Entscheidungsstichwort (Thema)
Reisekosten. Fahrkosten. akzessorische Nebenleistung. Übernahme von Reisekosten
Orientierungssatz
Die Verpflichtung des Krankenversicherungsträgers zur Übernahme von Reisekosten setzt voraus, daß eine Leistung der Krankenkasse iS des RVO § 194 Abs 1 gewährt wird.
Normenkette
RVO § 194 Abs 1 S 1 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 02.02.1981; Aktenzeichen S 4 Kr 14/80) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten besteht darüber Streit, ob die Beklagte zur Übernahme der vom Kläger geltend gemachten Fahrkosten verpflichtet ist.
Der Kläger ist Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Ihm steht für seine behinderte Tochter M. Familienkrankenhilfe zu. Die 1976 geborene Tochter leidet unter einer cerebralen Bewegungsstörung, weswegen sie seit 1978 wöchentlich einmal an einer Beschäftigungstherapie bei der Lebenshilfe T. teilnimmt. Die Kosten der Behandlungsmaßnahme trägt der R.-S.-Kreis. Die anfallenden Fahrkosten - die bisherigen und künftigen Taxikosten - macht der Kläger gegenüber der Beklagten geltend. Diese lehnte den Antrag mit der Begründung ab, da sie die Hauptleistung nicht erbringe, müsse sie auch die Nebenleistung nicht übernehmen. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Dem Urteil des Sozialgerichts (SG) liegt die Rechtsauffassung zugrunde, für den Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten nach § 194 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei die Inanspruchnahme einer Leistung der Krankenkasse wesentlich.
Der Kläger hat die zugelassene Sprungrevision eingelegt und ausgeführt: Die Krankenkasse sei zur Übernahme der Fahrkosten unabhängig davon verpflichtet, ob sie auch die Krankenpflege selbst erbringe. Der R.-S.-Kreis entlaste mit der von ihm gewährten Krankenhilfeleistung - einer Gruppenbeschäftigungstherapie - den Krankenversicherungsträger, dessen Verpflichtung der des Sozialhilfeträgers vorgehe. Daraus resultiere eine wechselseitig sich ergänzende Erbringung von Krankenhilfe durch Sozialhilfe- und Sozialversicherungsträger. Aus dem Eintreten der einen öffentlich-rechtlichen Körperschaft für die andere dürfe dem Berechtigten kein Nachteil entstehen. Der Umstand, daß der Sozialhilfeträger keine Erstattung der vorrangig dem Sozialversicherungsträger auferlegten Kosten verlange, spreche für die ergänzende Leistungserbringung im Rahmen der Krankenhilfe. Eine verständige Auslegung des § 194 Abs 1 RVO iS des Sozialstaatsprinzips ergebe, daß es entscheidend auf das Vorliegen eines Krankenhilfefalles und nicht auf die Gewährung einer Leistung der Krankenkasse ankomme. Gesetzgeberische Absicht könne nur gewesen sein, die zustehende Krankenhilfe in voller Form, insbesondere mit den notwendigen Nebenkosten, unabhängig von einer tatsächlichen Einstandspflicht zu gewährleisten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts vom 2. Februar 1981 sowie die Bescheide der Beklagten vom 12. Juni und 14. November 1979 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Reisekosten für die ambulante Frühbehandlung der Tochter M. des Klägers zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision des Klägers hat keinen Erfolg.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht zwar, was unbestritten ist, für seine Tochter M. Familienkrankenhilfe und damit die Krankenpflegeleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu (§ 507 Abs 4 iVm § 205 Abs 1 Satz 1 RVO; §§ 21 f der Versicherungsbedingungen -VB- der Beklagten). Die Beklagte ist jedoch weder nach dem Gesetz noch nach ihren satzungsrechtlichen Vorschriften verpflichtet, die hier umstrittenen Fahrkosten zu tragen.
Nach § 194 Abs 1 Satz 1 RVO in der seit 1. Oktober 1974 geltenden Fassung des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881) sind die Krankenversicherungsträger einschließlich der Ersatzkassen (§ 507 Abs 4 RVO) - also auch die Beklagte - ihren (versicherungspflichtigen und freiwilligen) Mitgliedern gegenüber mit der aus Satz 2 sich ergebenden Einschränkung verpflichtet, die im Zusammenhang mit der Gewährung einer Leistung der Krankenkasse erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten sowie die Kosten des erforderlichen Gepäcktransports (Reisekosten) zu übernehmen. Dieser gesetzlichen Regelung entspricht § 16a Nr 1 VB. Die Verpflichtung des Krankenversicherungsträgers zur Übernahme der Reisekosten setzt also voraus, daß eine Leistung der Krankenkasse gewährt wird.
Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Aus den mit der Revision nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des SG, an die der Senat bei seiner Entscheidung gebunden ist, (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-; vgl auch § 161 Abs 4 SGG), ergibt sich, daß es sich bei der Leistung, die die umstrittenen Fahrkosten bedingen, nicht um eine Leistung der Beklagten handelt. Die Fahrkosten fallen an, weil die Tochter des Klägers wöchentlich einmal an einer Beschäftigungstherapie bei der Lebenshilfe T. teilnimmt. Die Kosten dieser therapeutischen Maßnahme werden vom Sozialhilfeträger getragen, der - nach dem eigenen Vorbringen des Klägers - keinen Kostenersatz von einem Sozialversicherungsträger verlangt. Der Sozialhilfeträger leistet also nicht für einen Sozialversicherungsträger, insbesondere nicht für die Beklagte.
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob von einer Leistung der Krankenkasse iS des § 194 Abs 1 RVO unter Umständen auch dann gesprochen werden kann, wenn die Kasse als (vorrangig) verpflichteter Leistungsträger angesehen werden muß, aber aus irgendwelchen Gründen nicht zur Kostentragung herangezogen wird. Es besteht kein Anhalt dafür, daß die Beklagte verpflichtet wäre, die ohne ihre Mitwirkung eingeleitete Beschäftigungstherapie bei der Lebenshilfe T. auf ihre Kosten durchzuführen.
Selbst wenn die Beschäftigungstherapie bei der Lebenshilfe T. ihrer Art nach zu den Leistungen der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO) oder der medizinischen Rehabilitation (§ 10 RehaAnglG) gehören sollte, für die der Krankenversicherungsträger als leistungspflichtig in Betracht käme, wäre eine Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung der hier von anderer Seite eingeleiteten Maßnahme noch nicht begründet. Erfüllt ein Versicherter die Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistung der Krankenpflege oder medizinischen Rehabilitation, so steht ihm grundsätzlich ein Sachleistungsanspruch zu. Es obliegt dann der Krankenkasse oder dem sonst zuständigen Träger der medizinischen Rehabilitation, die Behandlungsmaßnahme in dem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen (§ 182 Abs 2 RVO; § 9 RehaAnglG) durchzuführen. Die Verpflichtung der Krankenkasse erstreckt sich demnach nicht auf eine ohne ihre Beteiligung vom Versicherten selbst oder von einer anderen Stelle veranlaßten Behandlungsmaßnahme, es sei denn, dem Versicherten ist eine Wahlmöglichkeit ausdrücklich eingeräumt. Dies ist zB der Fall bei einem Anspruch auf ärztliche Behandlung. Es besteht freie Wahl unter den an der kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten (§ 368d Abs 1 RVO, § 4 Nr 3 Arzt-Ersatzkassenvertrag -EKV-, § 12 Nr 1 Satz 2 VB). Der Versicherte hat allerdings auch hier die Mehrkosten zu tragen, wenn er ohne zwingenden Grund einen anderen als einen der nächsterreichbaren Ärzte in Anspruch nimmt (§ 368d Abs 2 RVO, § 4 Nr 5 EKV; einschränkend: § 12 Nr 5 VB). Gleiches gilt bei Anspruch auf Krankenhauspflege (§ 184 Abs 2, § 507 Abs 4 RVO, § 16 Nr 1 VB). Hinsichtlich der Beschäftigungstherapie gibt es jedoch keine entsprechende Regelung.
Die hier infrage stehende konkrete therapeutische Maßnahme könnte allerdings dann noch als Leistung der Krankenkasse angesehen werden, wenn dem Kläger insoweit aufgrund besonderer satzungsrechtlicher Vorschriften oder aufgrund besonderer Umstände nicht (nur) ein Sachleistungsanspruch, sondern (auch) ein Kostenerstattungsanspruch zustünde. Dem Kostenerstattungsanspruch liegt die Befugnis des Versicherten zugrunde, die Durchführung der Behandlungsmaßnahme selbst zu veranlassen. Die dabei entstehenden Kosten sind ihm dann von seiner Krankenkasse ganz oder teilweise zu ersetzen. Die Versicherungsbedingungen der Beklagten enthalten jedoch keine Vorschrift, die dem Kläger für die Beschäftigungstherapie einen Kostenerstattungsanspruch einräumt (§§ 10 ff VB, vgl auch Ziff. I der Krankenordnung der Beklagten). Es sind auch sonst keine Umstände bekannt - zB Dringlichkeit der Behandlungsmaßnahme (vgl § 122 Satz 2, § 368d Abs 1 Satz 2 RVO) oder rechtswidrige Weigerung der Beklagten, die erforderliche Therapie durchzuführen -, die einen Kostenerstattungsanspruch begründen könnten.
Da somit die der Tochter des Klägers bisher gewährte Beschäftigungstherapie bei der Lebenshilfe T. keine Leistung der Krankenkasse ist, hat die Beklagte als der zuständige Krankenversicherungsträger auch nicht die durch diese therapeutische Maßnahme bedingten Fahrkosten zu erstatten. Die durch das RehaAnglG in die RVO eingefügte Regelung des § 194 RVO entspricht einem bereits vorher geltenden Rechtsgrundsatz, daß unselbständige Nebenleistungen wie die Übernahme von Fahrkosten zu der vom Krankenversicherungsträger zu gewährenden Krankenhilfe gehören, wenn ohne sie die Hauptleistungen der Krankenhilfe, also insbesondere die ärztliche Behandlung und die Krankenhauspflege nicht erbracht werden können (BSGE 40, 88, 89 = SozR 2200 § 184 RVO Nr 2 mwN; BSGE 48, 139 ff = SozR 2200 § 194 RVO Nr 4). Durch die Schaffung einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage hat sich der Charakter der Nebenleistung als unselbständiger Teil der Hauptleistung nicht verändert. Es gilt daher weiterhin, daß die akzessorische Nebenleistung das rechtliche Schicksal der Hauptleistung teilen muß (BSGE 42, 121, 122 = SozR 2200 § 1504 RVO Nr 2). Anspruch auf unselbständige Nebenleistung besteht dementsprechend nur gegen den Versicherungsträger, der die Hauptleistung durchführt (BSGE 47, 47 ff = SozR 2200 § 1237 RVO Nr 9). Damit ergibt sich, daß die - vom Kläger angestrebte - wechselweise Inanspruchnahme von sich ergänzenden Krankenhilfe- bzw Rehabilitationsleistungen der Sozialhilfe und des Sozialversicherungsträgers - eventuell je nach dem, welche Einzelleistung günstiger ist - jedenfalls dann rechtlich nicht zulässig ist, wenn es sich um Einzelleistungen derselben Behandlungsmaßnahme handelt. Sollte dem Kläger, wie er andeutet, durch die Leistung des Sozialhilfeträgers Nachteile entstehen, so steht es ihm frei, den vermeintlichen Behandlungsanspruch bei der nach seiner Auffassung vorrangig leistungspflichtigen Beklagten geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen