinander entwickelt. Die Kosten im stationären Bereich haben einen derart hohen Stand erreicht, daß der Gesetzgeber sich veranlaßt gesehen hat, die Krankenhausfinanzierung neu zu regeln (Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze, Krankenhauskostendämpfungsgesetz vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1568 ff). Abgesehen davon, daß schon im Jahre 1911, als die Erstattungsregelung in die RVO aufgenommen wurde (zur geschichtlichen Entwicklung vgl Knoll, aaO, S 35, 66), es problematisch war, als Maßstab der Pauschalierung von Krankenpflegekosten den Grundlohn zu nehmen, da die Krankenpflegekosten nie nach der Höhe des Grundlohnes des einzelnen Versicherten berechnet worden sind (vgl dazu Knoll, aaO, S 66), berechtigt diese Entwicklung aber nicht dazu, die vorgeschriebene Pauschalierungsregelung nicht mehr anzuwenden. Die Rechtsprechung kann diese Regelung nicht außer Kraft setzen, ohne den gesetzgeberischen Willen in sein Gegenteil zu verkehren. Die der Rechtsprechung zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen erlauben es andererseits nicht, einen besseren Pauschalierungsvorschlag anzubieten. Der Pauschalierungsgedanke als solcher hat aber nicht gänzlich seinen Sinn deshalb verloren, weil der gewählte Maßstab die Kostenexplosion im Gesundheitswesen nur ungenügend nachvollzieht. Gegen ein eigenmächtiges Vorgehen der Rechtsprechung spricht auch, daß der Gesetzgeber selbst die Initiative ergriffen hat, das Abrechnungsverfahren zu ändern. Im Gesetzesbeschluß des Bundestages zum Sozialgesetzbuch über die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten (Drittes Kapitel des SGB X, BR-Drucks 256/82), ist eine Pauschalierung nur noch vorgesehen, soweit dies zweckmäßig ist (§ 110); ein Pauschalierungsmaßstab ist nicht mehr zwingend vorgeschrieben. Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung und Möglichkeit, einer gesetzlichen Regelung vorzugreifen. Der Beklagte war deshalb zu verurteilen, der Klägerin den zu Unrecht empfangenen Betrag zurückzuzahlen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen