Leitsatz (redaktionell)
1. Entschädigungsberechtigt kann die Folge eines Selbstmord- (versuch)s schon dann sein, wenn die Fähigkeit zur Willensbildung durch Auswirkungen eines Unfalls wesentlich beeinträchtigt wurde.
2. Eine Selbsttötung kann schon dann rechtlich wesentlich durch einen Arbeitsunfall verursacht sein, wenn die Fähigkeit zur Willensbildung durch Auswirkungen des Unfalls beeinträchtigt war; es ist jedenfalls nicht erforderlich, daß die Selbsttötung in einem durch den Unfall verursachten Zustand der Unzurechnungsfähigkeit ausgeführt worden ist (Abweichung von RVA, EuM 25, 7). Bei der rechtlichen Wertung der seelischen Auswirkungen des Unfalls, darf nicht von vornherein nur darauf abgestellt werden, wie ein "normaler" Verletzter reagiert hätte (vergleiche BSG 1959-11-11 11/9 RV 290/57 = BSGE 11, 50, 53).
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Januar 1958 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der im Jahre 1897 geborene Ehemann der Klägerin hat sich am 28. Juni 1954 durch Erhängen getötet. Über die zeitlich vorangehenden Ereignisse enthält das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg folgende Feststellungen: "Herr N, von Beruf Maschinenbauer, war als Werkführer bei der Gefängnisbehörde H beschäftigt. Nach der Unfallanzeige hatte er am 31.5.1954 gegen 8,30 Uhr beim Anheben einer Schürplatte von 70 kg Gewicht einen stechenden Schmerz im Rücken verspürt. Am gleichen Tage gegen 22,10 Uhr hatte er den Heilgehilfen K wegen heftiger Schmerzen im Kreuz aufgesucht. Dieser klebte zur Linderung ein Pflaster auf und riet, zum Arzt zu gehen. Am 4.6.1964 suchte Herr N. Dr. P auf. Dieser stellte Druckschmerz in Höhe der Lendenwirbelsäule und der Brustwirbelsäule fest. Die Behandlung erfolgte mit schmerzstillenden Mitteln, Heißluft und Massage. Herr N. hatte seinen Dienst zunächst fortgesetzt. Am 16.6.1954 wurde er von Dr. P als arbeitsunfähig beurteilt. Dr. P überwies ihn wegen Verdacht auf Bandscheibeneinklemmung an den Facharzt für Chirurgie Dr. K Bei der Untersuchung am 22.6.1954 durch Dr. K bestanden Schmerzen in der Lumbosacralgegend und Druckempfindlichkeit besonders über dem Ursprung der 12. Rippe rechts. Dr. K verordnete eine Salbe und sah Kurzwellenbehandlung vor. Bei der vertrauensärztlichen Untersuchung am 21.6.1954 durch Dr. M bestand Schmerzhaftigkeit im Kreuz. In der Nacht vom 27. zum 28. 6.1954 hat Herr N. nach Angaben der Klägerin besonders starke Schmerzen gehabt. Diese riet ihm daher, bereits am 28.6.1954 vormittags Dr. K aufzusuchen, von dem er zum 29.6.1954 bestellt war. Gegen 9,30 Uhr ging die Klägerin zum Einkaufen. Ihr Ehemann traf Vorbereitungen für den Arztbesuch. Als die Klägerin gegen 10,15 Uhr zurückkam, fand sie ihren Ehemann erhängt im Keller vor." Den Anspruch der Klägerin auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 24. August 1954 mit der Begründung ab, der Selbstmord könne dem Unfall vom 31. Mai 1954 nicht zur Last gelegt werden, da der Ehemann der Klägerin ihm mit Vorsatz ausgeführt habe.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und zur Begründung vorgetragen: Der Selbstmord ihres Ehemannes sei allein auf die durch den Unfall hervorgerufenen unerträglichen Schmerzen zurückzuführen. Ihr Ehemann habe am 31. Mai 1954 einen Kompressionsbruch des 1. Lendenwirbels erlitten gehabt. Dr. P habe aber nur eine Sehnenzerrung diagnostiziert und Massagen verordnet. Dadurch seien die Schmerzen ins unerträgliche gesteigert worden. Der Wunsch ihres Ehemannes nach Krankenhauseinweisung und Röntgenaufnahmen sei im Hinblick auf unnötige Kosten von Dr. P abgelehnt worden. Dieser habe erst am 16. Juni 1954 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Der Vertrauensarzt habe am 21. Juni 1954 trotz des Protestes ihres Ehemannes nur die Lunge, nicht aber die Wirbelsäule geröntgt. Ihr Ehemann sei von dieser Untersuchung völlig niedergeschlagen nach Hause gekommen. Dr. K habe am nächsten Tag einen Bandscheibenschaden angenommen und Röntgenaufnahmen für überflüssig erklärt. Ohne Zweifel sei die Schwere der Verletzung von den Ärzten verkannt und in geradezu fahrlässiger Weise nichts zur Aufklärung unternommen worden. Die weiterhin sehr heftigen Schmerzen und die Weigerung der Arzte, der Ursache dieser Beschwerden auf den Grund zu gehen, hätten zu einem schweren Depressionszustand und schließlich zum seelischen Zusammenbruch ihres Ehemannes geführt. Er sei in den Wahn versetzt worden, daß ihm doch kein Arzt helfen könne. Für einen Depressionszustand spreche auch die Tatsache, daß ihr Ehemann ihr gegenüber in dieser Zeit mehrfach Selbstmordabsichten geäußert habe, die sie aber in Verkennung der Depression nicht ernst genommen habe. In der Nacht vom 27. zum 28. Juni 1954 habe ihr Ehemann vor Schmerzen nicht schlafen und nicht mehr liegen können. Schließlich habe er versucht, auf einem Stuhl sitzend am Küchentisch einzuschlafen. Nachweislich sei ihr Ehemann immer eine fröhliche, weltzugewandte Natur gewesen. Körperlich sei er ein hünenhafter Mensch gewesen, dem Schmerzen nie etwas anzuhaben schienen. Er habe nie unter Depressionen gelitten. Die wirtschaftlichen Verhältnisse seien völlig geordnet gewesen. Ihr Ehemann müsse sich zum Zeitpunkt des Freitodes in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden haben, durch den die freie Willensbestimmung ausgeschlossen gewesen sei.
Das SG hat durch Urteil vom 7. März 1957 die Klage mit der Begründung abgewiesen, das Unfallereignis habe nur die Rolle einer einfachen Mitverursachung gespielt, die Bedeutung einer wesentlichen Mitverursachung komme ihm nicht zu.
Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil hat das LSG Hamburg durch Urteil vom 14. Januar 1958 (veröffentlicht in Breith. 1958, 923 und "Berufsgenossenschaft" 1959, 258) zurückgewiesen. Die Revision ist vom LSG nicht zugelassen worden.
Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Auch in Selbstmordfällen seien die allgemeinen Kausalitätsgrundsätze der wesentlichen Mitverursachung - nicht die Äquivalenz- oder die Adäquanztheorie - anzuwenden; der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA), nach der Unzurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt der Tat vorliegen müsse, sei nicht zu folgen. Eine wesentliche Mitverursachung des Unfalls für den Freitod sei im zur Entscheidung stehenden Fall nicht wahrscheinlich zu machen. Bei dem Unfall vom 31. Mai 1954 sei es zu einem Deckplatteneinbruch (Kompressionsbruch) des 1. Lendenwirbels gekommen. Es könne unterstellt werden, daß der Verstorbene unter heftigen Rückenschmerzen zu leiden hatte, zeitweise nicht liegen konnte, daß ihm der Heilgehilfe fast täglich ein neues Rückenpflaster geklebt habe und daß die Schmerzen während der Massagen noch gesteigert worden seien. Der Deckplatteneinbruch sei erst bei der Sektion festgestellt worden. Bereits Dr. P habe nach der Erfolglosigkeit der ersten Behandlung Verdacht auf Bandscheibenschaden geäußert, den Dr. K geteilt habe. Die Schmerzempfindungen seien aber nach den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft bei Bandscheibenschäden und Kompressionsbrüchen etwa gleich groß, so daß trotz der Fehldiagnose der Schmerzzustand des Verstorbenen von den Ärzten nicht verkannt oder bagatellisiert worden sei. Aus den übereinstimmenden medizinischen Beurteilungen ergebe sich, daß ein Wirbelbruch bezw. Deckplatteneinbruch keine derartigen Schmerzen verursache, daß er zur Unzurechnungsfähigkeit oder "zum Wahnsinn" treiben bezw. aus Verzweiflung zum Selbstmord führen müßte. Prof. Dr. L habe in seiner langjährigen Praxis bei mehreren tausend Wirbelbrüchen niemals einen Selbstmordfall erlebt. Unter den gegebenen Umständen sei ein Selbstmord ein höchst ungewöhnliches und überraschendes Ereignis. Von jedem Menschen müsse verlangt werden, daß er in Unglücksfällen ein gewisses Maß von Schmerzen und Leiden auf sich nehme; das gelte sowohl hinsichtlich der Stärke als auch der Dauer der Beschwerden. Im Falle des Verstorbenen habe der Unfall keine so schwerwiegenden und langdauernden körperlichen Veränderungen herbeigeführt, daß sie das Maß der menschlichen Leidensfähigkeit überschritten hätten. Von sämtlichen medizinischen Sachverständigen sei Selbstmord auf Grund des Schmerzzustandes eindeutig abgelehnt worden; es müßten somit andere Gründe mitgespielt haben. Prof. Dr. B sehe die Erklärung in einer Protesthaltung gegenüber dem Unverständnis der Ärzte. Auch die Klägerin habe bestätigt, der Verstorbene sei von der Überzeugung erfüllt gewesen, daß seine Krankheit in ihrer wirklichen Schwere und Bedeutung nicht erkannt werde und daß ihm niemand mehr helfen könne. Die Überzeugung, an einer unheilbaren Körperschädigung zu leiden, bei der ihm niemand helfen könne, habe aber in dem kurzen Zeitraum vom 31. Mai bis 28. Juni 1954 bei normaler Geisteshaltung keinesfalls aufkommen können, falls nicht schon vor dem Unfall ein schmerzhaftes und langwieriges Wirbelsäulenleiden vorhanden gewesen sei. Auch die Weigerung der Ärzte, Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule durchzuführen, worüber der Verstorbene sehr verbittert gewesen sei, müsse für den Selbstmord als inadäquat bezeichnet werden, da der Verstorbene jederzeit die Möglichkeit gehabt habe, privat einen Röntgenarzt aufzusuchen und Röntgenaufnahmen anfertigen zu lassen. Der Entschluß zum Selbstmord aus einer Protesthaltung heraus sei daher als abnorme Reaktion gegenüber einem leicht zu beseitigenden Hindernis anzusehen. Die Schmerzen des Verstorbenen seien nicht unerträglich gewesen; denn er sei erst nach vier Tagen zum Arzt gegangen, habe - wenn auch unter starken Schmerzen - bis zum 16. Juni 1954 weiter seinen Dienst verrichtet, am 21. und 22. Juni 1954 zum Arzt gehen und sich am Todestag zum Arztbesuch fertigmachen können. Für den Freitod bleibe nur die Erklärung, daß eine geistige Fehlhaltung vorgelegen habe, die auf einer abnormen endogenen Veranlagung beruhe. Die übrigen Bedingungen seien nach der Erfahrung des täglichen Lebens vernünftigerweise für den Freitod nicht in Betracht zu ziehen; eine derartige Handlungsweise liege außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit.
Gegen dieses Urteil, das am 5. Februar 1958 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 4. März 1958 Revision eingelegt und sie zugleich begründet. Sie beantragt,
den Bescheid vom 24. August 1954 und die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Hinterbliebenenrente und Sterbegeld aus der Unfallversicherung zu verurteilen,
hilfsweise,
die Sache unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
sie als unbegründet zurückzuweisen.
II
Die Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden. Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), hängt ihre Statthaftigkeit davon ab, ob die Voraussetzungen der Nr. 2 oder der Nr. 3 des § 162 Abs. 1 SGG gegeben sind.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die das Verfahren des LSG (§§ 103, 109, 128 SGG) betreffenden Rügen geeignet sind, die Statthaftigkeit der Revision zu begründen; denn die Revision rügt nach der Auffassung des erkennenden Senats mit Recht, daß die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG insofern gegeben sind, als das LSG bei der Beurteilung der Frage, ob die ursächlichen Verknüpfungen zwischen dem Unfall vom 31. Mai 1954 und dem Tod des Ehemannes der Klägerin einen ursächlichen Zusammenhang im Rechtssinn bilden, die für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Ursachen-Norm unrichtig angewendet hat.
Die Ausführungen der Revision, die sich dagegen richten, daß das LSG bei der rechtlichen Beurteilung der Zusammenhangsfrage den vom RVA für die Rechtsprechung auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung entwickelten Begriff der rechtlich wesentlichen Verursachung (vgl. GE 2585, AN 1912, 930) zugrunde gelegt hat, sind allerdings nicht geeignet, eine Gesetzesverletzung im Sinne von § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG darzutun. Auch der erkennende Senat wendet diesen Verursachungsbegriff in ständiger Rechtsprechung als die maßgebende Ursachen-Norm an (vgl. z. B. BSG 1, 254; 3, 240) und hat im Beschluß vom 31. Januar 1958 (MDR 1958, 281 Nr. 155) näher dargelegt, daß eine Anwendung der für die Schadensersatzansprüche des bürgerlichen Rechts von der Rechtsprechung entwickelten Lehre von der adäquaten Verursachung zu Folgerungen führen müßte, die mit den Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung nicht vereinbar sind.
Das LSG hat auch nicht verkannt, daß die Prüfung, welche "Ursachen" für den Selbstmord rechtlich als wesentlich anzusehen sind (vgl. hierzu BSG 1, 150, 156), nicht auf die Geschehensabläufe beschränkt werden darf, die sich auf körperlich-organischem Gebiet abgespielt haben, vielmehr auch Vorgänge im Bereich des Psychischen und Geistigen hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung zu würdigen sind (vgl. hierzu auch BGHZ 20, 137). Auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis "verursacht" sein, während andererseits Vorgänge im Bereich des Psychischen oder Geistigen "Ursachen" im Rechtssinne sein können (vgl. z. B. aus dem Gebiet des Strafrechts den durch die vorsätzliche Täuschung bewirkten Irrtum als "Ursache" der schädigenden Vermögensverfügung im Tatbestand des § 263 StGB - Strafgesetzbuch (Leipziger Kommentar) 8. Aufl. § 263 Anm. 6). Dabei ist bei der rechtlichen Prüfung ursächlicher Zusammenhänge - wie des im vorliegenden Fall streitigen - auch zu berücksichtigen, daß nach den Erkenntnissen der ärztlichen Wissenschaft eine scharfe Trennung zwischen Vorgängen, die nur im organischen Bereich ablaufen, und solchen, die sich im Psychischen und Geistigen abspielen, nicht berechtigt und vielfach praktisch nicht einmal möglich ist, da die Bereiche des Somatischen und des Psychischen und Geistigen sich wechselseitig beeinflussen.
Der für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Begriff der "wesentlichen Ursache" berechtigt deshalb nicht dazu, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Auswirkungen eines Unfallereignisses und einem Selbstmord schon deshalb zu verneinen, weil die Geschehensabläufe, die von dem einen Ereignis zum anderen hinführen, nicht nur in Einwirkungen und durch sie bewirkten Veränderungen im organischen Bereich bestanden haben, sondern auch psychische Reaktionen und deren Auswirkungen als Zwischenglieder eingeschaltet waren. Nach § 556 RVO hat allerdings das vorsätzliche Handeln des Verletzten rechtliche Bedeutung; der Entschädigungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn der Verletzte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Damit haben für die rechtliche Betrachtung die Anschauungen auszuscheiden, die unter naturwissenschaftlichen und philosophischen Gesichtspunkten eine echte Entscheidungsfreiheit des Menschen in Zweifel ziehen. Aus § 556 RVO - vgl. auch § 606 RVO - ist auch der allgemein anerkannte Grundsatz abzuleiten, daß der Entschädigungsanspruch nicht nur bei vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls, sondern auch insoweit entfällt, als der Verletzte die Auswirkungen des Unfalls durch sein vorsätzliches Handeln ungünstig beeinflußt hat. Hierunter sind nicht nur die vorsätzliche Verschlimmerung primärer Unfallfolgen - Artefakte - zu verstehen, sondern auch die Schaffung neuer Gesundheitsschädigungen und die Selbsttötung als die äußerste Erscheinung einer Schädigung. Daraus ergibt sich, daß in der Regel vorsätzliches Handeln als die rechtlich allein wesentliche Ursache für seine Folgen anzusehen ist. Ist das vorsätzliche Handeln aber auf Motive zurückzuführen, die ihrerseits durch das Unfallereignis oder seine Auswirkungen gesetzt worden sind, so kann dieses Handeln nicht von vornherein als die rechtlich allein wesentliche Ursache seiner Folgen angesehen werden. Es bedarf vielmehr der Prüfung, ob der Unfall oder seine Auswirkungen rechtlich wesentlich das Handeln und damit auch seine Folgen verursacht haben.
Das LSG hat deshalb mit Recht die Auffassung des RVA abgelehnt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Tod durch Selbstmord und einem Unfall nur anerkannt werden könne, wenn der Selbstmord in einem durch den Unfall verursachten Zustand der - eine freie Willensbestimmung ausschließenden - Unzurechnungsfähigkeit begangen worden sei (AN 1888, 328 Nr. 206; AN 1892, 320 Nr. 1161; EuM 25, 7; RVO-Mitgl. Komm. 2. Aufl. S. 109 § 555 Anm. 3). Diese Auffassung, die insbesondere nach dem Kriege in Rechtsprechung und Schrifttum vielfach Widerspruch gefunden hat (vgl. z. B. Bayer LVA in DVZ 1950, 142; LSG Hamburg in Breith. 1955, 917; 1960, 210; Hess. LSG in Breith. 1956, 30; Nieders. LSG in BG 1958, 513; Breith. 1959, 404; Lange in BG 1951, 107; Gunkel, Der Arbeitsunfall, 2. Aufl. S. 33), beruht nach der Auffassung des erkennenden Senats auf einer rechtlichen Unterbewertung der psychischen Reaktionen, die auch naturwissenschaftlich nicht berechtigt ist, und muß im Ergebnis dazu führen, daß nur die Auswirkungen des Unfalls rechtlich gewürdigt werden, die in Form einer als somatogen geltenden geistigen Erkrankung in Erscheinung treten. Eine solche einschränkende rechtliche Auswahl innerhalb der ursächlich zum Selbstmord führenden Geschehensabläufe ist jedoch nach der Auffassung des Senats nicht gerechtfertigt. Eine rechtlich wesentliche ursächliche Verknüpfung kann vielmehr jedenfalls schon dann gegeben sein, wenn die Fähigkeit zur Willensbildung durch Auswirkungen des Unfalls wesentlich beeinträchtigt war (vgl. auch die zur Auslegung des § 1 Abs. 4 des BVG ergangene Verwaltungsvorschrift Nr. 11 sowie BSG 1, 150).
Hiermit steht nicht im Widerspruch, daß im Strafrecht die Schuld nur durch Unzurechnungsfähigkeit, nicht dagegen schon durch verminderte Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen wird (§ 51 StGB). Denn im Unterschied zum Strafrecht kommt es in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich auf ein Verschulden nicht an, vielmehr hängt der Entschädigungsanspruch ausschlaggebend vom Vorliegen eines rechtlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhangs ab.
Das LSG hat deshalb mit Recht geprüft, welche Bedeutung die Auswirkungen des Unfalls für den Entschluß des Ehemannes der Klägerin zur Selbsttötung hatten. Die Revision rügt jedoch zutreffend, daß das LSG bei der rechtlichen Abwägung der mit dem Unfall zusammenhängenden Umstände, die für diesen Entschluß ursächlich waren, einen unrichtigen Wertungsmaßstab zugrunde gelegt hat.
Das LSG ist in tatsächlicher Beziehung u. a. von den - von der Revision mit Rügen angegriffenen - Feststellungen ausgegangen, der Unfall habe keine wirklich unerträglichen Schmerzen verursacht, diese Schmerzen, die allerdings auch nach den Feststellungen des LSG durch unzweckmäßige Behandlungsmaßnahmen nicht gebessert, sondern im Gegenteil verstärkt worden waren, seien von den Ärzten nicht verkannt oder bagatellisiert worden. Das LSG hat als entscheidend angesehen, ob diese Schmerzen "das Maß der menschlichen Leidensfähigkeit" überschritten haben und ob sie und die Weigerung der Ärzte, Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule zu machen, "bei normaler Geisteshaltung" die Überzeugung hervorrufen konnten, an einer unheilbaren Körperschädigung zu leiden. Nach der Ansicht des LSG kommt es also offenbar entscheidend darauf an, ob die Auswirkungen des Unfalls auch bei einer den Vorstellungen von einem "normalen" Menschen entsprechenden Persönlichkeit zum Selbsttötungsentschluß hätten führen können. Da diese Frage nach der Auffassung des LSG zu verneinen war, hat das LSG die von ihm als "abnorm" bezeichnete Veranlagung des Ehemannes der Klägerin und die auf ihr beruhende geistige Fehlhaltung als die rechtlich allein wesentliche Ursache, den Unfall und seine Folgen dagegen als rechtlich unwesentliche Teilursache für den Entschluß zur Selbsttötung angesehen. Damit hat das LSG die für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Ursachen-Norm unrichtig angewendet.
Ob ein für den Erfolg ursächlicher Umstand auch rechtlich gegenüber anderen ursächlich mitwirkenden Umständen als wesentlich anzuerkennen ist, darf nicht - wie das nach der im Zivilrecht maßgebenden Ursachen-Norm der Fall ist - danach beurteilt werden, ob dieser Umstand mit dem eingetretenen Erfolg in einem "adäquaten" Zusammenhang steht, so daß die ursächlichen Umstände rechtlich nicht als "Ursache" anzuerkennen sind, die nach allgemeiner Lebenserfahrung vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden können, Wie es bei rein körperlichen Auswirkungen eines Unfallereignisses nicht allein darauf ankommt, ob die Einwirkung auf den Körper des Betroffenen auch bei einem Menschen mit "normalem" Körperbau und "normalen" körperlichen Abwehrkräften eine gleiche Wirkung gehabt hätte, so darf auch bei Vorgängen im Bereich des Psychischen und Geistigen nicht unter Anwendung eines generalisierenden Maßstabs darauf abgestellt werden, ob die Auswirkungen des Unfalls auch bei einem "durchschnittlichen" Menschen erfahrungsgemäß gleiche oder ähnliche Folgen gehabt hätten. Grundsätzlich ist vielmehr zu prüfen, welche Folgen die Auswirkungen des Unfalls gerade bei dem betroffenen Menschen infolge der Eigenart seiner Persönlichkeit gehabt haben, vgl. auch die zum Recht der Kriegsopferversorgung ergangene Entscheidung BSG 11, 50.
Im vorliegenden Fall genügt es deshalb für die Verneinung eines rechtlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfall vom 31. Mai 1954 und dem Tod des Ehemannes der Klägerin nicht, daß die seelische Belastung durch die Auswirkungen des Unfalls, wie das LSG angenommen hat, das "normale" Maß menschlicher Leidensfähigkeit nicht überschritten hat. Vielmehr ist - unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Persönlichkeit des Ehemannes der Klägerin- zu prüfen, welche Bedeutung diese seelische Belastung für ihn hatte, und insbesondere auch, in welchem Maße seine Fähigkeit, Entschlüsse unter vernünftiger Abwägung aller Umstände zu fassen, durch diese Belastung beeinträchtigt war.
Da das LSG die rechtliche Abwägung der für den Entschluß zur Selbsttötung ursächlichen Umstände nicht auf Grund einer solchen Prüfung vorgenommen hat und nicht auszuschließen ist, daß es bei zutreffende Anwendung der für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Ursachen-Norm zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre, ist die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft und auch begründet.
Eine Entscheidung durch den Senat war nicht möglich, da die Feststellungen des LSG - abgesehen von den Rügen, mit denen die Revision einen Teil der Feststellungen angegriffen hat - hierfür nicht ausreichen.
Das Urteil des LSG mußte deshalb mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen