Entscheidungsstichwort (Thema)
Fiktion der Witwenbeihilfe bei mindestens 5 Jahre Anspruch auf Berufsschadensausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Die ab 1.1.1976 geltende Neufassung des § 48 Abs 1 BVG begründet einen neuen Versorgungsanspruch.
2. Die nach § 48 Abs 1 BVG anzustellende Schadensermittlung richtet sich nach den Rechtsgrundsätzen des Berufsschadensausgleichs.
3. Eine berufliche Betätigung des Beschädigten, die sich auf die Gesamtversorgung der Witwe günstig auswirkt, ist zu berücksichtigen. Dies gilt auch für eine Unfallwitwenrente.
Orientierungssatz
Hat die Versorgungsverwaltung den Erstantrag auf Berufsschadensausgleich zu Unrecht abgelehnt und nach erneuter Antragstellung Berufsschadensausgleich bewilligt, so kann bei der Prüfung der Frage, ob Witwenbeihilfe nach der letzten Alternative des § 48 Abs 1 S 2 Halbs 1 BVG zusteht, die Zeit vor Gewährung des Berufsschadensausgleichs, nämlich ab dem zuerst gestellten Antrag, nicht außer acht bleiben.
Normenkette
BVG § 48 Abs 1 S 1 Fassung: 1975-12-18, § 48 Abs 1 S 2 Halbs 1 Alt 3 Fassung: 1975-12-18, § 30 Abs 3, § 30 Abs 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Witwenbeihilfe nach § 48 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Ihr im Februar 1975 durch Arbeitsunfall ums Leben gekommener Ehemann (Beschädigter) bezog zu Lebzeiten Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vH. Das Versorgungsamt versagte zunächst (Bescheid vom 7. Oktober 1965) Berufsschadensausgleich mit der Begründung, es könne angenommen werden, daß zwischen dem Beruf eines Spinnereiarbeiters und dem eines Fleischergesellen kein sozialer Unterschied bestehe und auch das Einkommen eines Fleischergesellen nicht höher liege als das derzeit erzielte Einkommen. Im Februar 1971 beantragte der Beschädigte erneut Berufsschadensausgleich, dem auf Weisung des Landesversorgungsamts entsprochen wurde (Bescheid vom 21. August 1973). Die Versorgungsverwaltung ging davon aus, daß der Beschädigte infolge der Verwundung am linken Arm die bis zur Einberufung zum Wehrdienst im Dezember 1940 ausgeübte Tätigkeit als Fleischergeselle nicht mehr verrichten könne.
Die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie bewilligte der Klägerin eine Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährte der Klägerin Witwenrente aus der Angestelltenversicherung, wobei die Ruhensvorschrift des § 56 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) zur Anwendung gelangte.
Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenbeihilfe lehnte das Versorgungsamt ab (Bescheid vom 4. März 1977; Widerspruchsbescheid vom 8. November 1977).
Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verpflichtet, der Klägerin vom 1. März 1975 an Witwenbeihilfe zu gewähren (Urteil vom 3. Dezember 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten unter Abänderung des Urteils des SG verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1975 bis 31. Dezember 1975 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen; im übrigen hat es die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Beschädigte habe nach Kriegsende zunächst als Spinnereiarbeiter und von Mai 1973 an als Schreibkraft im Angestelltenverhältnis eine entsprechende Erwerbstätigkeit in vollem Umfange im Sinne des § 48 BVG nicht ausgeübt. Das zeige ein Vergleich der Bruttoarbeitsverdienste, die die BfA bei der Berechnung der Witwenrente zugrunde gelegt habe, mit demjenigen Einkommen, das der Beschädigte nach den Auskünften der Fleischerinnung Nordrhein-Westfalen und der Kreishandwerkerschaft Steinfurt als Fleischergeselle erzielt hätte. Bei der Bestimmung der nicht unerheblichen Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung sei als Bezugsgröße die gesamte Hinterbliebenenversorgung heranzuziehen. Damit sei die Hinterbliebenenrente zu vergleichen, die die Witwe erhalten würde, wenn der Beschädigte bis zu seinem Tode dem Beruf nachgegangen wäre, den er ohne die Schädigung ausgeübt hätte. Die Rentenberechnung habe auf das fiktive Arbeitsentgelt des Beschädigten als Fleischergeselle abzuheben, das anhand der tariflichen Entgelte so konkret wie möglich zu ermitteln sei. Die Klägerin würde danach auch unter Anwendung der Ruhensvorschrift eine höhere Witwenrente erhalten. Die prozentuale schädigungsbedingte monatliche Versorgungseinbuße betrage für die Zeit von August 1975 bis einschließlich Dezember 1981 zwischen 12,44 % und 12,95 %. Aufgrund dessen seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Witwenbeihilfe ab 1. Januar 1976 erfüllt. Soweit die Witwenbeihilfe von August bis einschließlich Dezember 1975 streitig sei, habe der Beklagte in Ausübung seines Ermessens zu entscheiden.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht der Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts geltend. Für die Bemessung der schädigungsbedingten Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung nach § 48 BVG seien - so meint der Beklagte - die beim Berufsschadensausgleich für die Ermittlung des Vergleichseinkommens maßgeblichen Regelungen heranzuziehen. Daraus folge in sinngemäßer Anwendung dieser Vorschriften, daß die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung unberücksichtigt bleiben müsse. Der Beschädigte habe den Wegeunfall im Zusammenhang mit der nach der Schädigung ausgeübten Tätigkeit erlitten. Das LSG habe nicht festzustellen vermocht, daß ein Wegeunfall auch in dem ohne die Schädigungsfolgen ausgeübten Beruf eingetreten wäre. Mithin sei bei der Bemessung der schädigungsbedingten Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung die ungekürzte fiktive Witwenrente aus der Angestelltenversicherung in Ansatz zu bringen. Sie habe beispielsweise im Jahre 1981 793,-- DM betragen gegenüber den tatsächlich erzielten Witwenbezügen von 1.007,60 DM. Von einer Einkommensminderung könne sonach nicht die Rede sein. Im übrigen habe das LSG bei der Verurteilung des Beklagten Art 2 § 2 Abs 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) verletzt. Hiernach gelte § 48 Abs 1 BVG idF dieses Gesetzes nur, wenn der Beschädigte nach dem Inkrafttreten dieser Neufassung gestorben sei, es sei denn, dadurch werde ein neuer Anspruch begründet. Von einem solchen neuen Anspruch sei nicht auszugehen.
Der Beklagte beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts und Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Der Senat kann nicht abschließend über die begehrte Witwenbeihilfe entscheiden, da die vom LSG getroffenen Feststellungen hierzu nicht ausreichen.
Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenbeihilfe zutreffend nach der vor und nach dem 1. Januar 1976 geltenden Fassung des § 48 Abs 1 BVG geprüft. Nach der ab 1. Januar 1973 maßgeblichen Vorschrift idF des Vierten Anpassungsgesetzes (AnpG-KOV) - BGBl I S 1284 - kann einer Witwe, deren Ehemann nicht an den Folgen einer Schädigung gestorben ist, Witwenbeihilfe gewährt werden, wenn der Schwerbeschädigte durch die Folgen der Schädigung gehindert war, eine entsprechende Erwerbstätigkeit in vollem Umfange auszuüben, und dadurch die Versorgung seiner Hinterbliebenen erheblich beeinträchtigt worden ist. Mit der durch Art 2 § 1 Nr 5 HStruktG-AFG vom 18. Dezember 1975 (BGBl I S 3113) mit Wirkung ab 1. Januar 1976 geschaffenen Neuregelung sind die hier bedeutsamen Tatbestandsvoraussetzungen in § 48 Abs 1 BVG verändert worden; der unbestimmte Rechtsbegriff "erheblich" ist durch "nicht unerheblich" ersetzt worden; außerdem ist die frühere Kann-Leistung als Rechtsanspruch ausgestaltet worden. Diese ab 1. Januar 1976 geltende Neufassung findet Anwendung, falls der Beschädigte unter dem Geltungsbereich dieser Vorschrift gestorben ist. Sie gilt auch, wenn der Tod des Versorgungsberechtigten vor dem Inkrafttreten der Neuregelung eingetreten ist, jedoch dadurch ein neuer Anspruch begründet ist (Art 2 § 2 Nr 3 HStruktG-AFG).
Entgegen der Revision ist mit der Neufassung des § 48 Abs 1 BVG mit Wirkung vom 1. Januar 1976 an ein neuer Versorgungsanspruch nach Voraussetzung und Inhalt geschaffen worden (BSGE 7, 187, 190). Dies folgt aus einem Vergleich des neuen mit dem alten Recht (BSGE 4, 291, 292 = SozR Nr 1 zu § 88 BVG). Vor allem ist die Kann-Leistung in einen Rechtsanspruch umgewandelt worden. Damit hat die Witwe eine verstärkte Rechtsstellung erhalten. Außerdem ist durch das Ersetzen des unbestimmten Rechtsbegriffs "erheblich" durch "nicht unerheblich" entgegen der sonstigen nach dem HStruktG-AFG verfolgten Absicht allgemeiner Einsparung nicht der Schluß zulässig, daß nunmehr engere Tatbestandsvoraussetzungen gelten sollen als vorher (BSG SozR 3100 § 48 Nr 8). Das Gegenteil ist der Fall. Die Veränderung der Wortwahl "erheblich" in "nicht unerheblich" weist auf eine graduell unterschiedliche Ausgestaltung hin. Der Gesetzgeber wollte offenbar mit der "nicht unerheblichen Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung" gegenüber dem früheren Wortlaut geringere Anforderungen an die schädigungsbedingte Einbuße stellen. Das bestätigt die Rechtsprechung des Senats. Er hatte die Minderung der Hinterbliebenenversorgung um etwa 15 vH als erheblich angesehen (SozR 3100 § 48 Nr 4). Die Verwaltung hatte die finanzielle Einbuße sogar erst als "erheblich" gewertet, wenn sie mindestens ein Viertel betrug (Rundschreiben des BMA vom 14. Februar 1973 - BVBl 1973 S 23 Nr 22). Demgegenüber hat der BMA unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Senats (BSGE 53, 169 = SozR 3100 § 48 Nr 8 und Urteil des Senats SozR 3100 § 48 Nr 10) seine bisherige Auslegung des Begriffes "nicht unerheblich" (vgl Rundschreiben vom 8. März 1976 - BVBl 1976 S 60 Nr 28) aufgegeben und den Ländern mit Rundschreiben vom 16. März 1984 (BVBl Nr 3 bis 6/84 S 10 = BArbBl 1984/3/63) empfohlen, von einem zwischen 10 bis 15 gestaffelten Prozentsatz als Richtwert auszugehen, der der jeweiligen Einkommensgruppe zuzurechnen ist. Als Obergrenze diente dabei die durchschnittlich erzielte Witwenrente, die bei 33 vH von einem Zwölftel des zuletzt bekanntgegebenen Bruttojahresarbeitsentgeltes aller Versicherten liegt, als Untergrenze eine unter 25 vH verbliebene Hinterbliebenenversorgung. Dementsprechend ist die relevante Einbuße, die sich aus dem Verhältnis der Hinterbliebenenversorgung zu der Versorgung ergibt, die ohne die Schädigung erreicht worden wäre, zwischen 15 und 10 vH abgestuft. Nach der Rechtsprechung des Senats sind diese zur Auslegung des Rechtsbegriffs "nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung" vom BMA herausgegebenen Richtwerte im allgemeinen nicht zu beanstanden (Urteil des Senats SozR 3100 § 48 Nr 10). Diese Richtsätze haben im übrigen mit Wirkung ab 1. Januar 1986 Gesetzeskraft erlangt; durch das Vierzehnte AnpG-KOV vom 4. Juni 1985 (BGBl I S 910) ist § 48 Abs 1 BVG entsprechend geändert worden.
Das LSG hat ohne Rechtsirrtum festgestellt, daß der Beschädigte durch die Folgen der Armschädigung gehindert war, seinem erlernten und bei gesunder Heimkehr aus dem Kriege wahrscheinlich ausgeübten Beruf als Fleischergeselle nachzugehen. Es ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß der Beschädigte bei Ausübung der Tätigkeit als Spinnereiarbeiter sowie von Mai 1973 an als Schreibkraft im Angestelltenverhältnis eine "entsprechende Erwerbstätigkeit in vollem Umfang" nicht verrichtet hatte. Wenn das Berufungsgericht als Beurteilungsmaßstab allerdings neben der wirtschaftlichen auch die soziale Gleichwertigkeit mit dem Lehrberuf des Fleischers als maßgeblich erachtet hat, ist ihm nicht zu folgen. Auf eine sozial nicht gleichwertige berufliche Betätigung des Beschädigten kommt es nicht an. Nach dem Sinn und Zweck der für die Witwenbeihilfe maßgeblichen Vorschrift des § 48 BVG können die anspruchsbegründenden Voraussetzungen nur wirtschaftlich verstanden werden. Das verdeutlicht die Wortfassung selbst, wenn es darin heißt "und dadurch die Versorgung seiner Hinterbliebenen nicht unerheblich beeinträchtigt worden ist" (BSG SozR 3100 § 48 Nr 6 und weitere Urteile des Senats vom 10. August 1983 - 9a RV 23/82 - und vom 7. Dezember 1983 - 9a RV 46/82 -). Hier ist, wie auch in § 1 Abs 1 BVG und für den Berufsschadensausgleich in § 30 Abs 3 BVG normiert, der Grundsatz des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der kriegsbedingten Schädigung und seinen wirtschaftlichen Folgen vorgegeben (BSGE 37, 80, 82 f = SozR 3100 § 30 Nr 1). Der Berufsschadensausgleich setzt einen konkreten, betragsmäßig faßbaren wirtschaftlichen Schaden in der Person des Beschädigten zu dessen Lebzeiten voraus (BSGE 41, 65, 67 = SozR 3100 § 30 Nr 10). Hingegen wird Witwenbeihilfe zugestanden, weil der Beschädigte nicht in der Lage war, so ausreichend für seine Hinterbliebenen zu sorgen, wie dies ohne die Schädigung der Fall gewesen wäre. Das tatsächlich erzielte Erwerbseinkommen des Beschädigten ist in der Regel für die Hinterbliebenenversorgung bestimmend. Der den Hinterbliebenen zugefügte wirtschaftliche Schaden resultiert aus dem Berufsschaden, der sich nach dem Tode des Beschädigten auswirkt. Demzufolge ist die "entsprechende Erwerbstätigkeit" im Hinblick auf einen sich etwa ergebenden Unterschied in der Versorgung der Hinterbliebenen zu prüfen.
Die fiktiven Arbeitsentgelte des Beschädigten als Fleischergeselle, die das SG zur Feststellung der schädigungsbedingten nicht unerheblichen Minderung der Hinterbliebenenversorgung anhand der Auskünfte des Fleischer-Innungs-Verbands Nordrhein-Westfalen, der Kreishandwerkerschaft Steinfurt sowie des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen ermittelt hatte, sind entgegen der Meinung des LSG nicht der geeignete Vergleichsmaßstab. Der erkennende Senat hat bereits im Urteil vom 7. Dezember 1983 - 9a RV 46/82 - entschieden, daß bei der Schadensermittlung auf alle regelmäßig vorkommenden Arbeitsplätze, die gesunden Berufstätigen mit der Ausbildung und Erfahrung des Beschädigten zugänglich sind, abzuheben ist. Das ohne die Schädigung wahrscheinlich erzielte Hinterbliebeneneinkommen ist nicht nach individuellen Einkommensverhältnissen zu berechnen. Vielmehr ist das Rentenmindereinkommen entsprechend den von der Rechtsprechung für den Berufsschadensausgleich entwickelten Rechtsgrundsätzen pauschalierend und generalisierend nach einem durchschnittlichen Bezug festzusetzen (BSG SozR 3100 § 30 Nr 47). Diese Handhabung ist infolge der Wechselbeziehungen zwischen dem zu Lebzeiten des Beschädigten eingetretenen Berufsschaden und den entsprechenden Auswirkungen auf die Hinterbliebenenversorgung geboten. Witwenbeihilfe wird gerade deswegen zugestanden, weil der Beschädigte infolge der Schädigungsfolgen nicht imstande war, ausreichend für seine Hinterbliebenen zu sorgen. Eine solche unmittelbare Beziehung zwischen Berufsschadensausgleich und Hinterbliebenenversorgung ist darüber hinaus in § 48 BVG selbst enthalten. Nach Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 letzte Alternative gelten die in Abs 1 Satz 1 normierten Grundvoraussetzungen für die Gewährung von Witwenbeihilfe als erfüllt, wenn der Beschädigte mindestens fünf Jahre Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich hatte. Im übrigen entspricht die pauschale Ermittlung der Renteneinbuße der Konzeption des Gesetzgebers. Die Bearbeitungsweise soll möglichst einfach gestaltet sein und außerdem eine gleichmäßige Rechtsanwendung gewährleisten. Die Pauschalierung nimmt es in Kauf, daß im Einzelfall von einem größeren Einkommensverlust als dem tatsächlichen ausgegangen wird (BSGE 47, 220, 223 = SozR 3100 § 30 Nr 40). Nach alledem hätte das LSG zur Ermittlung des schädigungsbedingten Rentenmindereinkommens die nach der wahrscheinlich ausgeübten Berufsposition als Fleischer in § 3 Abs 1 Nr 2 der Verordnung zu § 30 Abs 3 bis 5 BVG maßgeblichen Vergleichskriterien (Durchschnittseinkommen aufgrund statistischer Erhebungen) heranziehen und so das Vergleichseinkommen ermitteln müssen; es ist Grundlage für die fiktive Berechnung der Hinterbliebenenrente.
Die ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich erzielte Hinterbliebenenversorgung ist, wie das LSG zutreffend erkannt hat, an der tatsächlichen Gesamtversorgung der Klägerin zu messen. Zur Ermittlung des Schadens sind die laufenden Versorgungseinkünfte der Klägerin seit dem Tode ihres Ehemannes dem jeweiligen Einkommen gegenüberzustellen, das sie als Witwe hätte, falls der Verstorbene seinen vor der Schädigung erlernten und ausgeübten Beruf in vollem Umfange hätte ausüben können (Urteil des erkennenden Senats vom 7. Dezember 1983 aaO und SozR 3100 § 48 Nr 10). Die vergleichende Gegenüberstellung der Einkünfte erstreckt sich entgegen der Meinung des LSG sowie des Beklagten auch auf die Unfallwitwenrente sowie auf die gekürzte Witwenrente aus der Angestelltenversicherung. Beide Bezüge stellen die der Klägerin zustehende Gesamtversorgung dar. Dadurch ist nicht etwa, wie das LSG meint, eine unberechtigte Beschränkung des Kausalitätsbezugs gegeben mit der Folge, daß die Witwe sich Versorgungsleistungen anrechnen lassen muß, die sie unabhängig von der Schädigung erworben hat. Ein zu fordernder unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem schadenstiftenden und zugleich vorteilbringenden Geschehen ist dem § 48 BVG gerade nicht zu entnehmen. Diese Vorschrift, die ausnahmsweise auch solchen Witwen Versorgung zuerkennt, deren Ehemann nicht an den Folgen einer Schädigung gestorben ist (§ 38 BVG), ist, wie ausgeführt, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkt konzipiert. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll nur diejenige Witwe in den Genuß der Witwenbeihilfe gelangen, die eine finanzielle Schlechterstellung in der Hinterbliebenenversorgung durch die Schädigung ihres Ehemannes in Kauf nehmen mußte. Demzufolge kann auch eine infolge des schädigungsbedingten Berufswechsels des Beschädigten bewirkte Besserstellung in der Hinterbliebenenversorgung, jedenfalls soweit sie auf der beruflichen Tätigkeit des Beschädigten beruht, nicht unberücksichtigt bleiben. Sie war gerade durch den schädigungsbedingten Berufswechsel verursacht. Im übrigen entspricht diese Beurteilung dem Grundsatz der gesetzlichen Definition des Einkommensverlustes in § 30 Abs 4 und 5 BVG. Er bemißt sich nach dem Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Einkommen und dem Vergleichseinkommen. Bei einem schädigungsbedingten Berufswechsel kann die dortige günstige berufliche Entwicklung mit der Folge eines höheren Einkommens nicht unberücksichtigt bleiben. Das erzielte Bruttoeinkommen ist nach § 30 Abs 4 BVG der maßgebliche Vergleichsfaktor. Ein das Vergleichseinkommen übersteigendes Bruttoeinkommen hat zwangsläufig zur Folge, daß ein Berufsschaden nicht oder nicht mehr besteht. Nichts anderes gilt für die der Klägerin bewilligte Gesamtversorgung, die sich - wie ausgeführt - auch auf die Unfallwitwenrente erstreckt. Die Witwenbezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung beruhen letztlich ebenfalls auf der beruflichen Betätigung des Beschädigten. Sie bestimmen mit die Gesamtversorgung. Demzufolge ist diese dem fiktiven Renteneinkommen gegenüberzustellen, das die Klägerin ohne die schädigungsbedingte berufliche Behinderung ihres Ehemannes erzielt hätte.
Das Berufungsgericht wird nunmehr im Rahmen seiner ihm obliegenden Ermittlungspflicht (§ 103 Sozialgerichtsgesetz) entsprechende Feststellungen zu treffen haben. Wenn es insoweit für die Rentenberechnung den zuständigen Versicherungsträger heranzieht, steht dies in seinem Ermessen. Durch diese Art der Beweisaufnahme scheint am ehesten die Gewähr einer möglichst genauen Bestimmung der schädigungsbedingten Versorgungseinbuße gegeben zu sein. Sie wird im Hinblick darauf, daß die Witwenbeihilfe nach § 48 BVG von einer prozentualen Festlegung eines schädigungsbedingten Hinterbliebeneneinkommens abhängig ist, geradezu vorausgesetzt. Ob die mit Rundschreiben des BMA vom 29. November 1974 (BVBl 1975 S 4 Nr 3) anempfohlene Berechnungsmethode diesen Anforderungen - noch - genügt, was das LSG mit gewichtigen Gründen in Zweifel zieht, mag dahinstehen. Hierüber war nicht zu entscheiden, zumal das fragliche Rundschreiben letztlich nur Richtschnur des Verwaltungshandelns sein kann, die Gerichte aber keineswegs bindet. Indessen dürfte der BMA - zumal wegen der durch das 14. Anp-KOV in § 48 BVG geschaffenen Neuregelung - Überlegungen anzustellen haben, ob er die bisher vorgegebene Berechnungsweise weiterhin aufrechterhalten kann oder doch künftig eine konkrete Rentenvergleichsberechnung vorzieht. Immerhin ist dem Umstand besondere Bedeutung beizumessen, daß die vom erkennenden Senat gebilligten Richtlinien des BMA (Rundschreiben vom 16. März 1984 aaO), die auf ein bestimmtes prozentuales Rentenmindereinkommen abheben, nunmehr mit Wirkung ab 1. Januar 1986 in § 48 BVG Tatbestandsmerkmal sind. Die Verwaltung wird sich nicht verschließen können, sich diesen Gegebenheiten anzupassen.
Unabhängig davon wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der Klägerin Witwenbeihilfe nach der letzten Alternative des § 48 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 BVG zusteht. Danach ist Witwenbeihilfe zu gewähren, wenn der Beschädigte mindestens fünf Jahre Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich hatte. Das LSG glaubte offenbar hierauf nicht eingehen zu müssen, weil der als Voraussetzung hierfür zu fordernde Zahlungsanspruch auf Berufsschadensausgleich (vgl BSG SozR 3100 § 48 Nr 6) ab Februar 1971 bis zum Tode des Beschädigten im Februar 1975, somit nur innerhalb eines Zeitraumes von vier Jahren und darüber hinaus wegen des unterschiedlichen hohen Einkommens des Beschädigten auch nur zeitweise bestanden hatte. Dennoch kann die Zeit vor Gewährung des Berufsschadensausgleichs, nämlich ab dem zunächst gestellten Antrag im Juli 1965, nicht außer acht bleiben. Die Versorgungsverwaltung hatte diesen Antrag offenbar zu Unrecht abgelehnt. Jedenfalls deutet darauf die Bewilligung von Berufsschadensausgleich hin, die nach erneuter Antragstellung des Beschädigten auf Weisung des Landesversorgungsamtes bei offensichtlich gleichbleibenden beruflichen Verhältnissen erfolgt ist. Das Versorgungsamt konnte mithin die zur ursprünglichen Ablehnung des Berufsschadensausgleichs gegebene Begründung, es sei anzunehmen, daß das erzielte Einkommen als Spinnereiarbeiter nicht geringer sei als das eines Fleischergesellen, nicht aufrechterhalten. Bei dieser wohl eindeutigen Sach- und Rechtslage hätte das Versorgungsamt sich nicht damit begnügen dürfen, vom zweiten Antrag ab Berufsschadensausgleich zu gewähren. Vielmehr hätte es diesen Antrag auch als Antrag auf Erteilung einer Zugunstenentscheidung (§ 40 Verwaltungsverfahrensgesetz-KOV) werten müssen. Nach einem allgemeinen Grundsatz ist der Antrag eines Versorgungsberechtigten so zu verstehen, daß er alle ihm gesetzlich zustehenden Leistungen begehrt, auch diejenigen, die er nicht ausdrücklich benennt (vgl BSG SozR 3100 § 48 Nr 7; 3100 § 35 Nr 1; 3100 § 31 Nr 22). Da es die Versorgungsverwaltung unterlassen hat, anläßlich des durch den Zweitantrag eingeleiteten Verwaltungsverfahrens den Beschädigten zu beraten, hätte es bei der gebotenen Auslegung des Antrags auch ohne ausdrückliche Ergänzung von einem sachdienlichen Begehren, das sich hier aufdrängte, ausgehen müssen (Urteil des erkennenden Senats vom 25. Juni 1985 - 9a RV 61/83 -, zur Veröffentlichung in SozR bestimmt). Im übrigen wird das LSG zu beachten haben, daß es für die Frage des Bestehens eines fünfjährigen Zahlungsanspruchs, der, wie ausgeführt, Voraussetzung für die Gewährung von Witwenbeihilfe ist, nicht erheblich ist, ob er tatsächlich zuerkannt gewesen ist. Es genügt, daß er aufgrund aller gesetzlichen Voraussetzungen bestanden hatte (BSG SozR 3100 § 48 Nr 7).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen