Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Wirkung eines durch BeitragsnachentrichtungsV vom 1930-10-04 § 8 Abs 1 angeordneten Aufschubs der Nachentrichtung von Beiträgen für eine wegen Heirat aus einer versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschiedenen Frau.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Gleichberechtigungsgrundsatz des GG Art 3 Abs 2 gilt nicht mit rückwirkender Kraft für solche Zeiten vor seinem Inkrafttreten, in denen verheiratete Frauen in Fragen der Nachversicherung schlechter standen als Männer.
2. Die nachteiligen Folgen der Regelung in der BeitragsnachentrichtungsV § 8 vom 1930-10-04 können, obwohl diese durch AnVNG Art 3 §§ 2 , 7 in Fortfall gekommen sind, hierdurch dennoch nicht als beseitigt angesehen werden, da das GG auf sozialversicherungsrechtlichem Gebiet keine rückwirkende Kraft hat und auch keine Sachverhalte neu regelt, die schon vor seinem Inkrafttreten abgeschlossen waren.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 2 Fassung: 1949-05-23; DBG § 141 Abs. 2 Fassung: 1937-01-26; BeitrNachentrV § 8 Abs. 1 Fassung: 1930-10-04; AnVNG Art. 3 § 2 Fassung: 1957-02-23, § 7 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 3 § 2 Fassung: 1957-02-23, § 8 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten und des Beigeladenen wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Juni 1971 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24. Juli 1970 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die 1901 geborene Klägerin war vom 1. September 1920 bis 31. März 1930 als beamtete Lehrerin in Bayern tätig gewesen. Infolge ihrer Heirat schied sie ohne Abfindung aus ihrem Beamtenverhältnis aus. Eine Nachversicherung unterblieb gemäß § 8 der Verordnung (VO) über die Nachentrichtung von Beiträgen für versicherungsfreie Personen vom 4. Oktober 1930 (RGBl I 459 = AN 1930, 432 ). Danach wurde die Nachentrichtung von Beiträgen aufgeschoben, wenn eine aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausscheidende Frau sich verheiratet und wenn ihr Ehemann gemäß § 1234 allein oder i. V. mit § 1242 der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder gemäß § 11 allein oder i. V. mit § 17 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) versicherungsfrei ist (Abs. 1); die Beiträge waren nachzuentrichten, wenn die Ehe gelöst wurde, ohne daß der Ehefrau eine dem § 1242 a Abs. 1 RVO oder dem § 18 Abs. 1 AVG entsprechende Leistung gewährt wurde (Abs. 2).
Die Klägerin, die während und nach dem letzten Kriege erneut als Lehrerin tätig war und nach wie vor verheiratet ist, bezieht seit dem 1. Dezember 1964 von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ende 1968 beantragte sie die Durchführung der Nachversicherung für die Zeiten vom 1. September 1920 bis 31. März 1930 und vom 30. Juni 1943 bis 30. September 1944. Diese Anträge lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 17. Februar 1969 und Widerspruchsbescheid vom 14. April 1969 ab.
Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos - Urteil des Sozialgerichts (SG) München vom 24. Juli 1970 -. In der Berufungsinstanz begehrte die Klägerin zuletzt nur noch die Nachversicherung für die Zeit vom 1. September 1920 bis 31. März 1930.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 16. Juni 1971 unter Aufhebung des Urteils des SG München vom 24. Juli 1970 und des Bescheides vom 17. Februar 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 1969 die Beklagte verurteilt, bei dem beigeladenen Freistaat Bayern Nachversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. September 1920 bis 31. März 1930 einzuziehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Begehren der Klägerin sei berechtigt. Die Frage, ob sie nachzuversichern sei, richte sich nach dem Nachversicherungsrecht, das bei ihrem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung, also im März 1930, gegolten habe, wie das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 19. Juni 1962 ( 1 RA 164/60 , Breithaupt 1963, 41 ff) klargestellt habe. Der damalige § 18 AVG aF habe auch ihre Nachversicherung vorgesehen, weil sie aus einer versicherungsfreien Beschäftigung ohne Versorgung ausgeschieden sei. § 8 der VO vom 4. Oktober 1930 habe diese Nachversicherung allerdings eingeschränkt und davon abhängig gemacht, daß die Ehe der Klägerin ohne Versorgung aufgelöst wurde. Bis zum Eintritt dieser Bedingung sei danach die Nachversicherung aufgeschoben gewesen. Das BSG habe dazu aaO ausgeführt, daß dieser Zustand, gleichgültig ob er als Schwebezustand angesehen werde oder nicht, unverändert fortbestehe und durch ein etwaiges Außerkrafttreten des § 8 der genannten VO nicht berührt werde. Dieser vom BSG nicht näher begründeten Auffassung vermöge der Senat jedoch nicht zu folgen. Ein Schwebezustand hätte nur so lange fortbestehen können, als der genannte § 8 die Nachversicherung aufgeschoben habe. Bei seinem Außerkrafttreten hätte der Schwebezustand ( § 160 BGB ) wegen des Wegfalls seiner Rechtsgrundlage enden müssen, wie wenn die in § 8 Abs. 2 genannte aufschiebende Bedingung eingetreten wäre. Alsdann hätte der Befriedigung des dem Grunde nach bestehenden Anspruchs der Klägerin auf Nachversicherung nach § 18 AVG aF nichts mehr im Wege gestanden. Das sei zum 1. April 1953, also noch zur Zeit der Geltung des alten Rechts geschehen, weil der Aufschub der Nachentrichtung für weibliche Versicherte gegen den zu diesem Zeitpunkt wirksam gewordenen Verfassungsgrundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau - Art. 3 Abs. 2 i. V. mit Art. 117 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) - verstoßen habe. Sei man jedoch mit dem BSG aaO der Meinung, daß § 8 der genannten VO nach Art. 3 §§ 2 und 7 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - erst am 1. März 1957 außer Kraft getreten sei, so sei die Klägerin nach § 9 AVG nF nachzuversichern, weil das Rechtsverhältnis der Nachversicherung sich alsdann erst im Geltungsbereich des neuen Rechts vollendet habe.
Allerdings unterlägen auch Ansprüche auf Nachversicherung der Verjährung nach § 29 Abs. 1 RVO . Die vierjährige Verjährungsfrist, die bei einem Wegfall des Aufschubs der Nachversicherung zum 1. April 1953 an diesem Tage zu laufen begonnen hätte, sei daher bereits vollendet gewesen, als die Klägerin 1963 erstmals ihren Anspruch auf Nachversicherung bei der Regierung von O geltend gemacht habe. Gleichwohl habe der Beigeladene kein Leistungsverweigerungsrecht, weil die Erhebung der Einrede der Verjährung rechtsmißbräuchlich sei. Wie die Klägerin zu Recht geltend mache, würde die Vorenthaltung der Nachentrichtung sie gegenüber männlichen Versicherten benachteiligen und damit gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoßen. Außerdem würde bei einer Vorenthaltung der Nachversicherung auch der Grundsatz der Sozialstaatlichkeit ( Art. 20 Abs. 1 GG ) verletzt werden, weil die Klägerin im Hinblick auf ihren zukünftigen Pensionsanspruch niedriger besoldet worden sei, einen solchen jedoch nicht habe und auch ohne Abfindung nach einer elfjährigen Dienstzeit ausgeschieden sei. Gerade von Körperschaften des öffentlichen Rechts müsse erwartet werden, daß sie sich nach dem Grundgesetz richteten.
Hiergegen haben die Beklagte und der Beigeladene die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Sie beantragen,
das Urteil des LSG vom 16. Juni 1971 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 24. Juli 1970 zurückzuweisen.
Die Revisionskläger rügen unrichtige Anwendung materiellen Rechts. Der Beigeladene beruft sich vorsorglich auf Verjährung, deren Erhebung hier auf keinen Fall einen Rechtsmißbrauch darstelle.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die Revision der Beklagten und des Beigeladenen ist begründet. Der Auffassung des LSG kann nicht gefolgt werden. Am 31. März 1930, als die Klägerin ihren Dienst beendete, richtete sich ihre etwaige Nachversicherung grundsätzlich nach § 18 AVG aF. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift waren Personen, die nach den §§ 11 , 12 Nr. 1 bis 3 , 17 AVG aF versicherungsfrei waren, beim Ausscheiden nachzuversichern, wenn ein Ruhegeld oder Hinterbliebenenrente oder eine gleichwertige Leistung aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses nicht gewährt wurde. Diese hiernach an sich bestehende Nachentrichtungspflicht von Beiträgen war jedoch nach § 8 der VO vom 4. Oktober 1930, die rückwirkend zum 1. April 1928 in Kraft getreten war (§ 12 dieser VO), aufgeschoben. Da der Ehemann der Klägerin damals nach § 11 AVG aF versicherungsfrei war, lag der in § 8 Abs. 1 enthaltene Aufschubgrund vor. Bis jetzt ist auch noch nicht die Bedingung des § 8 Abs. 2 eingetreten, unter der die Beitragsnachentrichtung zu erfolgen hätte.
Die VO vom 4. Oktober 1930 muß im Zusammenhang mit der damaligen schlechten finanziellen Lage des Deutschen Reiches und seiner Länder gesehen werden. Der verlorene Krieg, die hohen Reparationsforderungen der Alliierten und schließlich die große Wirtschaftskrise des Jahres 1929 mit ihren schwerwiegenden Folgen hatten zu einer äußerst bedrohlichen Finanzsituation geführt. Auf allen Gebieten einschließlich der Sozialversicherung und der Besoldung mußte gespart werden. Die dadurch erforderlich gewordenen Maßnahmen hatten ua schon in der Inflationszeit zu der auf § 1 des Ermächtigungsgesetzes vom 13. Oktober 1923 (RGBl I 943) gestützten Personalabbau-VO vom 27. Oktober 1923 (RGBl I 999) geführt, durch die Tausende von Beamten des Reichs, der Länder und Gemeinden betroffen wurden, und zwar gerade auch bereits verheiratete Beamtinnen (vgl. Art. 14). Zur wirtschaftlichen Sicherung dieses Personenkreises war die mit Wirkung vom 1. Oktober 1923 in Kraft getretene "VO über den Übertritt aus versicherungsfreier in versicherungspflichtige Beschäftigung und umgekehrt" vom 13. Februar 1924 (RGBl I 62) ergangen, die erstmals das Rechtsinstitut der Nachversicherung einführte (vgl. Clemens Köhler, Das Nachversicherungsrecht, 1953, S. 14 ff). Die allgemeine Wirtschaftskrise erforderte jedoch weitere Maßnahmen. So mußten sich z. B. die in ihrer Stellung verbliebenen Beamten aufgrund der VO des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1. Dezember 1930 (RGBl I 517) mit einer erheblichen Kürzung ihrer Gehälter abfinden. Die VO vom 4. Oktober 1930 wollte ebenfalls zu einer Senkung der Ausgaben beitragen, indem sie die überwiegend öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber der versicherungsfrei beschäftigten Personen dadurch entlastete, daß sie für bestimmte Fälle den Aufschub der Nachentrichtung von Beiträgen anordnete. Davon wurden nach Maßgabe des § 8 der VO auch Frauen betroffen, die wegen Heirat aus einer versicherungsfreien Beschäftigung ausschieden. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß es damals sowohl in der Sozialversicherung als auch im Recht des öffentlichen Dienstes noch keine Witwerrente gab, sondern nur die unbedingte Witwenrente, so daß Frauen zu einer gewissen Doppelversorgung kommen konnten, wenn sie nämlich neben ihrem Witwengeld noch selbst Renten aus einer eigenen früheren versicherten Tätigkeit oder Versorgungsbezüge aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst hatten. Deshalb sieht auch das heutige Recht in solchen Fällen immer noch unter gewissen Voraussetzungen ein Ruhen von Versorgungsbezügen vor (vgl. z. B. jetzt § 160 des Bundesbeamtengesetzes - BBG -). Der 1930 angeordnete Aufschub in den Fällen des § 8 Abs. 1 der genannten VO sollte daher auch einer gewissen Doppelversorgung der Frau vorbeugen und dadurch zu entsprechenden Einsparungen führen.
Dazu kam der Zwang zur Entlastung des Arbeitsmarktes angesichts der damals herrschenden Arbeitslosigkeit. Deshalb kam es in der Folgezeit ua zu dem zunächst nur für Reichsbeamtinnen geltenden besonderen Gesetz über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten vom 30. Mai 1932 (RGBl I 245). Dieses Gesetz hatte wiederum wie bereits Art. 14 der Personal-Abbau-VO vom 27. Oktober 1923 verfassungsändernden Charakter (vgl. Art. 128 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919) und wurde demgemäß mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen. Es entsprach der damals populären Forderung nach einer Beseitigung des Doppelverdienertums (vgl. Deutsche Juristenzeitung 1932 Sp. 788 sowie 926 und 297). Danach konnten weibliche Beamte des Reiches im Falle ihrer Heirat, wenn ihre wirtschaftliche Versorgung nach der Höhe des Familieneinkommens dauernd gesichert erschien, aus ihrem Dienst entlassen werden. Dies konnte allerdings nur noch gegen Zahlung einer Abfindung geschehen. Es hieß, "wer ohnedies zu leben hat, verliert seinen Posten"; Mann und Frau erschienen dabei als ein einheitlicher Doppelverdiener. Dabei wurde die Frage einer Nachversicherung nach § 18 Abs. 1 AVG zunächst nicht ausdrücklich geregelt. Erst Kap. III § 7 Nr. 7 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts vom 30. Juni 1933 (RGBl I 433) stellte klar, daß bei wegen Heirat ausscheidenden weiblichen Beamten und Lehrern eine Nachversicherung nach § 18 AVG nicht stattfand, und ordnete eine Nachversicherung nur für den Fall an, daß die Ehe gelöst wurde und die Ehefrau eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnahm, ohne eine dem § 18 Abs. 1 AVG entsprechende Leistung zu erhalten oder erhalten zu haben. Gleichzeitig wurde die Anwendbarkeit des Gesetzes vom 30. Mai 1932 auf alle weiblichen Beamten und Lehrer der Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände und der sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ausgedehnt.
Diese beamten- und versicherungsrechtlichen Vorschriften gingen mit dem 1. Juli 1937 in den §§ 63 bis 65 und insbesondere in § 141 Abs. 2 des Deutschen Beamtengesetzes (DBG) vom 26. Januar 1937 (RGBl I 39) auf. In der letztgenannten Vorschrift hieß es, eine Nachentrichtung unterbleibt ua, wenn das Beamtenverhältnis infolge Entlassung nach § 63 (also wegen Verehelichung einer Beamtin) endet (Satz 1), jedoch "lebt die Pflicht zur Nachentrichtung der Beiträge auf", wenn die Ehe gelöst wird, ohne daß die Ehefrau eine der Reichsversicherung entsprechende Leistung erhält oder erhalten hat und die Ehefrau wiederum eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt (Satz 2); werden Beiträge nachentrichtet, so gilt die Zeit vom Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung bis zum Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung als Ersatzzeit für die Aufrechterhaltung der Anwartschaft (Satz 3). Diese Vorschrift galt seither nicht allein für den Reichsdienst, sondern für alle deutschen Beamten. Dazu bestimmte noch § 184 Abs. 2 DBG , daß Vorschriften, die diesem Gesetz entsprechen oder widersprechen, aufgehoben werden. Der gegenüber der neuen Rechtslage wesentlich günstigere § 8 Abs. 2 der VO vom 4. Oktober 1930, der die Pflicht zur Nachentrichtung der Beiträge nicht zusätzlich von der Wiederaufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung abhängig gemacht hatte, bezog sich mithin bei Beamtinnen und Lehrerinnen allein auf die Fälle, in denen diese wegen Verheiratung (mit einem Beamten usw) in der Zeit vom 1. April 1928 bis 30. Juni 1933 ausgeschieden waren (vgl. Köhler aaO S. 101). Außerdem hatte der genannte § 8 nunmehr wesentlich an Bedeutung eingebüßt. Die §§ 63 ff und § 141 Abs. 2 DBG fanden sich im übrigen in etwas geänderter Fassung wieder in der Bekanntmachung der Bundesfassung des DBG vom 30. Juni 1950 (BGBl I 279). Erst das Bundesbeamtengesetz vom 14. Juli 1953 (BGBl I 551) brachte eine grundlegende Änderung, um gerade auch dem Art. 3 Abs. 2, 117 Abs. 1 GG gerecht zu werden.
Diese historische Entwicklung steht der vom LSG vertretenen Auffassung entgegen, es gehe allein um § 8 der genannten VO, und dieser sei nach Art. 117 Abs. 1 GG als Art. 3 Abs. 2 widersprechendes Recht zum 1. April 1953 außer Kraft getreten mit der Folge, daß nunmehr die Nachversicherung hätte durchgeführt werden müssen. Bei einem solchen Ergebnis wurde nicht der innere Zusammenhang der getroffenen Regelung mit der sich ständig ändernden Rechtslage im Beamtenrecht hinreichend beachtet und insbesondere nicht berücksichtigt, daß das frühere Recht, wie schon erwähnt, sowohl im Beamtenrecht als auch im Recht der Sozialversicherung nur die unbedingte Witwenrente und keine Witwerrente kannte, und daß der Staat seinen Beamten und deren versorgungsberechtigten Hinterbliebenen aufgrund seiner öffentlich-rechtlichen Alimentationspflicht (vgl. dazu BVerfG 21, 329, 346 ff) nur eine Versorgung zu leisten brauchte und keine mehrfache, und daß schließlich die ausscheidenden Frauen vielfach eine Abfindung erhalten hatten. Es war deshalb durchaus vertretbar, im Falle der Heirat und dadurch verursachter Beendigung des versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisses bei gesicherter wirtschaftlicher Versorgung, die insbesondere dann gegeben war, wenn der Ehemann Beamter mit Anspruch auf Ruhegeld war ( § 63 Abs. 1 Satz 2 DBG ), einen Aufschub der Nachentrichtung der Beiträge anzuordnen. Zudem war nach früherem Recht zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft aus bereits zurückgelegten Beitragszeiten eine laufende Beitragsentrichtung erforderlich. Die ausgeschiedenen Frauen hätten sich daher freiwillig weiterversichern müssen. Dazu aber waren sie finanziell überwiegend nicht in der Lage und selbst bei vorhandener Leistungsfähigkeit meist nicht bereit, so daß eine sofort durchzuführende Nachversicherung für sie in der Regel wenig sinnvoll gewesen wäre. Statt dessen machten sie, soweit für sie Versicherungsbeiträge entrichtet worden waren, vielfach von dem ihnen eingeräumten Recht Gebrauch, sich die Hälfte ihrer Beiträge erstatten zu lassen ( § 1309 a RVO aF, § 47 AVG aF). Soweit sie das aber nicht taten, schützte sie jedenfalls § 141 Abs. 2 DBG im Falle einer Nachversicherung vor dem nach damaligem Recht gegebenen Verlust ihrer Rechte aus ihren früheren Beiträgen.
Es braucht indessen nicht abschließend entschieden zu werden, inwieweit unter Berücksichtigung aller dieser Besonderheiten des damaligen Rechts § 8 der VO vom 4. Oktober 1930 mit dem Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren wäre. Denn jedenfalls wirkt das 1949 geschaffene GG nicht zurück, wie der Senat in seinem Urteil vom 19. Juni 1962 bereits ausgeführt hat. Der Grundsatz der Gleichberechtigung darf nicht auf frühere Zeiten zurückbezogen werden. Das GG regelt auch Sachverhalte nicht neu, die schon vor seinem Inkrafttreten rechtlich abgeschlossen waren. Um einen solchen aber handelt es sich bei dem von der Klägerin in der Nachkriegszeit von 1920 bis 1930 unter ganz besonderen wirtschaftlichen und beamtenrechtlichen Verhältnissen zurückgelegten Beamtenverhältnis, das damals versicherungsfrei war und nach seiner Beendigung aufgrund entsprechender gesetzlicher Vorschriften unversichert geblieben ist. Eine rückwirkende Anwendung des Gleichberechtigungsgrundsatzes auf solche Zeiten würde auf eine Wiedergutmachung hinauslaufen, die früher mit dem sogen. "Beamtinnenzölibat" sowie mit Regelungen wie denen des § 8 Abs. 2 der VO vom 4. Oktober 1930, des § 7 des Gesetzes vom 30. Juni 1933 und des § 141 Abs. 2 DBG verbunden waren. Sie kann nicht von der Rechtsprechung, sondern könnte nur vom Gesetzgeber angeordnet werden.
In die Geltungszeit und den Geltungsbereich des GG kann allein der mögliche künftige Umstand fallen, daß die Ehe der Klägerin aufgelöst wird, ohne daß ihr eine dem § 18 Abs. 1 AVG aF entsprechende Leistung gewährt wird, wie es in § 8 Abs. 2 der VO vom 4. Oktober 1930 heißt. Dieser Sachverhalt ist aber bisher nicht eingetreten. Erst wenn das der Fall wäre, wäre zu entscheiden, ob sie nunmehr nachzuversichern ist oder nicht, oder ob und wann der § 8 der genannten VO etwa vollständig oder zumindest zum Teil gegenstandslos geworden wäre, so daß nunmehr die Frage der Verjährung von Bedeutung werden könnte (vgl. dazu jedoch Hanow/Lehmann/Bogs § 1403 RVO Note 21).
Zu Unrecht macht die Revision demgegenüber geltend, bei der aufgeschobenen Nachentrichtung der Beiträge trete der Nachversicherungsfall nicht mit dem Ausscheiden, sondern mit dem Wegfall des Aufschubgrundes ein, weil erst mit diesem Wegfall die Nachversicherung vorgenommen werden müsse. Auf diesen letztgenannten Zeitpunkt falle somit der Anknüpfungstatbestand für das Recht des Beschäftigten, die Nachversicherung zu fordern, und somit der Eintritt des Nachversicherungsfalles. Bei der Klägerin liege dieser Nachversicherungsfall, nämlich der Wegfall der aufschiebenden Bedingung und des Aufschubgrundes entweder in dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgrundsatzes am 1. April 1953 oder in der Aufhebung des genannten § 8 durch Art. 3 §§ 2 , 7 AnVNG zum 1. März 1957; die Regelungen in beiden Zeitpunkten unterlägen damit aber schon der Normsetzung durch das GG. Das nie erloschene Recht der Klägerin auf Nachversicherung müsse daher von einem dieser Zeitpunkte an wirksam werden.
Wäre diese Auffassung richtig, hätte der Gesetzgeber in der VO vom 4. Oktober 1930 nicht davon sprechen dürfen, daß die Nachentrichtung der Beiträge "aufgeschoben" wird. Das Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung stellt damit den "Nachversicherungsfall" dar, nach dem es sich richtet, welches Recht maßgebend ist, nämlich grundsätzlich das in diesem Zeitpunkt geltende. Lediglich die Verpflichtung zur Nachentrichtung der Beiträge tritt mit dem Wegfall des Aufschubgrundes ein (vgl. BSG 32, 76, 79), so daß erst jetzt die Beitragsschuld fällig wird. Ist die Beitragsfälligkeit jedoch einmal aufgeschoben, so tritt sie darüberhinaus nicht stets schon mit dem Wegfall des Aufschubgrundes ein, sondern nur dann, wenn in diesem Zeitpunkt auch noch nach altem oder nach neuem Recht ein Grund zur Nachversicherung gegeben ist (vgl. Elsholz/Theile, Die gesetzliche RentV Nr. 126 Anm. 1 b). Hieran fehlt es bei der Klägerin.
Dem LSG und der Revision ist lediglich zuzugeben, daß die Regelung in § 8 Abs. 1 der VO vom 4. Oktober 1930, die für die 1930 ausgeschiedene Klägerin eine Nachversicherung verhinderte, nicht mehr geltendes Recht ist; sie ist, soweit sie einen Aufschub der Nachversicherung anordnet, möglicherweise erst mit dem 1. März 1957 außer Kraft getreten, aber auch dann jedenfalls nur mit Wirkung für die Zukunft. Die nachteiligen Folgen des durch jene Vorschrift einmal geschaffenen Rechtszustandes sind aber weder für die Vergangenheit noch für die Gegenwart beseitigt worden. Das gleiche gilt für den in § 141 Abs. 2 Satz 1 DBG angeordneten Aufschub.
Diese nach heutiger Auffassung Benachteiligung der Frauen durch das frühere Recht haben die Gerichte indessen zu beachten. Sie können nicht an Stelle des Gesetzgebers von sich aus Abhilfe schaffen. Diese wird aber erwogen. In dem Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Rentenversicherung (BT-Drucks. VI/1126 Abschn. E Nr. 3 S. 44) heißt es nämlich: "Für Frauen, die wegen Eheschließung mit einem versorgungsberechtigten Beamten aus einer versicherungsfreien Beschäftigung in früheren Jahren ausgeschieden sind, ist die Nachentrichtung von Beiträgen bis zur Lösung durch Tod oder Scheidung aufgeschoben. Das hat zur Folge, daß bei Eintritt des Versicherungsfalls vor Lösung der Ehe Zeiträume einer versicherungsfreien Beschäftigung im öffentlichen Dienst nicht nachversichert werden und demgemäß bei der Rentenberechnung unberücksichtigt bleiben. Eine Änderung wird angestrebt."
Diese Ausführungen lassen erkennen, daß das neue Recht der Rentenreform des Jahres 1957 den Anspruch der Klägerin nicht stützt. Dies hat der Senat auch bereits in seinem oben erwähnten Urteil vom 19. Juni 1962 dargelegt. Das neue Nachversicherungsrecht gilt nur für solche Fälle, die nach dem 28. Februar 1957 liegen ( § 9 AVG nF; Art. 2 § 4 Abs. 1, Art. 3 § 7 AnVNG ). Die Ausnahmen, die von dieser Regel in Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG zugelassen werden, und bei denen § 8 der VO vom 4. Oktober 1930 nicht genannt ist, sind auf die Fälle beschränkt, die in dieser Vorschrift erschöpfend aufgezählt werden. Danach dürfen unterbliebene Nachversicherungen nur dann nachgeholt werden, wenn sie nach früherem Recht wegen unehrenhaften oder freiwilligen Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung, letzteres jedoch nur im Sinne der Sozialversicherungsanordnung Nr. 14 vom 19. Juli 1947, ausgeschlossen waren. Die Klägerin ist jedoch aus keinem dieser Gründe aus der Versicherungsfreiheit ausgeschieden.
Die "Verordnung über die Durchführung der Nachversicherung in Härtefällen" (NHV) vom 28. Juli 1959 kann auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht angewandt werden, weil sie sich, wie Art. 2 § 4 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AnVNG deutlich ergeben, allein auf Nachversicherungen bezieht, die durch das DBG ausgeschlossen waren, die Klägerin aber dem DBG nicht unterstanden hat (vgl. Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, S. 281). Derartige zeitliche Begrenzungen sind zulässig, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. ua BSG 14, 95). Darüber hinaus läßt die Begrenzung der Anwendbarkeit der NHV auf die Fälle des § 141 Abs. 2 Satz 1 DBG , also auf die Zeit seit dem 1. Juli 1937, dem Tage des Inkrafttretens des DBG, nur den Schluß zu, daß für die noch weiter zurückliegende Zeit die Nachholung einer Nachversicherung gerade nicht beabsichtigt war. Der Gesetzgeber hat sich nicht entschließen können, die nachteiligen Folgen des früheren Rechtszustandes in Fällen eines Ausscheidens vor dem 1. März 1957 in vollem Umfang zu beseitigen (vgl. Zimmer, BABl 1959, 518).
Somit muß die Revision den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg haben, ohne daß es noch auf die Frage der Verjährung ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes .
Fundstellen
Haufe-Index 928046 |
RegNr, 4525 |
AP, (red. Leitsatz 1 und Gründe) |
SozR, Nr 1 zu § 141 DBG v 26.1.1937 (Leitsatz) |
SozR, Nr 2 zu BeitragsnachentrichtungsVO Allg (Leitsatz und Gründe) |