Leitsatz (amtlich)
Zur Bewertung der vor dem 1926-07-01 zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge nach Beitragsklassen (RKG § 54 Abs 3 Buchst a).
Normenkette
RKG § 54 Abs. 3 Buchst. a Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 1966 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Revisionsinstanz sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten noch darüber, ob bei der Berechnung der Rente des Klägers 50 Beitragsmonate aus der Zeit vor dem 1. Juli 1926 in Klasse IV oder Klasse V anzusetzen sind.
Der im Jahre 1899 geborene Kläger hatte bei der Oberschlesischen Knappschaft in der Zeit bis Januar 1924 insgesamt 77 Monatsbeiträge - 4 in der Klasse II und 73 in der Klasse V - zur Pensionsversicherung entrichtet, von denen 27 in die Inflationszeit fielen. Die Beklagte hat dem Kläger nach Klärung verschiedener Zweifelsfragen am 5. Januar 1962 drei Bescheide über die Berechnung der ihm zuerkannten Renten erteilt, und zwar über die Höhe der Bergmannsrente für die Zeiten von Januar 1957 bis Dezember 1958 und von Januar 1959 bis Januar 1961 sowie über die Höhe des Knappschaftsruhegeldes für die Zeit ab Februar 1961. Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage hat sie in allen Bescheiden für die Zeit bis zum 30. Juni 1926 unter Nichtberücksichtigung der Inflationsbeiträge insgesamt 50 Beiträge der Lohnklasse IV angerechnet. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er u.a. verlangte, für ihn als damaligen Gedingehauer die höchsten in der Anlage 2 zu § 54 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) aufgeführten Beiträge der Klasse VII anzusetzen, war insoweit erfolglos. Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, bei der Berechnung der Renten für die Zeit vor dem 1. Juli 1926 statt 50 Beitragsmonate der Klasse IV 50 Beitragsmonate der Klasse V anzusetzen; wegen des weitergehenden Anspruchs hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung wurde zugelassen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Zurückweisung der Berufung des Klägers auf die Berufung der Beklagten hin dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung führt es aus, die Beklagte habe nach § 42 der Satzung der Reichsknappschaft in der seit dem 1. Oktober 1941 geltenden Fassung die vor dem 1. Juli 1926 bei der Oberschlesischen Knappschaft zurückgelegten 50 Beitragsmonate zu Recht in der Klasse IV angerechnet. Diese Satzungsbestimmung gelte für die jetzt selbständigen Knappschaften weiter; sie sei auch durch das Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG) nicht gegenstandslos geworden. Zwar betreffe sie ihrem Wortlaut nach nur die Bewertung von Beiträgen bei der Berechnung des Steigerungsbetrages; aber die Beitragsklassen seien ebenso für die Rentenberechnung nach § 54 RKG neuer Fassung von Bedeutung. Denn auch bei Ermittlung der Rentenbemessungsgrundlage nach neuem Recht könne für die Zeit vor dem 1. Juli 1926 nicht von der Beitragsklasse ausgegangen werden, zu der der Beitrag damals nominell entrichtet wurde. Vor dem 1. Juli 1926 habe es nämlich keine einheitliche Beitragsregelung in den einzelnen Knappschaftsvereinen gegeben. Nicht nur die Zahl der Beitragsklassen sei unterschiedlich - zwischen einer und neun - gewesen, sondern auch die Bedeutung der ziffernmäßigen Bezeichnung. Der Gesetzgeber habe sich daher schon im Jahre 1926 gezwungen gesehen, für diese uneinheitlichen Beiträge einen einheitlichen Berechnungsmodus zu finden. Er habe deshalb in den §§ 243, 244 und 246 des am 1. Juli 1926 in Kraft getretenen RKG bestimmt, daß für die Beitragsmonate vor dem 1. Juli 1926 Steigerungsbeträge entsprechend den Lohnklassen zu gewähren sind, die dem von einem Ausschuß festzustellenden Durchschnittsjahresarbeitsverdienst der am 1. Juli 1926 vorhandenen aktiven Mitglieder der Knappschaft entsprechen. Hiernach sei für die Oberschlesische Knappschaft die Lohnklasse IV festgestellt worden. Die gleichen Gründe, die damals eine solche Pauschalregelung notwendig gemacht hätten, machten sie auch für die Rentenberechnung nach dem heute geltenden Recht erforderlich. Ohne die Vorschrift des § 42 aaO würde es nämlich überhaupt an einer Regelung darüber fehlen, wie die alten Beiträge bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage anzusetzen sind; sie sei daher auf jeden Fall zur Schließung einer Gesetzeslücke analog anzuwenden. Die Anrechnung der Klasse IV entspreche zudem der Regelung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960, das auch den Hauer für die Zeit bis zum 1. Juli 1926 der Beitragsklasse IV zuordne.
Mit der Revision greift der Kläger das Urteil des LSG nur insoweit an, als der Berufung der Beklagten stattgegeben, nicht dagegen, soweit seine eigene Berufung zurückgewiesen worden ist; er erstrebt also die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, d. h. den Ansatz der streitigen 50 Beiträge in der Lohnklasse V statt in der Lohnklasse IV. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts; die Entscheidung verstoße gegen § 54 RKG.
Während früher die knappschaftlichen Renten nach Steigerungsbeträgen festgesetzt worden seien, errechne sich seit dem 1. Januar 1957 die Rente für jeden Versicherten aus der für ihn maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage. Zu deren Ermittlung sei in § 54 Abs. 3 Buchst. a) RKG bestimmt, daß für Zeiten, für die Beiträge nach Beitrags- oder Gehaltsklassen entrichtet sind, die Zahl der entrichteten Beiträge jeder einzelnen Klasse mit den Werten vervielfältigt wird, die in der Tabelle der Anlage 2 für die einzelnen Zeiträume der Beitragsentrichtung angegeben sind. Diese Vorschrift besage eindeutig, daß nur die vom Versicherten tatsächlich entrichtete Beitragsklasse für die Berechnung seiner Rentenbemessungsgrundlage maßgebend sei, nicht eine von früher her übernommene Durchschnittsklasse. Welche Vorschriften des alten Rechts in das neue Recht übernommen worden seien, ergebe sich allein aus den Übergangs- und Schlußvorschriften des KnVNG; von einer Übernahme des § 42 sei dort keine Rede. Die Beitragsregelung der Oberschlesischen Knappschaft sei ähnlich der der Ruhrknappschaft gewesen; die höchste Beitragsklasse der Oberschlesischen Knappschaft sei Klasse V, die höchste der Ruhrknappschaft Klasse VII gewesen. Wenn ihm, dem Kläger, schon nicht die Klasse VII zugestanden werden könne, so sei ihm doch - entsprechend seinen tatsächlich entrichteten Beiträgen - die Klasse V anzurechnen; das entspreche dem Leistungsprinzip und der Gerechtigkeit. Die Beklagte könne sich für ihre Berechnungsweise auch nicht auf Vorschriften des FANG oder der Versicherungsunterlagen-Verordnung vom 3. März 1960 berufen, da es sich um deutsche Versicherungszeiten handele und die Unterlagen darüber vorlägen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen in Essen vom 13. Januar 1966 die Beklagte zu verurteilen, unter entsprechender Aufhebung der Bescheide vom 5. Januar 1962 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1962 bei der Berechnung der Renten für die Zeit vor dem 1. Juli 1926 statt 50 Beitragsmonaten der Klasse IV 50 Beitragsmonate der Klasse V anzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte hat - wie das LSG zutreffend erkannt hat - bei der Ermittlung der für den Kläger maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage nach § 54 Abs. 3 Buchst. a) RKG die von ihm für die Zeit bis zum 30. Juni 1926 bei der Oberschlesischen Knappschaft entrichteten Beiträge zur Pensionsversicherung der Arbeiter zu Recht in der Beitragsklasse IV angesetzt, obschon der Kläger - zumindest ganz überwiegend - Beiträge nach der damaligen Klasse V entrichtet hatte. Wenn der Kläger geltend macht, nach § 54 Abs. 3 a) RKG sei die "Klasse" der tatsächlich entrichteten Beiträge zu berücksichtigen, so verkennt er, daß für die Zeit vor dem 1. Juli 1926 mit diesen "Klassen" nicht die Beitragsklassen gemeint sein können, nach denen zu dieser Zeit die Beiträge bei den einzelnen Knappschaftsvereinen entrichtet wurden. Die Einteilung der Beitragsklassen war damals ganz unterschiedlich geregelt. Ein Teil der Knappschaftsvereine hatte für Arbeiter nur eine Einheitsklasse, andere hatten bis zu neun verschiedene Klassen; bei diesen wiederum entsprach bei einigen die Klasse I der höchsten, bei anderen der niedrigsten Beitragsklasse. Die ursprüngliche Klassenbezeichnung konnte daher nicht die Grundlage für eine einheitliche Beitragsbewertung bei der Rentenberechnung bilden. Aus diesem Grunde bestimmte das RKG in der ab 1. Juli 1926 geltenden Fassung in den §§ 243 Abs. 1 Satz 2, 244 und 246, daß bei der Berechnung der vom 1. Juli 1926 ab zu gewährenden Leistungen für frühere Beitragsmonate Steigerungsbeträge nach der jeweiligen Lohnklasse zu gewähren sind, die dem durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienst der am 1. Juli 1926 vorhandenen aktiven Mitglieder der betreffenden Bezirksknappschaft entspricht. Hierbei wurde durch den zuständigen Ausschuß (vgl. § 244 aaO) für die Oberschlesische Knappschaft - wie für die meisten anderen Knappschaften - als maßgebende Lohnklasse die Klasse VI ermittelt (s. Mansfeld-Pohle, Reichsknappschaftsgesetz zu § 244). Diese Regelung wurde in der Folgezeit in die Satzung der Reichsknappschaft übernommen. In § 87 Abs. 2 ihrer ab 1. Januar 1934 geltenden Fassung wird dazu bestimmt, daß für jeden in der Arbeiterpensionskasse vor dem 1. Juli 1926 zurückgelegten Beitragsmonat (unbeschadet der Regelung für Inflationsbeiträge) der Steigerungsbetrag der Lohnklasse IV gewährt wird; lediglich für einige besonders aufgeführte Knappschaften - nicht die Oberschlesische - sind andere Lohnklassen (III, V und VI) angesetzt. Diese Bestimmung wurde dann mit hier nicht interessierenden Änderungen in die Satzung der Reichsknappschaft vom 2. Juli 1941 unter § 42 Abs. 2 übernommen und gilt nach Stillegung der Reichsknappschaft im Jahre 1945 für die einzelnen Knappschaften weiter. Für die beklagte Ruhrknappschaft ist dieser § 42 inzwischen ausdrücklich zum Bestandteil ihrer seit dem 1. September 1965 geltenden neuen Satzung erklärt worden. Da es sich um eine Satzungsbestimmung, nicht um eine Vorschrift des RKG handelt, ist sie - jedenfalls formell - durch das KnVNG nicht berührt worden; entgegen der Ansicht der Revision bedurfte es daher für ihre Weitergeltung auch keiner besonderen Vorschrift des KnVNG. Die Weitergeltung der genannten Bestimmung beschränkt sich inhaltlich auch nicht auf die Berechnung von Leistungen nach dem vor 1957 geltenden Recht. Zwar betrifft sie ihrem Wortlaut nach nur die Gewährung von Steigerungsbeträgen nach der früheren Art der Berechnung knappschaftlicher Renten, die der heutigen Berechnungsweise nicht mehr entspricht. Die Satzungsgeber mußten sich bei Fassung der Bestimmung naturgemäß an das damals geltende Rentenberechnungsrecht und die darin vorkommenden Begriffe und Bezeichnungen halten. Inhaltlich handelt es sich dabei aber nicht um eine an ein bestimmtes Rentensystem gebundene Berechnungsvorschrift, sondern um eine Bewertungsvorschrift, durch die die Bewertung der bis zum 30. Juni 1926 geleisteten Beiträge abschließend festgestellt wurde, und zwar sowohl im Verhältnis der einzelnen alten Beitragsklassen untereinander als auch im Verhältnis zu den damals neu eingeführten Beitragsklassen. Diese Bewertung gilt also nach Sinn und Zweck für jede Art der Rentenberechnung, bei der es überhaupt auf die unterschiedliche Bewertung von Beitragszeiten nach Beitragsklassen ankommt. Da es § 54 Abs. 3 Buchst. a) RKG für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage und damit für die Rentenberechnung nach neuem Recht ebenso auf Beitragsklassen abstellt wie das alte Recht bei Feststellung der Steigerungsbeträge, muß auch hierfür die Bewertungsvorschrift des § 42 aaO ergänzend herangezogen werden. Wenn daher in § 54 Abs. 3 Buchst. a) RKG von "Beiträgen jeder einzelnen Klasse" die Rede ist, so kann damit für die Zeit vor dem 1. Juli 1926 nur die "Klasse" gemeint sein, die nach § 42 aaO für den betreffenden Bezirk festgesetzt worden ist. Da das KnVNG keine entsprechende Vorschrift enthält, das Bedürfnis nach einer solchen Regelung aber auch nach neuem Recht fortbesteht, wäre - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - diese Bestimmung selbst dann analog anzuwenden, wenn - was nicht der Fall ist - gegen ihre unmittelbare Anwendung Bedenken bestehen würden. Eine Anrechnung der alten Beiträge nach der früheren Klassenbezifferung scheidet nach dem oben Gesagten jedenfalls aus. Es ist allerdings richtig, daß die Anlage zu § 54 Abs. 3 Buchst. a) RKG für den Zeitraum bis zum 30. Juni 1926 Werte für die Klassen I - VII enthält, während in § 42 Abs. 2 der Satzung der Reichsknappschaft nur die Lohnklassen III - VI aufgeführt sind. Man kann aber daraus nicht - wie es das SG getan hat - den Schluß ziehen, der § 42 aaO sei im Rahmen des § 54 RKG deshalb nicht mehr anzuwenden, weil die anderen Tabellenwerte (I, II und VII) sonst überflüssig wären. Die Beklagte hat diese Unstimmigkeit damit erklärt, daß die betreffende Tabellenzeile zunächst im ersten Entwurf der Tabelle den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1926 umfaßt habe, für den - wegen des zweiten Halbjahrs 1926 - alle Beitragsklassen von I - VII in Betracht kamen; bei der späteren Begrenzung dieses Zeitraums auf den 30. Juni 1926 seien die Werte dann stehen geblieben, obgleich sie nun für diese Zeit zum Teil praktisch bedeutungslos gewesen wären. Aber auch wenn man diese Erklärung außer Betracht läßt, begründet der Umstand, daß die Tabelle Werte für alle Beitragsklassen enthält, nicht den hinreichend sicheren Schluß, daß sie auch alle zur Anwendung kommen müßten. Da die Tabelle nur eine technische Ergänzung des Gesetzes darstellt, liegt es nahe, daß sich die redaktionelle Überprüfung vorwiegend auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit, jedoch weniger darauf erstreckte, ob sie möglicherweise - was ja unschädlich bleiben mußte - mehr Werte enthielt als tatsächlich gebraucht wurden.
Da das LSG somit die Klage zu Recht in vollem Umfang abgewiesen hat, war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 i.V.m. §§ 153, 165 SGG).
Fundstellen