Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Übergangsrecht gem §§ 212, 214 Abs 2 S 1 SGB 7. Versicherungsfall vor Inkrafttreten des SGB 7 am 1.1.1997. Neufestsetzung des JAV gem § 90 Abs 2 SGB 7. keine Vollendung des 30. Lebensjahres
Orientierungssatz
Zur Anwendbarkeit des § 90 Abs 2 SGB 7 iVm § 214 Abs 2 S 1 SGB 7 auf Versicherungsfälle, die bereits vor Inkrafttreten des SGB 7 am 1.1.1997 eingetreten sind, soweit der Versicherte die neue Altersgrenze von 30 Jahren noch nicht erreicht hatte.
Normenkette
RVO § 573 Abs. 2; SGB 7 § 90 Abs. 2; SGB 7 § 212; SGB 7 § 214 Abs. 2 S. 1; UVEG
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Juni 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere Verletztenrente ab 1.7.1991.
Der 1971 geborene Kläger erlitt im Jahre 1989 auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, die er am 1.8.1988 begonnen hatte und die am 31.7.1990 enden sollte. Der Kläger bezieht Rente aufgrund dieses Arbeitsunfalls. Sein Recht hierauf wurde ihm im Bescheid vom 5.12.1990 ab dem 1.10.1990 zuerkannt. Dessen Jahreswert wurde anfänglich mit 7798,90 DM (650 DM monatlich) festgestellt. Er ergab sich aus dem Produkt einer MdE von 50 vH und dem JAV von 23 396,69 DM.
Der JAV ergab sich aus dem zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls anzusetzenden Ausgangs-JAV von 22 680 DM (= 60 vH der Bezugsgröße von 37 800 DM), der zum 1.7.1990 im Rahmen der allgemeinen Rentenanpassung mit dem Anpassungsfaktor von 1,0316 vervielfältigt worden war. Dieser JAV wurde in der Folgezeit mehrfach gesetzlich angepasst.
Allerdings hatte sich der Abschluss der Ausbildung des Klägers aufgrund des Versicherungsfalls über den vorgesehenen 31.7.1990 hinaus verzögert. Deshalb hatte die Beklagte zuvor nach § 573 Abs 1 Satz 1 und 2 RVO auch die tariflichen und ortsüblichen Entgelte für einen Verkäufer, der am 31.7.1990 seine Berufsausbildung beendet hatte und zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt war, mit dem Ergebnis geprüft, dass diese Entgelte für den Kläger ungünstiger waren.
Mit Schreiben vom 9.10.2008 beantragte der Kläger eine Neuberechnung seiner "Rente rückwirkend ab 1991" unter Berücksichtigung des Tarifvertrages für den Einzelhandel, weil sie "bereits seit 1991" zu niedrig berechnet worden sei.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 17.10.2008 eine Überprüfung mit der Begründung ab, dass der JAV korrekt festgestellt worden sei. Eine erneute Überprüfung gemäß § 573 RVO (heute § 90 SGB VII) aufgrund einer neuen Ausbildung oder Umschulung sehe der Gesetzgeber nicht vor. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nicht beigefügt. Am 24.12.2008 wandte sich der Kläger in einem weiteren Schreiben an die Beklagte und verwies auf § 214 SGB VII. Er reichte eine Bescheinigung seines (früheren) Arbeitgebers vom 4.12.2008 über die Lohnentwicklung bei Weiterbeschäftigung nach dem Ausscheiden im Jahr 1992 sowie den Tarifvertrag für den niedersächsischen Einzelhandel von 1988/1989 ein; dieser sehe eine Steigerung nach Berufsjahren vor, die für ihn ab dem 1.7.1991 greife.
Mit Schreiben vom 28.1.2009 erklärte die Beklagte, die erstmalige Festsetzung des JAV sei mit dem Bescheid vom 5.12.1990 erfolgt. Hierin sei bereits die Überprüfung des JAV gemäß § 573 RVO enthalten. Eine erneute JAV-Überprüfung aufgrund einer erneuten Ausbildung oder Umschulung sei weder im SGB VII noch in der RVO vorgesehen. Die Übergangsvorschrift des § 214 SGB VII sei nicht anwendbar. Das SGB VII sei am 1.1.1997 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt sei der JAV bereits rechtswirksam festgestellt gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2009 wies die Beklagte einen nicht benannten Widerspruch des Klägers "gegen den Verwaltungsakt vom 17.10.2008" zurück, der sich gegen die Ablehnung der Neufestsetzung des JAV richte. Es sei 1989 bei Vollendung des 18. Lebensjahres nach § 573 Abs 2 RVO geprüft worden, ob ein höherer JAV maßgeblich geworden sei. Der einschlägige Tarifvertrag habe aber keine Erhöhung des Entgelts nach Lebensalter vorgesehen. § 90 SGB VII sei nach der Übergangsvorschrift des § 214 Abs 2 SGB VII nicht anwendbar, weil der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des SGB VII zum 1.1.1997 eingetreten und der JAV zu diesem Zeitpunkt bereits einschließlich der Überprüfung zum Ausbildungsende rechtswirksam festgestellt gewesen sei.
Das SG hat die Klagen, mit denen der Kläger eine Abänderung des Bescheides vom 5.12.1990 und eine Neuberechnung seiner Rente ab 1.1.1991 begehrt hatte, mit Gerichtsbescheid vom 26.5.2010 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass sich für eine Neufeststellung der Jahresarbeitsverdienste ab 1991 wegen der fiktiven Lohnerhöhungen im Rahmen einer Beschäftigung bei der seinerzeitigen Ausbildungsfirma weder in der zunächst maßgeblichen RVO noch in dem später geltenden SGB VII eine Anspruchsgrundlage finde.
Der Kläger hat mit seiner Berufung beantragt, den Gerichtsbescheid und den Bescheid der Beklagten vom 17.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2009 "aufzuheben" und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente unter Neufestsetzung des JAV nach Maßgabe des § 90 Abs 2 SGB VII seit dem 1.7.1991 zu gewähren.
Das LSG hat durch Urteil vom 17.6.2011 den Gerichtsbescheid des SG und den Bescheid der Beklagten vom 17.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2009 "aufgehoben" und die Beklagte "dem Grunde nach verurteilt", dem Kläger ab 1.1.2004 Verletztenrente unter Neufestsetzung des JAV "auf der Grundlage der Regelungen der §§ 90 Abs. 2, 212, 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII" zu gewähren. Es hat die Berufung "im Übrigen" zurückgewiesen. Der Kläger habe einen "Anspruch auf Neufestsetzung des JAV" ab dem 1.1.1997 nach § 90 Abs 2 SGB VII sowie "auf Gewährung von Verletztenrente" ab dem 1.1.2004. Soweit sein Berufungsbegehren auf Gewährung von Leistungen bereits ab dem 1.7.1991 gerichtet sei, sei die Berufung unbegründet. Über § 214 Abs 2 SGB VII sei hier § 90 Abs 2 SGB VII anwendbar, weil der Kläger erst nach Inkrafttreten des SGB VII in den Anwendungsbereich der neuen Altershöchstgrenze von 30 Jahren gelangt sei und der Tarifvertrag für den niedersächsischen Einzelhandel von 1988/1989 auch für Zeiten ab dem 1.1.1997 Entgelterhöhungen nach Berufsjahren vorsehe. Ob dies zu einem dem Kläger günstigeren JAV führe, müsse die Beklagte nun ermitteln. Hingegen sei eine Leistungserbringung für Zeiten vor dem 1.1.2004 ausgeschlossen, weil es einen allgemeinen Rechtsgedanken gebe, der dies entsprechend § 44 Abs 4 SGB X für Zeiten vor dem vierten Jahr vor dem Jahr der Antragstellung (hier 2008) schlechthin ausschließe.
Hiergegen wenden sich der Kläger und die Beklagte mit ihren Revisionen.
Der Kläger rügt eine Verletzung der §§ 90 Abs 2, 214 Abs 2 SGB VII, 44 SGB X. Die Rechtsansicht des LSG, dass der Neufestsetzungsanspruch auf die Zeit ab dem 1.1.2004 beschränkt sei, sei unzutreffend, weil es hier nicht darum gehe, ob der Erstbescheid aus dem Jahre 1990 rechtswidrig gewesen sei. Vielmehr habe die Beklagte die erforderliche Neufestsetzung einfach unterlassen. Der Anspruch auf eine Neufestsetzung ab dem Jahre 1991 folge ohne jede Einschränkung aus § 573 Abs 2 RVO. § 44 Abs 4 SGB X komme nicht zur Anwendung. Zum 1.7.1991 wäre die Beklagte von Amts wegen verpflichtet gewesen, den JAV neu festzusetzen. Für die Zeit ab 1.1.1997 folge der Anspruch auf Neufestsetzung aus §§ 90 Abs 2, 212, 214 Abs 2 SGB VII.
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Der Kläger beantragt, |
1. |
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachen-Bremen vom 17. Juni 2011 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. Mai 2010 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung der einen höheren Rentenwert ablehnenden Entscheidung im Bescheid vom 17. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Oktober 2009 die Festsetzung des Höchstwerts des Rechts auf Rente im Bescheid vom 5. Dezember 1990 aufzuheben, ab 1. Juli 1991 einen höheren Wert dieses Rechts unter Zugrundelegung der Angaben der Firma K. GmbH & Co. KG über Jahresarbeitsentgelte seit 1991, zumindest aber der Vergütungsgruppe III des Tarifvertrags für den niedersächsischen Einzelhandel festzusetzen, und ihm seitdem entsprechend höhere Rente zu zahlen, |
2. |
die Revision der Beklagten zurückzuweisen. |
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Die Beklagte beantragt, |
1. |
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Juni 2011 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2010 abzuweisen, |
2. |
die Revision des Klägers zurückzuweisen. |
Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII. Der Kläger habe 1989 einen Unfall erlitten und 1996 das 25. Lebensjahr vollendet. Nach dem Regelungskonzept der §§ 212 ff SGB VII habe vermieden werden sollen, dass solche vor Inkrafttreten des SGB VII bereits abgeschlossenen Versicherungsfälle erneut wieder aufgegriffen werden müssten. Die Ausnahmevorschrift des § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII komme nur zur Anwendung, wenn der JAV ab dem 1.1.1997 erstmals festzusetzen sei oder ausnahmsweise eine Neufestsetzung erforderlich werde. Ein solcher Ausnahmefall sei beim Kläger nicht erkennbar.
Entscheidungsgründe
Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten war das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob und ab welchem Zeitpunkt dem Kläger ein Anspruch auf höhere Verletztenrente aufgrund der Feststellung eines höheren JAV zustand. Zu Recht hat das LSG allerdings rechtsgutachtlich ausgeführt, dass der am 1.1.1997 in Kraft getretene § 90 Abs 2 SGB VII (über § 214 Abs 2 SGB VII) auf den Kläger Anwendung findet (hierzu unter 2.). Ebenfalls im Grundsatz zu Recht hat das LSG ausgeführt, dass ein möglicher Zahlungsanspruch lediglich für die Zeit ab dem 1.1.2004 bestand, weil der Kläger seinen Antrag erst im Jahre 2008 gestellt hatte. Dies folgt bereits aus § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 44 Abs 4 SGB X (hierzu unter 3.). Letztlich konnte der Senat aber nicht entscheiden, welcher der Beteiligten im Übrigen Recht hatte, und musste den Rechtsstreit an das Tatsachengericht zur Nachholung der tatsächlichen Feststellungen zurückgeben (vgl unter 4.).
1. Das LSG ist schon fehlerhaft und unter Verkürzung des Klägerbegehrens, das stets letztlich auf eine höhere Verletztenrente ab dem 1.7.1991 gerichtet war, davon ausgegangen, Streitgegenstand der Klagen sei nur ein Anspruch auf Neufeststellung des JAV nach § 90 Abs 2 SGB VII. Nach Bundesrecht ist aber jedenfalls seit Inkrafttreten des SGB VII eine Feststellung sowie eine Neufeststellung eines JAV ua schon mangels unmittelbarer Rechtswirkung nach außen kein mit der Anfechtungsklage anfechtbarer oder mit der Verpflichtungsklage einklagbarer Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X. Die (Neu-)Feststellung eines JAV ist jeweils nur die verwaltungsinterne Klärung eines Wertfaktors im Rahmen der Vorbereitung der Feststellung des Werts des Rechts auf Verletztenrente als solches oder eines anderen Rechts. Erst diese Wertfeststellung ist der Verwaltungsakt. § 90 SGB VII regelt nur bestimmte typisierte Fälle, in denen ein anderer JAV als der Ausgangs-JAV nachträglich materiell-rechtlich maßgeblich wird und, sofern kein anderer wertbildender Faktor sich gegenteilig geändert hat, zu einer iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X erheblichen wesentlichen rechtlichen Veränderung des Wertes des jeweiligen Rechts führt.
Der Kläger hatte am 9.10.2008 von der Beklagten begehrt, die im Bescheid vom 5.12.1990 getroffene Feststellung des Höchstwerts seines ihm in demselben Bescheid zuerkannten Rechts auf Verletztenrente ab dem 1.7.1991 wegen einer Erhöhung dieses Wertes aufgrund einer materiell-rechtlichen Änderung des JAV nach § 573 Abs 2 RVO, ab 1997 nach § 90 Abs 2 SGB VII, gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X aufzuheben. Ferner sollte die Beklagte den neuen gesetzlichen Rentenwert feststellen und entsprechend höhere Rente zahlen. Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 17.10.2008 die vom Kläger begehrte Aufhebung des am 5.12.1990 festgesetzten Höchstwerts (und damit auch die davon abhängigen weiteren Ansprüche des Klägers) jedenfalls auch mangels einer nachträglichen wesentlichen Änderung der Verhältnisse beim JAV abgelehnt, also das Nichtbestehen dieses Aufhebungsanspruchs iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X festgestellt und den diesbezüglichen Widerspruch am 27.10.2009 zurückgewiesen. Es ging also im Rechtsstreit um eine gegen diese Ablehnung einer Aufhebung bzw Änderung des ursprünglichen Verwaltungsakts vom 5.12.1990 gerichtete zulässige Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 SGG. Die gemäß § 78 SGG statthafte Anfechtungsklage war zulässig mit einer Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung dieser Höchstwertfestsetzung vom 5.12.1990 für Rentenbezugszeiten ab dem 1.7.1991 und ferner entsprechend § 54 Abs 4 SGG mit einer unechten Leistungsklage auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung höherer Verletztenrente ab dem 1.7.1991 verbunden, welche die Verpflichtungsklage auf Neufeststellung des Rentenwerts ab diesem Zeitpunkt in Gesetzeskonkurrenz konsumierte.
Der Urteilsausspruch des LSG genügte bereits nicht den bundesrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit eines Urteilsausspruchs. Das LSG hat tenoriert, die Beklagte werde "dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 2004 Verletztenrente unter Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes auf der Grundlage der Regelungen der §§ 90 Abs. 2, 212, 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zu gewähren". Damit hat es die Beklagte lediglich zur Neubescheidung verpflichtet und sie zur Durchführung ausschließlich auf abstrakte gesetzliche Vorschriften verwiesen, ohne dass Tatsachen dazu benannt worden wären, dass und ab wann sich für den Kläger ein höherer JAV als Basis einer höheren Verletztenrente ergeben hätte.
2. Das LSG hat allerdings zu Recht gleichsam "rechtsgutachtlich" ausgeführt, dass auf den Fall des Klägers § 90 Abs 2 SGB VII grundsätzlich Anwendung finden kann. Insoweit scheitert die Beklagte mit dem für sie im Vordergrund ihrer Argumentation stehenden Revisionsvorbringen, dass das LSG insofern Bundesrecht verkannt hätte. Das LSG hat vielmehr im Ergebnis richtig ausgeführt, dass § 90 Abs 2 SGB VII, wie der gesamte § 90 SGB VII, nach seinem zeitlichen Anwendungsbereich seit dem 1.1.1997, dem Inkrafttreten des SGB VII, gilt.
Nach § 90 Abs 2 Satz 1 SGB VII wird bei Versicherten, die zur Zeit des Versicherungsfalls das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wenn es für sie günstiger ist, der JAV jeweils nach dem Arbeitsentgelt neu festgesetzt, das zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit bei Erreichung eines bestimmten Berufsjahres oder bei Vollendung eines bestimmten Lebensjahres durch Tarifvertrag vorgesehen ist. Der im Jahre 1971 geborene Kläger hatte zur Zeit des Inkrafttretens des SGB VII am 1.1.1997 zwar das 25. Lebensjahr (§ 573 Abs 2 RVO), nicht jedoch das 30. Lebensjahr vollendet (§ 90 Abs 2 SGB VII). Zu Recht hat das LSG aus den Regelungen des Übergangsrechts gemäß §§ 212 ff SGB VII abgeleitet, dass § 90 Abs 2 SGB VII auf den Fall des Klägers Anwendung findet. Nach § 212 SGB VII gelten die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels des SGB VII für Versicherungsfälle, die nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit nicht in den nachfolgenden Vorschriften etwas anderes bestimmt ist. Eine solche abweichende Regelung enthält § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII, nach dem die Vorschriften über den JAV auch für die Versicherungsfälle gelten, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind, wenn der JAV nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals oder aufgrund des § 90 SGB VII neu festgesetzt wird. Das BSG hat bereits entschieden (Urteil vom 4.6.2002 - B 2 U 28/01 R - SozR 3-2700 § 214 Nr 2), dass § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII jedenfalls nicht zu einer Anwendung des § 90 Abs 2 SGB VII in den "Altfällen" führt, bei denen die Sachverhalte neuer, durch die Vorschrift erst geschaffener Voraussetzungen für eine Erhöhung des JAV bereits vor dem 1.1.1997 eingetreten waren. Dies war in dem vom BSG seinerzeit entschiedenen Sachverhalt der Fall, denn der dortige Kläger hatte das 30. Lebensjahr bereits im Jahre 1994 vollendet gehabt. Bei einer Vollendung des 30. Lebensjahres nach Inkrafttreten des SGB VII tritt die tatsächliche Gegebenheit, an die die Norm des § 90 Abs 2 SGB VII eine Rechtsfolge knüpft, aber erst zu einem Zeitpunkt ein, zu dem das neue Recht bereits in Kraft getreten ist. Zudem spricht § 214 Abs 2 Satz 1 am Ende SGB VII ausdrücklich von einer Neufestsetzung nach § 90 SGB VII, so dass schon der Wortlaut der Vorschrift die Anwendbarkeit der Norm auf Versicherungsfälle verdeutlicht, die vor dem 1.1.1997 nach altem Recht eingetreten sind, auch wenn der JAV für ein damals entstandenes Recht auf Leistungen schon festgestellt worden war. Die Anwendung des § 90 Abs 2 SGB VII auf solche "Altfälle" setzt aber voraus, dass dessen Tatbestand in vollem Umfang erst nach dem 31.12.1996 erfüllt wurde. Daher ist ggf der Wert eines Rechts auf eine Geldleistung, der nach einem gemäß § 573 Abs 2 RVO maßgeblichen JAV festgesetzt worden war, auch bei am 1.1.1997 bereits 25-Jährigen, aufgrund eines nach neuem Recht ab dem 1.1.1997 maßgeblich gewordenen JAV erneut festzusetzen. Andernfalls wäre - und dies hat das BSG in seinem Urteil vom 4.6.2002 (aaO, RdNr 26) gemeint - § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII widersprüchlich, weil er seine Anwendbarkeit und zugleich seine Unanwendbarkeit anordnen würde. Auch die von der Beklagten angeführten verwaltungspraktischen Konsequenzen erfordern keine andere Auslegung dieser Übergangsvorschrift. Sie greifen bei Erstfeststellung nach dem 31.12.1996 ohnehin nicht. Bei der Anwendung des § 90 Abs 2 SGB VII auf Fallgestaltungen wie die Vorliegende ist nach Maßgabe des § 48 SGB X auf Antrag oder bei amtlicher Kenntnis von Umständen, die eine wesentliche Änderung des JAV als möglich erscheinen lassen, von Amts wegen ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, ob die bisherige Festsetzung des Werts des Leistungsrechts wegen eines neu maßgeblich gewordenen JAV aufzuheben und der Wert neu festzustellen ist. Damit ist ggf lediglich der nach § 573 Abs 2 RVO maßgeblich gewesene JAV jener verunfallten Versicherten zu überprüfen, die vor Inkrafttreten des SGB VII das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, was eine überschaubare Anzahl von Fällen darstellen dürfte. Mithin war auf den im Jahre 1971 geborenen Kläger der neue § 90 Abs 2 SGB VII ab 1.1.1997 anwendbar, weil er zu diesem Zeitpunkt die neue Altersgrenze von 30 Jahren nicht erreicht hatte. Ob deshalb ein höherer JAV für den Rentenwert materiell-rechtlich maßgeblich geworden ist, hängt davon ab, ob nach dem 31.12.1996 der Tatbestand dieser Vorschrift erfüllt wurde. Dazu fehlen Tatsachenfeststellungen.
3. Weiterhin hat das LSG im Ergebnis richtig gesehen, dass die unechte Leistungsklage (sofern über sie in der Sache nach einem Erfolg der Anfechtungs- und der Verpflichtungsklage zu entscheiden wäre) des Klägers höchstens für Rentenbezugszeiten ab dem 1.1.2004 zu höheren Rentenzahlungen führen kann. Dies folgt aber nicht aus dem vom LSG behaupteten, rechtlich fragwürdigen richterrechtlichen "allgemeinen Rechtsgedanken des § 44 Abs 4 SGB X" (so das LSG unter Hinweis auf etwa BSG vom 9.9.1986 - 11a RA 28/85 - RdNr 13), der als bloßes Richterrecht gemäß dem Vorrang des Gesetzes aus Art 20 Abs 3 GG Regelungen nicht verdrängen kann, die der Deutsche Bundestag selbst in seinen Gesetzen ausgesprochen hat. Das Ergebnis der Rechtsbetrachtungen des LSG war aber schon deshalb richtig, weil das Gesetz selbst, begrenzt auf den Anwendungsbereich des § 48 Abs 1 SGB X, die entsprechende Geltung des § 44 Abs 4 SGB X angeordnet hat. Sollte nämlich der auf § 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB X gestützte Aufhebungsanspruch Erfolg haben und wäre ein höherer Rentenwert schon für Zeiten vor dem 1.1.2004 entstanden, so wäre die höhere Rente gemäß § 48 Abs 4 Satz 1 Regelung 2 SGB X entsprechend § 44 Abs 4 SGB X höchstens für vier Jahre vor dem Jahr der 2008 erfolgten Antragstellung zu zahlen.
4. Ob nach dem Bescheid vom 5.12.1990 und vor oder nach dem 1.7.1991 ein für den Rentenwert des Klägers günstigerer JAV bis Ende 1996 nach § 573 Abs 2 RVO oder seit dem 1.1.1997 nach § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII iVm § 90 Abs 2 SGB VII materiell-rechtlich maßgeblich geworden ist, kann aufgrund der Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. War der Verletzte - wie hier der Kläger - zur Zeit des Arbeitsunfalls noch nicht 25 Jahre alt, so wurde nach § 573 Abs 2 RVO der JAV dem Arbeitsentgelt angepasst, das zur Zeit seines Arbeitsunfalls von der Vollendung eines bestimmten Lebensalters ab, höchstens aber des 25. Lebensjahres, für Personen mit gleichartiger Tätigkeit durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich ist, wenn es für den Berechtigten günstiger ist. Der Kläger meint, dass nach § 573 Abs 2 RVO bereits ab 1.7.1991 ein höherer als der am 5.12.1990 festgestellte JAV rechtlich maßgeblich geworden sei und zu einem höheren Rentenwert geführt habe. Mithin sei bereits zu diesem Zeitpunkt (ggf) eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB X gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt vom 5.12.1990 eingetreten. Hierzu liegen keine Feststellungen des LSG vor.
Gleiches gilt für die Voraussetzungen des § 90 Abs 2 SGB VII (30-Jahres-Grenze) seit dem 1.1.1997. Dieser setzt ua voraus, dass die Festsetzung des JAV für den Versicherten zum jeweils maßgebenden Zeitpunkt "günstiger" ist. Ob dies hier der Fall ist, kann der Senat aufgrund der fehlenden tatsächlichen Feststellungen ebenfalls nicht beurteilen.
Hinzu kommt, dass der Kläger möglicherweise erstens einen Rechtsanspruch auf höhere Verletztenrente wegen eines zum oder nach dem 1.7.1991 gemäß § 573 Abs 2 RVO maßgeblich gewordenen JAV hatte. Zweitens könnte der Wert des Rechts auf Rente seit dem 1.1.1997 noch höher geworden sein, wenn seither die Voraussetzungen des § 90 Abs 2 SGB VII erfüllt wurden und danach ein noch günstigerer JAV maßgeblich wurde.
Daher ist der Tenor der Entscheidung des LSG - ungeachtet seiner Nichtvollstreckbarkeit - auch insofern unzutreffend, als es die Beklagte verurteilt hat, den JAV ab 1.1.2004 nach den §§ 90 Abs 2 iVm § 214 Abs 2 SGB VII neu festzusetzen. Wäre ein anderer JAV nach § 573 Abs 2 RVO zwischen 1991 und 1996 (Vollendung des 25. Lebensjahres) derjenige, der zu einem Anspruch des Klägers auf höchstmögliche Verletztenrente führt, so würde die vom LSG ausgesprochene abstrakte Verpflichtung der Beklagten zur Neuermittlung des JAV ausschließlich nach § 90 Abs 2 SGB VII (iVm § 214 Abs 2 SGB VII) dem materiellen Begehren des Klägers sogar widersprechen.
Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 3572191 |
SGb 2012, 652 |