Entscheidungsstichwort (Thema)
Entrichtung von Beiträgen nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG)
Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Entrichtung von Beiträgen nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG).
Die 1948 geborene Klägerin, die früher Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten entrichtet hatte, ist seit dem 25. Juni 1981 als Kürschnermeisterin, technische Leiterin und persönlich haftende Gesellschafterin einer Kommanditgesellschaft in die Handwerksrolle eingetragen. Pflichtbeiträge nach dem HwVG entrichtete sie nicht, jedoch für das Jahr 1984 zwölf freiwillige Beiträge zur Angestelltenversicherung von insgesamt 1.008 DM (= 84 DM x 12).
Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte führte auf Antrag der Klägerin ein Kontenklärungsverfahren durch. Als sie im Jahre 1986 einen Bescheid über den Versicherungsverlauf erteilte, stellte sich heraus, daß erst für 179 Monate Pflichtbeiträge vorhanden waren und daher für das Ende der Versicherungspflicht nach dem HwVG (Pflichtbeiträge für 216 Monate) noch 37 Pflichtbeiträge fehlten. Sie gab daher den Vorgang an die beklagte Landesversicherungsanstalt ab.
Diese forderte mit Bescheid vom 9. September 1987 für die Zeit von Januar 1983 bis Januar 1986 37 Pflichtbeiträge nach dem HwVG in Höhe von 17.439 DM (= 18.447 DM abzüglich der für 1984 vorhandenen und beanstandeten freiwilligen Beiträge von 1.008 DM). Die Pflichtbeiträge für die Jahre 1981 und 1982 seien verjährt.
Die Klägerin erhob Widerspruch und machte sinngemäß geltend: Soweit nach ihrer Eintragung in die Handwerksrolle ab Juli 1981 Pflichtbeiträge zu entrichten gewesen, diese jedoch für 18 Monate (Juli 1981 bis Dezember 1982) verjährt seien, müßten die Beiträge als entrichtet behandelt werden. Es seien demnach nur noch Beiträge für die 19 Monate (= 37 Monate./. 18 Monate) von Januar 1983 bis Juli 1984 zu entrichten. Hierauf seien die für Januar bis Juli 1984 entrichteten freiwilligen Beiträge anzurechnen, während die für August bis Dezember 1984 entrichteten freiwilligen Beiträge zu Unrecht beanstandet worden seien. Im übrigen habe sie (die Klägerin) für den verjährten Zeitraum privat Vorsorge getroffen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 1987).
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) hat die Klägerin beantragt, den Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides insoweit aufzuheben, wie Beiträge über Juli 1984 hinaus gefordert werden. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23. August 1990 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 21. November 1991 erfolglos geblieben, weil verjährte Beiträge handwerkerversicherungsrechtlich nicht als entrichtet zu behandeln seien.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG und der Verjährungsregelung in § 25 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV).
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des LSG vom 21. November 1991 und das Urteil des SG vom 23. August 1990 aufzuheben sowie des weiteren den Bescheid der Beklagten vom 9. September 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 1987 insoweit aufzuheben, wie darin über Juli 1984 hinaus Beiträge zur Handwerkerversicherung gefordert werden. |
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Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat mit zutreffender Begründung entschieden, daß der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Die Pflichtbeiträge werden auch für die Monate August 1984 bis Januar 1986 mit Recht gefordert.
In der Zeit ab Eintragung der Klägerin in die Handwerksrolle (Juni 1981) und dem Monat Januar 1986, bis zu dem die Beklagte die Beiträge fordert, richtete sich die Versicherungspflicht der Klägerin noch nach dem HwVG. Nach dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 wurden Handwerker in der Rentenversicherung der Arbeiter versichert, solange sie Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit für weniger als 216 Kalendermonate entrichtet hatten (Ausnahme nach § 1 Abs. 1a HwVG: Bezirksschornsteinfegermeister). Diese Regelung ist - wie das HwVG insgesamt - nach Art 83 Nr. 20 und Art 85 Abs. 1 des Rentenreformgesetzes (RRG) 1992 vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I 2261) mit dem Inkrafttreten des RRG 1992 am 1. Januar 1992 außer Kraft getreten. Nunmehr besteht nach § 2 Nr. 8 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) die Versicherungspflicht der Handwerker auch nach Zahlung der Pflichtbeiträge für 216 Monate (18 Jahre) weiter. Jedoch ist dann nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI eine Befreiung zulässig (zur Begründung vgl. den Entwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124 S. 149 zu § 2 und S. 151/152 zu § 6). Die Änderung gegenüber dem früheren Recht bezieht sich jedoch nur auf den Fortbestand der Versicherung nach der Entrichtung (Zahlung) von Pflichtbeiträgen für 216 Monate (18 Jahre), während es hier allein darum geht, wann die genannte Zeitgrenze erreicht ist. Im übrigen ist die Neuregelung für die Beurteilung der Versicherungspflicht jedenfalls hier erst für die Zeit vom 1. Januar 1992 anzuwenden. Aus § 300 SGB VI ist nicht zu entnehmen, daß § 2 Nr. 8 und § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI für die Zeit davor anzuwenden sind, zumal das die rückwirkende Begründung einer Versicherungspflicht bedeutet hätte, nämlich deren grundsätzliche Fortdauer über die 216 Monate hinaus.
Die Klägerin wurde am 1. Juli 1981 nach dem HwVG versicherungspflichtig, weil sie damals erst für 179 Kalendermonate Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen hatte und auch die weiteren Voraussetzungen für den Eintritt der Versicherungspflicht zu diesem Zeitpunkt vorlagen (insbesondere § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 HwVG). Hiervon ist das LSG ausgegangen, ohne daß insofern Rügen erhoben worden sind.
Die Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG endete mit der Entrichtung von Pflichtbeiträgen für weitere 37 Monate, weil erst damit die gesetzlich geforderten Pflichtbeiträge für 216 Monate vorhanden waren. Als Zeit der Pflichtbeitragsentrichtung scheiden die ersten 18 Monate nach Eintritt der Versicherungspflicht (Juli 1981 bis Dezember 1982) aus. Für diese Zeit sind die Pflichtbeiträge nicht entrichtet und von der Beklagten wegen Verjährung auch nicht gefordert worden. Ob die Klägerin ihrerseits trotz der Verjährung noch berechtigt gewesen wäre, die Beiträge nachzuentrichten (vgl. dazu BSGE 56, 266, 268/269 = SozR 2200 § 1418 Nr. 8), kann offen bleiben, weil eine Bereitschaft der Klägerin hierzu nicht bestand. Damit war das Ende der Versicherungspflicht erst erreicht, wenn die Klägerin für die 37 Monate von Januar 1983 bis Januar 1986 Pflichtbeiträge entrichtete. Ihre Ansicht, die 18 Monate (Juli 1981 bis Dezember 1982) seien auch ohne Beitragsentrichtung auf die 216 Kalendermonate des § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG anzurechnen, ist unzutreffend.
Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ("… Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung für weniger als zweihundertsechzehn Kalendermonate … entrichtet haben") kommt es für das Ende der Versicherungspflicht auf die tatsächliche Zahlung von Pflichtbeiträgen für 216 Kalendermonate und nicht allein auf das Bestehen von Versicherungspflicht während eines Zeitraums von dieser Dauer an. Eine Ausnahme hat der Senat in seinem Urteil vom 22. September 1988 (SozR 5800 § 1 Nr. 9) bisher lediglich bei einem Handwerker anerkannt, bei dem bestimmte Zeiten nach § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) Pflichtbeitragszeiten gleichstanden. Das kann jedoch auf Zeiten, die nicht als Pflichtbeitragszeiten gelten, nicht übertragen werden.
Eine Berücksichtigung der Zeit, für die die Beitragsforderung verjährt ist, läßt sich auch mit dem Sinn und Zweck der Regelung nicht vereinbaren. Die Begrenzung der Versicherungspflicht durch Entrichtung von Pflichtbeiträgen für eine bestimmte Mindestzeit beruht darauf, daß der Gesetzgeber eine Grundsicherung für ausreichend hält, die er jedoch erst bei Vorhandensein von Pflichtbeiträgen für 216 Monate als gewährleistet ansieht. Dieses Ziel ist nicht erreicht, solange es an einer Pflichtbeitragszeit von dieser Dauer fehlt. In der Rentenversicherung sind die Leistungen grundsätzlich beitragsbezogen, d.h. dem Grunde und der Höhe nach von der früheren Beitragszahlung abhängig, wobei Pflichtbeiträge gegenüber freiwilligen Beiträgen teilweise begünstigt sind.
Ist die Dauer der Versicherungspflicht an die Entrichtung einer bestimmten Anzahl von Pflichtbeiträgen geknüpft, läßt sich ihr Ende allerdings nicht schon bei ihrem Beginn bestimmen. Vielmehr kann es sich hinauszögern, soweit die Beiträge nicht entrichtet werden. Diese Folge hat der Gesetzgeber jedoch in Kauf genommen. Das gleiche gilt hinsichtlich der Verjährung. Während diese in der Regel dazu führt, daß die betreffenden Beiträge endgültig und ersatzlos nicht mehr gezahlt werden und sie deshalb auch für die spätere Leistungsberechnung ausfallen, schiebt die Nichtzahlung der Pflichtbeiträge wegen Verjährung bei versicherungspflichtigen Handwerkern wie der Klägerin das Ende der Versicherungspflicht nur hinaus und läßt eine Beitragsforderung für eine gleich lange weitere Zeit an die Stelle der verjährten Forderung treten. Auch das ist jedoch eine Auswirkung der gesetzgeberischen Entscheidung, bei Handwerkern eine Grundsicherung durch vorhandene Pflichtbeiträge für 216 Monate sicherzustellen. Die Verjährung wird dadurch nicht gänzlich bedeutungslos. Mit ihr können etwa Beitragsforderungen für mehr als vier Jahre zurück abgewehrt werden. Ferner scheidet eine "Verschiebung" der Beitragsforderung auf eine spätere Zeit aus, wenn die Versicherungspflicht nach dem HwVG inzwischen aus einem anderen Grunde entfallen ist, etwa wegen Aufgabe des Handwerks. Von derartigen Ausnahmen abgesehen wirkt sich die Verjährung allerdings im Ergebnis nur dahin aus, daß Beiträge für eine weitere Zeit zu entrichten sind. Darin liegt jedoch kein hinreichender Grund, zugunsten einer vollständigen Verwirklichung der Verjährungsregelung (Beitragsausfall) eine Verfehlung des Zwecks des § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG hinzunehmen. Die handwerkerversicherungsrechtliche Regelung unterscheidet sich von derjenigen für andere Personengruppen, bei denen eine Grundsicherungs-Regelung mit Begrenzung der Versicherungspflicht durch die Zahl der entrichteten Beiträge fehlt, insbesondere von der für versicherungspflichtig Beschäftigte. Bei ihnen führt die Nichtentrichtung von Beiträgen wegen Verjährung zum endgültigen Ausfall der betreffenden Zeit bei der späteren Leistungsberechnung. Jedoch entrichten abhängig Beschäftigte in der Regel auch ohne eine gesetzliche Regelung zur Mindestsicherung Pflichtbeiträge für weit mehr als 216 Monate (18 Jahre).
Die Anrechnung der beitragslosen 18 Monate von Juli 1981 bis Dezember 1982 würde die Klägerin gegenüber anderen Handwerkern in ungerechtfertigter Weise begünstigen. So könnte ein vergleichbarer Handwerker, der für die fehlende oder sogar eine längere Zeit freiwillige Beiträge entrichtet hat, damit die gesetzlichen 216 Pflichtbeitragsmonate nicht ausfüllen. Dann kann das auch für Zeiten, in denen überhaupt keine Beiträge entrichtet sind, nicht zulässig sein. Auch Zeiten, für die nach früherem Recht Handwerker unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag Beiträge nicht zu entrichten brauchten, obwohl deren spätere Anrechnung als Ersatz- oder Ausfallzeit in Betracht kam (§ 4 Abs. 4 i.V.m. § 3 Abs. 2 HwVG), sollen nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht bei der Feststellung, ob die für die Versicherungsfreiheit nach § 1 Abs. 1 HwVG erforderliche Zahl von Pflichtbeiträgen entrichtet ist, nicht berücksichtigt werden (Jahn/Hoernigk, Komm zum HwVG, § 4 Abs. 4 Anm. 7 b).
Gegenüber dem Vorbringen der Klägerin, sie habe sich für die Zeit der verjährten Beiträge anderweitig privat abgesichert, hat das LSG zutreffend darauf hingewiesen, daß eine private Altersvorsorge der Handwerker deren gesetzliche Versicherungspflicht unberührt läßt, zumal die Handwerkerversicherung lediglich als Grundsicherung konzipiert ist. Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 13. Mai 1992 zur angeblichen Unzumutbarkeit weitere Einzelheiten vorbringt, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das wegen der Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 163 SGG) unbeachtlich und im übrigen auch erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erfolgt ist. Etwaige wirtschaftliche Schwierigkeiten der Klägerin beim Aufbringen der Beitragssumme können die Rechtmäßigkeit der Forderung im angefochtenen Bescheid als solche nicht beeinträchtigen, sondern allenfalls zur Anwendung des § 76 Abs. 2 SGB IV (Stundung, Niederschlagung, Erlaß) führen. Dabei würde jedoch die Nichtzahlung von Beiträgen das Ende der Versicherungspflicht weiter hinausschieben.
Demnach war die Revision der Klägerin zurückzuweisen und über die Kosten nach § 193 SGG zu entscheiden.12 RK 7/92
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen