Leitsatz (amtlich)
Ein Versicherter, der sich bei Ausbruch des 1. Weltkrieges auf einem deutschen Handelsschiff außerhalb deutscher Gewässer befand, leistete kriegsähnlichen Dienst iS des AusbauG RV § 119, wenn das mit ziviler Besatzung unter der Handelsflagge fahrende Schiff - gleichviel auf wessen Veranlassung - als Troß- oder Hilfsschiff im Verband mit deutschen Kriegsschiffen operierte.
Geriet der Versicherte infolge Versenkung seines Schiffes in feindliche Gefangenschaft, so handelt es sich dabei selbst dann um "Kriegsgefangenschaft" iS des DV AusbauG § 2 Abs 2, wenn die Gefangenhaltung des Versicherten in einem Zivilinternierungslager durchgeführt wurde.
Normenkette
RVAusbauG § 119; RVAusbauGDV § 2 Abs. 2
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vim 11. Juni 1959 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der während des Berufungsverfahrens verstorbene Ehemann der Klägerin erhielt seit 1955 von der Beklagten die Invalidenrente; die Klägerin als Rechtsnachfolgerin begehrt eine Erhöhung dieser Rente; die Beklagte müsse für die Zeit vom 11. August 1914 bis zum 31. März 1919 noch Steigerungsbeträge nach Klasse II anrechnen.
Die Beklagte hatte diese Anrechnung unterlassen, Weil der Ehemann der Klägerin in seinem ursprünglichen Antrag angegeben hatte, er sei während jener Zeit in England zivilinterniert gewesen. Dem Rechtsstreit liegt nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Ehemann der Klägerin war bei Ausbruch des ersten Weltkrieges Maschinist auf dem Dampfer "B... der H.... Dieser befand sich damals mit Bunkerkohlen beladen in P... in Brasilien, lief von dort auf eine von dem Kreuzer "D..." erhaltene Anweisung am 11. August 1914 aus und traf sich mit diesem am 12. August 1914 auf hoher See. Seitdem folgte die "B..." unbewaffnet und unter der Handelsflagge zunächst der "D..." und dann dem Geschwader des Admirals Graf S.... Im Verlauf der Schlacht bei den Falkland-Inseln wurde sie am 8. Dezember 1914 versenkt. Der Versicherte geriet mit Soldaten der Kriegsmarine in englische Gefangenschaft; nach seiner Ankunft in England wurde er - ebenso wie die übrige Mannschaft der "B..." - von den Soldaten getrennt und bis Ende März 1919 in "Zivilinternierung gefangen gehalten".
Die Klage des Versicherten vor dem Sozialgericht (SG) Berlin wurde abgewiesen; der Dienst auf der "B..." sei kein Kriegsdienst gewesen; die Zeit der Gefangensetzung könne daher auch nicht als Kriegsgefangenschaft angesehen werden.
Im Berufungsverfahren hat das LSG Berlin demgegenüber die Beklagte zur Hinzurechnung der begehrten Steigerungsbeträge verurteilt.
Es ist der Ansicht, daß der Ehemann der Klägerin als Maschinist auf der "B..." zwar in der Zeit vom 11. August bis zum 8. Dezember 1914 nicht Kriegsdienst, aber kriegsähnlichen Dienst im Sinne des § 119 des Ausbaugesetzes geleistet habe, da es sich dabei um Dienste bei besonderem kriegsmäßigen Einsatz gehandelt habe. Das LSG schloß sich auch hinsichtlich der Verhältnisse im ersten Weltkrieg der Ansicht des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung an, der Zeiten der Beschäftigung von Seeleuten auf deutschen Handelsschiffen während des zweiten Weltkrieges unter der Voraussetzung als kriegsähnlichen Dienst bezeichnet, daß die Schiffe der Verfügungsgewalt der Reedereien entzogen gewesen seien und den Befehlen deutscher militärischer Dienststellen Folge zu leisten gehabt hätten (BMA, 30.4.1953, BABl 1953, 303). Wesentlich sei allein der tatsächliche Einsatz für militärische Zwecke auf Grund von Befehlen militärischer Dienststellen, unerheblich dagegen, ob eine förmliche Beschlagnahme der Schiffe erfolgt sei. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall gegeben, wie besonders auch durch die dem Buch "Der Kreuzerkrieg in den ausländischen Gewässern" (bearbeitet von Raeder, Verlag E.S. Mittler & Sohn) zugrunde liegenden amtlichen Berichte und die eingeholten Sachverständigengutachten des Bundesministers für Verteidigung bestätigt werde. Es lasse sich zwar nicht ermitteln, auf welche Weise die "B..." Kenntnis von dem Aufenthalt der "D..." erlangt habe, fest stehe aber, daß sie am 12. August 1914 die "D..." getroffen habe und von diesem Zeitpunkt an zunächst von der "D..." und später vom Geschwader des Grafen S... laufend in Anspruch genommen worden sei.
Für die Annahme, daß dieser Einsatz der "B..." als Troßschiff zwischen den zuständigen militärischen Stellen und der Reederei des Schiffes vertraglich vereinbart worden sei, gebe es keinen Anhaltspunkt. Selbst wenn sich die "B..." freiwillig bei der "D..." gemeldet hätte, sei sie der Verfügungsgewalt der Reederei entzogen gewesen und in einen militärischen Verband zur Unterstützung der Kriegsmarine eingegliedert worden. Damit habe aber auch die Besatzung des Schiffes nicht mehr der Reederei, sondern der militärischen Befehlsgewalt der Kriegsmarine unterstanden. Für die Zeit vom 11. August bis zum 8. Dezember 1914 habe der Kläger hiernach kriegsähnlichen Dienst geleistet.
Für die nachfolgende Zeit der Internierung lägen danach die Voraussetzungen der Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 der Verordnung vom 1. September 1938 vor, denn mit der Eingliederung der "Baden" in die Troßschiffe des Geschwaders sei die Voraussetzung der Eingliederung in einen organisierten kriegführenden Verband erfüllt. Die Bezeichnung als Zivilinternierung sei demgegenüber ebenso wie die Trennung der Besatzung der "B..." von den Soldaten der Kriegsmarine unbeachtlich.
Gegen das der Beklagten am 6. August 1959 zugestellte Urteil des LSG vom 11. Juni 1959 hat die Beklagte unter Antragstellung am 27. August 1959 die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und sie am 24. September 1959 begründet. Die Maschinistentätigkeit des Ehemannes der Klägerin auf der "B..." sei kein kriegsähnlicher Dienst gewesen. Die Gutachten des Bundesministers für Verteidigung seien in einigen Punkten unrichtig. Die Besatzung der "B..." habe Kaperei getrieben, da sie - obwohl nicht der Kriegsmarine angehörend und unter der Handelsflagge fahrend - an Kriegshandlungen teilgenommen habe. Damit, daß Kaperei verboten gewesen sei, könne eine gegenteilige Auffassung nicht gestützt werden. Aus dem Fehlen von Vorschriften über den Status von Troßschiffen mit ziviler Besatzung könne nicht geschlossen werden, daß derartige Schiffe kriegsmäßige Bedeutung gehabt hätten. Das Gutachten des Bundesministers für Verteidigung sei neben anderen Punkten insofern widersprüchlich, als es einmal die Beteiligung von Troßschiffen am Krieg gegen feindliche Handelsschiffe verneine, zum anderen aber, um den Vorwurf der Kaperei auszuschalten, einen engen Zusammenschluß von Troß- und Kriegsschiffen zu einem militärischen Verband annehme.
Die Annahme des angefochtenen Urteils, nichts spreche dafür, daß sich die "B..." bei der "D..." freiwillig gemeldet habe, überschreite die Grenzen der dem LSG zustehenden Beweiswürdigung. Aus den Ausführungen des erwähnten Werks ergebe sich vielmehr, daß sich die "B..." selbst auf dem Funkwege als Hilfsschiff angeboten habe. Dann jedoch müsse verneint werden, daß kriegsähnlicher Dienst vorliege, weil die rechtlichen Beziehungen zwischen Staatsgewalt und Reederei bei Ausbruch des ersten Weltkriegs nicht mit denjenigen des zweiten Weltkriegs, in dem die Regierung diktatorische Macht gehabt habe, vergleichbar seien. Die Auffassung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung finde jedoch nur in den letztgenannten Verhältnissen eine Stütze.
Für die Annahme kriegsähnlichen Dienstes fehle es weiter an dem im Schrifttum (Dersch, Verbandskommentar) geforderten, auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhenden Abhängigkeitsverhältnis des Ehemannes der Klägerin von einer Militärbehörde. Die "B..." sei während ihrer Verwendung als Troßschiff nicht in den Rechtsstand eines Kriegsschiffes gesetzt worden; ihr Kapitän sei stets mit der nur in der Handelsschiffahrt vorkommenden Benennung "Kapitän" bezeichnet worden.
Auch die eigenen Angaben des Versicherten über seine Zivilinternierung und die gesamten äußeren Umstände sprächen für eine Fortdauer des Beschäftigungsverhältnisses mit der Reederei; weiter stütze die Entscheidung des BSG vom 20. November 1959 (SozR § 1268 RVO aF Aa 1 Nr. 2) die Auffassung der Beklagten.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und trägt weiter vor: Die "B..." habe keine Kaperei getrieben; sie habe die Kriegsschiffe mit Kohlen versorgt, aber keine feindlichen Schiffe aufgebracht; sie sei jedoch als Troßschiff eingesetzt worden, womit die Besatzung militärischen Dienst geleistet habe. An diesem Ergebnis ändere sich nichts, auch wenn die "B..." sich freiwillig angeboten hätte, da mit dem Eintritt in den Troßverband ein militärähnliches Dienstverhältnis auf alle Fälle gegeben gewesen sei. Die Heimatreederei habe unter diesen Umständen keinen Einfluß auf das Schicksal der "B..." gehabt.
Es käme auch nicht darauf an, ob bei dem Ehemann der Klägerin eine öffentlich-rechtliche Grundlage für ein soldatenähnliches Abhängigkeitsverhältnis bestanden habe; entscheidend sei vielmehr allein, daß die "B..." durch militärische, operativ bedingte Einsatzverhältnisse einer Gefechtseinheit unterstellt gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, sie ist vom LSG zugelassen und daher statthaft.
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Der Rechtsstreit wird zwar um die Höhe einer Rente für bereits abgelaufene Zeiträume geführt. Die durch den Tod des Ehemannes der Klägerin während des Berufungsverfahrens eingetretene Beschränkung des Rentenanspruchs hatte jedoch keinen Einfluß auf die Zulässigkeit der Berufung, da für die Beurteilung, ob diese einen unbeschränkten Rentenanspruch betrifft, der Zeitpunkt ihrer Einlegung entscheidend ist, während spätere Veränderungen des Beschwerdegegenstandes - soweit sie nicht auf einer willkürlichen Beschränkung durch den Rechtsmittelkläger beruhen- außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BSG SozR § 146 SGG Da 3 Nr. 6 mit weiteren Nachweisen).
Dem Ehemann der Klägerin, dessen Versicherung vor dem 11. August 1914 bereits bestanden hatte, standen nach § 119 des Ausbaugesetzes vom 21. Dezember 1937 (RGBl I 1393 in Verbindung mit §§ 1 und 2 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung vom 1. September 1938 (RGBl I 1142) Steigerungsbeträge nach Klasse II für die Zeit vom 11. August 1914 bis zum 31. März 1919 zu, wenn einmal seine Tätigkeit als Maschinist auf dem Dampfer "Baden" vom 11. August 1914 bis zum 8. Dezember 1914 kriegsdienstähnlicher Dienst gewesen ist und zum anderen die sog. "Internierung" vom 9. Dezember 1914 bis zum 31. März 1919 eine unverschuldete Kriegsgefangenschaft dargestellt hat.
Der Senat hat beide Merkmale für gegeben erachtet.
Mit ihren häufigen Hinweisen auf angebliche Unrichtigkeiten, Fehlschlüsse und Mißverständnisse in den Gutachten des Bundesministers für Verteidigung wendet sich die Beklagte im allgemeinen nur gegen die mit den Ausführungen der Gutachten großenteils im Ergebnis übereinstimmenden rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts, nicht aber gegen seine Tatsachenfeststellung, wie sich auch daraus ergibt, daß beide Gutachten im wesentlichen Rechtsfragen und nicht tatsächliche Fragen behandeln. Dafür, daß die Revision mit jenen Hinweisen die Unzulänglichkeit der Gutachten behaupten und vortragen will, das Gericht hätte sich auf diese Gutachten überhaupt nicht stützen dürfen, deshalb sei die Tatsachenfeststellung insgesamt fehlerhaft, liegen keine Anhaltspunkte vor.
Etwas anderes gilt nur, soweit das LSG sich außerstande gesehen hat, eine freiwillige Meldung der "B..." bei der "Dresden" festzustellen. Insoweit greift die Beklagte die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit dem Vorwurf eines Verfahrensmangels (§ 128 SGG) an, indem sie ausführt, daß auf Grund des Buches von Raeder entgegen der Ansicht des LSG, daß nichts für ein freiwilliges Anerbieten spreche, sehr wohl angenommen werden könne, daß die "B..." sich selbst dem Kreuzer zur Verfügung gestellt habe. Mit dieser genügend substantiierten Rüge wirft die Beklagte dem Berufungsgericht einen Verstoß gegen Denkgesetze vor, indem sie auf die ihrer Ansicht nach näherliegende Möglichkeit eines anderen logischen Schlusses hinweist. Diese Rüge ist jedoch nicht begründet. Es mag zutreffen, daß der vom Vorderrichter aus der Schilderung jenes Buches gezogene Schluß nicht der einzig mögliche ist, es mag auch eine andere Schlußfolgerung unter Umständen näher gelegen haben. Im übrigen würde diese Rüge schon um deswillen unbeachtlich sein, weil es, wie später dargelegt wird, auf die Frage der Freiwilligkeit der Meldung der "B..." für die Entscheidung nicht ankommt. In der Zeit vom 11. August 1914 bis zum 8. Dezember 1914 hat der Ehemann der Klägerin kriegsähnlichen Dienst geleistet. Als kriegsähnlicher Dienst kommen alle Dienstleistungen bei besonderem kriegsmäßig bedingten Einsatz in Betracht, wobei aber nicht schon jeder militärähnliche Dienst im Sinne des § 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) diesen Voraussetzungen entspricht, da der Begriff des kriegsähnlichen Dienstes (vgl. BSG SozR § 1263 aF Aa 9 Nr. 8) enger als derjenige des militärähnlichen Dienstes ist. Voraussetzung ist, daß besondere kriegseigentümliche Verhältnisse die Situation, in der jene Dienste geleistet wurden, geprägt haben. Die Einsatztätigkeit muß sich wie bei dem Kriegsdienst unter anomalen, durch die Kriegszeit bedingten Umständen abgespielt haben. Daß allerdings - wie die Beklagte unter Berufung auf Dersch (vgl. Komm. zum AVG, 1926, Anm. 4 d zu § 382) meint dabei nur solche Tätigkeiten in Betracht kommen, die zu Zwecken des Krieges in einem soldatenähnlichen, auf öffentlichrechtlicher Grundlage beruhenden Abhängigkeitsverhältnis zur Militärbehörde geleistet sind, ist nicht richtig. Zwar werden bei Vorliegen kriegsähnlicher Dienste meist die oben geforderten Tatbestandsmerkmale gegeben sein, doch engt die Forderung nach einem auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhenden Abhängigkeitsverhältnis jenen Begriff zu sehr ein, als daß sie generell aufrechterhalten werden könnte. In der neueren Literatur und Rechtsprechung findet sich jene ältere Definition auch nicht mehr (vgl. Koch/Hartmann/v.Altrock/Fürst, AVG, 2. Aufl., Anm. 3 zu § 31). Selbst Dersch begnügt sich neuerdings (Grundriß der gesetzlichen Rentenversicherung 1952 S. 135) mit einem besonderen kriegsmäßigen Einsatz unter gewisser Angliederung an die kriegführenden Verbände. Der Begriff des kriegsdienstähnlichen Dienstes schillert bei der Vielzahl der ihm innewohnenden Möglichkeiten; man muß deshalb aus den Verhältnissen des Einzelfalles heraus beurteilen, ob die Begriffsmerkmale gegeben sind.
Im vorliegenden Fall ist bedeutsam, daß das Handelsschiff "B...", das als Kauffahrteischiff der Hamburg-Amerika-Linie unterwegs war, nach Ausbruch des ersten Weltkriegs durch die Bestimmung zum Troßschiff zunächst der "D..." und später des Geschwaders des Admirals Grafen S... zu Aufgaben eingesetzt war, die mit seiner ursprünglichen Zweckbestimmung nichts mehr gemein hatten, die ausschließlich durch die Kriegsumstände bedingt waren und nur Zwecken der unmittelbaren Kriegsführung dienten. Zwar fuhr der Dampfer weiterhin unter seiner zivilen Besatzung und unter der Flagge der Handelsmarine, sein Einsatz war jedoch wesensverschieden von seinen früheren Unternehmungen und Aufgaben, weil er nicht mehr für seine Reederei Transporte durchführte, sondern in einem Verband von Kriegs- und Troßschiffen für die Versorgung der kriegführenden Kreuzer und Hilfskreuzer aufzukommen hatte. Mit der Inanspruchnahme für diese Aufgaben mußte die Reederei zwangsläufig jede Verfügungsgewalt über ihr Schiff verlieren, so daß mit dem LSG davon auszugehen ist, daß es von diesem Zeitpunkt an ausschließlich den Weisungen der Militärbehörde unterstand. Anzunehmen, die Reederei habe weiterhin Einfluß auf das Schicksal der "B..." gehabt, ist auch für die Verhältnisse zur Zeit des Ausbruchs des ersten Weltkriegs abwegig. Somit spielte sich der Einsatz des Schiffes und damit die Tätigkeit seiner Besatzung nicht nur unter typisch kriegseigentümlichen Verhältnissen ab, sondern war sogar als Einsatz zu Zwecken der Kriegsführung anzusehen.
Es kann nicht darauf ankommen, ob sich die "B..." freiwillig zur Versorgung der "D..." angeboten oder auf Befehl ihrer Reederei oder auf Anweisung der Kriegsmarine gehandelt hat.
Grundsätzlich ist bei der Frage, ob kriegsdienstähnliche Dienste geleistet worden sind, allein entscheidend, unter welchen Verhältnissen sich diese Dienstleistung abgespielt hat, nicht aber, wie es zu ihr gekommen ist. Für Fälle wie den vorliegenden, in denen das Arbeitsverhältnis zwischen dem Versicherten und seiner Reederei zwar nicht ausdrücklich gelöst wurde, in denen aber diese privatrechtliche Bindung durch den Übergang der Befehlsgewalt auf eine militärische Stelle praktisch "bedeutungslos geworden war, ist es gleichgültig, worauf diese Umgestaltung beruht, weil in jedem Fall ein kriegsmäßig bedingter, nicht mehr als ordnungsgemäßes Arbeitsverhältnis anzusprechender Einsatz vorliegt. Seit dieser Zeit konnten sich die Rechte und Pflichten der Besatzungsmitglieder nicht mehr nach dem eingegangenen Arbeitsvertrag richten, sondern wurden einzig durch die durch den Seekrieg und die Angliederung der Troßschiffe an die kriegführenden Seestreitkräfte bedingten Umstände bestimmt.
Für die kriegsdienstähnlichen Dienste, die der Versicherte geleistet hat, spricht weiter der kriegseigentümliche Gefahrenbereich, in dem sich der Einsatz vollzog. Durch die notwendige räumliche Nähe zu den Kreuzern manövrierte die "Baden" ständig in einer Zone, in der unmittelbar Krieg geführt wurde. Der Umstand, daß das Schiff schließlich im Rahmen kriegerischer Vorgänge von englischen Kriegsschiffen versenkt worden ist, spricht gleichfalls für einen kriegsmäßig bedingten Einsatz seiner Besatzung.
Ein kriegsdienstähnlicher Dienst entfällt auch nicht etwa deshalb, weil die "..." verbotene Kaperei getrieben hätte. Die Beklagte verkennt den Begriff der Kaperei, wenn sie den Einsatz als Troßschiff oder als Hilfsschiff als eine solche ansieht. Kaperei bedeutet das Aufbringen von feindlichen Handelsschiffen durch dazu von der Regierung besonders ermächtigte Privatschiffe, also eine eigentümliche Art besonderer Kriegführung. Dagegen erfüllt die Teilnahme an Kriegshandlungen durch mit ziviler Besatzung und unter der Handelsflagge fahrende Handelsschiffe, insbesondere eine Teilnahme am Seekrieg, die in der Versorgung von Kriegsschiffen bestanden hat, nicht den Tatbestand der Kaperei. Im übrigen würde das Vorliegen echter, auch verbotener Kaperei entgegen der Ansicht der Beklagten sogar für die Ableistung von Kriegsdiensten selbst sprechen.
Wenn mithin der Ehemann der Klägerin in der Zeit bis zum. 8. Dezember 1914 kriegsdienstähnlichen Dienst im Sinne des § 119 des Ausbaugesetzes geleistet hat, verbleibt schließlich die Frage, ob die sich daran anschließende Gefangenschaft als Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zum Ausbaugesetz anzusehen ist.
Wie das BSG (Urteil vom 20. November 1959, SozR § 1268 RVO aF Aa 1 Nr. 2; vgl. auch das dort erwähnte Schrifttum) klargestellt hat, ist auch für Zeiten des ersten Weltkriegs zwischen Internierung und Kriegsgefangenschaft zu unterscheiden. Die Anerkennung als Kriegsgefangenschaft erfordert danach zuvor die Eingliederung in einen organisierten kriegführenden Verband. Auch wenn der Ehemann der Klägerin während seiner Tätigkeit als Maschinist nicht zum Dienst bei der Kriegsmarine einberufen, sondern nur tatsächlich für deren Zwecke bei der Kriegführung eingesetzt war, ist doch seine Eingliederung in einen kriegführenden Verband mit dem LSG zu bejahen, weil die Besatzung der "Baden" bei der Inanspruchnahme des Schiffes als Troßschiff des Kreuzergeschwaders ausschließlich für dieses eingesetzt war, als Versorgungsdampfer sein notwendiger Bestandteil gewesen ist und ebenso wie die Kriegsschiffe ausschließlich dem Kommando des Admirals unterstand. Sie operierte praktisch als Teil des Geschwaders, wenn sie auch rechtlich ein Handelsschiff mit ziviler Besatzung geblieben war. Darauf kommt es jedoch nicht an, weil das Geschwader nur mit den zu ihm gehörenden Troß- und Hilfsschiffen überhaupt als aktionsfähige Einheit und damit als kriegführender Verband angesprochen werden kann.
Den äußeren Umständen der Gefangensetzung und Gefangenschaft ist keine wesentliche Bedeutung beizumessen. Falls vor der Gefangensetzung eine Eingliederung in einen kriegführenden Verband erfolgt war, muß vielmehr grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Behandlung durch die Gewahrsamsmacht der Versicherte als Kriegsgefangener anerkannt werden.
Hiermit stimmt auch die Bestimmung des Begriffs "Kriegsgefangener" in der neueren Gesetzgebung und in deren Auslegung in Rechtsprechung und Schrifttum überein (§ 1 Abs. 1 HKS, dazu BVerwG Urteil vom 8. Juli 1957 - NJW 1957 S. 1451 und Urteil vom 13. November 1957 - NJW 1958 S. 275; Noack NJW 1957 S. 367; Kupfer NJW 1959 S. 1352; - § 2 des "Gesetzes über die Unterhaltshilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen" i.d.F. vom 30. April 1952 (BGBl I S. 262) und besonders § 2 des "Gesetzes über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener" i.d.F. vom 8. Dezember 1956 (BGBl I S. 908)).
Wenn diese Gesetze an sich auch nur die Folgen, insbesondere die Entschädigung bei einer im zweiten Weltkrieg erlittenen Kriegsgefangenschaft regeln, so entspricht der in ihnen expressis verbis geprägte Begriff des Kriegsgefangenen doch so deutlich der bereits vorher allgemein - und gerade auch im zwischenstaatlichen Recht - anerkannten Auffassung, daß keine Bedenken bestehen, ihn auch hier zur Auslegung zu verwenden.
Da keine Schuld des Ehemannes der Klägerin an seiner Gefangennahme vorliegt, entfällt auch § 2 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zum Ausbaugesetz.
Der Rente des Ehemannes der Klägerin sind daher für die gesamte Zeit Steigerungsbeträge der Klasse II hinzuzurechnen.
Die Revision der Beklagten war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2308668 |
BSGE, 147 |