Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Aufrechnung geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge bei Sozialhilfebedürftigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Für eine Aufrechnung des Versicherungsträgers mit Beitragsansprüchen gelten nicht die Einschränkungen des SGB 1 § 51 Abs 1 iVm SGB 1 § 54 Abs 2 und 3; insoweit trifft SGB 1 § 51 Abs 2 eine Sonderregelung.
2. Mit Beitragsansprüchen kann der Versicherungsträger gegen laufende Geldleistungen (zB Renten) selbst dann bis zur Hälfte der Geldleistungen aufrechnen, wenn dadurch der Leistungsberechtigte in höherem Maße als bisher sozialhilfebedürftig wird.
3. Zum "Wahlrecht" des Versicherungsträgers, wegen einer Beitragsforderung "nach seinem Belieben" (BGB § 421) einen von mehreren Gesamtschuldnern in Anspruch zu nehmen.
Leitsatz (redaktionell)
Aufrechnung von Beitragsrückständen durch den Rentenversicherungsträger bei Gewährung von Altersruhegeld nach SGB 1 § 51 Abs 2:
1. Der Rentenversicherungsträger ist bei der Gewährung einer Rente berechtigt, gegen einen Beitragsrückstand des Rentners bis zur Hälfte des Rentenbetrages aufzurechnen. Dies gilt auch für den Fall, daß der Rentner durch die Aufrechnung sozialhilfebedürftig nach dem BSHG wird oder die Leistungen nach diesem Gesetz in verstärktem Maße in Anspruch nehmen muß.
2. Zulässigkeit der Aufrechnung geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge bei Sozialhilfebedürftigkeit:
Für Beitragsschulden haften nach gesellschaftlichen Grundsätzen Komplementär und Kommanditist bis zur Höhe der Einlage nur solange, wie die Einlage nicht geleistet ist; danach entfällt die persönliche Haftung des Kommanditisten. Die umfassendere Haftung trifft den Komplementär.
3. Zugunsten der Versicherungsträger normiert der SGB 1 § 51 Abs 2 eine wichtige Ausnahme:
Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger (Versicherungsträger) gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen. Kommt SGB 1 § 51 Abs 2 zur Anwendung, dann bleibt für eine Auslegung in dem Sinne, daß gleichwohl die Voraussetzungen des SGB 1 § 51 Abs 1 gegeben sein müßten, kein Raum. Der Gesetzgeber hat in diesem Fall des SGB 1 § 51 Abs 2 die Aufrechnung bis zur Hälfte des Anspruchs auf laufende Geldleistungen auch zu Lasten der Sozialhilfe in Kauf genommen. Vom Versicherungsträger kann nicht verlangt werden, in die Ermessensprüfung stets die Pfändungsgrenze oder den Sozialhilferichtsatz einzubeziehen; andernfalls würde auf diesem Umweg ein Ergebnis erzielt, das im Gesetz bewußt vermieden werden sollte.
4. Vom zuständigen Leistungsträger kann bei der Aufrechnung nach SGB 1 § 51 Abs 2 nicht verlangt werden, in die Ermessensprüfung stets die Pfändungsgrenzen oder den Sozialhilferichtsatz einzubeziehen; er darf bis zur Hälfte der Sozialleistung aufrechnen. Das schließt jedoch nicht aus, daß der Einzelfall gleichwohl die Beachtung der vorgenannten Grenzen nahelegt.
Normenkette
SGB 1 § 51 Abs. 2 Fassung: 1975-12-11, § 54 Abs. 2 Fassung: 1975-12-11, Abs. 3 Fassung: 1975-12-11; BGB § 387 Fassung: 1896-08-18, § 421 Fassung: 1896-08-18; HGB § 171 Abs. 1 Fassung: 1897-05-10; SGB 1 § 51 Abs. 1 Fassung: 1975-12-11
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 10.03.1977; Aktenzeichen L 8 J 94/76) |
SG Berlin (Entscheidung vom 15.10.1976; Aktenzeichen S 23 J 661/73) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. März 1977 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird darum geführt, ob die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) berechtigt ist, mit ihren Beitragsansprüchen gegen das dem Kläger zustehende Altersruhegeld bis zu dessen Hälfte aufzurechnen, soweit es sich um Rentenbezugszeiten seit dem 1. Januar 1976 handelt (§ 51 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - SGB 1).
Der Kläger, von Beruf Bauunternehmer, war Komplementär der inzwischen erloschenen Kommanditgesellschaft K.W. Bau-KG. Im Mai 1972 teilte die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse B. der Beklagten mit, der Kläger schulde für den Zeitraum vom 1. November 1971 bis zum 19. Februar 1972 Gesamtsozialversicherungsbeiträge, von denen 43.772,42 DM auf die Rentenversicherung der Arbeiter entfielen. Wegen dieses Beitragsrückstandes rechnete die Beklagte gegen das dem Kläger zustehende Altersruhegeld zunächst in Höhe von monatlich 200,- DM auf (Bescheid vom 28. Februar 1973, Widerspruchsbescheid vom 27. November 1975). Mit Bescheiden vom 21. Januar und 12. Februar 1976 setzte sie den Aufrechnungsbetrag auf monatlich 327,70 DM (Hälfte des Altersruhegeldes) fest.
Der Kläger hat seine auf Rentenbezugszeiten seit Januar 1976 beschränkte Klage darauf gestützt, daß er selbst nur der Namensgeber für die Kommanditgesellschaft gewesen sei. Alle kaufmännischen Angelegenheiten der Firma hätten die Kommanditisten K. und St. erledigt, die im Gegensatz zu ihm wegen der Vorenthaltung von einbehaltenen Beiträgen bestraft worden seien. Nach der Aufrechnung durch die Beklagte habe er in stärkerem Maße Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Deshalb sei es unbillig, von ihm die Tilgung der Beitragsschuld zu verlangen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen; das Landessozialgericht (LSG) hat die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen und im Urteil vom 10. März 1977 ausgeführt: Der Kläger hafte als Komplementär der Kommanditgesellschaft für den Beitragsrückstand, ohne daß es auf sein Verschulden ankomme. Zwar seien beide Kommanditisten bis zur Höhe ihrer Einlage zusammen mit dem Kläger als Gesamtschuldner haftbar; die Beklagte könne sich jedoch als Gläubigerin nach ihrem Belieben an jeden der Schuldner halten. Gründe dafür, daß sie mit der Inanspruchnahme des Klägers mißbräuchlich gehandelt habe, seien nicht ersichtlich. Zwar könne nach § 51 Abs 1 SGB 1 gegen Ansprüche auf Geldleistungen nur aufgerechnet werden, soweit diese nach § 54 Abs 2 und 3 SGB 1 pfändbar seien; hier komme jedoch, da mit Beitragsansprüchen aufgerechnet werde, die Sondervorschrift des § 51 Abs 2 SGB 1 zur Anwendung, die eine Aufrechnung gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte erlaube. Wenn auch die Gesetzessystematik die Auslegung zulasse, die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 SGB 1 müßten auch in den Fällen des Abs 2 der Vorschrift vorliegen, so ergebe sich doch aus der amtlichen Begründung zu dem Gesetz, daß mit Abs 2 aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Erwägungen heraus eine Sonderregelung geschaffen worden sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe die - eine Aufrechnung einschränkenden - Vorschriften in § 54 Abs 2 und 3 SGB 1 im Rahmen des § 51 Abs 2 SGB 1 zu Unrecht für unanwendbar gehalten, deren Anwendung entspreche auch in seinem Fall der Interessenlage. Im übrigen hätte die Beklagte sich vorrangig an die Kommanditisten halten müssen, die nicht nur bis zur Höhe ihrer Einlage, sondern für den vollen Beitragsrückstand zu haften hätten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. März 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 1975, soweit darin die Aufrechnung für den Monat Januar 1976 erklärt ist, und die Bescheide vom 21. Januar und 12. Februar 1976 aufzuheben.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene trägt vor, die Kommanditisten seien verpflichtet, wegen der Vorenthaltung der Arbeitnehmerbeiträge Schadensersatz zu leisten; auf diese Beitragsrückstände (Arbeitnehmeranteile) werde von ihnen monatlich ein Betrag von 650,- DM gezahlt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Aufrechnung durch die Beklagte entspricht dem Gesetz.
Da zwischen den Beteiligten die Aufrechnungsbefugnis der Beklagten gegen den Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld nur (noch) für Rentenbezugszeiten seit dem 1. Januar 1976 streitig ist, beurteilt sich die Rechtslage nicht mehr nach § 1299 Reichsversicherungsordnung (RVO). Denn diese Bestimmung ist durch Art II § 4 Nr 1 SGB 1 mit Wirkung vom 1. Januar 1976, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB 1 (Art II § 23 Abs 1 S 1), gestrichen worden. Maßgebend ist seitdem für alle Leistungsträger § 51 SGB 1. Nach dessen Abs 1 kann der zuständige Leistungsträger mit eigenen Ansprüchen gegen Ansprüche auf Geldleistungen aufrechnen, soweit letztere nach § 54 Abs 2 und 3 SGB 1 pfändbar sind. Hierbei lehnt sich das SGB - enger als das für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1299 RVO und den entsprechenden Vorschriften der anderen Versicherungszweige der Fall war - an die zivilrechtliche Regelung an; es geht nicht mehr von dem Grundsatz der Unzulässigkeit der Aufrechnung aus, der nur ausnahmsweise für einzelne besonders normierte Forderungen des Versicherungsträgers durchbrochen war, sondern läßt die Aufrechnung umgekehrt grundsätzlich zu und beschränkt sie lediglich der Höhe nach.
Die für jede Aufrechnung geltenden allgemeinen Voraussetzungen - Gleichartigkeit beider Forderungen, Fälligkeit der eigenen und Erfüllbarkeit der anderen Forderung sowie Gegenseitigkeit der Forderungen (vgl § 387 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) - sind hier gegeben (wegen der Gegenseitigkeit der Ruhegeldforderung des Klägers und der von der Beigeladenen einzuziehenden Beitragsforderung der Beklagten vgl SozR RVO § 1299 Nr 8 am Ende). Trotzdem hält der Kläger die Aufrechnung aus mehreren Gründen nicht für zulässig, weil nämlich die Beklagte die Einschränkungen des § 54 Abs 2 und 3 SGB 1 nicht beachtet und außerdem ihr Wahlrecht bei der Inanspruchnahme des Klägers - als eines von mehreren Gesamtschuldnern - treuwidrig mißbraucht habe.
Da letzterer Einwand der weitergehender ist, hat ihn der Senat zunächst geprüft, jedoch mit dem LSG für unbegründet gehalten. Insofern ist schon zu beachten, daß die Kommanditisten, die nach Ansicht des Klägers vor ihm hätten in Anspruch genommen werden müssen, nach § 823 Abs 2 BGB (schuldhafte Verletzung eines Schutzgesetzes) nicht für die Arbeitgeberbeitragsanteile einzustehen brauchen (vgl § 1430 RVO iVm §§ 533, 534 RVO in der Fassung, die vor dem 1. Januar 1975 galt - aF -). § 533 RVO aF betrifft nur die einbehaltenen Beitragsanteile der Beschäftigten; hinsichtlich der Arbeitgeberanteile enthält die RVO kein Schutzgesetz iS des § 823 Abs 2 BGB (BGH in LM § 823 BGB Nr 62 - Bf -). Auch der aus dem Gesellschaftsrecht entwickelte Grundsatz der "Durchgriffshaftung" könnte hinsichtlich der Arbeitgeberanteile gegen die Kommanditisten K. und St. schwerlich weiterhelfen; denn der Kommanditist handelt mit dem Hinweis auf seine Haftungsbeschränkung selbst dann nicht rechtsmißbräuchlich, wenn er allein über Kapital verfügt und an der Leitung der Gesellschaft maßgeblich beteiligt, der Komplementär dagegen vermögenslos und daher seine persönliche Haftung für den Gläubiger nutzlos ist (BGHZ 45, 204). Abgesehen davon haften nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen Komplementär und Kommanditist bis zur Höhe der Einlage des letzteren nicht ohne weiteres als Gesamtschuldner, wie vom LSG angenommen, sondern nur solange, wie die Einlage nicht geleistet ist; danach entfällt eine persönliche Haftung des Kommanditisten (§ 171 Abs 1, 2. Halbs; Hueck, Gesellschaftsrecht, 17. Aufl, S 102). Zu diesen im Verhältnis zur Beklagten objektiven Gesichtspunkten kommt hinzu, daß der Gläubiger der Forderung ohnehin "nach seinem Belieben" die Leistung von jedem der Gesamtschuldner ganz oder zu einem Teil fordern kann (§ 421 S 1 BGB); in der Regel liegt nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte erst bei arglistigem Handeln ein Mißbrauch dieses weitgehenden "Wahlrechts" vor (vgl Palandt, BGB 34. Aufl § 421 A. 4). Selbst wenn dem Versicherungsträger wegen der ihm im Verhältnis zum Versicherten obliegenden Fürsorgepflicht, wie sie jetzt in §§ 13 ff SGB 1 zum Ausdruck kommt, engere Grenzen auch im Hinblick auf § 421 BGB zu setzen wären, läßt jedenfalls der hier zugrunde liegende Sachverhalt - insbesondere die umfassendere Haftung des Klägers sowohl für die Arbeitgeber - wie für die Arbeitnehmerbeitragsanteile - keine Verletzung einer solchen Pflicht erkennen. Dabei kann auf sich beruhen, ob - wie die Beigeladene im Revisionsverfahren vorgetragen hat - beide Kommanditisten bereits Schadensersatz wegen der vorenthaltenen Arbeitnehmerbeitragsanteile durch monatliche Zahlungen von 650,- DM leisten.
Unbegründet sind im Ergebnis auch die weiteren Angriffe der Revision gegen das Urteil des LSG. Im Gegensatz zu der vom Kläger vertretenen Ansicht kann die Beklagte gemäß § 51 Abs 2 SGB 1 bis zur Hälfte des Altersruhegeldes des Klägers aufrechnen. Lediglich Abs 1 dieser Vorschrift enthält den Grundsatz, daß der Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen (nur) aufrechnen kann, soweit diese nach § 54 Abs 2 und 3 pfändbar sind, dh soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht, ferner die für die Pfändung von Arbeitseinkommen geltenden Grenzen eingehalten sind und schließlich der Leistungsberechtigte durch die Pfändung nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird (§ 54 Abs 2 und 3 Nr 2 iVm Abs 2 SGB 1).
Für Versicherungsträger normiert demgegenüber § 51 Abs 2 SGB 1 eine wichtige Ausnahme: Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, daß hier bis zur Hälfte des Altersruhegeldes des Klägers aufgerechnet werden kann. Kommt aber Abs 2 der Vorschrift zur Anwendung, dann bleibt für eine Auslegung in dem Sinne, daß gleichwohl die Voraussetzungen des Abs 1 gegeben sein müßten, kein Raum. Der Senat vermag dem Berufungsgericht, das von der Gesetzessystematik her beide Auslegungen für möglich hält, nicht zu folgen. Die Privilegierung der Erstattungs- und Beitragsansprüche ist durch einen besonderen Absatz und dessen Formulierung hinreichend klar zum Ausdruck gekommen und als Ausnahme von Abs 1 hervorgehoben. Hätten die Einschränkungen des Abs 1 auch - und zwar dann zusätzlich - bei Anwendung des Abs 2 gelten sollen, so wäre es erforderlich und unschwer möglich gewesen, dies kenntlich zu machen, beispielsweise durch Einfügen des Wortes "nur" (... bis zu deren Hälfte aufzurechnen). Daß indessen eine solche Schlechterstellung der Beitragsforderungen gegenüber sonstigen Ansprüchen nicht der Sinn des Gesetzes sein kann, hat bereits das LSG zutreffend ausgeführt. Dementsprechend wird auch im Schrifttum - soweit ersichtlich, im Ergebnis übereinstimmend - das Verhältnis von § 51 Abs 1 zu Abs 2 SGB 1 verstanden und darüber hinaus überwiegend darauf hingewiesen, daß im umgekehrten Fall - wenn Abs 1 eine günstigere Aufrechnung ermöglicht (so bei höheren Rentenbeträgen oder beim Zusammentreffen von Rente mit anderem Einkommen) - ein Zurückgreifen auf die Grundvorschrift zulässig sein soll (vgl VDR-Kommentar, Stand August 1976, § 51 SGB 1, Anm 6; Hauck-Haines, SGB 1, K § 51 Rdnr 13; Peters, SGB 1, § 51 Anm 10; Maier, SGB 1, Anm 4. 2. 1. und ihm folgend Koch/Hartmann/Casselmann, AVG/SGB, Stand Oktober 1976, § 51 Anm VI 2 b).
Gegenmeinungen betreffen nicht die Auslegung des § 51 Abs 2 SGB 1, sondern beziehen sich teils auf die amtliche Begründung, die als wenig überzeugend bezeichnet wird, zum anderen darauf, daß durch die Aufrechnung seitens des Versicherungsträgers der Leistungsberechtigte uU in stärkerem Maße oder überhaupt erst Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß und somit im Ergebnis der Sozialhilfeträger für die Schulden des Berechtigten einzustehen hat (vgl Harbeck, BlStSozArbR 1975, 215 ff, 218 und 375 ff, 378; ihm folgend Schroeter in SGB-Gesamtkommentar, Stand Oktober 1976, § 51 Anm 6; Maier, DAngVers 1975, 375 ff, 388 sowie mit teilweise abweichenden Argumenten Wolber, SV 1977, 281 f). In der Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drucks 7/868) wurde zu § 51 Abs 1 SGB 1 die bisherige Privilegierung der Leistungsträger erwähnt und darauf hingewiesen, daß der Leistungsanspruch "durch die Aufrechnung meist ganz entfallen kann", so daß eine Bindung an die Pfändungsgrenze erforderlich sei. Zu Abs 2 heißt es nur, er lasse aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen gewisse Ausnahmen zu. Daraus ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung gehandelt hat, derzufolge einer Aufrechnung mit Beitragsrückständen gegen den Rentenanspruch eines Berechtigten nicht entgegenstand, daß dieser dadurch in stärkerem Maße als bisher Sozialhilfe in Anspruch nehmen mußte (SozR Nr 13 zu § 1299 RVO, ferner Nr 12 und 10 aaO). Überdies hat auf den Gebieten der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung auch früher schon die Möglichkeit der Aufrechnung bis zur Hälfte des Anspruchs auf die Gegenleistung bestanden (§ 223 Abs 3 RVO und § 126 Arbeitsförderungsgesetz in der jeweils vor dem 1. Januar 1976 geltenden Fassung).
Diese Entwicklung macht deutlich, daß der Gesetzgeber in den Fällen des § 51 Abs 2 SGB 1 die Aufrechnung bis zur Hälfte des Anspruches auf laufende Geldleistungen auch zu Lasten der Sozialhilfe in Kauf genommen hat, zumal erst auf Antrag des 11. Ausschusses (für Arbeit und Sozialordnung) vom 6. Juni 1975 (BT-Drucks 7/3738) in den § 54 Abs 3 Nr 2 SGB 1 - und damit insoweit auch in den § 51 Abs 1 - die zusätzliche Sicherung aufgenommen wurde, durch die Pfändung (iVm § 51 Abs 1: Aufrechnung) dürfe der Berechtigte nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt werden. Eine derartige Beschränkung ist also - offenbar bewußt - im Rahmen des § 51 Abs 2 SGB 1 fortgelassen worden.
Ob die amtliche Begründung zu § 51 Abs 2 SGB 1 überzeugt, soweit sie auf verwaltungstechnische Gründe Bezug nimmt, mag dahinstehen. Nicht ohne weiteres erkennbar ist auch, welche sozialpolitischen Gründe den Gesetzgeber zu der Sonderregelung des § 51 Abs 2 SGB 1 bewogen haben, da die Materialien des Gesetzes insoweit keine Erläuterung enthalten. Offenbar ist den Beitragsforderungen der Versicherungsträger, deren Nichterfüllung letztlich zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen würde, so großes Gewicht beigelegt worden, daß demgegenüber Rücksichten auf die Sozialhilfeträger zurückgetreten sind; diese Entscheidung - in Verbindung mit finanziellen Erwägungen zugunsten der Sozialversicherungsträger - hält sich noch im Ermessensspielraum des Gesetzgebers.
Dagegen vermag auch der - de lege ferenda allerdings beachtliche - Einwand Wolbers (aaO) nicht durchzugreifen, in § 51 Abs 2 SGB 1 werde im Grunde nur die Beitragsforderung bevorzugt, während sich die Frage der Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers im Zusammenhang mit Erstattungsansprüchen nicht stelle, da die Grundnorm bereits die Vertretbarkeit der Rückforderung im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen verlange (vgl §§ 628, 1301 RVO). Die ungleiche Behandlung beider Sachverhalte ist nicht willkürlich; sie entspricht vielmehr der Systematik des Gesetzes, das Beitragsforderungen und Rückforderungen von überzahlten Leistungen verschieden gestaltet hat (zu Fragen der Grundkonzeption des Gesetzgebers und Systemgerechtigkeit vgl BVerfGE 14, 263, 285). Deshalb kann auch im Wege der Fortentwicklung des Rechts das vom Kläger angestrebte Ergebnis nicht gewonnen werden.
Die Sachlage läßt schließlich nicht erkennen, daß die Beklagte bei ihrer Entscheidung über die Aufrechnung und deren Ausmaß ihr Ermessen überschritten oder mißbraucht hat. Das Altersruhegeld, gegen das aufgerechnet wurde, enthält keinen Kinderzuschuß, der als beitragsunabhängiger, für eine andere Person bestimmter Leistungsanteil bei der Ermessensprüfung möglicherweise in der Weise zu berücksichtigen wäre, daß er dem Dritten in der Regel voll erhalten bleibt, also nicht bis zur Hälfte mit aufgerechnet werden darf. Vom Versicherungsträger kann auch nicht verlangt werden, in die Ermessensprüfung stets die Pfändungsgrenzen oder den Sozialhilferichtsatz einzubeziehen (aA anscheinend Maier, DAnGVers aaO); andernfalls würde auf diesem Umweg ein Ergebnis erreicht, das im Gesetz bewußt vermieden werden sollte. Das schließt zwar nicht aus, daß der Einzelfall gleichwohl die Beachtung der vorgenannten Grenzen nahelegt. So sollte die Höhe des Betrages, mit dem aufgerechnet wird, so berechnet sein, daß der Leistungsberechtigte nicht aufgrund der Aufrechnung überhaupt erst wegen eines verhältnismäßig geringen Differenzbetrages den Sozialhilfeträger in Anspruch nehmen muß. Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch nicht; der Kläger erhält ohnehin neben seinem Altersruhegeld die Leistung aus der Sozialhilfe. Im übrigen hat sich die Beklagte bei ihrer Aufrechnung bis zur Hälfte des Altersruhegeldbetrages erkennbar und mit Recht von der hohen Beitragsschuld des Klägers leiten lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen