Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzkasse. Beitragspflicht bei Krankengeldbezug. Satzungsautonomie. nichtversicherungspflichtiges Mitglied. Solidaritätsprinzip
Orientierungssatz
1. Die satzungsrechtliche Bestimmung einer Ersatzkasse über die während des Anspruchs auf Krankengeld weiterbestehende Beitragspflicht für freiwillig versicherte Selbständige verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die entsprechende Satzungsbestimmung verletzt nicht den Solidaritätsgrundsatz. Das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung knüpft an eine - im Vergleich zur Versicherungspflicht - geringere Schutzbedürftigkeit an (vgl BSG 19.6.1986 12 RK 4/85 = SozR 5428 § 2 Nr 9).
2. § 383 RVO, der für die gesetzlichen Krankenkassen (§ 225 RVO) bestimmt, daß Beiträge während des Anspruchs auf Krankengeld nicht zu entrichten sind, gilt nicht für Ersatzkassen.
3. Daß eine Ersatzkasse die freiwillig versicherten Selbständigen in der Beitragsregelung für die Zeit des Anspruchs auf Krankengeld anders und ungünstiger behandelt als die Angestellten mit einem über der Versicherungspflichtgrenze liegenden Einkommen, kann weder als willkürlich noch als sachlich schlechthin ungerechtfertigt angesehen werden.
Normenkette
RVO § 383 S 1 Fassung: 1974-08-07, § 507 Fassung: 1977-06-27, § 508 S 2 Fassung: 1970-12-21; SVAufbauV 12 Art 2 § 4 Abs 2; GG Art 3 Abs 1; VAG § 21 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 23.08.1985; Aktenzeichen L 4 Kr 259/85) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 26.09.1984; Aktenzeichen S 15 Kr 1822/84) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Krankenversicherungsbeiträgen für die Zeit des Krankengeldbezuges und verlangt deren Rückerstattung.
Der 1941 geborene Kläger ist als Selbständiger nichtversicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten mit Krankengeldanspruch in der Beitragsklasse 621. Aus Anlaß einer am 7. Februar 1983 erlittenen Oberschenkelfraktur bezog er vom 28. Februar 1983 bis 16. September 1983 Krankengeld und entrichtete für diese Zeit weiterhin Beiträge. Im Oktober 1983 wandte er sich gegen die Krankengeld- und Beitragsregelung in der Beitragsklasse 621 und begehrte die Erstattung der während des Krankengeldbezugs entrichteten Beiträge. Die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 9. Dezember 1983; Widerspruchsbescheid vom 3. April 1984).
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts -SG- Karlsruhe vom 26. September 1984; Urteil des Landessozialgerichts -LSG Baden-Württemberg vom 23. August 1985). Das LSG hat einen Anspruch auf Erstattung der streitigen Beiträge nach § 26 Abs 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 4) verneint, weil diese Beiträge zu Recht entrichtet worden seien. Die von der Beklagten in den Versicherungsbedingungen (VB) getroffene Regelung sei rechtsgültig und stehe auch nicht mit übergeordneten Normen, insbesondere nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 GG) in Widerspruch. Auch die Vorschrift des § 21 Abs 1 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmen (VAG), die gemäß Art 2 § 2 Abs 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (12. AufbauVO) entsprechend anwendbar sei, sei nicht verletzt, weil es sich bei den vom Kläger zum Vergleich herangezogenen Personengruppen (nichtversicherungspflichtige Angestellte) nicht um im wesentlichen gleiche Verhältnisse handele.
Mit der - vom Senat durch Beschluß vom 6. März 1986 zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG, des § 21 Abs 1 VAG iVm Art 2 der 12. AufbauVO und der in der Reichsversicherungsordnung (RVO) festgelegten leistungs- und beitragsrechtlichen Grundsätze. Zur Begründung trägt er vor, die unterschiedliche Behandlung von Selbständigen und versicherungsfreien Angestellten sei willkürlich. Zwischen den beiden Personengruppen gebe es keine wesentlichen Unterschiede, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen würden. Die Ungleichbehandlung sei auch versicherungstechnisch nicht gerechtfertigt. Im Gegensatz zur Beklagten würden die anderen Ersatzkassen von Selbständigen während des Krankengeldbezuges keine Beiträge erheben. Die Vorschrift des § 383 RVO, nach der für die Dauer des Bezuges von Krankengeld Beitragsfreiheit bestehe, gelte zwar nicht unmittelbar für die Ersatzkassen. Durch die Bezugnahme des § 507 Abs 1 RVO auf die leistungsrechtlichen Grundsätze der gesetzlichen Krankenkassen sei aber mittelbar auch auf die beitragsrechtlichen Grundsätze Bezug genommen. Würden gleiche Leistungen gewährt, dürften keine Beitragsdifferenzierungen zwischen verschiedenen Mitgliedergruppen vorgenommen werden.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Widerspruchsbescheides vom 3. April 1984 zu verurteilen, ihm die in der Zeit vom 28. Februar bis 16. September 1983 entrichteten Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß der Kläger als nichtversicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten auch während seines Anspruchs auf Krankengeld Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen hatte und daß deshalb seine Forderung auf Rückerstattung dieser Beiträge unbegründet ist.
Die im Streit stehende satzungsrechtliche Bestimmung über die während des Anspruchs auf Krankengeld weiterbestehende Beitragspflicht in der Beitragsklasse 621 (§ 9 Abs 12 Satz 1 der VB der Beklagten in der Fassung, die in der fraglichen Zeit galt) ist im Rahmen der Satzungsautonomie der Beklagten rechtsgültig zustandegekommen und verstößt entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen höherrangiges Recht.
Für das Beitragsrecht der Ersatzkassen gilt Art 2 § 4 Abs 2 der 12. AufbauVO vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) idF der 15. Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl I 439). Hiernach gelten für die Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht die Bestimmungen der Satzung. Daran hat sich bisher nichts geändert. Die Ersatzkassen sind allerdings an gesetzliche Vorschriften, die auch für Ersatzkassen gelten, gebunden (BSG SozR 2200 § 511 Nr 1 mwN). Solche Vorschriften bestehen hier jedoch nicht. § 383 RVO, der für die gesetzlichen Krankenkassen (§ 225 RVO) bestimmt, daß Beiträge während des Anspruchs auf Krankengeld nicht zu entrichten sind, gilt nicht für Ersatzkassen (so schon RVA vom 29. Oktober 1942, EuM 50, 80, 82 f).
Die §§ 504 ff RVO enthalten keine Verweisung auf § 383 RVO. Insbesondere ist diese nicht in den §§ 507, 514 RVO enthalten. Die Regelungen des § 507 Abs 1 bis 3 RVO betreffen nur die versicherungspflichtigen Mitglieder; das Gebot, den Versicherungspflichtigen die Leistungen nicht mehr als bei den Krankenkassen (§ 225) zu kürzen (§ 507 Abs 2 Satz 1 RVO), könnte zwar zu der Überlegung führen, daß auch eine Belastung des Krankengeldes mit Beiträgen ausgeschlossen ist. Diese Schutzvorschrift gilt jedoch - wie der Wortlaut klar erkennen läßt - nicht für die versicherungsberechtigten Mitglieder (vgl auch Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 507 Anm 4 und passim). § 507 Abs 4 RVO, welcher auch für die versicherungsberechtigten Ersatzkassenmitglieder gilt, erwähnt § 383 nicht. Das hängt - wie Peters aa0 ausführt - offenkundig damit zusammen, daß § 507 RVO die Leistungen betrifft, § 383 RVO aber dem Beitragsrecht angehört.
§ 508 Satz 2 RVO, der vorschreibt, daß für den Beginn des Krankengeldes und seine Höhe die für die Krankenkassen geltenden Vorschriften maßgebend sind, steht ebenfalls nicht entgegen. Erstens bezieht sich diese Vorschrift nur auf die Leistung selbst. Sie schließt Gestaltungen im Rahmen des hiervon unabhängigen Beitragsrechts, die das Krankengeld mittelbar belasten, nicht aus. Das Gesetz unterscheidet sorgfältig zwischen den Regelungen des Leistungsrechts und des Beitragsrechts, woraus zu schließen ist, daß die leistungsrechtlichen Regelungen sich ausschließlich auf die Leistungsgewährung selbst beziehen. Zweitens gilt aber § 508 Satz 2 RVO auch nur für die Versicherungspflichtigen (vgl Peters, aaO, § 508 Anm 2a unter Hinweis auf einen Erlaß des RAM in EuM 29, 109). Dies steht im Einklang mit § 507 Abs 2 RVO, der ausdrücklich hervorhebt, daß Versicherungspflichtigen die Leistungen nur im gleichen Umfang wie bei den Krankenkassen (§ 225) gekürzt werden dürfen.
Der bisherigen Rechtsprechung ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Das Urteil des erkennenden Senats vom 16. April 1985 (- 12 RK 9/84 - SozR 2200 § 311 Nr 18), in dem die Anwendbarkeit von § 383 RVO auch auf Ersatzkassenmitglieder bejaht wurde (aaO S 16), betraf ein versicherungspflichtiges Mitglied einer Ersatzkasse. Der 3. Senat des BSG hat bei einer ähnlichen Problematik (Anwendbarkeit von § 189 Abs 1 RVO auf nichtversicherungspflichtige Mitglieder von Ersatzkassen) dessen Anwendbarkeit kraft Gesetzes offengelassen und die Anwendbarkeit aus einem besonderen Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 15. Dezember 1939 gefolgert (BSGE 33, 69, 71).
Auch aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen läßt sich nichts anderes ableiten. Der erkennende Senat hat bereits in anderem Zusammenhang hervorgehoben, daß das versicherte Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich beitragspflichtig ist und nur ausnahmsweise bei Bestehen einer ausdrücklichen Vorschrift beitragsfrei (Urteil vom 27. November 1984 - 12 RK 17/83 - USK 84133; s ferner SozR 2200 § 311 Nr 18). Es gibt auch keinen allgemeinen Grundsatz, daß eine Belastung von Krankengeld mit Beiträgen ausgeschlossen ist. Hiergegen sprechen bereits die in neuerer Zeit eingeführten §§ 1385b RVO, 112b des Angestelltenversicherungsgesetzes, 186 des Arbeitsförderungsgesetzes, die das Krankengeld mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung belasten.
Die angefochtene Satzungsbestimmung der Beklagten verletzt auch nicht den Solidaritätsgrundsatz. Das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung knüpft an eine - im Vergleich zur Versicherungspflicht - geringere Schutzbedürftigkeit an (vgl Bley, Sozialrecht, 5. Aufl, S 169). Stärker als der Solidaritätsgrundsatz kommt in diesen Fällen das Versicherungsprinzip zum Tragen, welches den Fortbestand des Versicherungsverhältnisses an die Weiterzahlung der Beiträge anknüpft (zum Vorstehenden insgesamt vgl das Urteil des Senats vom 19. Juni 1986 - 12 RK 4/85 -).
Die angegriffene Beitragsregelung hält sich auch, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, in den der Beklagten als Satzungsgeber durch das Grundgesetz gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen und verletzt den Kläger nicht in seinen Grundrechten. Insbesondere liegt auch kein Verstoß gegen die Art 3 Abs 1 und 20 GG vor.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG verbietet, wesentlich Gleiches ohne zureichende sachliche Gründe ungleich und wesentlich Ungleiches ohne solche Gründe gleich zu behandeln; damit enthält Art 3 Abs 1 GG über ein Willkürverbot hinaus die an Gesetzgebung und Rechtsprechung gerichtete Verpflichtung, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten nicht anders ("ungleich") zu behandeln, falls zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (vgl BVerfGE 55, 72, 88 f). Welche Elemente des zu regelnden Sachverhalts dabei so bedeutsam sind, daß ihrer Gleichheit oder Verschiedenheit bei der Ausgestaltung der Regelung Rechnung getragen werden muß, hat grundsätzlich der Gesetzgeber zu entscheiden, sofern nicht schon die Verfassung selbst Wertungen enthält, die dann auch den Gesetzgeber binden. Im übrigen kann nur die Einhaltung bestimmter äußerster Grenzen überprüft und ihre Überschreitung beanstandet werden. Der Gesetzgeber hat demnach weitgehende Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 49, 260, 271; 61, 138, 147).
Diese Grundsätze gelten auch für satzungsrechtliche Bestimmungen. Die Satzungen autonomer Verbände unterliegen ähnlichen Kriterien wie förmliche Gesetze und haben sich wie diese an den durch die Grundrechte gezogenen Grenzen zu orientieren (vgl BVerfGE 33, 171, 185; 62, 354, 364).
Daß die Beklagte die freiwillig versicherten Selbständigen in der streitigen Beitragsregelung anders und ungünstiger behandelt als die vom Kläger als Vergleichsgruppe angeführten Angestellten mit einem über der Versicherungspflichtgrenze liegenden Einkommen, kann weder als willkürlich noch als sachlich schlechthin ungerechtfertigt angesehen werden. Beide Gruppen unterscheiden sich im Regelfall insbesondere in ihrer für den Grad ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit und damit für die Nähe zur gesetzlichen Krankenversicherung maßgebenden wirtschaftlichen Lage nicht unwesentlich. Der selbständig Erwerbstätige ist zur Erzielung seines Einkommens nur im Ausnahmefall ausschließlich auf den Einsatz seiner persönlichen Arbeitskraft angewiesen. Er wird vielmehr auch während einer Erkrankung aus dem, notfalls durch Einsatz einer Vertretung, weiterlaufenden Betrieb Einkünfte erzielen können und nicht ausschließlich auf das Krankengeld angewiesen sein. Dagegen wird auch der höherverdienende Angestellte nach Wegfall seiner Bezüge in der Regel seinen Lebensunterhalt nur aus dem Krankengeld bestreiten können. Daß die soziale Schutzbedürftigkeit der wegen Überschreitung der Versicherungspflichtgrenzen nicht mehr versicherungspflichtigen Angestellten nicht wesentlich geringer ist als die der Pflichtversicherten, hat auch der Gesetzgeber anerkannt, indem er ihnen nach § 405 RVO einen Arbeitgeberzuschuß bis zur Höhe des halben Krankenversicherungsbeitrages zubilligt. Die Beklagte hat demnach in Anbetracht der aufgezeigten Unterschiede die ihr in Art 3 Abs 1 GG gezogenen Grenzen nicht überschritten. Damit entfällt auch ein Verstoß gegen § 21 Abs 1 VAG, der ebenfalls eine Ungleichbehandlung verbietet.
Eine Überschreitung des Gestaltungsermessens liegt auch nicht darin, daß die Satzungen anderer Ersatzkassen die vom Kläger beanstandete Beitragsregelung nicht enthalten. Die Zubilligung der Satzungsautonomie an die Ersatzkassen hat zwangsläufig unterschiedliche Gestaltungen zur Folge. Ein verfassungsrechtliches Gebot der einheitlichen Regelung unter Aufgabe der gegliederten Krankenversicherung und der Freiräume der Selbstverwaltung im Beitragsrecht besteht nicht (vgl ua BSGE 58, 134). Ebenso ist nicht ersichtlich, wieso der Kläger gehindert gewesen sein sollte, einer anderen Kasse beizutreten.
Eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips kann ebenfalls nicht angenommen werden. Durch dieses Prinzip wird die Entscheidungsfreiheit der zur Rechtsetzung berufenen Instanzen, also auch des Satzungsgebers, lediglich insoweit eingeschränkt, als die einzelne Entscheidung den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit genügen muß (vgl BVerfGE 40, 121, 133 f; BSGE 43, 128, 133; BSG SozR 2200 § 1268 Nr 6). Da die angegriffene Beitragsregelung an dem Grad der sozialen Schutzbedürftigkeit der betreffenden Gruppe ausgerichtet ist, kann sie nicht als sozial ungerecht eingestuft werden.
Die Revision des Klägers muß sonach als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen