Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschiedenenwitwenrente. umfassender Unterhaltsverzicht
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen trotz eines gegenseitigen, endgültigen und umfassenden Unterhaltsverzichts bei einer auf § 60 EheG gestützten Scheidung ein Anspruch auf "Geschiedenen-Witwenrente" nach § 42 Abs 1 S 2 AVG (= § 1265 Abs 1 S 2 RVO) besteht (Anschluß an und Ergänzung zu BSG vom 15.12.1988 - 4/11a RA 42/86).
Orientierungssatz
Ein gegenseitiger umfassender Unterhaltsverzicht ist für die Entstehung des Anspruchs nach § 42 Abs 1 S 2 AVG (= § 1265 Abs 1 S 2 RVO) unschädlich, wenn dieser ausschließlich wegen der schlechten Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten und wegen der eigenen Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einem Beschäftigungsverhältnis erfolgte (Unterhaltsverzicht im entschiedenen Fall im Jahre 1974; vgl BSG vom 23.11.1988 - 5/5b RJ 100/86).
Normenkette
AVG § 42 Abs 1 S 2 Fassung: 1985-07-11; RVO § 1265 Abs 1 S 2 Fassung: 1985-07-11; EheG § 60
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 05.05.1987; Aktenzeichen L 13 An 122/86) |
SG Detmold (Entscheidung vom 06.05.1986; Aktenzeichen S 13 (16) An 30/83) |
Tatbestand
Streitig ist Hinterbliebenenrente an eine frühere Ehefrau.
Die im Mai 1932 geborene Klägerin heiratete 1956 den zuletzt bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) versichert gewesenen Malermeister Paul-Alfred S. . Die Ehe, der zwei Kinder (Ulrike, geboren 1957, und Bernd, geboren im September 1962) entstammen, wurde durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 26. April 1974, rechtskräftig seit dem 19. Juni 1974, aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Am gleichen Tag schlossen die Klägerin und der Versicherte einen Vergleich, demzufolge die elterliche Gewalt über beide Kinder der Klägerin übertragen werden sollte (Nr 1 des Vergleichs) und sich der Versicherte verpflichtete, zu Händen der Klägerin monatlich für Ulrike 200,-- DM und für Bernd 155,-- DM zu zahlen (Nr 2). Unter Nr 5 heißt es: "Die Parteien verzichten gegenseitig auf Unterhalt, auch für den Fall des Notbedarfs." Rechtsanwalt W. , der die Klägerin im Scheidungsverfahren und später deren Kinder wegen Unterhaltsansprüchen gegen den Versicherten vertreten hatte, führte hierzu im Schreiben vom 29. April 1974 aus, der Vergleich scheine ihm insbesondere wegen des auch für den Fall des Notbedarfs ausgesprochenen Verzichts als für die Klägerin durchaus günstig ausgefallen zu sein; sonst hätte, da Alkoholiker grundsätzlich nicht von ihrem Laster befreit werden könnten, zumindest theoretisch die Gefahr bestanden, daß sie - die Klägerin - noch gegenüber ihrem Mann unterhaltspflichtig werde.
Am 28. März 1980 ist der Versicherte verstorben. Er war im Jahr der Scheidung - 1974 - bis Februar pflichtversichert, dann längere Zeit arbeitsunfähig krank gewesen und hatte an Heilverfahren und Entziehungskuren wegen Alkoholabhängigkeit teilgenommen, bevor er ab April 1976 beim P. -W. ua als Hausmeister beschäftigt wurde. Sein Nettoeinkommen betrug von 1979 bis zu seinem Tode etwa 1.500,-- DM monatlich. Auch die seit 1970 bei den Stadtwerken B. beschäftigte Klägerin verdiente im Jahr vor dem Tode des Versicherten ca 1.500,-- DM netto monatlich.
Den im Mai 1980 gestellten Hinterbliebenenrentenantrag der Klägerin lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 23. Juli 1981, Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 1983).
Das Sozialgericht Detmold (SG) hat durch Urteil vom 6. Mai 1986 die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verpflichtet, der Klägerin "Geschiedenen-Witwenrente" gemäß §§ 42 Satz 2, 45 Abs 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) bis zum 30. September 1980 zu gewähren, und der Beklagten ein Drittel der außergerichtlichen Kosten auferlegt: Der Anspruch bestehe nach den im Urteilstenor genannten Bestimmungen für die Dauer der Erziehung des waisenrentenberechtigten Sohnes Bernd. Der erklärte Unterhaltsverzicht stehe dem nicht entgegen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 14. März 1985 - 5b RJ 68/84); er sei nur im Zusammenhang mit den Vermögens- und Erwerbsverhältnissen des Versicherten und den Erträgnissen der von der Klägerin seit 1970/71 ausgeübten Erwerbstätigkeit verständlich. Es gebe keine Anhaltspunkte, daß Einkünfte der Klägerin aus Kapitalvermögen den Ausschlag für den Verzicht gegeben hätten. Der Versicherte sei damals überwiegend arbeitsunfähig krank gewesen. Das SG hat die Berufung in den Gründen seines Urteils zugelassen. Das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) hat das Urteil des SG abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. In der angefochtenen Entscheidung vom 5. Mai 1987 ist im wesentlichen ausgeführt: Die Berufung sei, da eindeutig in den Gründen des SG-Urteils zugelassen, zulässig. Mit Recht habe das SG einen Anspruch nach § 42 Abs 1 Satz 1 Alternative 1 AVG verneint. Da die Klägerin seit 1970 Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit bezogen habe, wäre ihr kein Unterhaltsbeitrag des Versicherten zuzubilligen gewesen; es habe auch kein auffälliges Mißverhältnis zwischen ihrem Arbeitsentgelt und den Einkünften des Versicherten bestanden. Selbst wenn die Klägerin Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag gehabt hätte, wäre dieser Anspruch durch den Unterhaltsverzicht entfallen. Schon deshalb sei auch die 2. Alternative des § 42 Abs 1 Satz 1 AVG nicht erfüllt. Mit zutreffender Beweiswürdigung habe das SG auch die 3. Alternative der Vorschrift - tatsächliche Unterhaltszahlungen - verneint. Entgegen dem SG schließe jedoch der umfassende Unterhaltsverzicht einen Unterhaltsanspruch der Klägerin nach § 42 Abs 1 Satz 2 AVG ebenfalls aus (Hinweis auf SozR 2200 § 1265 Nrn 3, 6, 40). Diese Rechtswirkung trete auch ein, wenn im Zeitpunkt des Verzichts kein Unterhaltsanspruch bestehe. Dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. März 1985 (SozR 2200 § 1265 Nr 74) sei nicht zu folgen.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision beruft sich die Klägerin auf Sinn und Zweck des § 42 Abs 1 Satz 2 AVG. Die Vorschrift idF des Rentenreformgesetzes (RRG) begünstige Frauen, die keinen Unterhaltsanspruch haben, sofern sie die übrigen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllen. Der Unterhaltsverzicht könne keine Rolle spielen, wenn im Zeitpunkt des Todes des Versicherten wegen dessen Vermögens- oder Erwerbsverhältnissen oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit keine Unterhaltsverpflichtung bestanden habe; dem SG- Urteil sei beizupflichten.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 6. Mai 1986 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Da der Unterhaltsverzicht bereits eine Unterhaltsverpflichtung nach § 42 Abs 1 Satz 1 AVG ausschließe, könne bei Anwendung des Satzes 2 dieser Vorschrift nicht mehr von einer "Unterhaltsverpflichtung" ausgegangen werden; denn diese bestehe schon nach Satz 1 unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Versicherten und der Bedürftigkeit der früheren Ehefrau aufgrund des Verzichts nicht mehr. Im übrigen könne dem Urteil des 5b Senats vom 4. März 1985 nicht gefolgt werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das die Klage in vollem Umfang abweisende Urteil der Vorinstanz mußte aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.
Mit Recht hat das LSG - was als unverzichtbare, das Verfahren als Ganzes betreffende Prozeßvoraussetzung von Amts wegen vom Revisionsgericht zu überprüfen ist (zB BSG in SozR 1500 § 150 Nr 18) - die Zulässigkeit der Berufung bejaht. Denn das SG hat die Berufung, die hinsichtlich des zuerkannten Teils des geltend gemachten Anspruchs Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betraf und daher insoweit nach § 146 SGG an sich unzulässig gewesen wäre, im Urteil zugelassen (§ 150 Nr 1 SGG). Allerdings ist dies nicht im Tenor, sondern nur in den Gründen geschehen. Das schadet indessen jedenfalls dann nicht, wenn die Zulassung - wie hier - eindeutig ausgesprochen und das Urteil verkündet worden ist (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl § 150 RdNr 6).
Die Klägerin hat Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten in dem zeitlichen Umfang, wie er vom SG zuerkannt worden ist.
Anspruchsgrundlage ist § 42 AVG (= § 1265 der Reichsversicherungsordnung - RVO). Nach Satz 1 dieser Vorschrift idF des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1421) - seit dem am 1. Januar 1986 in Kraft getretenen Hinterbliebenen- und Erziehungszeitengesetz vom 11. Juli 1985 (BGBl I 1450): Abs 1 Satz 1 - wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 (ua) geschieden worden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG; Regelung 1) oder aus sonstigen Gründen (Regelung 2) zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (Regelung 3). Ist eine Witwenrente nicht zu gewähren, findet gemäß Satz 2 der Vorschrift Satz 1 auch dann Anwendung, 1. wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat und 2. wenn die frühere Ehefrau ua im Zeitpunkt der Scheidung der Ehe mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen oder das 45. Lebensjahr vollendet hatte und 3. solange sie ua berufsunfähig (§ 23 Abs 2 AVG) oder erwerbsunfähig (§ 24 Abs 2 AVG) ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat.
Daß die Voraussetzungen des § 42 Abs 1 Satz 1 AVG nicht vorliegen, hat bereits das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der ersten Instanz ohne Rechtsfehler erkannt. Soweit es dabei um die Regelung 3 geht - (tatsächliche) Unterhaltsleistung des Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode -, hat das LSG im Hinblick auf den wechselnden Vortrag der Klägerin und deswegen, weil diese im Widerspruchsverfahren noch angegeben hatte, vom Versicherten seien als laufender Unterhalt (nur) 200,-- DM monatlich für Sohn Bernd gezahlt worden, Regelmäßigkeit und Höhe der behaupteten Zahlungen an die Klägerin als nicht bewiesen erachtet und ausgeführt, auch hinsichtlich der anderen angegebenen Leistungen des Versicherten habe das SG mit zutreffender Begründung einen tatsächlichen Unterhalt verneint. Diese Ausführungen sind rechtlich nicht zu beanstanden, und gegen sie sind, soweit sie tatsächliche Feststellungen enthalten, keine Revisionsrügen (§§ 163 Halbsatz 2, 164 Abs 2 Satz 3 SGG) erhoben worden. Festzuhalten ist auch, daß zwar das Berufungsgericht wegen des dogmatischen Zusammenhanges der Sätze 1 und 2 des § 42 Abs 1 AVG und unter dem Gesichtspunkt, das Klagebegehren unter allen denkbaren materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen zu prüfen, zunächst die Fallgruppen des Satzes 1 untersucht hat, daß sich aber die Klägerin bereits in der Berufungsinstanz mit dem in seiner Rechtsqualität minderen Anspruch aus § 42 Abs 1 Satz 2 AVG (vgl BSG in SozR 2200 § 1265 Nr 82) begnügt hatte; sonst hätte folgerichtig auch sie gegen das nur zeitlich begrenzt Hinterbliebenenrente zusprechende SG-Urteil Berufung oder Anschlußberufung eingelegt und die Gewährung einer unbefristeten Rente beantragt.
Für eine Verpflichtung des Versicherten "aus sonstigen Gründen" (Regelung 2 des Abs 1 Satz 1 der Vorschrift) bieten sich keine Anhaltspunkte. Aber auch nach den Vorschriften des Ehegesetzes (Regelung 1 aaO) hatte der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin keinen Unterhalt zu leisten, wie das LSG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat. Abgesehen davon, daß ein umfassender und endgültiger (weil auch den Fall des Notbedarfs einschließender) Unterhaltsverzicht stets den Hinterbliebenenrentenanspruch gemäß § 42 Abs 1 Satz 1 Regelung 1 und 2 ausschließt (ständige Rechtsprechung, zB Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tag - 4/11a RA 72/87 - und des 5. Senats des BSG vom 23. November 1988 - 5/5b RJ 100/86), kommt es - worauf an anderer Stelle noch näher einzugehen sein wird - hier darauf noch nicht einmal an: Da beide Ehegatten schuld an der Scheidung waren, aber keiner die überwiegende Schuld trug, ist für etwaige Unterhaltsansprüche § 60 EheG maßgebend. Nach dessen Satz 1 kann dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen der Billigkeit entspricht. Mit Recht hat das LSG einen solchen Billigkeitsanspruch, der nicht erst durch Richterspruch, sondern kraft Gesetzes entsteht und der daher auch von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit festgestellt werden kann (vgl BSG in SozR Nr 29 zu § 1265 RVO), verneint, weil die Klägerin bereits seit 1970 bis zum Tode des Versicherten aus eigener Erwerbstätigkeit Einkünfte erzielt und auch kein auffälliges Mißverhältnis zwischen ihrem Arbeitsentgelt und den Einkünften des Versicherten bestanden habe. Dem ist noch hinzuzufügen, daß nach den eigenen Feststellungen des Berufungsgerichts sowohl das Arbeitsentgelt der Klägerin wie auch dasjenige des Versicherten im Jahre vor dessen Tod bei ca 1.500,-- DM monatlich gelegen hat. Im übrigen wären im Rahmen des § 60 EheG die Bedürfnisse des damals noch minderjährigen Kindes Bernd zu berücksichtigen gewesen, dem der Versicherte Unterhalt zu leisten hatte (vgl § 60 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 59 Abs 1 Satz 2 EheG).
Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts steht aber der Klägerin Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten gemäß § 42 Abs 1 Satz 2 AVG zu. Da die Voraussetzung der Nr 2 dieses Satzes ersichtlich vorliegt (die Klägerin hatte im Zeitpunkt der Scheidung mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen) und auch die Temporärbestimmung der Nr 3 aaO ("solange") bis zu dem vom SG festgestellten Endzeitpunkt erfüllt war (die "Erziehung" des Sohnes Bernd endete mit dessen Volljährigkeit im September 1980, vgl § 44 Abs 1 AVG und BSG in SozR 2200 § 1268 Nr 16), ist für ihren Anspruch Nr 1 aaO entscheidend. Daß bei Ausklammerung des Unterhaltsverzichts auch die Voraussetzungen dieses Teiles der Vorschrift erfüllt wären, liegt auf der Hand: Nachdem der Große Senat des BSG (GS) mit Beschluß vom 25. April 1979 (BSGE 48, 146 = SozR 2200 § 1265 Nr 41) entschieden hat, die Unterhaltsbeitragspflicht nach § 60 EheG sei eine Unterhaltsverpflichtung iS des § 42 Satz 2 Nr 1 AVG (§ 1265 Satz 2 Nr 1) idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965), ist auch in bezug hierauf ein ausreichendes Leistungsvermögen des Versicherten sowie weiter zu unterstellen, daß die Klägerin als frühere Ehefrau keine Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit hatte (BSGE 42, 56, 58 = SozR 2200 § 1265 Nr 18; ferner SozR aaO Nr 59); daß die Klägerin andere Einkünfte als aus ihrem Beschäftigungsverhältnis gehabt habe, ist nach den unbeanstandeten Feststellungen des LSG nicht ersichtlich.
Das LSG hat allerdings im angefochtenen Urteil den Hinterbliebenenrentenanspruch aus Satz 2 des § 42 Abs 1 AVG wegen des den Notbedarfsfall einschließenden Unterhaltsverzichts (auch) der Klägerin im Einklang mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung verneint. Denn das BSG hat in langjähriger gesicherter Rechtsprechung die Auffassung vertreten, ein endgültiger, umfassender Unterhaltsverzicht schließe jegliche Unterhaltsverpflichtung iS von Satz 1 Regelungen 1 und 2 und von Satz 2 Nr 1 aaO aus (SozR 2200 § 1265 Nrn 3, 6, 40 mwN). Die Anwendung des § 42 Satz 2 AVG sei dann ausgeschlossen, so zB der erkennende Senat im Urteil vom 28. März 1979 (SozR aaO Nr 40), weil "unter Nr 1 nicht alle, sondern nur bestimmte Gründe für das Fehlen einer (konkreten) Unterhaltspflicht unschädlich sind, um gleichwohl - beim Vorliegen der unter Nr 2 und 3 normierten weiteren Voraussetzungen - den Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach dem früheren Ehemann entstehen zu lassen". Inzwischen hat der 5. Senat des BSG am 23. November 1988 entschieden (5/5b RJ 100/86), daß ein "deklaratorischer" Unterhaltsverzicht, der im wesentlichen wegen der in § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO (= § 42 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AVG) genannten Tatbestandsmerkmale erklärt worden ist, der Rentengewährung nach Satz 2 aaO nicht entgegenstehe. Zuvor hatte der 5. Senat beim 1. und 4. Senat des BSG angefragt (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nr 74), ob an der Rechtsprechung festgehalten wird, wonach "in jedem Fall ein umfassender, endgültiger Verzicht auf Unterhalt die Anwendung des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO bzw § 42 Abs 1 Satz 2 AVG ausschließt" (Anfrage-Beschluß vom 3. Februar 1988). Der 1. Senat des BSG hat geantwortet, an der bisherigen Rechtsprechung werde "insofern nicht festgehalten", als danach ein derartiger Unterhaltsverzicht die Anwendung der obengenannten Vorschriften "auch dann ausschließt, wenn der Unterhaltsverzicht den dort genannten Verhältnissen Rechnung trägt" (Beschluß vom 6. Oktober 1988). Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 15. November 1988 geantwortet, er halte nicht daran fest, daß ein solcher Verzicht auch dann den Anspruch auf "Geschiedenen-Witwenrente" vereitele, wenn er "ausschließlich wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten ... bzw wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit - also insbesondere nicht auch, um eine sogenannte Konventionalscheidung durch 'Übernahme' der Allein- oder überwiegenden Schuld vom Versicherten zu ermöglichen - erklärt worden ist" (vgl hierzu auch Urteile des Senats vom 15. Dezember 1988 - 4/11a RA 42/86 und 4/11a RA 49/87). Unter Berücksichtigung dieser geänderten Rechtsauffassung des erkennenden Senats steht der Unterhaltsverzicht der Klägerin einem Hinterbliebenenrentenanspruch nach § 42 Abs 1 Satz 2 AVG nicht entgegen:
Auszugehen ist zunächst von Sinn und Zweck des Satzes 2 aaO in der Fassung, die diese Vorschrift durch das RRG erhalten hat. Mit dieser "Härteregelung" sollte unter bestimmten neuen weiteren Voraussetzungen das sog Unterhaltsersatzprinzip abgeschwächt und der geschiedene Ehegatte nicht lediglich unter dem Blickpunkt einer fortwirkenden Unterhaltsverpflichtung in den rentenversicherungsrechtlichen Schutz einbezogen werden; es sollten im Ergebnis ua Haushaltsführung und Kinderbetreuung der Erwerbstätigkeit des Verdieners gleichgestellt werden (vgl GS in BSGE 48, 146, 156 f). Daß der Schutzzweck des Satzes 2 ausnahmsweise die Anwendung des Satzes 1 aaO auch dann soll ermöglichen können, wenn die frühere Ehefrau umfassend und endgültig auf Unterhalt verzichtet hat, ist das Anliegen des 5., 1. und des erkennenden Senats, wie aus den oben erwähnten Beschlüssen und Urteilen hervorgeht. Der erkennende Senat begrenzt indessen die Ausnahmen auf die Fälle, in denen der Unterhaltsverzicht sich nicht nur von Anfang an, sondern auch im Blick auf den in unbekannter Zukunft liegenden Versicherungsfall des Todes des Versicherten (Satz 2 iVm Satz 1 aaO) als Verfügungsvertrag ohne rechtliche und wirtschaftliche Substanz und Auswirkung, also als "leere Hülse" darstellt und deshalb ungerechtfertigt die Anwendung der Härtefallregelung des Satzes 2 aaO hintanhält (Urteil des Senats vom 15. Dezember 1988 - 4/11a RA 42/86 S 13). Typischerweise haben nämlich die Parteien gerade mit einem endgültigen, umfassenden Unterhaltsverzicht bei Abschluß des Vertrags (Vergleichs) nach § 72 EheG über die aktuellen Gegebenheiten hinaus die von Wechselfällen des Lebens abhängigen künftigen Veränderungen in ihrem Unterhaltsrechtsverhältnis vor Augen (vgl § 323 der Zivilprozeßordnung) und gerade auch dafür privat-autonom eine rechtsgeschäftliche Regelung, die "Vernichtung" des Unterhaltsrechtsverhältnisses, bereits "dem Grunde nach" getroffen. Etwas anderes (ein Fall der "leeren Hülse") mit der Folge der Rentengewährung nach Satz 2 aaO kann daher nur angenommen werden, wenn nachgewiesen ist, daß bereits ohne den Unterhaltsverzicht 1) noch zur Zeit des Todes des Versicherten (Versicherungsfall) und 2) bereits zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Verzichts keine Unterhaltsverpflichtung ausschließlich aus den in Satz 2 Nr 1 aaO genannten Gründen bestanden hat, und wenn es 3) die spätere Hinterbliebene schon bei Abschluß des Erlaßvertrages vernünftigerweise als ausgeschlossen erachten durfte, die in Satz 2 aaO genannten, einen Unterhaltsanspruch hindernden Gründe könnten bis zum Tode des Versicherten infolge einer in Rechnung zu stellenden Änderung der Verhältnisse wieder entfallen (Urteil des erkennenden Senats aaO S 13 f). Daß dies alles hier zutrifft, ergeben zu 1) und 2) bereits die unbestrittenen und ihrem Inhalt nach unbedenklichen Feststellungen des LSG und obige Erörterungen, so daß es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf (vgl zB BSGE 15, 197, 203). Aber auch die Voraussetzungen der unter 3) beschriebenen "Vorausschau" liegen unter Berücksichtigung der im LSG-Urteil iVm dem SG-Urteil getroffenen Feststellungen vor: Der Rechtsanwalt, der die Klägerin im Scheidungsverfahren vertrat und für sie den Vergleich abschloß, hat damals in seinem Bericht gegenüber der Klägerin den umfassenden Unterhaltsverzicht als günstig bezeichnet mit der Bemerkung, Alkoholiker könnten grundsätzlich nicht von ihrem Laster befreit werden; er hat ferner auf die Gefahr hingewiesen, daß sonst - ohne gegenseitigen Unterhaltsverzicht auch für den Fall des Notbedarfs - sie, die Klägerin, hätte unterhaltspflichtig werden können. Dies mußte die Klägerin als Belehrung darüber oder Bestätigung dafür auffassen, daß - umgekehrt - sie selbst nach menschlicher Voraussicht von ihrem Mann niemals Unterhalt zu erwarten haben werde. Hinzu kommt, daß sie damals bereits einige Jahre bei einer Behörde angestellt war und entsprechend verdiente. Es mußte ihr vom damaligen Standpunkt aus vernünftigerweise als ausgeschlossen erscheinen, daß sie einmal kein oder doch ein so niedriges Arbeitseinkommen, andererseits aber der Versicherte (so) hohe Einkünfte haben werde, die ihn zur Erfüllung eines "Billigkeitsunterhaltsanspruches" iS von § 60 EheG verpflichten könnten. Das kennzeichnet den gegenseitigen umfassenden Unterhaltsverzicht als ausschließlich wegen der schlechten Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten und wegen ihrer eigenen Erträgnisse aus dem Beschäftigungsverhältnis erklärt. Der Unterhaltsverzicht ist deshalb für die Entstehung des Anspruchs nach § 42 Abs 1 Satz 2 AVG unschädlich.
Mit dieser Entscheidung weicht der erkennende Senat im Ergebnis nicht von dem bereits erwähnten Urteil des 5. Senats des BSG vom 23. November 1988 - 5/5b RJ 100/86 - ab. Dort hat es der 5. Senat als in hohem Maße bedenklich angesehen, daß zum Verlust des Anspruchs aus § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO ein Verzicht führen solle, der bereits erklärt worden sei, als die rentenrechtlichen Auswirkungen des Verzichts überhaupt noch nicht zu überblicken waren (im entschiedenen Fall im Jahre 1958; vgl S 6 f jenes Urteils). Damit hat der 5. Senat nicht gesagt, daß Verzichtserklärungen in der Zeit seit dem 1. Januar 1973 stets schädlich sein müßten, und dies auch mit dem Hinweis zum Ausdruck gebracht, daß "zumindest für diese Fälle" (in denen vor den Rechtsänderungen von 1965 und 1973 der Verzicht erklärt worden war) die bisherige Rechtsprechung modifiziert werden müsse.
Nach alledem mußte auf die Revision der Klägerin das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und das sozialgerichtliche Urteil im Ergebnis wiederhergestellt werden. Allerdings enthält das SG-Urteil nicht den Zeitpunkt des Beginns der zuerkannten Hinterbliebenenrente. Da aber der Antragsmonat (Mai 1980) auch den Urteilen beider Vorinstanzen zufolge feststeht, ist der Rentenbeginn nach § 67 Abs 4 AVG mit dem 1. Juni 1980 ohne weiteres bestimmbar; dementsprechend hatte im übrigen die Klägerin auch im erstinstanzlichen Verfahren ihren Klageantrag gestellt. Der Senat hat daher von einer Korrektur im Tenor absehen dürfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hinsichtlich der im Verfahren erster Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten bleibt es bei der Kostenentscheidung des SG.
Fundstellen