Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung. frühzeitige Arbeitssuche. Minderungshöhe bzw -betrag. Nichtberücksichtigung von Tagen. Streitgegenstand. Verfügungssatz von Sperrzeitbescheiden. Beendigungszeitpunkt iS § 37b SGB 3. Vorwerfbarkeit der Obliegenheitsverletzung. Unverzüglichkeit. Handlungsfrist
Leitsatz (amtlich)
- Bei der Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung ist nicht auf die Anzahl der Kalendertage, sondern nur auf die Tage abzustellen, an denen es dem Arbeitslosen möglich und zumutbar war, sich arbeitsuchend zu melden.
- Nicht zu berücksichtigen sind außerdem die Tage, an denen die Bundesagentur aus Kulanzgründen auf eine unverzügliche Meldung verzichtet, ohne bei einem Überschreiten der Kulanzzeit die Tage der Kulanz in die Berechnung des Minderungsbetrages einzubeziehen.
Normenkette
SGB III § 140 S. 1 Fassung: 2002-12-23, S. 2 Fassung: 2002-12-23, § 37b S. 1 Fassung: 2002-12-23, § 25; SGG § 54 Abs. 1, 4; SGB X § 31; BGB § 121 Abs. 1 S. 1, § 242
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 3. November 2004 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Im Streit ist die Zahlung höheren Arbeitslosengeldes (Alg) für die Zeit vom 8. bis 20. Februar 2004, das die Beklagte um den Betrag von insgesamt 105,00 € gemindert hat.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers war vom Arbeitgeber wegen einer tätlichen Auseinandersetzung des Klägers mit einem Arbeitskollegen durch am 9. November 2003 ausgehändigtes Schreiben zum 30. November 2003 gekündigt worden. Wegen noch ausstehender Urlaubsansprüche wurde der Kläger bis 30. November 2003 von der Arbeit freigestellt; er ist von seinem Arbeitgeber nicht darauf hingewiesen worden, sich unverzüglich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitsuchend melden zu müssen.
Der Kläger meldete sich am 1. Dezember 2003 (Montag) arbeitslos. Ab 8. Februar 2004 wurde ihm nach Ablauf eines Ruhenszeitraums (Bescheid vom 11. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2004: Sperrzeit vom 16. November 2003 bis 7. Februar 2004) Alg zunächst wegen Minderung nur in Höhe der Hälfte des normalen Leistungssatzes (58,24 € statt 116,48 € wöchentlich; Bewilligungsentgelt 220 €) bewilligt (Bescheid vom 7. Januar 2004; Widerspruchsbescheid vom 3. März 2004). Ergänzend wurde wegen der Minderung auf ein bereits früher zugegangenes Schreiben verwiesen. In diesem Schreiben (vom 11. Dezember 2003 ohne Rechtsbehelfsbelehrung) hatte die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, er hätte sich spätestens am 16. November 2003 (am siebten Tag nach Kenntnis vom Ende des Arbeitsverhältnisses) arbeitsuchend melden müssen. Wegen der Verspätung um 15 Tage müsse deshalb ein Minderungsbetrag von insgesamt 105,00 € (15 × 7,00 €) festgesetzt werden. Der Minderungsbetrag werde ab 8. Februar 2004 bis voraussichtlich 20. Februar 2004 auf die halbe Alg-Leistung angerechnet. Ergänzend war auf den noch zu erstellenden Alg-Bewilligungsbescheid verwiesen worden.
Während das Sozialgericht (SG) “den Bescheid vom 7. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2004” aufgehoben und die Beklagte verurteilt hat, “Alg ohne Minderung zu gewähren” (Urteil vom 28. Juli 2004), hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 3. November 2004). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe sich nicht, wie dies § 37b Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) verlange, unverzüglich nach Kenntnis vom Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsuchend gemeldet. Seine Unkenntnis über die entsprechende Verpflichtung stehe dem ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass ihn sein Arbeitgeber nicht auf die Notwendigkeit der Meldung hingewiesen habe.
Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 37b SGB III. Er ist der Ansicht, die Minderung des Alg nach § 140 SGB III setze einen schuldhaften Verstoß gegen die in § 37b SGB III normierte Meldepflicht voraus. Ein solches Verschulden sei ihm nicht vorzuwerfen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten mit der Maßgabe aufzuheben, dass der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2003 in Verbindung mit dem Bescheid vom 7. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. März 2004 abgeändert und die Beklagte verurteilt wird, höheres, ungemindertes Alg zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, sie gestehe dem Arbeitslosen mit einer Frist von einer Woche, beginnend mit dem Tag nach Kenntnis vom Ende des Arbeitsverhältnisses, eine angemessene Zeit für die Arbeitsuchendmeldung zu. Melde sich der Arbeitnehmer nicht am siebten Tag und lägen keine billigenswerten Motive für die verspätete Meldung vor, greife § 140 SGB III ein. Die in dieser Vorschrift vorgesehene Minderung des Alg setze wegen der Publizitätswirkung des Gesetzes keine Kenntnis über die Verpflichtung zur unverzüglichen Arbeitsuchendmeldung voraus.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung der Entscheidung des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Es fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG zur Beurteilung der Alg-Höhe allgemein und der in § 37b SGB III geforderten Unverzüglichkeit der Arbeitsuchendmeldung.
Gegenstand des Rechtsstreits und des Revisionsverfahrens ist ein einheitlicher Bescheid der Beklagten in Form des Schreibens (= Bescheids) vom 11. Dezember 2003 und des Bewilligungsbescheids vom 7. Januar 2004 (vgl dazu näher Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 18. August 2005 – B 7a AL 4/05 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; s auch BSG, Urteile vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R und B 11a/11 AL 47/04 R). Insoweit handelt es sich um einen sog Höhenstreit, bei dem im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) regelmäßig Grund und Höhe des Alg-Anspruchs in vollem Umfang zu überprüfen sind (BSG aaO). Einer derart umfassenden Überprüfung auch unter Einbeziehung des bei der Alg-Bewilligung zu Grunde gelegten Bemessungsentgelts bedarf es nur dann nicht, wenn der Kläger – in der Regel nach entsprechender Erörterung bzw Nachfrage – seine Klage ausdrücklich auf die Anfechtung der Minderung selbst beschränkt (BSG, Urteil vom 18. August 2005 – B 7a AL 4/05 R). Solange dies – wie vorliegend – nicht geschehen ist, muss im Hinblick auf die langjährige ständige Rechtsprechung des BSG zu sog Höhenstreitigkeiten im Zweifel von einer umfassenden Klageerhebung ausgegangen werden (BSG, Urteil vom 18. August 2005 – B 7a AL 4/05 R). Nach Zurückverweisung der Sache besteht jedoch für das LSG die Möglichkeit, auf eine entsprechende Beschränkung der Klage hinzuwirken.
Ausgehend von einem umfassenden Streitgegenstand fehlen tatsächliche Feststellungen zu Grund und Höhe des Alg-Anspruchs. Insbesondere wird das LSG, falls es zu einer Beschränkung der Klage auf die Anfechtung der Minderung nicht kommen sollte, zu entscheiden haben, ob die Beklagte zu Recht von einer Sperrzeit in der Zeit vom 16. November 2003 bis 7. Februar 2004 ausgegangen ist oder ob nicht vielmehr die Sperrzeit erst ab 1. Dezember 2003 begonnen und deshalb uU über den 7. Februar 2004 hinaus angedauert hat. Dies könnte bedeuten, dass dem Kläger, selbst wenn eine Minderung des Alg nicht zulässig wäre, gleichwohl ein Anspruch auf höheres Alg nicht zustehen würde, wenn der Alg-Anspruch entgegen der Annahme der Beklagten ohnedies in vollem Umfang geruht hätte. Dabei wird das LSG zu beachten haben, dass bis zur Entscheidung des 11. Senats vom 3. Juni 2004 (B 11 AL 71/03 R – SGb 2004, 479 f) das BSG davon ausgegangen ist, die sog Sperrzeitbescheide enthielten regelmäßig keine Verfügung über den Eintritt einer Sperrzeit in einem bestimmten Zeitraum, sondern nur (iVm dem jeweiligen Bewilligungsbescheid) über die Ablehnung der Leistung für die Sperrzeit. Nachdem der 7. Senat diese Rechtsprechung bereits in einer Entscheidung vom 29. April 1998 (SozR 3-4100 § 119 Nr 15 S 62) in Frage gestellt hatte, hat der 11. Senat des BSG im bezeichneten Urteil vom 3. Juni 2004 (B 11 AL 71/03 R) ausdrücklich einen deklaratorischen Verfügungssatz (Verwaltungsakt gemäß § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – ≪SGB X≫) in der Form der Feststellung über den Eintritt einer Sperrzeit als Bestandteil eines mit dem Bewilligungsbescheid einheitlichen Bescheids anerkannt. Dem schließt sich der erkennende Senat im Hinblick auf seine bereits in der früheren, zitierten Entscheidung geäußerten Ansicht an.
Damit ist jedoch noch nicht die Frage entschieden, wie sich eine möglicherweise fehlerhafte deklaratorische Feststellung einer Sperrzeit, die schon von Gesetzes wegen eintritt und deshalb einer konstitutiven Feststellung nicht bedarf (Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 256 f mwN), in Verfahren auswirkt, in denen es um Grund und Höhe des Alg-Anspruchs nach Ablauf der festgestellten Sperrzeit, aber innerhalb der von Gesetzes wegen eigentlich eingetretenen Sperrzeit auswirkt. Mit anderen Worten: Das LSG wird zu entscheiden haben, ob die bindende deklaratorische Feststellung einer Sperrzeit dazu führt, dass das bewilligte Alg trotz materiell-rechtlich nicht bestehendem Alg-Anspruch im Rahmen eines Höhenstreits noch erhöht werden kann oder muss. Diese Rechtsfrage ist bislang vom BSG noch nicht entschieden worden. Der Senat sieht zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Hinblick darauf von einer Entscheidung ab, dass im Verfahren beim LSG eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Anfechtung der Minderung des Alg naheliegt.
Die Minderung des Alg gemäß § 140 SGB III (hier in der Fassung, die die Norm durch das 1. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 – BGBl I 4607 – erhalten hat) lässt sich nicht abschließend beurteilen. Nach dieser Vorschrift mindert sich das Alg, das dem Arbeitslosen auf Grund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist, für den Arbeitslosen, der sich entgegen § 37b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet hat (Satz 1) bei einem Bemessungsentgelt von bis 400 Euro – wie vorliegend – um sieben Euro für jeden Tag der verspäteten Meldung (Satz 2). Die Minderung ist auf den Betrag begrenzt, der sich bei einer Verspätung von 30 Tagen errechnet (Satz 3). Die Minderung erfolgt, indem der Minderungsbetrag, der sich nach den Sätzen 2 und 3 ergibt, auf das halbe Alg angerechnet wird (Satz 4). Ob die Voraussetzungen des § 37b SGB III vorliegen, kann auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entschieden werden.
Nach § 37b SGB III (hier in der Fassung des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 – BGBl I 4607) sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich beim Arbeitsamt arbeitsuchend zu melden (Satz 1). Vorliegend ist auf Grund des Umstandes, dass die Beklagte von einem Beginn der Sperrzeit am 16. November 2003, nicht erst am 1. Dezember 2003, also nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses, ausgegangen ist, nicht unzweifelhaft, auf welchen Zeitpunkt im Rahmen des § 37b SGB III abzustellen ist. § 37b SGB III knüpft jedenfalls an das Ende des Versicherungspflichtverhältnisses, nicht an das Ende des Arbeitsverhältnisses an. Insoweit ist auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 SGB III, insbesondere unter Berücksichtigung der Freistellung des Klägers von der Arbeit (vgl dazu Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III, § 25 RdNr 43 mwN, Stand Dezember 2002), abzustellen. Dies wird das LSG bei seiner erneuten Entscheidung zu beachten haben. Dabei wird es auch zu prüfen haben, wann der Kläger Kenntnis von dem Ende des Versicherungspflichtverhältnisses, nicht vom Ende des Arbeitsverhältnisses, hatte. § 37b SGB III verlangt nämlich einen Bezug zu dem konkreten Beendigungszeitpunkt (BSG, Urteil vom 18. August 2005 – B 7a/7 AL 80/04 R).
Die Verletzung der in § 37b SGB III normierten Obliegenheit (s dazu BSG, Urteil vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R) setzt jedoch ein Verschulden nach einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab voraus (BSG, Urteil vom 25. Mai 2005; vgl auch Otto, NZS 2005, 288, 290). Rechtlicher Ansatzpunkt hierfür ist § 121 Abs 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der eine Legaldefinition der Unverzüglichkeit enthält (BSG aaO). Danach ist ein Verstoß gegen die Obliegenheit, sich arbeitsuchend zu melden, nur dann zu verneinen, wenn der Arbeitslose unter Berücksichtigung seiner individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten ohne schuldhaftes Zögern gehandelt hat (BSG aaO). Entgegen der Ansicht der Beklagten und des LSG ist die Unkenntnis eines Arbeitslosen nicht ohne Bedeutung (BSG aaO). Hat der Arbeitslose keine Kenntnis von der Obliegenheit, sich unverzüglich zu melden, ist allerdings zu prüfen, ob ihm die Unkenntnis iS eines Fahrlässigkeitsvorwurfs vorgehalten werden kann (BSG aaO). Diese Prüfung hat das LSG – ausgehend von seiner Rechtsansicht – nicht vorgenommen.
Sollte das LSG dabei zur Erkenntnis gelangen, dass der Kläger fahrlässig in Unkenntnis über seine Meldepflicht war, wäre ein Verstoß gegen § 37b Satz 1 SGB III wohl anzunehmen. Denn es sind keine weiteren Umstände ersichtlich bzw vorgetragen, die den Kläger daran gehindert hätten, sich bereits vor dem 1. Dezember 2003 arbeitsuchend zu melden. Bei dieser Meldung handelt es sich wie bei der Arbeitslosmeldung (s dazu BSG SozR 4-4300 § 122 Nr 2 RdNr 11 ff) um eine reine Tatsachenerklärung, mit der der künftige Arbeitslose angibt, dass er ab dem Tag nach dem Ende des Versicherungspflichtverhältnisses eine Beschäftigung sucht. Hierbei geht der Gesetzgeber davon aus, dass der künftige Arbeitslose – von der Möglichkeit einer teleologischen Reduktion der Norm einmal abgesehen – nicht die Freiheit besitzt, selbst darüber zu entscheiden, ob er wirklich arbeitsuchend ist. Vielmehr verlangt der Gesetzgeber dem Arbeitslosen diese Erklärung und damit im Grunde auch die innere Bereitschaft zur Aufnahme einer Beschäftigung ab. Der Arbeitslose kann sich mithin nicht darauf berufen, er müsse sich erst dann arbeitsuchend melden, wenn er tatsächlich gewillt ist, sich vermitteln zu lassen. Wollte man dem Arbeitslosen dieses Recht zugestehen, würde dies dem Ziel der Vorschrift nach einem möglichst nahtlosen Übergang vom Ende eines Pflichtversicherungsverhältnisses zu einem (neuen) Beschäftigungsverhältnis (s dazu BSG, Urteil vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R) widersprechen.
Unverzüglichkeit (ohne schuldhaftes Zögern) setzt – von Hinderungsgründen abgesehen – eine Meldung spätestens am Tage nach der Kenntnis vom Ende des Versicherungspflichtverhältnisses voraus (so auch: Spellbrink in Eicher/Schlegel, SGB III, § 37 RdNr 41, Stand Juni 2003; Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 492; aA Zieglmeier, Der Betrieb 2004, 1830, 1832). Insoweit kann nichts anderes gelten als für die Prüfung der Erreichbarkeit eines Arbeitslosen. Auch dort wird im Hinblick auf die Regelung des § 1 Abs 1 Erreichbarkeits-Anordnung verlangt, dass der Arbeitslose am Tage nach dem Zugang von Post in der Lage ist, auf darin enthaltene Angebote der Agentur für Arbeit zu reagieren (BSG SozR 3-4300 § 119 Nr 2 S 5).
Mit dem Normbefehl nicht vereinbar ist die Praxis der Beklagten, eine Arbeitsuchendmeldung am siebenten Tag nach Kenntniserlangung noch, wie sie selbst formuliert, aus Kulanzgründen ausreichen zu lassen. Eine solche Überlegungsfrist erscheint willkürlich und ist damit kein geeigneter Maßstab, die Unverzüglichkeit iS des § 121 Abs 1 Satz 1 BGB zu konkretisieren (aA Zieglmeier aaO). Dem kann nicht entgegengehalten werden, auch im Zivilrecht würde dem Anfechtenden im Rahmen des § 121 BGB eine angemessene Überlegungsfrist zugestanden (vgl nur Palandt/Heinrich, BGB 63. Aufl 2004, § 121 RdNr 3 mwN). Anders als im Falle der Anfechtung ist nämlich die Arbeitsuchendmeldung selbst als reine Tatsachenerklärung (siehe oben) noch mit keinerlei möglichen rechtlichen Nachteilen verbunden. Dem künftigen Arbeitslosen muss deshalb nicht, wie dies in Fällen der Anfechtung erforderlich sein mag, zugestanden werden, sich erst entsprechenden rechtlichen Rat einzuholen. Ob sich aus der Tolerierung einer verspäteten Meldung durch die Beklagte nach § 140 SGB III eine Minderung für diese ersten Tage ergibt, in denen sich der Arbeitslose nicht arbeitsuchend gemeldet hat, ist eine andere Frage (hierzu später).
Liegt ein Verstoß gegen § 37b SGB III vor, ordnet § 140 Satz 2 SGB III die Minderung des Alg für jeden Tag der verspäteten Meldung an. Die Beklagte zieht vorliegend daraus den Schluss, dass eine Verspätung für jeden einzelnen Kalendertag angenommen werden muss, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es dem Arbeitslosen an diesem Tag aus persönlichen Gründen möglich war, das zuständige Arbeitsamt aufzusuchen, oder ob das Arbeitsamt an jedem dieser Kalendertage dienstbereit war. Hierfür könnte der Umstand sprechen, dass § 140 SGB III nach der Gesetzesbegründung einen pauschalen (typisierten) Schadensausgleich zu Gunsten der Versichertengemeinschaft normiert (BT-Drucks 15/25 S 31; BSG, Urteil vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R); allerdings verfolgt § 37b SGB III, mit dem § 140 SGB III logisch verknüpft ist, das vorrangige Ziel, auf das Verhalten des Arbeitnehmers einzuwirken, um den Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitslosigkeit möglichst zu vermeiden oder jedenfalls die Dauer der Arbeitslosigkeit zu begrenzen (BT-Drucks 15/25 S 27; BSG aaO).
Verlangt aber § 37b SGB III – wie oben ausgeführt – ein Verschulden des Arbeitslosen, so muss mit Rücksicht hierauf – aber auch im Hinblick auf die der Norm entgegenzubringenden verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl BSG, Urteil vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R) – § 140 Satz 2 SGB III dahin ausgelegt werden, dass Tage der Verspätung ebenfalls auch nur solche Tage sein können, an denen dem Arbeitslosen der Vorwurf gemacht werden kann, sich nicht darum bemüht zu haben, den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit möglichst zu vermeiden oder deren Dauer zu begrenzen. Tage fehlender Dienstbereitschaft des Arbeitsamtes (Wochenenden oder Feiertage) sind deshalb ebenso wie die Tage auszunehmen, in denen es dem Arbeitslosen aus subjektiven Gründen nicht möglich oder unzumutbar war, das Arbeitsamt bzw die Agentur für Arbeit aufzusuchen (so im Ergebnis: Spellbrink in Eicher/Schlegel, SGB III, § 140 RdNr 31, Stand Juni 2003; Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 504; Coseriu/Jakob, Praxiskommentar SGB III, 2. Aufl 2004, § 140 RdNr 19; Winkler in Gagel, SGB III, § 140 RdNr 6, Stand Januar 2005; Urmersbach, SGb 2004, 684, 694). Dem entspricht die im Gesetzestext gewählte Formulierung “Tage” statt “Kalendertage” (Spellbrink aaO). Dass der Gesetzgeber durchaus terminologische Unterscheidungen zwischen Tagen und Kalendertagen trifft, ist an anderen Normen des SGB III, wie etwa § 134 SGB III in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung (dazu Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 134 RdNr 1, Stand Juni 2005) – s § 139 SGB III in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung – oder § 339 Satz 2 SGB III (vgl dazu Leitherer in Eicher/Schlegel, SGB III, § 339 RdNr 33, Stand Februar 2004), zu erkennen.
Tage der Verspätung sind darüber hinaus auch nicht die ersten sechs Tage – wobei Wochenenden ohnedies auszunehmen sind – nach der Kenntnis von der Beendigung des Versicherungsverhältnisses, solange die Beklagte dem Arbeitslosen diese aus Kulanzgründen zugesteht, ohne sie bei Überschreiten der Kulanzzeit in die Berechnung des Minderungsbetrags einzubeziehen. Diese Tage können somit nicht als Kompensation für zu Unrecht bei der Berechnung des Minderungsbetrags einbezogene spätere Tage (wie etwa Samstage und Sonntage) herangezogen werden. Diese ersten Tage, die die Beklagte dem künftigen Arbeitslosen iS einer Reaktionszeit zugesteht, müssen vielmehr behandelt werden wie die Fälle der fehlenden Dienstbereitschaft, weil die Beklagte selbst keine Notwendigkeit für kürzere Meldefristen sieht. Eine Berücksichtigung dieser Tage als Tage der Verspätung wäre wegen des Verbots eines “venire contra factum proprium” jedenfalls dann treuwidrig (§ 242 BGB), wenn sie die Beklagte – wie vorliegend – auch bei einer Meldung erst nach dem siebten Tag nicht berücksichtigt. Ob dies einer gängigen Praxis – ggf auf Grund einer Dienstanweisung – entspricht, kann dann dahinstehen. Nicht entschieden werden muss, wie zu verfahren wäre, wenn die Beklagte dem künftigen Arbeitslosen zwar eine Reaktionszeit von sieben Tagen zugesteht, bei einer Meldung nach Ablauf von sieben Tagen jedoch die gesamten Tage dieser Reaktionszeit als Tage der Verspätung wertet; Feiertage und Wochenenden sind jedoch ohnedies auszunehmen.
Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der §§ 37b, 140 SGB III und einer Vorlagepflicht an das Bundesverfassungsgericht (Art 100 Abs 1 Grundgesetz) stellt sich erst dann, wenn die Beklagte den Alg-Anspruch des Klägers nach einfachem Recht mindern durfte, was bislang nicht feststeht. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG ggf den Tenor des SG-Urteils zu berichtigen und über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1443932 |
BSGE 2006, 80 |
NJW 2005, 3807 |
NZS 2006, 500 |
AUR 2006, 75 |
info-also 2007, 89 |