Orientierungssatz

Wartezeiterfüllung für Bergmannsrente - Gleichstellung von Vermessungsangestellten und Vermessungssteiger nach RKG § 49 Abs 2:

Eine Tätigkeit als Meßtruppführer, Vermessungstechniker und Vermessungsgehilfe ist nicht als den Hauerarbeiten unter Tage nach § 5 Nr 5 HaVO gleichgestellte Arbeit für die besondere Wartezeit nach § 49 Abs 2 RKG zu berücksichtigen. Von den im Vermessungswesen tätigen Bergleuten wird lediglich der Vermessungssteiger von der HaVO erfaßt. Ein Vermessungsangestellter, der weder die Berufsbezeichnung Vermessungssteiger geführt hat noch als solcher besoldet worden ist, kann allenfalls als Vermessungssteiger im Sinne des § 5 Nr 5 HaVO anerkannt werden, wenn er im wesentlichen uneingeschränkt und ausschließlich die betriebliche Stellung eines Vermessungssteigers innegehabt hat (vgl BSG 1962-12-13 5 RKn 11/61 = BSGE 18, 158).

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 1 Nr. 2, § 49 Abs. 2; HaVO § 5 Nr. 5

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 09.11.1966)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 9. November 1966 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der Revisionsinstanz sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der am 24. August 1904 geborene Kläger hat seit 1920 im Bergbau, und zwar überwiegend im Vermessungswesen, gearbeitet; er bezog vom September 1954 an den Knappschaftssold und erhält nach seiner Abkehr vom Bergbau seit dem 1. April 1967 die Knappschaftsausgleichsleistung. Der Antrag des Klägers vom 23. Oktober 1958 auf Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) wurde von der Beklagten abgelehnt. Sein Widerspruch wurde mit der Begründung zurückgewiesen, er habe keine Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten (im folgenden kurz: Hauerarbeiten) verrichtet; seine Tätigkeiten als Kettenzieher, Vermessungsgehilfe und Vermessungstechniker unter Tage fielen nicht unter diese in der Hauerarbeitenverordnung (HaVO) erschöpfend aufgezählten Arbeiten.

Das Sozialgericht (SG) hat den Kläger mit seiner gegen diese Bescheide erhobenen Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger seinen Klageantrag auf Gewährung der Bergmannsrente für die Zeit vom 1. Januar 1963 an beschränkt und geltend gemacht, er habe seit dem 1. Januar 1948 eine Tätigkeit verrichtet, die der eines Vermessungssteigers entspreche. Das Landessozialgericht (LSG) hat diesem Antrag entsprechend erkannt. Es hat angenommen, der Kläger habe während der Zeit vom 1. Januar 1948 bis zum 31. Dezember 1962 180 Monate lang eine unter § 5 Nr. 5 HaVO fallende Tätigkeit verrichtet; sie entspreche der Tätigkeit eines überwiegend unter Tage tätigen Vermessungssteigers.

Auf die Revision der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 13. Mai 1966 - 5 RKn 114/63 - dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Es hat die Annahme des LSG, der Kläger habe die besondere Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG erfüllt, hinsichtlich der dort erforderten 180 Monate Hauerarbeiten für nicht hinreichend gesichert angesehen. Zwar sei es - so wird u.a. ausgeführt - nicht zu beanstanden, daß das LSG, dem Gutachten des Sachverständigen L folgend, das Verhältnis der "kennzeichnenden" zu den "einfachen" Arbeiten des Klägers als ein Indiz dafür angesehen habe, daß seine Tätigkeit der eines Vermessungssteigers entsprochen habe. Da es aber entscheidend darauf ankomme, ob er im wesentlichen uneingeschränkt und ausschließlich die Stellung eines Vermessungssteigers gehabt habe, bedürfe es noch der Feststellung, ob er einerseits alle Arbeiten verrichtet habe, die einem Vermessungssteiger regelmäßig obliegen und ob er andererseits - von Unwesentlichem abgesehen - keine Tätigkeiten verrichtet habe, die üblicherweise nicht einem Vermessungssteiger, sondern niedriger eingestuften Vermessungsangestellten übertragen würden. Da es auf die betriebliche Stellung im ganzen ankomme, sei hierbei sowohl die Tätigkeit unter sowie über Tage zu berücksichtigen. Auch bedürfe es für das gesetzliche Erfordernis der überwiegenden Beschäftigung unter Tage noch weiterer Feststellungen.

Das LSG hat nach Einholung eines Ergänzungsgutachtens und nach neuer Verhandlung mit Urteil vom 9. November 1966 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Er habe, so führt es aus, zwar das 50. Lebensjahr vollendet und eine Versicherungszeit von 300 Monaten zurückgelegt, davon jedoch nicht mindestens 180 Monate Hauerarbeiten verrichtet. Letzteres käme nach dem Arbeitsleben des Klägers nur in Betracht, wenn die von ihm seit 1948 ausgeübte Tätigkeit eines Meßtruppführers, Vermessungstechnikers und Vermessungsgehilfen als Vermessungssteigertätigkeit anzusehen sei. Der Kläger habe aber weder die Berufsbezeichnung eines Vermessungssteigers geführt, noch sei er als solcher besoldet worden. Allerdings müsse es zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 5 Nr. 5 HaVO genügen, daß die Arbeit des Versicherten der eines Vermessungssteigers entspreche, sofern er die volle betriebliche Stellung eines Vermessungssteigers innehabe. Das treffe aber für den Kläger in der maßgeblichen Zeit nicht zu. Er habe nicht die uneingeschränkte betriebliche Stellung eines Vermessungssteigers gehabt. Er habe nämlich nicht alle Arbeiten, die einem Vermessungssteiger regelmäßig obliegen, insbesondere nicht alle diejenigen, die gerade für den Vermessungssteiger im Verhältnis zum geringer qualifizierten Vermessungsangestellten typisch sind, verrichtet. So habe er keine einfachen Planungen technischer, bergbaulicher und geologischer Art erledigt. Das seien aber nach dem Gutachten des Sachverständigen wesentliche und typische Arbeiten eines Vermessungssteigers; sie zählten deshalb auch nach den tariflichen Vereinbarungen zu dessen wesentlichen Tätigkeitsmerkmalen. Dabei komme es nicht darauf an, ob Arbeiten dieser Art im örtlichen Tätigkeitsbereich des Klägers in erheblichem Umfang angefallen seien. Entscheidend sei, daß sie hätten anfallen können und daß der Kläger sie alsdann nicht hätte ausführen können, daß der Betrieb vielmehr in einem solchen Fall auf einen ausgebildeten Vermessungssteiger hätte zurückgreifen müssen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das seinem Bevollmächtigten im Berufungsverfahren am 15. Dezember 1966 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen damaligen Revisionsbevollmächtigten am 16. Januar (der 15. Januar war ein Sonntag) 1967 Revision eingelegt. Nach Hinweis auf den Ablauf der Begründungsfrist ging die Revisionsbegründung vom 3. März 1967 zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand am 6. März 1967 beim BSG ein. Zur Begründung dieses Antrags wird vorgetragen, weder den Kläger noch seinen Bevollmächtigten treffe ein Verschulden an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Der Bevollmächtigte sei auf seiner Dienststelle allein für die Prozeßführung vor dem BSG zuständig; ihm und seiner Mitarbeiterin allein obliege insoweit auch die Aktenführung sowie die Fristüberwachung. Bei der Berechnung und Überwachung der Revisions- und Revisionsbegründungsfristen handele es sich um eine routinemäßig zu erledigende Tätigkeit, für die es auch keiner besonderen Rechtskenntnisse bedürfe. Im vorliegenden Fall beruhe die Versäumung der Frist darauf, daß seine Mitarbeiterin die Revisionsbegründungsfrist nicht im Terminkalender notiert habe und die Akte daher nicht wieder vorgelegt worden sei. Die Mitarbeiterin habe Ende Januar eine Fehlgeburt gehabt und sei anschließend mehrere Wochen in klinischer Behandlung und danach noch arbeitsunfähig gewesen. Die Unterlassung der Fristnotierung sei offenbar auf ihren bereits vorher angegriffenen Gesundheitszustand zurückzuführen. Der damalige Bevollmächtigte des Klägers hat die Richtigkeit dieser Angaben an Eides statt versichert.

Zur Sache rügt der Kläger die Verletzung des § 5 Nr. 5 HaVO iVm § 45 RKG. Entgegen der Annahme des LSG habe der Kläger die volle betriebliche Stellung eines Vermessungssteigers innegehabt. Bei der Prüfung dieser Frage komme es allein auf die Verhältnisse des jeweiligen Betriebes, nicht auf Merkmale des Tarifvertrages an. Der Kläger habe alle in seinem Betrieb anfallenden Arbeiten eines Vermessungssteigers ausgeübt. Es könne nicht zu seinen Lasten gehen, daß dort bestimmte Arbeiten nicht angefallen seien und er sie deshalb auch nicht verrichtet habe.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit ab 1. Januar 1963 Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG zu gewähren,

hilfsweise,

die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Das Vorbringen des damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers lasse erkennen, daß er die ihm als Rechtskundigen obliegende Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen habe; dieses Verschulden müsse der Kläger gegen sich gelten lassen. In der Sache hält die Beklagte das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten sind mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist war dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu gewähren, weil nach den glaubhaft gemachten Umständen weder ihn noch seinen damaligen Bevollmächtigten hieran ein Verschulden trifft. Nach der Lage des Falles bestand für den Bevollmächtigten kein Anlaß, in dieser Sache eine besondere Vorlageverfügung zu treffen. Bei der Berechnung und Notierung der Begründungsfrist handelte es sich aber um eine einfache und routinemäßig durchzuführende Arbeit, die er seiner allein und ständig damit befaßten Mitarbeiterin überlassen durfte. Daß diese Angestellte die Fristnotierung im vorliegenden Fall vergessen hat und deshalb die spätere Vorlage - während ihrer Krankheit - unterblieben ist, kann ihm und damit dem Kläger nicht als Verschulden zugerechnet werden. Die nachträglich angestellte Vermutung, das Unterlassen der Notierung sei wohl auf den damals schon angegriffenen Gesundheitszustand der Mitarbeiterin zurückzuführen, rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Bevollmächtigte hätte sich schon zu dieser Zeit - mehr als sonst - persönlich um die Fristnotierungen kümmern müssen.

Sachlich ist die Revision des Klägers unbegründet. Die Auffassung des LSG, die Tätigkeit des Klägers als Meßtruppführer, Vermessungstechniker und Vermessungsgehilfe sei nicht als den Hauerarbeiten unter Tage nach § 5 Nr. 5 HaVO gleichgestellte Arbeit für die besondere Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG zu berücksichtigen, ist nicht rechtsfehlerhaft. Von den im Vermessungswesen tätigen Bergleuten wird lediglich der Vermessungssteiger von der HaVO erfaßt. Ein Vermessungsangestellter, der - wie der Kläger - weder die Berufsbezeichnung Vermessungssteiger geführt hat noch als solcher besoldet worden ist, kann allenfalls als Vermessungssteiger im Sinne des § 5 Nr. 5 HaVO anerkannt werden, wenn er im wesentlichen uneingeschränkt und ausschließlich die betriebliche Stellung eines Vermessungssteigers inne gehabt hat. Zur Widerlegung der tatsächlichen Vermutung, daß die betriebliche Stellung und die tarifliche Einstufung nach Berufsbezeichnung und Entlohnung einander - wenigstens auf die Dauer - entsprechen, bedarf es hierbei nach der Rechtsprechung des Senats eines Beweises, an den strenge Anforderungen zu stellen sind (s. BSG 18, 158).

Zum Begriff der betrieblichen Stellung gehört in erster Linie der Tätigkeitsbereich als solcher. Es kommt also entscheidend darauf an, ob der Kläger die Tätigkeit eines Vermessungssteigers - von Unwesentlichem abgesehen - uneingeschränkt ausgeübt hat, d.h. ob er alle Arbeiten, die einem Vermessungssteiger regelmäßig obliegen, verrichtet hat, insbesondere auch diejenigen, die gerade für den Vermessungssteiger im Vergleich zu geringer qualifizierten Vermessungsangestellten typisch sind. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger bestimmte Arbeiten dieser Art nicht verrichtet hat, und zwar solche, bei denen es sich gerade um wesentliche und typische Arbeiten eines Vermessungssteigers handelt und die deshalb auch nach den tariflichen Vereinbarungen zu den wesentlichen Tätigkeitsmerkmalen eines Vermessungssteigers gehören. Es ist nicht zu beanstanden, daß das LSG hieraus den Schluß gezogen hat, der Kläger habe nicht die volle betriebliche Stellung eines Vermessungssteigers innegehabt. Dabei konnte es auch offen lassen, ob solche Arbeiten - einfache Planungen technischer, bergbaulicher und geologischer Art - auf der betreffenden Anlage während der Tätigkeit des Klägers im wesentlichem Umfang angefallen sind. Es hat zutreffend darauf abgestellt, daß Arbeiten dieser Art hätten anfallen können und daß in einem solchen Falle der Kläger sie nicht hätte ausführen können, die Zechenleitung vielmehr auf einen ausgebildeten Vermessungssteiger hätte zurückgreifen müssen. Sollten, wie die Revision geltend macht, Fälle dieser Art tatsächlich nicht eingetreten sein, so kann dieser Umstand nicht zu einer höheren Bewertung der betrieblichen Stellung des Klägers führen.

Da der Kläger hiernach die besondere Wartezeit für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG nicht erfüllt hat, ist seine Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen worden.

Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 i.V.m. den §§ 153, 165 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2285118

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