Entscheidungsstichwort (Thema)

Festsetzung der Gesamtvergütung durch das Schiedsamt

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Gestaltungsermessen des Schiedsamts bei der Festsetzung des Inhalts eines Gesamtvertrags (Ergänzung zu BSG vom 1963-10-30 6 RKa 4/62 = BSGE 20, 73).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Schiedsamt hat bei der Festsetzung des Inhalts des Gesamtvertrages die gleiche Gestaltungsfreiheit, wie sie für die Vertragsparteien bei der gütlichen Vereinbarung besteht.

2. Wenn über die Bemessung der Gesamtvergütung zwischen einem Landesverband und der Kassenärztlichen Vereinigung eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen und der vereinbarte einheitliche Mittelwert von allen Kassen angenommen wird ("Mittelwert-System"), so hat das Verhalten dieser Kassen einen hohen Indizwert dafür, daß die vereinbarte Gesamtvergütung auch für die beteiligten finanzschwachen Kassen (noch) angemessen im Sinne des RVO § 368g Abs 1 ist.

3. Wortlaut und Sinn des RVO § 368g Abs 2 S 1 lassen den Weg des gemeinsamen Verhandelns zwischen einem Landesverband von Krankenkassen und einer Kassenärztlichen Vereinigung mit dem Ziel zu, daß anstelle einer Vielzahl individuell festgelegter Gesamtvergütungen ein für alle Krankenkassen des Verbandes einheitlicher Mittelwert vereinbart wird, der die wirtschaftliche Lage der besser und schlechter gestellten Krankenkassen einer Durchschnittsbeurteilung unterzieht.

4. Die Berechnungsgrundlage des Mittelwertes wird erschüttert, wenn einzelne der beteiligten Krankenkassen im Verfahren vor dem Schiedsamt durch eine für sie günstigere, vom Mittelwert abweichende Festlegung der Gesamtvergütung eine Sonderbehandlung erfahren.

 

Normenkette

RVO § 368g Abs. 1, §§ 368h, 368g Abs. 2 S. 1, § 368 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Auf die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. April 1972 aufgehoben.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27. Oktober 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Schiedsspruchs, mit dem das beklagte Landesschiedsamt (LSchA) einen Gesamtvertrag zwischen der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) und der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) für die Zeit vom 1. Januar 1968 an festgesetzt hat.

Die KÄV hatte zum 31. Dezember 1967 die bis dahin für alle Mitgliedskassen des Verbandes der Ortskrankenkassen Rheinland geltenden Rahmenvereinbarungen vom 1. April 1965 und 24. Mai 1966 gekündigt, die eine Berechnung der Gesamtvergütung nach Einzelleistungen unter Zugrundelegung der einfachen Sätze der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. März 1965 (GOÄ) vorsahen. Verhandlungen über den Abschluß eines neuen Gesamtvertrages für die Zeit vom 1. Januar 1968 an blieben erfolglos.

Im Schiedsverfahren unterbreitete das LSchA am 25. Juni 1968 einen Vermittlungsvorschlag, nach dem die Gesamtvergütung nach Einzelleistungen auf Grund der Sätze des Gebührenverzeichnisses der GOÄ mit bestimmten Zuschlägen - 2 % ab 1. April 1968, 3 % ab 1. Oktober 1968, 4 % ab 1. Januar 1969, 5 % ab 1. Juli 1969 und 5,5 % ab 1. Oktober 1969 - berechnet werden sollte. Auf Grund des Vorschlags schloß der Verband der Ortskrankenkassen Rheinland mit der beigeladenen KÄV eine Rahmenvereinbarung auf der Grundlage des Vermittlungsvorschlags des LSchA, die 44 AOK'n als für sich verbindlich annahmen. Als einzige der am Schiedsverfahren Beteiligten lehnte die Klägerin den Abschluß eines Gesamtvertrags auf der Grundlage der Rahmenvereinbarung mit der Begründung ab, sie könne wegen ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage die Zuschläge zu den Einfachsätzen der GOÄ nicht zahlen.

Mit Schiedsspruch vom 14. Oktober 1969 setzte das LSchA einen Gesamtvertrag zwischen der Klägerin und der KÄV fest, der mit dem auf Grund des Vorschlags vom 25. Juni 1968 abgeschlossenen Vertrag übereinstimmt. Zur Begründung des Spruches hat das LSchA ausgeführt: Die bei der Klägerin vorhandene wirtschaftliche Lage unterscheide sich nicht so wesentlich von derjenigen der übrigen nordrheinischen AOK'n, daß die Festsetzung anderer Vergütungssätze geboten sei. Unter Berücksichtigung der Beitragssätze, der Grundlohnsumme, der sofort verfügbaren Zahlungsmittel, der kurzfristigen Forderungen und Verpflichtungen, kurz-, mittel- und langfristigen Geldanlagen, der Rücklageguthaben, der Grundstücksvermögen und der Fehlbeträge im Erhebungszeitraum 1968 ergebe sich, daß 12 nordrheinische AOK'n sich im Schnitt in einer gleichen oder noch schlechteren wirtschaftlichen Lage als die Klägerin befunden hätten.

Die mit dem Ziel der Aufhebung des Schiedsspruchs erhobene Klage gegen das LSchA blieb vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erfolglos (Urteil vom 27. Oktober 1970). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen den Schiedsspruch aufgehoben und das beklagte LSchA verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des LSG eine neue Entscheidung zu treffen (Urteil vom 26. April 1972).

Das LSG ist der Auffassung, der Schiedsspruch sei rechtswidrig, weil das LSchA der Ausübung seines Gestaltungsermessens bei der Festsetzung der Vergütung unzutreffende und unzureichende Erwägungen zugrundegelegt habe. Zu Unrecht habe es sich für berechtigt gehalten, die Klägerin mit der Mehrheit der Mitgliedskassen des Verbandes der Ortskrankenkassen Rheinland in Vergleich zu setzen und die von diesen Kassen vereinbarte Vergütung in den Schiedsspruch zu übernehmen. Stattdessen hätte es die für die Klägerin maßgebliche Vergütung unter Berücksichtigung der individuellen Wirtschaftlage der Klägerin ermitteln müssen.

Für die Frage, welche Vergütung gemäß § 368 g Abs. 1, letzter Satzteil der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Krankenkassen angemessen sei, sei nicht auf die durchschnittliche Wirtschaftslage aller oder einer Gruppe von RVO-Kassen, sondern auf die wirtschaftliche Situation der einzelnen Kasse abzustellen. Wenn das Bundessozialgericht (BSG) es für zulässig erachte, daß sich ein Schiedsamt daran anlehne, was bereits von anderen Kassen gütlich vereinbart worden sei (BSG 20, 73, 84), so könne dies nur angenommen werden, wenn die vom Schiedsspruch betroffene Kasse in ihrer wirtschaftlichen Gesamtsituation mit der Mehrheit der vertragsschließenden Kassen annähernd übereinstimme. Fehle es hieran - wie bei der Klägerin -, so könne der Kasse der Einwand nicht versagt bleiben, die von den übrigen Kassen gebilligte Regelung trage ihrer individuellen wirtschaftlichen Lage nur unzureichend Rechnung. Sonst könnten die Mehrzahl oder auch nur eine Reihe von Kassen allein darüber befinden, was als angemessen i. S. des § 368 g Abs. 1 RVO zu gelten habe und den Ausgang eines Schiedsverfahrens damit maßgeblich vorwegbestimmen.

Die klagende AOK sei eindeutig nicht der Mehrheit der nordrheinischen AOK zuzurechnen. Nach ihrem Ausgabenüberschuß von 41,56 DM je Mitglied im Jahre 1968 stehe sie in der Reihe der 45 AOK'n an zehntletzter Stelle. Es sei gerechtfertigt, die wirtschaftliche Lage vorwiegend an der Einnahmen- und Ausgabensituation zu beurteilen und andere Momente zu vernachlässigen, sofern sie - wie bei der Klägerin - die gesetzlichen Sollsätze (so bei den Betriebsmitteln und bei der Rücklage) erheblich unterschritten oder ihre Einbeziehung (so beim Grundvermögen) unbillig erscheine. Sofern davon ausgegangen werden müßte, daß die für die 44 übrigen Kassen angegebenen Werte die von diesen akzeptierten Erhöhungen bereits einbezögen, müßte der Klägerin sogar ein Ausgabenüberschuß von 43,72 DM zugerechnet werden, womit sie die siebtletzte Stelle einnehmen würde. Auch wenn man der Auffassung des LSchA folge, die Klägerin müsse sich eine rechnerische Erhöhung ihres Beitragssatzes auf 11 % gefallen lassen, ändere sich an dieser Einschätzung nichts. Zwar würde sich der Minusbetrag um 12,84 DM verringern. Entsprechend müßten aber auch die anderen Kassen behandelt werden, insbesondere diejenigen, deren Minderertrag den der Klägerin noch übertroffen habe. Bei ihnen sei der Beitragssatz zum Teil noch wesentlich niedriger gewesen.

Gegen dieses Urteil haben die KÄV und das LSchA die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Sie rügen, die Rechtsanwendung des LSG verletze § 368 g Abs. 1 RVO. Entgegen der Ansicht des LSG sei der Schiedsspruch rechtmäßig. Das LSchA habe die Grundsätze beachtet, die das BSG (BSG 20, 73 ff) zur Ermittlung der Gesamtvergütung aufgestellt habe. Zu Unrecht sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, das LSchA habe die Klägerin mit der Mehrheit der nordrheinischen AOK'n verglichen. Tatsächlich habe das LSchA geprüft, ob die wirtschaftliche Lage der Klägerin wesentlich schlechter als die der Gesamtheit der anderen 44 AOK'n gewesen sei. Das Berufungsgericht habe nicht gesagt, in welcher anderen Weise und in welchem Maße die individuelle Wirtschaftslage der Klägerin bei der Festsetzung der Vergütung zu berücksichtigen sei. Bedenklich seien auch die sich aus der Ansicht des Berufungsgerichts ergebenden Konsequenzen. Es sei fraglich, ob überhaupt Rahmenabkommen noch erreichbar wären, wenn eine einzelne Krankenkasse sich dem für alle übrigen Kassen gefundenen Ergebnis entziehen könnte. Für die KÄV stelle sich die Frage, ob sie ein solches Ergebnis auch gegenüber Kassen gelten lassen könne, die sich in einer von der Mehrheit abweichenden besonders günstigen wirtschaftlichen Lage befänden. Außerdem würde das LSchA eine ständig tagende Institution werden und nicht mehr in der Lage sein, eine zeitnahe Entscheidung herbeizuführen. Nach einem vom LSG mit Schreiben vom 27. September 1971 unterbreiteten Vergleichsvorschlag (Zuschläge zu den Einfachsätzen vom 1. April 1968 von 1 %, ab 1. Juli 1968 2 %, ab 1. Oktober 1968 3 %, ab 1. April 1969 4 %, ab 1. Oktober 1969 5 %) ergebe sich gegenüber dem Schiedsspruch ein Minusbetrag in Höhe von nur ca. 40.000 DM, während der Fehlbetrag zu den Einfachsätzen der GOÄ ca. 287.000 DM betrage. Bei Beitragsannahmen der Klägerin von ca. 47,5 Mill. DM für die Jahre 1968 für 1969 falle der Betrag von ca. 40.000 DM für die Zeit vom 1. April 1968 bis 31. Dezember 1969 praktisch nicht ins Gewicht. Die Mehrbelastung von nur 0,083 % könne die wirtschaftliche Lage der Klägerin nicht ernstlich berührt haben. Dieser Auffassung sei wohl auch die Klägerin selbst. Sie habe sich mit Schreiben vom 7. Juli 1970 bereiterklärt, die Klage zurückzuziehen, falls ihr für die Zeit ab 1. Januar 1970 ein Nachlaß gegenüber der von diesem Zeitpunkt an geltenden neuen Rahmenvereinbarung eingeräumt werde. Eine solche Sonderregelung habe die KÄV jedoch abgelehnt.

Die Revisionskläger beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. April 1972 die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27. Oktober 1970 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Sie ist der Ansicht, die Auswertung des Vergleichsvorschlages des LSG sei gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) rechtlich unzulässig, da er in dem angefochtenen Urteil nicht erwähnt werde. Unerheblich sei, daß die Klägerin dem ab 1. Januar 1970 gültigen Rahmenvertrag beigetreten sei. Dies sei im übrigen nur geschehen, weil die Klägerin auf Grund der gemäß § 393 a Abs. 1 RVO vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) erlassenen Rechtsverordnung Ende 1970 bzw. im Jahre 1971 Leistungen der Rentenversicherungsträger erhalten habe, die ihre finanzielle Lage gebessert hätten.

II

Die Revisionen sind begründet. Der angefochtene Schiedsspruch ist rechtmäßig.

Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 30. Oktober 1963 (BSG 20, 73, 76) näher dargelegt hat, ersetzt der Schiedsspruch im streitschlichtenden Schiedsverfahren die Regelung, die die Vertragsparteien (KÄV und die jeweils betroffene Krankenkasse) in freier Vereinbarung hätten treffen können. Daraus folgt, daß das LSchA bei der Festsetzung des Inhalts des Gesamtvertrags die gleiche Gestaltungsfreiheit hat, wie sie für die Vertragsparteien bei der gütlichen Vereinbarung besteht. Leitbild für das Gestaltungsermessen des LSchA ist demnach die Vertragsfreiheit der Vertragspartner im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen, nämlich von Bundes- und Landesmantelverträgen für "den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge" (§ 368 g Abs. 2 RVO) einerseits (vgl. hierzu BSG aaO S. 81) und der für die Gesamtvergütung vom Gesetzgeber festgesetzten Auflage (§ 368 g Abs. 1, letzter Satzteil RVO) andererseits, daß die ärztlichen Leistungen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Krankenkassen angemessen vergütet werden.

Im vorliegenden Fall ist nur streitig, ob das beklagte LSchA den letztgenannten Gesichtspunkt bei der Festsetzung des angefochtenen Schiedsspruchs gebührend beachtet hat. Dabei ist mit dem LSG davon auszugehen, daß die wirtschaftliche Lage der jeweiligen Krankenkasse, für die der Gesamtvertrag gilt, bei der Festlegung der angemessenen Vergütung der ärztlichen Leistungen (§ 368 g Abs. 1, letzter Satzteil) zugrundezulegen ist, wie schon aus dem Wesen des Gesamtvertrags als einer mit der jeweiligen Kasse zu schließenden Vereinbarung folgt.

Entgegen der Meinung des LSG ist hieraus jedoch nicht der Schluß zu ziehen, daß es dem LSchA bei der Festsetzung seines Schiedsspruchs verwehrt ist, im Rahmen bestimmter Grenzen einer generalisierenden Betrachtungsweise zu folgen und die betroffene Krankenkasse in einen regional abgesteckten Rahmen einzubeziehen. Wie schon bei dem in BSG 20, 73 behandelten Sachverhalt festzustellen war, erst recht aber in der Folgezeit hat sich bei den Partnern der Gesamtverträge die Rechtspraxis entwickelt, daß die Gesamtverträge nicht individuell gesondert mit den einzelnen Kassen "ausgehandelt" werden, sondern daß die KÄV mit dem jeweiligen Regionalverband der Krankenkassengruppe verhandelt. Dieser kann dabei in dem Umfang, wie ihm die beteiligten Krankenkassen Vertretungsmacht eingeräumt haben, den Gesamtvertrag verbindlich für seine Vollmachtgeber vereinbaren (vgl. BSG aaO S. 82). Er kann sich aber auch - das dürfte die Regel sein (vgl. auch den vorliegenden Sachverhalt) - darauf beschränken, eine Rahmenvereinbarung mit der KÄV zu treffen, die erst durch die Annahme seitens der beteiligten Krankenkassen für diese verbindlich wird und aus ihr ein zusammengefaßtes Bündel inhaltlich übereinstimmender Gesamtverträge macht.

Gegen die Rechtmäßigkeit dieser Praxis bestehen keine Bedenken. Mag der Gesetzgeber auch bei der Regelung in § 368 g Abs. 2 Satz 1 RVO von der Vorstellung geleitet worden sein, daß die KÄV mit den einzelnen Krankenkassen in der Regel individuelle Gesamtverträge schließt, so lassen Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift doch auch den Weg des gemeinsamen Verhandelns der Krankenkassen mit dem Ziel zu, daß anstelle einer entsprechenden Vielzahl individuell festgelegter Gesamtvergütungen ein für alle Krankenkassen einheitlicher Mittelwert vereinbart wird. Ein solches Mittelwert-System, das die wirtschaftliche Lage der besser und schlechter gestellten Kassen einer Durchschnittsbeurteilung unterzieht, ist nur durchführbar, wenn auch die finanziell schwächeren Kassen mitmachen. Erfahren einzelne Kassen durch eine für sie günstigere, vom Mittelwert abweichende Festlegung der Gesamtvergütung eine Sonderbehandlung, so ist die Berechnungsgrundlage des Mittelwerts erschüttert.

Diese dem Mittelwert-System innewohnende Zwangsläufigkeit kann allerdings nicht dazu führen, daß sich die einzelne Kasse der Entscheidung der "mittelwertbereiten" Mehrheit der mitbeteiligten Krankenkassen zu beugen hätte. Nach der klaren Regelung des Gesetzes (§ 368 g Abs. 2 Satz 1 RVO) ist es der freien Entschließung der einzelnen Kasse überlassen, ob sie sich einen von der Mehrheit angenommenen Vertragsrahmen zu eigen machen will. Eine Ablehnung kann insbesondere dann in Frage kommen, wenn die Einbeziehung in den Mittelwert für die Kasse wegen ihrer besonderen wirtschaftlichen Lage eine unzumutbare Härte darstellen würde, weil diese Gesamtvergütung ihrer Höhe nach - auch unter Berücksichtigung der vielfältigen für die Beurteilung der Leistungskraft einer Krankenkasse maßgeblichen Faktoren und der sich hieraus ergebenden relativ großen Bandbreite des Beurteilungsspielraums (vgl. hierzu BSG aaO S. 77 ff) - für diese Kasse schlechterdings unangemessen wäre. In einem solchen Falle müßte auch das zur Schlichtung angerufene Schiedsamt auf die Gefahr hin, daß das von den meisten übrigen Beteiligten angenommene Mittelwertsystem gefährdet würde, eine individuelle, der Wirtschaftskraft dieser Krankenkasse gerecht werdende Gesamtvergütung festsetzen (vgl. § 368 h Abs. 1 RVO).

So liegen die Verhältnisse des vorliegenden Falls jedoch nicht. Das LSchA hat, ohne insoweit Widerspruch bei der Klägerin zu finden, unter genauer Analyse der wichtigsten für die wirtschaftliche Lage der Klägerin maßgeblichen Faktoren festgestellt, daß diese zwar - von der Wirtschaftskraft her gesehen - zum unteren Drittel der beteiligten 45 Krankenkassen gehört, daß aber eine Reihe von Krankenkassen noch finanzschwächer als die Klägerin ist. Bei dieser Sachlage war es dem LSchA nicht verwehrt, dem Verhalten gerade dieser Krankenkassen, die Gesamtverträge mit dem vereinbarten Mittelwert abgeschlossen hatten, einen hohen Indizwert in dem Sinne beizulegen, daß die vereinbarte Gesamtvergütung auch für diese Gruppe (noch) angemessen im Sinne des § 368 g Abs. 1 RVO ist. Der vom Senat schon in seiner Entscheidung vom 30. Oktober 1963 (BSG aaO S. 84) hervorgehobene Leitgedanke des Kassenarztrechts (vgl. § 368 Abs. 1 Satz 1, § 368 g Abs. 1 RVO), daß die kassenärztliche Versorgung in allen ihren Verästelungen wesentlich vom eigenverantwortlichen Zusammenwirken der Krankenkassen und der Kassenärzte sowie ihrer Verbände in gemeinsamer Selbstverwaltung getragen wird (vgl. hierzu auch Peters, Handbuch der KrV, § 368 g Anm. 2, S. 17/1671), rechtfertigt auch in diesem Zusammenhang den Schluß, daß die Wertung derer, die es angeht, die Vermutung der Richtigkeit für sich hat und daß die vereinbarte Gesamtvergütung angemessen ist.

Unter diesen Umständen hat das LSchA sein Gestaltungsermessen nicht überschritten, wenn es ausgehend von der Feststellung, daß sich die wirtschaftliche Lage der Klägerin im Gesamtrahmen der übrigen Krankenkassen hält und sich nicht wesentlich von der Gruppe der finanzschwachen Krankenkassen unterscheidet, davon abgesehen hat, in dem angefochtenen Schiedsspruch eine individuell auf die Verhältnisse der Klägerin abgestellte Gesamtvergütung festzusetzen und für die Klägerin die gleiche Gesamtvergütung festgelegt hat, die von den übrigen Krankenkassen bereits in gütlicher Vereinbarung angenommen worden war.

Demgemäß war das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1650151

BSGE, 151

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