Leitsatz (amtlich)
Die Nichtigkeitserklärung einer Norm des Versorgungsrechts (hier BVG § 45 Abs 1 Halbs 2 idF des 1 NOG) durch das Bundesverfassungsgericht wegen Verfassungswidrigkeit der Norm (BVerfGG § 13 Nr 11, BVerfGG §§ 31, 79) rechtfertigt es nicht, die Anwendung der Vorschriften des BVG über den Beginn der Rente (BVG § 60 Abs 1, BVG § 61 Abs 2) außer Betracht zu lassen und Leistungen rückwirkend zu gewähren, wenn früher kein Antrag auf Versorgung vorgelegen hat.
Leitsatz (redaktionell)
Eine vom Gesetzgeber in Beachtung der zu BVG § 45 - Waisenrente - ergangenen Entscheidung des BVerfG vorgenommene Änderung der Anspruchsnorm wirkt sich nur für die Zukunft aus.
Die Geltendmachung eines Anspruchs, hierauf gründend, setzt grundsätzlich die Stellung eines entsprechenden Antrags voraus.
Normenkette
BVG § 45 Abs. 1 Hs. 2 Fassung: 1960-06-27, § 60 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27, § 61 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27; BVerfGG § 13 Nr. 1, §§ 31, 79
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. August 1967 dahin geändert:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12. Mai 1965 aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
2. Die Anschlußrevision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. August 1967 wird zurückgewiesen.
3. Außergerichtliche Kosten sind für alle Rechtszüge nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger ist am 28. August 1944 geboren. Seine Mutter ist im Dezember 1944 bei einem Fliegerangriff umgekommen. Am 4. Oktober 1963 beantragte sein Vater als gesetzlicher Vertreter rückwirkend vom 1. Oktober 1950 an die Gewährung der Waisenrente, nachdem durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. Juli 1963 die für die Gewährung der Waisenrente nach dem Tode der Mutter in § 45 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) bestimmten Einschränkungen für nichtig erklärt worden waren, wonach in diesem Falle die Waisenrente nur gewährt wurde, wenn der Vater nicht mehr lebte oder die Verstorbene überwiegend den Unterhalt bestritten hatte, weil die Arbeitskraft und die Einkünfte des Vaters hierzu nicht ausreichten.
Das Versorgungsamt (VersorgA) A lehnte den Anspruch mit Bescheid vom 7. Januar 1965 ab, weil gemäß § 61 BVG die Voraussetzungen nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Antragstellung zu beurteilen seien, der Kläger in diesem Zeitpunkt aber das 18. Lebensjahr und auch seine Berufsausbildung bereits vollendet gehabt habe. Ein Bescheid zugunsten des Klägers gemäß § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (VerwVG) sei nicht möglich, da bisher noch kein Bescheid ergangen sei. Der Gewährung einer Versorgung im Wege des Härteausgleichs für die Zeit vor der Antragstellung habe der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) nicht zugestimmt. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1965).
Mit Urteil vom 12. Mai 1965 sprach das Sozialgericht (SG) dem Kläger die Waisenrente entsprechend seinem Antrag für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. August 1963 zu, weil die Beachtung des § 61 Abs. 2 BVG in diesem Falle gegen Treu und Glauben verstoße. Die Berufung wurde zugelassen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 22. August 1967 auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG abgeändert und die Waisenrente nur für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. August 1962, dem Monat der Vollendung des 18. Lebensjahres, zuerkannt, im übrigen aber die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dem SG sei im Ergebnis zuzustimmen, obwohl der nach dem BVG auch materiell-rechtlich bedeutsame Antrag (vgl. § 1 Abs. 1 und 5, § 61 Abs. 2 BVG) erst im Oktober 1963 nach Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung der Waisenrente gestellt worden sei. Der Vater und gesetzliche Vertreter des Klägers habe von dem Antrag auf Waisenrente nur deshalb abgesehen, weil ihm als Angestellten des VersorgA die der Gewährung der Waisenrente nach dem Tode der Mutter entgegenstehenden Einschränkungen in § 45 BVG aF bekannt gewesen seien und ihm daher bis zur Entscheidung des BVerfG ein solcher Antrag aussichtslos erschienen sei. Er habe den Antrag unverzüglich nach dieser Entscheidung am 24. Juli 1963 - 1 BvL 10/63 - (BVBl 1963, 102) gestellt. Nach der dadurch herbeigeführten Rechtslage seien die Voraussetzungen des Anspruchs auf Waisenrente zweifellos gegeben gewesen. Trotz der materiell-rechtlichen Bedeutung des Antrages habe der Beklagte die Ablehnung des Anspruches nicht auf die verspätete Antragstellung nach Vollendung des 18. Lebensjahres stützen dürfen, weil der Antrag nur im Vertrauen auf die Gültigkeit des Gesetzes unterblieben sei. Der Vater des Klägers hätte sonst als Angestellter des VersorgA sicher auch schon nach Inkrafttreten des BVG die Waisenrente beansprucht. Da die verfassungswidrige Regelung unverhältnismäßig lange bestanden habe, würde der Kläger allein durch Zeitablauf seinen Anspruch auf die Waisenrente verlieren. Die Versorgungsverwaltung dürfe ihre Entscheidung aber dann nicht vom Zeitpunkt des verspäteten Antrages abhängig machen, wenn dieser nur wegen des Vertrauens auf die Richtigkeit eines nachträglich ex tunc für nichtig erklärten Gesetzes nicht rechtzeitig gestellt worden sei. Ein solches Verhalten verstoße gegen Treu und Glauben. Gemäß der Entscheidung des BVerfG, die durch Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt (BGBl I 694) gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) Gesetzeskraft erlangt habe, lasse § 45 Abs. 1 BVG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (2. NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) die Waisenrente ohne Rücksicht darauf zu, ob der Vater oder die Mutter an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. Diese Regelung berühre zwar nur gegenwärtige und künftige Ansprüche, aber nicht diejenigen, die bisher grundgesetzwidrig versagt oder im Vertrauen auf die Richtigkeit der früheren Rechtslage überhaupt nicht geltend gemacht worden seien. Sofern bereits eine auf der grundgesetzwidrigen Regelung beruhende verbindliche Ablehnung vorliege, könne dieser Nachteil durch einen neuen Bescheid gemäß § 40 VerwVG ausgeglichen werden. Es wäre aber unbillig, diesen Ausgleich denjenigen vorzuenthalten, die durch das Vertrauen auf die Gültigkeit einer erst nach Jahren für nichtig erklärten gesetzlichen Regelung von einem Antrag abgehalten worden seien. Der Mangel einer ausdrücklichen Regelung dieses Falles in § 45 BVG in der Fassung des 2. NOG bedeute eine Lücke, die in Anlehnung an § 1546 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nF in der Weise geschlossen werden müsse, daß der Beginn der Rente vorverlegt werde, wenn die verspätete Anmeldung des Anspruches auf Verhältnisse außerhalb des Willens des Antragstellers zurückzuführen sei. Die Zulassung dieser Möglichkeit verstoße weder gegen Grundsätze des Versorgungsrechts (vgl. Rundschreiben BMA vom 16. März 1965, BVBl 1965, 39) noch gegen § 1613 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Versorgungsverwaltung sei insofern in Verzug geraten, als der Kläger wegen eines nichtigen Gesetzes die Rente nicht rechtzeitig habe beantragen können. Der Einwand der verspäteten Anmeldung würde ebenso gegen Treu und Glauben verstoßen wie die Einrede der Verjährung, die nach den Verwaltungsvorschriften zu § 66 BVG gegenüber einem an der Verjährung schuldlosen Berechtigten unzulässig und im übrigen vom Beklagten auch nicht erhoben worden sei.
Entgegen der Auffassung des Beigeladenen verbiete auch die durch § 79 Abs. 2 BVerfGG gewährleistete Rechtssicherheit nicht die rückwirkende Gewährung der durch die Entscheidung des BVerfG begründeten Versorgungsansprüche. Diese Vorschrift lasse nur die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen unangetastet, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen. Eine derartige Entscheidung liege hier aber nicht vor und selbst wenn der Versorgungsanspruch aufgrund einer nachträglich für nichtig erklärten Norm verbindlich abgelehnt worden wäre, müßte diese Entscheidung entsprechend dem Grundgedanken des § 40 Abs. 2 VerwVG nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert werden. Umso größer sei der durch die Versagung der Waisenrente für den Kläger entstehende Nachteil, der eines ihm vom Inkrafttreten des BVG an zustehenden Anspruches verlustig gehen müßte, weil eine grundgesetzwidrige Norm erst nach Vollendung seines 18. Lebensjahres beseitigt und ihm erst dann die Möglichkeit zu einem Antrag auf Versorgungsleistungen geboten worden sei.
Zur Beendigung der Waisenrente führt das LSG sodann aus, das Urteil des SG müsse insoweit geändert werden, als es dem Kläger die Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus zugesprochen habe, ohne eine über diesen Zeitpunkt sich erstreckende Berufsausbildung festgestellt zu haben. Das LSG hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen.
Gegen das am 4. Oktober 1967 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 17. Oktober 1967 Revision eingelegt.
Er beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 22. August 1967 und des SG Augsburg vom 12. Mai 1965 aufzuheben und die Klage abzuweisen;
ferner beantragt er, die Anschlußrevision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
In der Revisionsbegründung vom 10. November 1967, die innerhalb der bis zum 4. Januar 1968 verlängerten Begründungsfrist am 15. November 1967 eingegangen ist, rügt der Beklagte eine unrichtige Anwendung der §§ 1 Abs. 5, 61 Abs. 2 BVG. Durch die mit Gesetzeskraft ausgestattete Entscheidung des BVerfGE vom 24. Juli 1963 (BVerfGE 17, 38 ff, 62 ff) seien die in § 45 Abs. 1, 2. Halbsatz BVG in der Fassung des 1. NOG für die Gewährung der Waisenrente nach dem Tode der Mutter bestimmten Einschränkungen für nichtig erklärt worden. Mangels einer ausdrücklichen Regelung über den Beginn der aus dieser Entscheidung erwachsenden Ansprüche sei für die Beurteilung des Anspruches des Klägers auf Waisenrente der nach den §§ 1 Abs. 5, 61 Abs. 2 BVG in der bis zum 31. Dezember 1963 gültigen Fassung erforderliche Antrag maßgebend. Dieser Antrag sei erst am 4. Oktober 1963 gestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger aber bereits das 18. Lebensjahr und auch seine Berufsausbildung vollendet gehabt, so daß ein Anspruch auf Waisenrente nicht mehr bestanden habe. Weder der Vertrauensschutz noch der Grundsatz von Treu und Glauben ließen die Außerachtlassung des zu den Tatbestandsmerkmalen gehörenden Antragserfordernisses zu. Das LSG habe die angeblich fehlende gesetzliche Regelung auch nicht durch eine eigene Entscheidung ersetzen dürfen, und im übrigen habe eine Gesetzeslücke nicht bestanden. Sei eine rückwirkende Gewährung der Waisenrente aber überhaupt nicht möglich, so könne auch die Verjährung nicht eingreifen, die immer die Entstehung des Anspruchs voraussetze (§ 198 BGB). Im übrigen hätte das LSG, da es den Anspruch bejaht habe, die Verjährung von Amts wegen beachten und den Anspruch bis Ende 1958 als verjährt ansehen müssen (vgl. Urteil des BSG vom 9. April 1963 - 10 RV 1059/60 -). Vorsorglich werde die Einrede der Verjährung nunmehr ausdrücklich erhoben, die auch in der Revisionsinstanz noch zulässig sei und nicht deshalb gegen Treu und Glauben verstoße, weil den Kläger an der Ablehnung seines Anspruchs keine Schuld treffe (vgl. Urteil des BSG vom 28. August 1964 - 12 RJ 342/61 -). Außerdem hätte das Berufungsgericht Art. 125 des Bayerischen Ausführungsgesetzes zum BGB von Amts wegen berücksichtigen müssen. Eine Regelung zugunsten des Klägers sei auch nicht nach § 40 Abs. 2 VerwVG möglich, weil diese Vorschrift "eine frühere Entscheidung" voraussetze, die im vorliegenden Falle aber gerade fehle. Eine Anwendung des § 89 Abs. 1 BVG aF scheitere daran, daß der BMA einer nachträglichen Versorgung im Wege des Härteausgleichs nicht zugestimmt habe.
Der Kläger und Revisionsbeklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen und die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens dem Beklagten aufzuerlegen.
Er erklärt ferner, daß er sich der Revision anschließe, und beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG Augsburg vom 12. Mai 1965 abgeändert worden ist, und den Rechtsstreit in diesem Umfange zur neuen Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
In der Begründung der Anschlußrevision rügt der Kläger Verstöße gegen die §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Soweit das LSG es nicht für erwiesen gehalten habe, daß die Berufsausbildung des Klägers über das 18. Lebensjahr hinaus gedauert hat, habe es das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht berücksichtigt und den Sachverhalt nicht ausreichend geklärt. Nach den Versorgungsakten habe der Vater des Klägers die Gewährung der Waisenrente bis zum 31. August 1963 mit dem Hinweis auf das Ende der Berufsausbildung beantragt. Hinweise auf die Dauer der Berufsausbildung ergäben sich auch aus den Versorgungsakten, insbesondere aus Bl. 4 und der Abschrift des Bescheides der Landesversicherungsanstalt (LVA) Schwaben vom 13. November 1964, die eine Waisenrente aus der Sozialversicherung für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. August 1963 bewilligt habe. Schon daraus folge, daß die Berufsausbildung des Klägers bis August 1963 gedauert habe, da die Waisenrente gemäß § 1267 Satz 2 RVO sonst nicht für diese Dauer bewilligt worden wäre. Das Berufungsgericht hätte daher die Akten der LVA Schwaben beiziehen und eine Auskunft des Lehrmeisters des Klägers einholen müssen, bei dem dieser aufgrund eines Lehrvertrages vom 12. August 1961 bis zum 12. August 1963 als Lehrling beschäftigt gewesen war.
Zu dem Antrag auf Zurückweisung der Revision hat der Kläger in dem Schriftsatz vom 15. Januar 1968 noch ausgeführt, daß die mit der Feststellung der Nichtigkeit einer Norm zusammenhängenden Probleme in § 79 BVerfGG "nicht umfassend und auch nicht befriedigend" gelöst seien (vgl. "Das deutsche Bundesrecht", I A 90 S. 57). Das im vorliegenden Falle fehlende Tatbestandsmerkmal der rechtzeitigen Anmeldung betreffe nur die - formale - Geltendmachung eines Rechts, dessen materiell-rechtlicher Bestand im übrigen unzweifelhaft sei. Wenn nach dem Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG 14, 246, 249) selbst materiell-rechtliche Ausschlußfristen die Verfolgung sachlich berechtigter Ansprüche nicht erschweren oder verhindern dürften, so sei zu fragen, ob dann, wenn die Voraussetzungen des "verspätet angemeldeten" Anspruchs zweifelsfrei gegeben sind, die Anwendung der §§ 1 Abs. 1 und 5, 61 Abs. 2 BVG nicht ihrer Funktion widerspricht und zu einem sozial unangemessenen und nicht gewollten Ergebnis im Sinne des genannten Beschlusses führt, wenn die Verfassungswidrigkeit einer Norm dem "gesetzestreuen" Rechtsgenossen erst zu einem Zeitpunkt erkennbar wird, in dem der Verwirklichung des sachlich berechtigten Anspruchs die nicht rechtzeitige Anmeldung entgegengehalten wird. Dieser Umstand betreffe entgegen der Auffassung des LSG nicht eine "Einrede", sondern, wie bei § 58 Abs. 1 BVG aF, eine Anspruchsvoraussetzung, die von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Die Verjährung sei nicht von Amts wegen, sondern nur bei entsprechender "Einrede" zu beachten und könne in der Revisionsinstanz nicht mehr erhoben werden (BSG 6, 283, 288).
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die somit zulässige Revision ist auch begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten Waisenrente. Ein solcher Anspruch läßt sich nicht aus den Vorschriften herleiten, die im BVerfGG für den Fall der Nichtigkeitserklärung einer Norm eines Bundesgesetzes wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz getroffen worden sind. Das BVerfG hat mit Urteil vom 24. Juli 1963 (BVerfGE 17, 38) die im § 45 Abs. 5 BVG enthaltene Vorschrift für nichtig erklärt, daß die hinterbliebenen Kinder einer an den Folgen einer Kriegsbeschädigung verstorbenen Mutter nur Waisenrente erhalten, wenn der Vater verstorben ist oder die Verstorbene deren Unterhalt überwiegend bestritten hat. Dieser Entscheidung, die das BVerfG in seiner Zuständigkeit gemäß § 13 Nr. 11 BVerfGG getroffen hat und die im BGBl (I 1963, 694, 771) veröffentlicht worden ist, kommt gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft zu. Mit dieser Entscheidung ist die erwähnte Vorschrift des BVG rückwirkend von Anfang an als nichtig erklärt worden (vgl. BVerfGE 7, 387; vgl. Maunz/Sigloch/Schmidt-Bleibtreu/Klein, BVerfGG § 31 Anm. 31 und § 79 Anm. 1). Das bedeutet, daß von der Entscheidung an das BVG nur noch ohne die vom BVerfG für nichtig erklärte Norm anzuwenden ist. Soweit in der Vergangenheit die für nichtig erklärte Norm angewendet worden ist, sind die Folgen der Nichtigkeitserklärung allgemein im § 79 BVerfGG geregelt. Bei dieser Regelung hat der Gesetzgeber zwischen den beiden Möglichkeiten, entweder der materiellen Gerechtigkeit zum Zuge zu verhelfen oder dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit den Vorzug zu gewähren, sich klar für die letztgenannte Möglichkeit entschieden (so BVerfGE 2, 380, 404; 7, 194, 196; 11, 263, 265; 20, 230, 235; vgl. auch Maunz/Sigloch/Schmidt-Bleibtreu/Klein, BVerfGG § 79 Anm. 6; Leibholz: Rupprecht, BVerfGG § 79 Anm. 1; Lechner, BVerfGG, 2. Aufl. § 79 Anm. "Allgemeines"). Ausgenommen von rechtskräftigen Strafurteilen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen (§ 79 Abs. 1 BVerfGG), bleiben nämlich Entscheidungen auf allen anderen Rechtsgebieten bestehen (§ 79 Abs. 2 BVerfGG), und sogar die in der Vergangenheit durchgeführten Vollstreckungen aufgrund von Urteilen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, sind nicht mehr über Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung rückgängig zu machen; künftige Vollstreckungen aus solchen Urteilen sind nur mit der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 der Zivilprozeßordnung) zu verhindern. Aus alledem geht hervor, daß nach dem Willen des Gesetzgebers an dem Zustand, wie er sich auf der Grundlage der für nichtig erklärten Gesetzesnorm gestaltet hatte, für die Vergangenheit nichts geändert werden soll, daß also die Nichtigkeitserklärung einer Rechtsnorm (abgesehen von einer strafrechtlichen Norm, auf welcher ein Urteil beruht) keine Wirkungen in die Vergangenheit äußert. Das aber bedeutet allgemein, daß eine für nichtig erklärte Gesetzesnorm nicht für die Vergangenheit Ansprüche zum Entstehen bringen kann, und für den vorliegenden Fall, daß wegen der für nichtig erklärten Norm im § 45 BVG nicht nachträglich Ansprüche auf Waisenrente zum Entstehen kommen können. Wenn der Gesetzgeber auch den durch ein verfassungswidriges Gesetz eingetretenen Zustand für die Vergangenheit hätte beseitigen wollen, dann hätte er dies ausdrücklich regeln müssen; er hat es aber nicht getan, weil eine solche Regelung, wie der § 79 BVerfGG zeigt, dem darin zum Ausdruck gebrachten Grundsatz widersprechen würde. Mithin kann auch nicht von einer Lücke im BVerfGG gesprochen werden, die der Kläger anscheinend darin sehen will, daß keine Norm geschaffen worden ist, welche rückwirkend den Zustand herstellt, der vorhanden gewesen wäre, wenn die verfassungswidrige Norm nicht bestanden hätte. Daher ist der Anspruch des Klägers, ihm unter Anwendung des § 45 BVG in der durch das Urteil des BVerfG vom 24. Juli 1963 geänderten Form für die Vergangenheit Waisenrente zuzusprechen, weder aus dem BVerfGG herzuleiten noch überhaupt mit dem Grundgedanken dieses Gesetzes vereinbar.
Sollte der Kläger mit der Erwähnung der Gesetzeslücke etwa gemeint haben, diese Lücke bestehe im 2. NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85), das dem § 45 BVG eine Fassung entsprechend dem Urteil des BVerfG gegeben hat, jedoch eine Regelung wegen der durch die Anwendung der früheren verfassungswidrigen Norm entgangenen Ansprüche nicht enthält, kann ihm nicht gefolgt werden. Zwar wäre in diesem Gesetz eine Regelung, wie sie dem Kläger vorschwebt, möglich gewesen (vgl. § 79 Abs. 2 BVerfGG "vorbehaltlich ... einer besonderen gesetzlichen Regelung"). Der Gesetzgeber hat aber eine solche Regelung, obwohl die Änderung des § 45 BVG im 2. NOG auf das Urteil des BVerfG zurückgeht, nicht getroffen. Es spricht auch sonst kein Umstand dafür, daß der Gesetzgeber eine solche Regelung etwa hat treffen wollen, aber versehentlich nicht getroffen hat, zumal eine solche Regelung auch der oben erwähnten Grundauffassung über die Regelung von Folgen bei Nichtigkeitserklärung einer Gesetzesnorm widersprochen hätte.
Aus den bestehenden Vorschriften des BVG selbst läßt sich der Anspruch des Klägers nicht herleiten. Nach § 61 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 1 BVG, und zwar sowohl in der zur Zeit der Antragstellung des Klägers (4. Oktober 1963) geltenden Fassung des 1. NOG wie auch in den Fassungen des 2. und 3. NOG könnte die Waisenrente des Klägers nach seiner im Dezember 1944 verstorbenen Mutter erst am 1. Oktober 1963 beginnen; zu dieser Zeit aber erfüllte der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung der Waisenrente nicht mehr, weil er, wie auch vom LSG festgestellt, das 18. Lebensjahr schon vollendet hatte und sich auch nicht mehr in einer Schul- oder Berufsausbildung befand. Der Kläger wendet sich auch nicht gegen die von dem Beklagten in dem angefochtenen Bescheid vom 7. Januar 1965 und Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1965 gezogenen Folgerungen "bei Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über den Beginn der Rente", sondern er wendet sich dagegen, daß überhaupt die Vorschriften über den Beginn der Rente (§ 61 Abs. 2 und § 60 Abs. 1 BVG) angewendet worden sind, weil seiner Ansicht nach deren Anwendung im vorliegenden Fall gegen Treu und Glauben verstößt. Ein solcher Verstoß gegen Treu und Glauben kann aber nicht darin erblickt werden, daß die Versorgungsverwaltung bei Erlaß der angefochtenen Bescheide das damals geltende Gesetz angewendet hat, an das sie sich mindestens bis zur Nichtigkeitserklärung halten mußte und gehalten hat. In Wirklichkeit richtet sich der Vorwurf des Klägers, soweit er von einem Verstoß gegen Treu und Glauben spricht auch gar nicht gegen die Versorgungsbehörde, sondern gegen die gesetzgebenden Organs des Bundes, die eine gesetzliche Norm geschaffen hatten, die verfassungswidrig war, so daß er - der Kläger - im Vertrauen auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm seinerzeit keinen Antrag auf die Waisenrente gestellt habe. Zunächst kann in dem Erlaß eines Gesetzes, das einer späteren Nachprüfung durch das Verfassungsgericht auf seine Verfassungsmäßigkeit hin nicht standhält, nicht ein Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen werden, so daß schon aus diesem Grunde alle Forderungen, die der Kläger mit dieser Begründung aus der Beachtung der verfassungswidrigen, aber erst später für nichtig erklärten Norm herleiten will, entfallen müssen. Liegt aber weder in dem Erlaß der später für nichtig erklärten Norm noch in deren Anwendung seitens der Versorgungsbehörde bis zur Nichtigkeitserklärung ein Verstoß gegen Treu und Glauben, so entbehrt auch das Verlangen des Klägers jeder Grundlage, so gestellt zu werden, als ob er den Waisenrentenantrag schon früher bei Erlaß des BVG gestellt hätte, aber im Vertrauen auf die damals gültige Gesetzesfassung nicht gestellt hat. Fehlt aber schon jede gesetzliche Grundlage dafür, den Kläger so zu stellen, als ob er früher einen Antrag gestellt hätte und darauf ein (ablehnender) Bescheid ergangen wäre, so kann dahinstehen, ob unter solchen Umständen überhaupt ein Berichtigungsbescheid gemäß § 40 BVG, der die frühere Erteilung eines Bescheides voraussetzt, erlassen werden könnte und ob in diesem Berichtigungsbescheid dem Begehren des Klägers nachgekommen werden könnte, nämlich ihm rückwirkend die Waisenrente vom 1. Oktober 1950 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und weiter bis zur Beendigung der Schul- oder Berufsausbildung zu gewähren.
Der Kläger kann sich für sein Begehren, die Vorschriften über den Beginn der Rente außer acht zu lassen, auch nicht auf die Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 9. Juni 1961 (BSG 14, 246) berufen. In dieser Entscheidung ist ausgesprochen, daß eine Ausschlußfrist dann nicht gelten soll, wenn danach der Anspruch an die Stellung eines Antrages binnen einer Frist nach einem bestimmten Ereignis geknüpft ist, mit Ausnahme dieser Voraussetzung aber die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorliegen. Jene Entscheidung stellt also nicht das Antragsprinzip oder den Beginn einer Leistung vom Antrag an in Frage, sondern will nur unter gewissen Voraussetzungen den Leistungsausschluß trotz Antragstellung und von dem Antrag an verhindern. Ganz anders aber liegen die Verhältnisse im vorliegenden Fall, in welchem der Kläger ohne den grundsätzlich erforderlichen Antrag eine Leistung rückwirkend begehrt. Die in der Entscheidung des Großen Senats ausgesprochenen Grundsätze können daher, da sie auf eine ganz andere Lage zugeschnitten sind, für den vorliegenden Fall nicht angewendet werden.
Ebensowenig kann die im § 1546 RVO getroffene Regelung analog im vorliegenden Fall angewendet werden. Es besteht weder allgemein eine Lücke im BVG in den Vorschriften über den Beginn der Rente noch besteht - wie oben ausgeführt - insoweit eine Lücke im BVG für den besonderen Fall, daß die früher im § 45 BVG enthaltene Sondervoraussetzung für die Gewährung einer Waisenrente an das Kind einer an den Folgen einer Schädigung verstorbenen Mutter für nichtig erklärt worden ist. Die analoge Anwendung dieser für die gesetzliche Unfallversicherung geschaffenen Vorschriften des § 1546 RVO muß schon daran scheitern, daß in der gesetzlichen Unfallversicherung im Gegensatz zum Recht der Kriegsopferversorgung nicht das Antragsprinzip herrscht (vgl. § 1545 Abs. 1 Nr. 1 RVO), so daß die auf ganz anderen rechtlichen Voraussetzungen beruhende Vorschrift des § 1546 RVO nicht im Recht der Kriegsopferversorgung Platz finden kann. Deswegen braucht weiterhin nicht mehr geprüft zu werden, ob überhaupt im vorliegenden Fall eine verspätete Antragstellung i.S. des § 1546 RVO "durch Verhältnisse begründet war, die außerhalb des Willens des Antragstellers liegen", zumal der Kläger offenbar nur wegen seiner Rechtsansicht von einer früheren Antragstellung Abstand genommen hat und selbst bei einer Ansicht, die damalige Norm sei verfassungswidrig, die Möglichkeit gehabt hätte, die Nichtigkeitserklärung der seinem Anspruch im Wege stehenden Norm herbeizuführen.
Die Beklagte hat daher zutreffend bei Erlaß der angefochtenen Bescheide die Vorschriften über den Beginn der Rente angewendet und daher auch zutreffend den Waisenrentenanspruch des Klägers abgelehnt, weil bei der maßgeblichen Antragstellung die Voraussetzungen für die Gewährung der Waisenrente nicht mehr vorhanden waren. Das im anderweitigen Sinne ergangene Urteil des LSG war daher aufzuheben, soweit es die Berufung des Beklagten zurückgewiesen hat. Da auch das dem Begehren des Klägers stattgebende Urteil des SG vom 12. Mai 1965 aus denselben Erwägungen unrichtig war, mußte auf die Berufung des Beklagten auch dieses Urteil aufgehoben und die Klage in vollem Umfange abgewiesen werden.
Die Anschlußrevision des Klägers, mit welcher er die Gewährung der Rente über das Urteil des LSG hinaus und entsprechend dem Urteil des SG auch für die Zeit vom 1. September 1962 bis 31. August 1963 (angebliche Beendigung der Berufsausbildung) begehrt, ist unbegründet, weil dem Kläger, wie oben dargelegt, auf keinen Fall ein Waisenrentenanspruch rückwirkend für die Zeit vor der Antragstellung im Oktober 1963 zusteht. Es kommt also auf die Frage, ob der Kläger sich tatsächlich bis Ende August 1963 noch in einem Lehrverhältnis befunden hat, nicht an, so daß auch die gegen die hierzu vom LSG getroffenen Feststellungen gerichteten und auf eine Verletzung der §§ 102, 128 SGG gestützten Rügen des Klägers unerheblich sind und keiner Erörterung bedürfen. Die Anschlußrevision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2285147 |
BSGE, 186 |
MDR 1969, 960 |