Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzen und Auswirkungen des Verbots der fachfremden Betätigung für Fachärzte
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Fachgebiet der Fachärzte für Röntgenologie und Strahlenheilkunde - Radiologie - gehört auch nach neueren Erkenntnissen grundsätzlich nicht die Anfertigung und Auswertung von Elektrokardiogrammen (Bestätigung von BSG 1965-05-28 6 RKa 1/65 = BSGE 23, 97).
2. Besitzt ein Radiologe zugleich die Anerkennung als Facharzt für innere Medizin, führt er aber nur die Facharztbezeichnung des Radiologen, so gilt die zu 1. genannte Beschränkung auf dem Gebiet der Elektrokardiographie auch für diesen Facharzt.
3. Auch ein mit der Verfassung nicht voll vereinbarer Rechtszustand kann für eine Übergangszeit aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls als rechtswirksam hingenommen werden, bis der Gesetzgeber die aus gewandelter Sicht erkannte Regelungslücke verfassungsmäßig geschlossen hat.
Demgemäß ist die Berufsordnung für Ärzte in Nordrhein auch mit den Bestimmungen (noch) rechtswirksam, die zum mindesten in den Grundzügen vom Gesetzgeber festgelegt werden müssen, dieser gesetzlichen Grundlage zur Zeit aber ermangeln.
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Bereich des Facharztwesens darf der zuständige Landesgesetzgeber seine Rechtsetzungsbefugnis nicht durch generelle Ermächtigung gänzlich auf die ärztlichen Berufsverbände übertragen; er muß zumindest die statusbildenden Normen, aber auch einschneidende, das Gesamtbild der beruflichen Tätigkeit wesentlich prägende Bestimmungen über die Ausübung des Arztberufes in ihren Grundzügen selbst erlassen.
2. Die in den Berufsordnungen für Ärzte enthaltene Bestimmung, daß Fachärzte grundsätzlich allein in dem Fachgebiet tätig werden dürfen, dessen Bezeichnung sie führen, hat nicht nur ärztlich-berufsständische, sondern allgemeine gesundheitspolitische Bedeutung und prägt Umfang und Inhalt der fachärztlichen Berufstätigkeit wesentlich mit; der Landesgesetzgeber muß deshalb eine solche Regelung selbst treffen.
3. Ist auf lebenswichtigen Gebieten ein Rechtszustand eingetreten, der nach neueren Erkenntnissen des BVerfG mit dem GG nicht voll vereinbar ist, so muß er für eine Übergangszeit als rechtswirksam hingenommen werden, bis der Gesetzgeber die aus gewandelter Sicht erkannte Regelungslücke verfassungsgemäß geschlossen hat; dies hat aus Gründen des Gemeinwohls auch für formell-rechtlich fehlerhafte Bestimmungen der Berufsordnungen der Ärzte zu gelten, da ohne sie ein für die Gesundheitspflege der Allgemeinheit wesentlicher Bereich ungeregelt wäre.
4. Die den Fachärzten in einer Berufsordnung auferlegte Pflicht, ihre Tätigkeit auf das Fachgebiet zu beschränken, ist bei Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit GG Art 12 Abs 1 S 1 materiell-rechtlich vereinbar; gegen die Umschreibung des Fachgebietes des Radiologen als "Anwendung ionisierender Strahlen einschließlich derjenigen von radioaktiven Stoffen zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken" bestehen keine inhaltlichen Bedenken.
5. Die Ärzte können die Ausführungen und Auswertung von Elektrokardiogrammen nur in dem Umfange als kassenärztliche oder vertragsärztliche Leistungen abrechnen, in dem sie diese Leistungen nach ärztlichem Berufsrecht ausüben dürfen; da bei einem Radiologen elektrokardiographische Leistungen nicht in das ärztliche Fachgebiet gehören und er sie folglich nicht fortdauernd und systematisch ausführen darf, kann der Radiologe für sie eine Vergütung nur insoweit verlangen, als er die Elektrokardiogramme zur medizinisch sachgemäßen Ausführung von Röntgenleistungen benötigt.
Normenkette
RVO § 368a Fassung: 1955-08-17, § 368n Fassung: 1955-08-17; ÄBerufsO NR § 31 Abs. 1, § 37 Abs. 1 Fassung: 1971-11-06; GG Art. 12 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1968-06-24
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 1972 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger im Rahmen der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung, an der er teilnimmt, elektrokardiographische - EKG - Untersuchungen uneingeschränkt bei der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) abrechnen darf. Der Kläger betreibt seine Praxis unter der Bezeichnung Facharzt für Röntgenologie und Strahlenheilkunde, besitzt aber auch die Anerkennung als Facharzt für innere Medizin.
Mit Schreiben vom 26. Mai 1966 unterrichtete die Beklagte den Kläger vom Beschluß ihres Vorstandes, Fachärzten für Röntgenologie und Strahlenheilkunde EKG-Leistungen nicht mehr zu vergüten, da es sich um fachfremde Leistungen handele, die nicht abrechnungsfähig seien. Für Ärzte, die - wie der Kläger - im 1. Quartal 1966 EKG-Leistungen ausgeführt hatten, schloß die Beklagte die Abrechnung zunächst vom 1. Januar 1970 an aus; später wurde diese Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 1972 verlängert.
Der Widerspruch des Klägers blieb ebenso erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. August 1966) wie die Klage beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf (Urteil vom 8. Dezember 1967). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen (Urteil vom 24. Mai 1972):
Fachärzte dürften nach § 37 Abs. 1 der Berufsordnung für Ärzte in Nordrhein (BO NR) grundsätzlich nur in dem Fachgebiet tätig werden, dessen Bezeichnung sie führten. Die Elektrokardiographie als diagnostische Methode zur Aufzeichnung der Aktionsströme des Herzens unter Benutzung der Elektrizität falle eindeutig nicht in das in § 32 Abs. 5 Nr. 19 BO NR umschriebene Fachgebiet Röntgenologie und Strahlenheilkunde. Daß der Röntgenarzt in gewissen Ausnahmefällen zur sachgemäßen Ausführung seiner Leistung des EKG's bedürfe (z. B. als mitlaufendes EKG), stünde dem nicht entgegen. Die Beschränkung auf das Fachgebiet gelte nur "grundsätzlich" (§ 37 Abs. 1 BO NR); Ausnahmen seien zulässig. Hingegen verbiete sich eine systematische Tätigkeit außerhalb des Fachgebietes, wie sie hier streitig sei. Nach ärztlichem Berufsrecht nicht zulässige fachfremde EKG-Leistungen brauche die Beklagte nicht zu honorieren.
Die begehrte Überschreitung seines Fachgebietes müsse dem Kläger nicht deshalb erlaubt werden, weil auch anderen Fachärzten Röntgenleistungen gestattet seien. Die Entwicklung der Humanmedizin in verschiedene Fachbereiche habe dazu geführt, daß sich Fachgebiete überschnitten und die Röntgendiagnostik ähnlich wie die Laboratoriumsdiagnostik auch anderen Fachgebieten zuzuordnen sei. Schließlich könne der Kläger die angestrebte Honorierung nicht unter dem Gesichtspunkt des Besitz-, Eigentums- oder Vertrauensschutzes verlangen, zumal die Beklagte ihm eine annähernd siebenjährige Übergangsregelung zum Ausgleich der ihm entstandenen Aufwendungen zugebilligt habe.
Das LSG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der entschiedenen Rechtsfragen zugelassen; hierzu hat es ausgeführt, die Berufsordnung für Ärzte in Nordrhein sei revisibles Recht, weil mit ihr inhaltlich übereinstimmende Vorschriften auch in den Bezirken anderer Landesärztekammern bestünden, diese Übereinstimmung auf die Empfehlung der Bundesärztekammer und des 71. Deutschen Ärztetages zurückgehe und deshalb gewollt sei.
Der Kläger hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt, mit der er eine Verletzung der Berufsordnung für Nordrhein und der Art. 3, 12 und 14 des Grundgesetzes (GG) rügt: Es verletze den Gleichheitsgrundsatz, wenn Fachärzten für innere Medizin und für Chirurgie gestattet sei, als Teilröntgenologen über die Grenzen ihres Fachgebietes hinaus tätig zu werden, Röntgenologen aber EKG-Leistungen untersagt seien. Hierfür gebe es auch keinen vernünftigen Grund, denn bei der Untersuchung des Herzens sei die Verbindung der Röntgenologie und Elektrokardiographie zweckmäßig und medizinisch geboten. Da der Kläger nicht nur als Röntgenologe, sondern auch als Facharzt für innere Medizin anerkannt sei, müsse er nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Mai 1972 berechtigt sein, Leistungen aus beiden Fachrichtungen abzurechnen. Keinesfalls könne aus § 32 der BO NR gefolgert werden, daß der Kläger von EKG-Leistungen ausgeschlossen sei; die Definitionen dieser Vorschrift lieferten lediglich eine allgemeine und unverbindliche Beschreibung der Fachgebiete.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Düsseldorf vom 8. Dezember 1968 und unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Mai 1966 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1966 die Beklagte für verpflichtet zu erklären, dem Kläger auch über den 31. Dezember 1972 hinaus die Genehmigung zu erteilen, EKG-Leistungen auszuführen und abzurechnen.
Die Beigeladenen zu 1) und 3) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für richtig.
Die übrigen Beteiligten haben keinen Antrag gestellt.
Die Beklagte hat auf Anfrage des Senats eingeräumt, eine strikte Beschränkung auf das Fachgebiet werde nicht mehr gefordert; bedürfe der Röntgenarzt zur medizinisch sachgemäßen Ausführung seiner Röntgenleistung eines EKG's, so sei die Abrechnung insoweit nicht zu beanstanden.
Die Bundesärztekammer hat auf Ersuchen des Senats folgende gutachtliche Stellungnahme abgegeben: Zum Fachgebiet Röntgenologie und Strahlenheilkunde (Radiologie) gehöre auch nach Ansicht der Deutschen Röntgengesellschaft grundsätzlich nicht die Anfertigung und Auswertung von Elektrokardiogrammen. Ein sowohl als Internist als auch als Radiologe qualifizierter Arzt dürfe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diese Facharztbezeichnungen nebeneinander führen und ohne Zweifel auf beiden Gebieten tätig sein. Nur wenn er beide Fachgebietsbezeichnungen führe, habe er aber das Recht, EKG's anzufertigen und auszuwerten. Die Verpflichtung zur Beschränkung auf ein Fachgebiet werde dann nicht verletzt, weil das EKG als Internist und nicht als Radiologe angefertigt und abgerechnet werde.
Dieser Stellungnahme haben die Beigeladenen zu 1), 3) und 5) zugestimmt. Der Kläger wendet dagegen ein, es sei sinnlos, von ihm zu verlangen, beide Facharztbezeichnungen zu führen, lediglich um EKG-Leistungen abrechnen zu können. Solange Richtlinien über die Ausstattung einer zweifachen Praxis nicht vorhanden seien, müsse ihm gestattet sein, EKG-Leistungen abzurechnen. Im übrigen sei die Auffassung der Bundesärztekammer maßgebend von Internisten geprägt, um deren angebliches Monopol auf EKG-Leistungen es gehe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht über den 31. Dezember 1972 hinaus ein Vergütungsanspruch gegen die Beklagte für EKG-Leistungen nur noch in dem von der Beklagten anerkannten Umfang zu, soweit der Kläger zur medizinisch sachgemäßen Ausführung einer Röntgenleistung eines EKGs bedarf.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Beklagte dem Kläger die Anfertigung und Auswertung von Elektrokardiogrammen als kassen- bzw. vertragsgemäße Leistung nur in dem Umfange zu vergüten hat, in dem der Kläger diese Leistungen nach ärztlichem Berufsrecht ausüben darf (BSG 23, 97, 103). Im Ergebnis ist auch der von der Revision angegriffenen Auffassung des LSG zu folgen, der Kläger dürfe nach § 37 Abs. 1 der Berufsordnung für Ärzte in Nordrhein vom 29. Dezember 1956 (MBl NW 1957, 726 ff - BO NR 1956) idF der Weiterbildungsordnung vom 14. Februar 1970, zuletzt geändert am 6. November 1971 (MBl NW 1970, 1839 ff bzw. 1971, 2173 - BO NR -) grundsätzlich nur im Fachgebiet Röntgenologie und Strahlenheilkunde (jetzt: Radiologie, § 31 Abs. 1 Nr. 19 BO NR, vgl. § 31 Abs. 1 Nr. 13 BO NR 1956 iVm § 38 Abs. 1 BO NR) - dessen Bezeichnung er führt - tätig werden; elektrokardiographische Leistungen gehörten nicht in dieses Gebiet und der Kläger sei demzufolge berufsrechtlich nicht befugt, sie fortdauernd und systematisch auszuführen.
Das LSG hat gestützt auf das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Mai 1965 (BSG 23, 97) angenommen, die durch landesrechtliche Vorschriften - die sogenannten "Kammergesetze" (hier: Gesetz über die Kammern und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Apotheker, Tierärzte, Zahnärzte und Dentisten vom 5. Februar 1952, GVBl NW 1952, 16 ff) - an eine Landesärztekammer erteilte Ermächtigung, eine Berufsordnung durch Satzung zu beschließen (vgl. § 5 Abs. 3 Kammergesetz NW), genüge als Grundlage der Satzung den Anforderungen, die an ein gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zur Regelung der Berufsausübung erforderliches Gesetz zu stellen seien (BSG aaO S. 101). An dieser Auffassung in ihrer alle Vorschriften zum Facharztwesen einbeziehenden Allgemeinheit kann im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG, Beschluß vom 9. Mai 1972, BVerfGE 33, 125 ff) nicht festgehalten werden.
Das BVerfG hat entschieden, daß nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG Regelungen, die die Berufsfreiheit beschränken, aufgrund gesetzlicher Ermächtigung auch in Satzungen autonomer Körperschaften - wie der Ärztekammern - getroffen werden können; dies allerdings nur innerhalb bestimmter, von der Intensität des Eingriffes abhängiger Grenzen (BVerfG aaO, S. 160): Im Bereich des Facharztwesens dürfe der zuständige Landesgesetzgeber seine Rechtsetzungsbefugnisse nicht durch generelle Ermächtigung gänzlich auf die ärztlichen Berufsverbände übertragen; jedenfalls die statusbildenden Normen, aber auch einschneidende, das Gesamtbild der beruflichen Betätigung wesentlich prägende Vorschriften über die Ausübung des Berufes müßten in ihren Grundzügen vom Gesetzgeber festgelegt werden (BVerfG aaO, S. 163, 160).
In den Kreis dieser der Normsetzung durch den Landesgesetzgeber vorbehaltenen Bestimmungen gehören die §§ 31, 32 Abs. 5 BO NR als statusbildende Normen, die die zugelassenen Facharztrichtungen bestimmen und definieren (BVerfG aaO, S. 163). Dahinstehen kann, ob § 37 Abs. 1 BO NR, wonach Fachärzte grundsätzlich nur in dem Fachgebiet tätig werden dürfen, dessen Bezeichnung sie führen, die allgemeine Stellung der Fachärzte innerhalb des Gesundheitswesens betrifft und deshalb statusbildend ist. Auch soweit die Vorschrift (nur) eine davon zu unterscheidende Berufspflichtenregelung enthält (so wohl BVerfG aaO), muß sie wegen ihrer einschneidenden Bedeutung in den Grundzügen dem Landesgesetzgeber vorbehalten bleiben. Dem BVerfG erscheint dies, ohne daß es näher darüber befunden hat, "erwünscht, wenn nicht sogar geboten" (BVerfG aaO, S. 165). Letzteres trifft nach der Auffassung des Senats zu: Die Pflicht, von allgemeinärztlichen Verrichtungen abzusehen und grundsätzlich nur in gewählten Fachgebieten tätig zu werden, prägt Umfang und Inhalt der fachärztlichen Berufstätigkeit wesentlich mit. Darüber hinaus hat die Pflicht zur Beschränkung auf das fachärztliche Berufsfeld allgemeine gesundheitspolitische Bedeutung. Betroffen sind - wie auch das BVerfG hervorhebt - die freie Arztwahl der Patienten (BVerfG aaO, S. 164) und die ärztliche Versorgung der Allgemeinheit überhaupt, zu deren Sicherung wegen der fortschreitenden medizinischen Erkenntnisse das zusammenwirkende Nebeneinander auf unterschiedlichen Spezialgebieten tätiger Fachärzte und allgemeinpraktischer Ärzte unentbehrlich ist (BVerfG aaO, S. 162). Regelungen in diesem Bereich haben somit nicht nur ärztlich-berufsständische Bedeutung; der Gesetzgeber darf sie deshalb nicht vollständig den Ärztekammern als Standesorganen der Ärzteschaft überlassen (vgl. STARCK, Regelungskompetenzen im Bereich des Art. 12 Abs. 1 GG und ärztliches Berufsrecht, NJW 1972, S. 1489, 1492 f).
Das im Bezirk der beklagten KÄV - dem Landschaftsverband Nordrhein - geltende Gesetzesrecht des Landes enthält zur Regelung des Facharztwesens keine statusbildenden Normen: Insbesondere bestimmt es die zugelassenen Facharztrichtungen nicht. § 5 Abs. 3 des Kammergesetzes NW ermächtigt die Ärztekammer lediglich, "eine für ihre Kammerangehörigen verbindliche Berufsordnung durch besondere Satzung (zu) beschließen", ohne die Satzungsbefugnis dadurch zu begrenzen, daß die Stellung der Fachärzte in der Ordnung in ihren Grundzügen gesetzlich vorgegeben wird. Zum Pflichtenbereich der Fachärzte mangelt es hieran ebenfalls. Das Kammergesetz NW geht zwar in § 5 Abs. 1 Buchst. e allgemein von "Berufspflichten der Kammerangehörigen" aus, trifft aber keine näheren Regelungen.
Genügen danach die §§ 31, 32 Abs. 5 und 37 Abs. 1 BO NR als Satzungsrecht formellrechtlich nicht den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, so folgt daraus entgegen der Auffassung des Klägers nicht, daß er mit seiner Klage Erfolg haben muß. Der Beschluß des BVerfG vom 9. Mai 1972 bedeutet gegenüber der vom erkennenden Senat in BSG 23, 97 vertretenen Auffassung (vgl. auch POELLINGER, SGb. 1966, 515; PETERS, Handbuch der Krankenversicherung, § 368 RVO Anm. 5 b, S. 17/1488; HEINEMANN-LIEBOLD, Kassenarztrecht, Stand Juni 1972, S. IV, 44 a, b; KUHNS, Das gesamte Recht der Heilberufe S. I/424), der auch das Berufungsgericht noch gefolgt ist, einen Wandel in der Rechtsanschauung über das Verhältnis der staatlichen Gesetzgebung zur ärztlich-berufsständischen Satzungsautonomie und deren Grenzen, der es erfordert, das Facharztwesen in seinen Grundzügen landesgesetzlich neu zu regeln (BVerwG, Urt. v. 12.12.1972 - I C 30.69 -, Sammlung Buchholz Nr. 20 zu 418.00-Ärzte, S. 45; vgl. STARCK aaO). Wie das BVerfG mehrfach entschieden hat, ist auf lebenswichtigen Gebieten ein Rechtszustand, der nach neueren Rechtserkenntnissen mit der Verfassung nicht voll vereinbar ist, für eine Übergangszeit als rechtswirksam hinzunehmen, bis der Gesetzgeber die aus gewandelter Sicht erkannte Regelungslücke verfassungsgemäß geschlossen hat (BVerfGE 33, 1, 13; 33, 303, 347 f; BVerwG aaO, S. 44). Dies muß aus Gründen des Gemeinwohls auch für die Berufs- und Facharztordnungen gelten, soweit sie - wie hier die §§ 31, 32 Abs. 5 und 37 Abs. 1 BO NR - formell-rechtlich fehlerhaft sind. Ohne diese Vorschriften wäre ein für die Gesundheitspflege der Allgemeinheit wesentlicher Bereich - das Facharztwesen - ungeregelt. Jedem einzelnen Arzt wäre es überlassen, welche spezial- und allgemein-ärztlichen Tätigkeiten er verrichten will. Angesichts der Bedeutung, die das Zusammenwirken unterschiedlich spezialisierter Ärzte für die Gesundheitspflege hat, stünde ein solcher regelloser, die ärztliche Versorgung gefährdender Zustand der verfassungsgemäßen Ordnung noch ferner als der jetzt satzungsrechtlich normierte. Jedenfalls für eine zur gesetzlichen Neuregelung ausreichende Übergangszeit müssen die zu beanstandenden Vorschriften der Berufs- und Facharztordnung deshalb formell-rechtlich noch hingenommen werden. Dies bedeutet, daß die Vorschriften der §§ 31, 32 Abs. 5 und 37 Abs. 1 BO NR - soweit sie nicht materiell-rechtlich verfassungswidrig sind - zur Zeit noch anzuwenden sind.
Die den Fachärzten mit § 37 Abs. 1 BO NR auferlegte Pflicht, grundsätzlich nur in ihrem Fachgebiet tätig zu werden, ist bei Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG materiell-rechtlich vereinbar (BVerfGE 33, 167 f; BSG 23, 97, 99 f, 102). Gegen die Einteilung der Fachgebiete in § 31 Abs. 1 BO NR und die Umschreibung des Fachgebietes des Radiologen als "Anwendung ionisierender Strahlen einschließlich derjenigen von radioaktiven Stoffen zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken" in § 32 Abs. 5 Nr. 19 BO NR bestehen ebenfalls keine inhaltlichen Bedenken (vgl. BVerfG aaO, S. 167). In den damit umschriebenen Tätigkeitsbereich hat das LSG die Elektrokardiographie als diagnostische Methode zur Aufzeichnung der Aktionsströme des Herzens unter Benutzung der Elektrizität zutreffend nicht einbezogen. Dies entspricht der im Urteil vom 28. Mai 1965 ausführlich begründeten Auffassung des Senats (BSG 23, 97, 101 f), an der festzuhalten ist. Sie wird nicht nur - wie der Kläger meint - von Internisten geteilt. Vielmehr hat die Bundesärztekammer in ihrer Mitteilung vom 28. Mai 1973 betont, daß inzwischen auch nach Ansicht der Deutschen Röntgengesellschaft die Anfertigung und Auswertung von Elektrokardiogrammen nicht zum Fachgebiet des Radiologen gehören.
Neue Gesichtspunkte zum Umfange des Fachgebietes, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, trägt der Kläger nicht vor. Er wendet lediglich ein, der Radiologe könne von EKG-Leistungen nicht ausgeschlossen sein, weil bestimmte Untersuchungen die Verbindung von Röntgenologie und Elektrokardiographie medizinisch forderten. In solchen Fällen sind dem Radiologen EKG-Leistungen nicht verwehrt; er darf sie als Ausnahme von der allgemeinen Richtlinie des § 37 Abs. 1 BO NR ausführen (vgl. schon BSG 23, 97, 102 aE). Auch die beklagte KÄV hat ausdrücklich zugestanden, daß EKG-Leistungen dann als vertrags- bzw. kassenärztliche Leistungen von ihr zu honorieren sind. Die im Einzelfall gebotene Verbindung der Untersuchungsmethoden stellt deshalb keinen Grund dar, EKG-Leistungen in das Fachgebiet des Radiologen einzubeziehen und Ärzte dieser Fachrichtung zu berechtigen, sie unbeschränkt und systematisch auszuführen.
Zu Unrecht sieht der Kläger den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dadurch verletzt, daß andere Fachärzte (Internisten, Chirurgen) grundsätzlich und - wie er meint - über die Grenzen ihres Fachgebietes hinaus (teil-) röntgenologisch tätig sein dürften, nicht aber Radiologen (teil-) elektrokardiographisch. Hierzu ist klarzustellen, daß die BO NR eine Betätigung der Chirurgen und Internisten unter der ausdrücklichen Bezeichnung als "Teil-Röntgenologen" nicht vorsieht (vgl. § 31 Abs. 2 BO NR). Im übrigen verkennt der Kläger, daß die Röntgendiagnostik für diese Ärzte nicht fachfremd ist. Sie benötigen röntgenologische Untersuchungen in weitem Umfange - anders als Radiologen elektrokardiographische - fachgebunden, um die in ihren Fachgebieten zu behandelnden Gesundheitsstörungen zu erkennen (§ 32 Abs. 5 Nrn. 4 und 8 BO NR; vgl. SEWERINS, Die Weiterbildungsordnung, Deutsches Ärzteblatt 1968, S. 1445, 1449). Auf Grund dessen ist es nicht willkürlich, sondern sachgerecht und berücksichtigt "das dem Gleichheitssatz immanente Gebot, Ungleiches seiner Ungleichheit entsprechend verschieden zu behandeln" (BVerfGE 16, 6, 24 f; vgl. LEIBHOLZ/RINCK, Grundgesetz, 4. Aufl., Art. 3 GG, Randnr. 2, mit Nachweisen), wenn die Berechtigung der Internisten und Chirurgen zur Röntgendiagnostik anders beurteilt wird als die der Radiologen zu EKG-Leistungen.
Auch der Umstand, daß der Kläger zusätzlich die Anerkennung als Facharzt für innere Medizin besitzt, vermag den Betätigungsbereich des Klägers in der Elektrokardiographie nicht zu erweitern. Zwar gehört die Elektrokardiographie als Methode zur Erkennung von Herzkrankheiten zum Fachbereich der inneren Medizin (vgl. § 32 Abs. 5 Nr. 8 BO NR). Die uneingeschränkte Betätigung des Klägers auf diesem Gebiet scheitert aber daran, daß er nicht die Facharztbezeichnung "Internist" - sondern nur die des "Radiologen" - führt. Das Führen der Facharztbezeichnung ist jedoch Voraussetzung für eine entsprechende Betätigung (§ 37 Abs. 1 Satz 1 BO NR).
Nun wäre es dem Kläger - entgegen dem allgemeinen berufsrechtlichen Grundsatz, daß nur eine Facharztbezeichnung geführt werden darf (vgl. § 31 Abs. 3 BO NR) - wohl nicht verwehrt, beide Facharztbezeichnungen zu führen. Das in § 31 Abs. 3 BO NR ausgesprochene Verbot, rechtmäßig erworbene Facharztbezeichnungen nebeneinander zu führen, überschreitet nach dem Beschluß des BVerfG vom 9. Mai 1972 das Maß einer nach Art. 12 Abs. 1 GG zulässigen, weil notwendigen und zumutbaren Berufsausübungsregelung jedenfalls dann, wenn es sich um Bezeichnungen für nahe verwandte Fachbereiche handelt, wie die - auch im Fall des BVerfG gegebene Kombination - des Radiologen und Internisten (BVerfGE 33, 125, 171). Ist der Kläger danach nicht durch § 31 Abs. 3 BO NR daran gehindert, beide Facharztbezeichnungen nebeneinander zu führen, so liegt es nahe, daß ihm auch eine gleichzeitige Betätigung in beiden Fachbereichen nicht verschlossen sein kann. In diese Richtung weist die Bemerkung des BVerfG, einem Arzt könne nicht die Möglichkeit abgesprochen werden, diese verwandten Fachgebiete wissenschaftlich und praktisch zu beherrschen und in einer einheitlichen Fachpraxis zu verbinden (BVerfG aaO, S. 169 f). Fraglich erscheint, ob der Arzt aus einem zusätzlichen Fachgebiet nur einzelne Verrichtungen - hier aus dem internistischen die elektrokardiographischen - für sich in Anspruch nehmen darf, ohne das weitere Fachgebiet im übrigen bearbeiten zu wollen. Einer Entscheidung zu diesen Fragen bedarf es im vorliegenden Fall indessen nicht. Der Kläger ist schon deshalb nicht berechtigt, sich überhaupt in seiner Eigenschaft als anerkannter Internist zu betätigen, weil er die entsprechende Facharztbezeichnung nicht führt.
Diese Regelung, die den Tätigkeitsbereich des Facharztes nach der von ihm geführten Fachbezeichnung bestimmt, verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Sie dient der Klarstellung, auf welchem Fachgebiet ein Arzt bereit ist zu behandeln; mit der geführten Facharztbezeichnung zeigt er der Bevölkerung - insbesondere auf dem Praxisschild - an, welche Praxis er betreibt (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 BO NR). Hieran besteht ein berechtigtes Interesse der Bevölkerung. Würden sich die geführte Facharztbezeichnung und der Tätigkeitsbereich des Arztes nicht decken, so wäre die freie Arztwahl der Patienten erschwert. Behindert wäre möglicherweise auch die Zusammenarbeit mit anderen, vor allem den praktischen Ärzten, die nicht eindeutig erkennen könnten, an welche Fachärzte zur Behandlung auf medizinischem Spezialgebiet überwiesen werden kann. Besonders wichtig sind klare, auch für den ortsfremden Patienten und Arzt offenliegende Verhältnisse bei Unfällen und anderen Eilfällen, in denen es darauf ankommen kann, einen fachmedizinisch erfahrenen, praktisch tätigen Arzt so schnell wie möglich zu erreichen. Danach entspricht die Verknüpfung von geführter Facharztbezeichnung und Tätigkeitsbereich vernünftigen Gründen des Allgemeinwohls, die es grundsätzlich rechtfertigen, die freie Berufsausübung einzuschränken (BVerfGE 33, 167; BSG 23, 97, 99 f, mit weiteren Nachweisen).
In dieses Recht greift die normierte Verknüpfung nur mit geringer Intensität ein; sie ist deshalb für die betroffenen Ärzte zumutbar. Für die Betätigung in einem Fachgebiet wird - neben der Fachqualifikation - nur eine Voraussetzung gefordert, die der Facharzt durch die Wahl der geführten Bezeichnung selbst erfüllen kann. Die Verhältnismäßigkeit des ohnehin geringen Eingriffes zum erstrebten Erfolg ist gewahrt.
Diese für die Vereinbarkeit des § 37 Abs. 1 Satz 1 BO NR mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG maßgebenden Gründe treffen unabhängig davon zu, ob ein Arzt in einem Fachgebiet oder in einer (zulässigen) Fachkombination wirken will. Somit hat der Kläger § 37 Abs. 1 BO NR für eine Tätigkeit als Internist zu beachten.
Schließlich hat das Berufungsgericht zutreffend entschieden, daß der Kläger nach einer Übergangsfrist von nahezu sieben Jahren die Vergütung von EKG-Leistungen über den 31. Dezember 1972 hinaus nicht unter dem Gesichtspunkt des Besitzstands- oder Vertrauensschutzes beanspruchen kann. Dies entspricht der im Urteil vom 28. Mai 1965 ausführlich begründeten Rechtsauffassung des Senats (BSG 23, 97, 103 ff).
Demnach war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen