Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldbemessung. Vorbezug von Unterhaltsgeld. Feststellungswirkung. Umdeutung eines Verwaltungsaktes
Leitsatz (amtlich)
Ist bei einem Anspruch auf Arbeitslosengeld das Arbeitsentgelt aus dem letzten Unterhaltsgeldbescheid zugrunde zu legen, so ist dieses maßgebend, solange der Unterhaltsgeldbescheid bindend ist.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
AFG § 112 Abs. 5 Nr. 8 Fassung: 1987-12-14, § 44 Abs. 3 S. 1 Nr. 1; SGB X §§ 43, 45, 48
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 29. August 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) und in diesem Zusammenhang über die Berechtigung der Beklagten, das dem Alg zugrunde zu legende Arbeitsentgelt neu zu bestimmen, unabhängig von dem Arbeitsentgelt, nach dem das Unterhaltsgeld (Uhg) des Klägers zuletzt bemessen worden ist.
Der 1966 geborene Kläger war von September 1984 bis 31. Dezember 1991 versicherungspflichtig beschäftigt; in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1991 verdiente er 6.495,00 DM brutto an 66 Arbeitstagen und 528 Arbeitsstunden bei einer regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich (durchschnittlicher Wochenverdienst 490,00 DM). Von Januar bis 30. Juni 1992 war der Kläger selbständig tätig.
Antragsgemäß bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab 1. Juli 1992 Alg in Höhe von 268,20 DM wöchentlich; dabei legte sie ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 640,00 DM, eine Nettolohnersatzquote von 63 vH und die Leistungsgruppe A zugrunde (Bescheid vom 14. Juli 1992).
Vom 21. Dezember 1992 bis 25. Februar 1994 nahm der Kläger an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung teil. Durch Bescheid vom 27. August 1993 bewilligte ihm die Beklagte für die Zeit vom 21. bis 31. Dezember 1992 Uhg, wobei sie ein Bemessungsentgelt von 640,00 DM berücksichtigte. Dieses Entgelt dynamisierte sie zum 1. Januar 1993 auf 690,00 DM (Bescheid vom 15. Juli 1993), zum 1. Juli 1993 auf 790,00 DM (Bewilligungsverfügung vom 8. Juli 1993) und zum 1. Januar 1994 auf 910,00 DM (Bescheid vom 4. Februar 1994).
Nach Beendigung der Maßnahme erkannte die Beklagte dem Kläger ab 26. Februar 1994 Alg in Höhe von 271,80 DM zu unter Zugrundelegung eines gerundeten Bruttoarbeitsentgelts von 700,00 DM, einer Nettolohnersatzquote von 60 vH und der Leistungsgruppe A (Bescheid vom 22. Februar 1994).
Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, das Bemessungsentgelt sei zu niedrig; im Bescheid vom 4. Februar 1994 sei bei der Berechnung des Uhg bereits ein Bemessungsentgelt von 910,00 DM zugrunde gelegt worden. Mit Bescheid vom 19. Mai 1994 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte ua aus: Nach § 112 Abs 5 Nr 8 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sei bei der Bewilligung des Alg zwar von dem zuletzt für das Uhg maßgebenden Arbeitsentgelt auszugehen. Insoweit bestehe jedoch keine Bindung an das der letzten Uhg-Bewilligung tatsächlich zugrunde gelegte Bemessungsentgelt, wenn dieses – wie hier – wegen Fehler bei der Dynamisierung (doppelte Dynamisierung zum 1. Juli 1992 sowie Dynamisierung zum 1. Januar 1994 entgegen § 242o Abs 1 AFG) unzutreffend ermittelt gewesen sei. Ausgehend von einem an sich zugrunde zu legenden wöchentlichen Arbeitsentgelt von 490,00 DM am 1. Juli 1992 ergebe sich zum 26. Februar 1994 ein gerundetes Arbeitsentgelt von 700,00 DM.
Im Verlaufe des sich anschließenden Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Bescheid vom 12. Juli 1994 das Bemessungsentgelt zum 1. Juli 1994 auf 800,00 DM dynamisiert und das Alg auf 302,40 DM festgesetzt. Das SG hat die Beklagte unter Abänderung der Bescheide verurteilt, dem Kläger Alg ab 26. Februar 1994 in Höhe von 335,40 DM und ab 1. Juli 1994 in Höhe von 372,60 DM wöchentlich zu zahlen (Urteil vom 28. Oktober 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, den – zwischenzeitlich ergangenen – Bescheid vom 28. Februar 1995 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alg für die Zeit vom 2. Januar bis 24. Februar 1995 in Höhe von wöchentlich 362,40 DM unter Abzug bereits erbrachter Leistungen zu zahlen (Urteil vom 29. August 1995). Es hat im wesentlichen ausgeführt: § 112 Abs 5 Nr 8 AFG stelle auf das bei der Bemessung des Uhg tatsächlich zugrunde gelegte Arbeitsentgelt ab, unabhängig davon, ob dieses zutreffend errechnet worden sei oder nicht. Zwar verpflichte das Gesetz die Verwaltung zur rechtmäßigen Leistungsbewilligung. Der Gesetzgeber könne jedoch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und des Vertrauensschutzes an das frühere, der Uhg-Bemessung zugrunde gelegte Arbeitsentgelt anknüpfen. Das bindend bewilligte Uhg bleibe so lange rechtmäßig, bis der Bescheid über die Bewilligung aufgehoben werde.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 112 Abs 5 Nr 8 AFG und trägt vor:
Mit seiner Rechtsauffassung weiche das LSG von der Rechtsprechung des BSG ab (SozR 4100 § 112 Nr 23 und BSGE 75, 235 = SozR 3-4100 § 100 Nr 5). Danach seien lediglich die Entscheidungen über die Art der Leistung, die Dauer und die Höhe bindungsfähig, nicht aber Berechnungsfaktoren, wie das wöchentliche Arbeitsentgelt. Insoweit habe das BSG eine Korrektur zugelassen. Der 9b-Senat habe zwar im Urteil vom 18. Oktober 1991 (SozR 3-4100 § 44 Nr 7) zu § 44 Abs 3 Nr 1 AFG idF des 7. AFGÄndG entschieden, daß das Uhg nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen sei, das der Alg-Bewilligung zugrunde gelegen habe. Die Begründung dieser Entscheidung sei jedoch nicht bedenkenfrei. Sie liefe auf die Fortschreibung eines materiell-rechtlich rechtswidrigen Zustandes hinaus. Der Gesetzgeber dürfe zwar an beliebige Merkmale eines früheren Bescheides Rechtsfolgen anknüpfen; hieraus könne jedoch nicht gefolgert werden, daß sie, die Beklagte, auch an rechtswidrig zustande gekommene Merkmale gebunden sei.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 29. August 1995 und des Sozialgerichts Gotha vom 28. Oktober 1994 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils und weist ergänzend darauf hin, den von der Beklagten im Sinne einer Divergenz genannten Urteilen des BSG liege ein anderer Sachverhalt zugrunde.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Zu Recht haben SG und LSG die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, das Alg des Klägers unter Zugrundelegung des Arbeitsentgelts zu zahlen, nach dem das Uhg zuletzt bemessen worden ist.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Bescheide vom 22. Februar 1994 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides) sowie die nachfolgenden Bescheide über die dem Kläger bewilligten Leistungen bis einschließlich 24. Februar 1995; hingegen ist in das Revisionsverfahren nicht einzubeziehen der Bescheid der Beklagten vom 8. März 1995, mit dem dem Kläger für die anschließende Zeit ab 25. Februar 1995 Arbeitslosenhilfe (Alhi) bewilligt worden ist. Der Kläger hat im Rahmen der ihm zustehenden Dispositionsbefugnis seinen Antrag insoweit in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 29. August 1995 eingeschränkt.
Dem Kläger steht ab 26. Februar 1994 ein Anspruch auf ein höheres Alg zu, und zwar nach einem Bemessungsentgelt von 910,00 DM statt einem solchen von 700,00 DM. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg liegen – wovon auch die Beteiligten ausgehen – für die Zeit vom 26. Februar 1994 bis 24. Februar 1995 gemäß §§ 100 ff AFG vor. Entgegen § 112 Abs 5 Nr 8 AFG idF des 8. AFGÄndG vom 14. Dezember 1987 (BGBl I S 2602) hat die Beklagte jedoch in den angefochtenen Bescheiden rechtswidrig das „Arbeitsentgelt” neu berechnet und bei der Bemessung des Alg zugrunde gelegt.
Die Höhe des Alg ab Februar 1994 beurteilt sich nach § 111 AFG idF des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S 2353). Danach beträgt das Alg für einen Arbeitslosen ohne Kind 60 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Wie dieses Arbeitsentgelt zu berechnen ist, ergibt sich aus § 112 AFG. Dessen Abs 5 aaO enthält eine von der allgemeinen Regelung der Abs 1 ff aaO abweichende Bestimmung für Sonderfälle. Nach Abs 5 Nr 8 aaO bemißt sich das Arbeitsentgelt bei einem Arbeitslosen, der wegen Teilnahme an einer ganztägigen Bildungsmaßnahme Uhg bezogen hat, „nach dem Arbeitsentgelt, nach dem das Uhg zuletzt bemessen worden ist oder zu bemessen gewesen wäre.”
Diese Vorschrift, die mit ihrem wesentlichen Inhalt durch das Haushaltsstrukturgesetz AFG vom 18. Dezember 1975 (BGBl I S 3113) ursprünglich als Nr 4b eingefügt worden ist, greift hier ein. Abweichend von § 112 Abs 1 AFG, wonach Arbeitsentgelt iS des § 111 Abs 1 AFG der Betrag ist, den der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat und von dem ein bestimmter Vomhundertsatz des pauschalierten Nettoentgelts als Alg zu zahlen ist, wird in § 112 Abs 5 Nr 8 AFG bei der Festsetzung des Alg an das Arbeitsentgelt angeknüpft, das dem letzten Uhg-Bescheid zugrunde gelegt worden ist, unabhängig davon, ob dieses zutreffend berechnet worden ist oder nicht (so zu § 44 Abs 3 AFG BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 7; krit dazu Hennig in Hennig/Kühl/ Heuer/Henke, AFG, § 44 RdNr 83; aA zu § 112 AFG Heuer, aaO, § 112 RdNr 33 und Husmann in GK-AFG, § 112 RdNr 503). Jedenfalls solange der das Uhg zuletzt bewilligende Bescheid bestandskräftig ist, bestimmt sich das dem Alg zugrunde zu legende Arbeitsentgelt – also das Bemessungsentgelt (vgl BSGE 72, 177, 185 = SozR 3-4100 § 112 Nr 13) – nach diesem Betrag.
1) Diese Auslegung ergibt sich aus dem Wortlaut (a), der Entstehungsgeschichte (b) und dem Sinn und Zweck (c) der Vorschrift.
a) § 112 Abs 5 Nr 8 AFG lautet: „Bei der Feststellung des Arbeitsentgelts eines Arbeitslosen, der wegen der Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme Unterhaltsgeld bezogen hat, oder nur wegen des Vorrangs anderer Leistungen nicht bezogen hat (§ 107 Satz 1 Nr 5 Buchst d), ist das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, nach dem bei der Teilnahme an einer Maßnahme mit ganztägigem Unterricht das Unterhaltsgeld zuletzt bemessen worden ist oder zu bemessen gewesen wäre.” Nicht darauf abgestellt wird in der 1. Alternative auf die Bemessung des Arbeitsentgelts nach den allgemeinen Regelungen der Abs 1 ff aaO, sondern ausdrücklich auf das Arbeitsentgelt, nach dem das Uhg zuletzt bemessen worden ist und nicht etwa zu bemessen war. Angeknüpft wird damit, wie das BSG zu der ähnlich formulierten Vorschrift des § 44 Abs 3 Nr 1 AFG ausgeführt hat (SozR 3-4100 § 44 Nr 7), an das tatsächlich der Uhg-Bewilligung zugrundeliegende Arbeitsentgelt und nicht an ein an sich „rechtmäßig” zugrunde zu legendes Arbeitsentgelt. Die in § 112 Abs 5 Nr 8 AFG aufgeführte weitere Alternative „oder zu bemessen gewesen wäre” bleibt hier außer Betracht. Sie ist Rechtsfolge der og 2. Alternative des Abs 5 Nr 8 aaO und knüpft demgemäß an den Fall an, daß Uhg wegen des Vorrangs anderer Leistungen während dieses Zeitraums gerade nicht bezogen worden ist (vgl Brand in Niesel, AFG, 2. Aufl, § 112 RdNr 42); insoweit fehlt ein entsprechendes Anknüpfungskriterium.
Aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt somit, daß in den Fällen des § 112 Abs 5 Nr 8 1. Alternative AFG ohne Einschränkung an das dem – letzten – Uhg-Bescheid zugrundeliegende Arbeitsentgelt anzuknüpfen ist. § 112 Abs 5 Nr 8 AFG enthält mithin eine sog Feststellungswirkung (vgl zur Feststellungswirkung: Knöpfle, BayVBl 1982, 225 ff; Maurer, Allgemeines Verwaltungrecht, 10. Aufl, § 11 RdNr 8; Kopp, VwGO, 10. Aufl, § 121 RdNr 6 – sog erweiterte Feststellungswirkung). Dabei handelt es sich um ein Rechtsinstitut, das die Rechtsordnung zur Verhütung eines ständigen Wiederaufgreifens rechtlich geklärter Lebenssachverhalte und zur Vermeidung divergierender Entscheidungen entwickelt hat. Durch die Feststellungswirkung werden Gerichte und Verwaltungsbehörden gegenseitig und untereinander an Entscheidungselemente, an tatsächliche Feststellungen und rechtliche Wertungen in Urteilen und Verwaltungsakten gebunden (vgl Kopp, VwGO, aaO RdNr 6; Knöpfle, aaO, S 227). Im Gegensatz zur sog Tatbestandswirkung, bei der eine Rechtsvorschrift an die Tatsache anknüpft, daß eine bestimmte Entscheidung, sei es Verwaltungsakt oder Urteil, ergangen ist (vgl hierzu Knöpfle, aaO, S 226; Kopp, aaO, RdNr 5), zieht die Feststellungswirkung auch Sachverhaltsmerkmale und rechtliche Wertungen in die „Bindung” mit ein; durch sie wird die betroffene Behörde (oder das Gericht) daran gehindert, über einen Sachverhalt oder eine Rechtsfrage abweichend von dieser Feststellung zu entscheiden (vgl Knöpfle, aaO, S 230; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 4. Aufl, § 43 RdNr 114). Sie kann mithin über die Grenzen der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung hinausgehen (vgl hierzu Knöpfle, aaO, S 227 FN 31). Eine derartige Feststellungswirkung ist in § 112 Abs 5 Nr 8 AFG angeordnet. Während die Bindungswirkung eines Bescheides über das Alg sich grundsätzlich – sofern die Behörde, wie hier, erkennbar keine darüber hinausgehende Verfügung getroffen hat – nur auf die bewilligte Leistung, nämlich auf die Entscheidung über Art, Dauer (Beginn und Ende) und Höhe der Leistung erstreckt (vgl BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 28 S 126; BSGE 75, 235, 236 mwN = BSG SozR 3-4100; § 100 Nr 5), wird in § 112 Abs 5 Nr 8 AFG bestimmt, daß – darüber hinaus – Verwaltungsbehörden und Gerichte auch an das zuletzt im Uhg-Bescheid zugrunde gelegte Arbeitsentgelt gebunden sind.
b) Daß der Gesetzgeber eine derartige – Verwaltungsbehörde und Gerichte bindende – Feststellungswirkung in § 112 Abs 5 Nr 8 AFG angeordnet hat und auch anordnen wollte, erschließt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
Die Vorschrift wurde – wie ausgeführt – durch das Haushaltsstrukturgesetz vom 18. Dezember 1975 als § 112 Abs 5 Nr 4b AFG mit Wirkung zum 1. Januar 1976 eingefügt. Sie stand im Zusammenhang mit dem Wegfall des § 44 Abs 5 AFG und der gleichzeitigen Einführung von § 107 Abs 1 Nr 5 AFG. Darin wurde die Zeit der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Bildung, die zum Bezug von Uhg führt, den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichgestellt. Bezieher von Uhg sollten insoweit wie Erwerbstätige und nicht wie Alg- und Alhi-Empfänger behandelt werden (vgl zum Vorstehenden: Urteil vom 22. Juli 1982 – 7 RAr 107/81). Nach den Materialien sollte sichergestellt werden, daß das Alg eines Teilnehmers an einer beruflichen Maßnahme, der nach Abschluß der Maßnahme nicht sofort eine Arbeit finden kann, nach dem Arbeitsentgelt bemessen wird, nach dem zuletzt das Uhg bemessen worden ist – oder zu bemessen wäre (siehe oben) – (vgl BR-Drucks 575/75 S 53). Ziel der Regelung war infolgedessen, wie in dem og Urteil des BSG vom 22. Juli 1982 aaO ausgeführt, sicherzustellen, daß für die Höhe des sich anschließenden Alg nicht etwa die Höhe des Uhg, sondern das dieser Leistung zugrundeliegende Arbeitsentgelt maßgebend ist. Angeknüpft wurde insoweit an die bis zum 31. Dezember 1975 bestehende Rechtslage, wonach Teilnehmern an Maßnahmen der beruflichen Fortbildung, die nach Abschluß der Maßnahme arbeitslos waren, Uhg unter bestimmten weiteren Voraussetzungen weiter gewährt wurde (§ 44 Abs 5 AFG aF).
c) Bestätigt wird die Auslegung auch durch Sinn und Zweck der – § 44 Abs 3 Nr 1 AFG vergleichbaren – Sonderregelung. Durch sie wird im Sinne einer Leistungskontinuität gewährleistet, daß – ohne weitere Ermittlungen – Alg und Uhg nahtlos aneinander anschließen. Die Bezieher von Alg sollen sich bei ihrer Lebensplanung darauf einstellen und davon ausgehen können, daß das ihnen als Lohnersatzleistung zustehende Alg sich weiterhin nach dem Arbeitsentgelt (einschließlich der Dynamisierungen gemäß § 112a AFG; vgl BSGE 72, 177, 185 = SozR 3-4100 § 112 Nr 13) richtet, das der bisherigen Leistung zugrunde gelegen hat. Die Regelung dient somit einerseits dem betroffenen Arbeitslosen und andererseits der Verwaltungsbehörde; sie bewirkt eine Beschleunigung des Verfahrens und vereinfacht für die Behörde (im Sinne der Verwaltungspraktikabilität) die Feststellung der notwendigen Entscheidungsgrundlagen, da sie durch den Rückgriff auf das bisher zugrunde gelegte Arbeitsentgelt Ermittlungen vermeidet; die Verwaltung muß keine neuen Arbeitgeberauskünfte einholen und insoweit keine neuen Berechnungen anstellen. Auf diese Weise werden Verzögerungen der Verwaltungsentscheidungen und auch ein Streit um die Bemessungsgrundlage vermieden (vgl auch BSG SozR 3-4100 § 59c Nr 1 S 2 f und Nr 2 S 6).
2) Dieser Auslegung steht die Entscheidung des BSG vom 27. April 1995 (SozR 3-4100 § 136 Nr 3) nicht entgegen. Sie betrifft eine andere Fallgestaltung, nämlich den Anspruch auf Alhi für einen neuen Bewilligungsabschnitt und eine Neubemessung nach § 136 Abs 2b AFG. Dort hatte das BSG ua festgehalten, der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und der Verwaltungspraktikabilität stünden einer „neuen” Prüfung nicht entgegen, da nach Ablauf eines Bewilligungsabschnitts ohnehin eine erneute Überprüfung nach § 139a Abs 2 AFG zu erfolgen habe. Entsprechendes gilt für die Entscheidung des BSG vom 20. Juni 1984 (SozR 4100 § 112 Nr 23). Sie betrifft eine andere Rechtslage, weil dort das auf ein höheres Uhg gerichtete Begehren sich nach § 44 AFG idF vor dem 7. AFGÄndG vom 20. Dezember 1985 (BGBl I S 2484) beurteilt hat und die Vorschrift einen anderen Wortlaut als § 112 Abs 5 Nr 8 AFG hatte. Nach § 44 AFG in der damals geltenden Fassung betrug das Uhg 80 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG. Die Vorschrift knüpft mithin gerade nicht an das Arbeitsentgelt an, das der Bemessung des Alg zugrunde lag, sondern nahm Bezug auf die allgemeine Regelung des § 112 AFG.
3) Der Auffassung, die Beklagte könne im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nur an rechtmäßige Feststellungen in einem Bescheid und nicht an rechtswidrige gebunden sein, kann insoweit nicht gefolgt werden. Unabhängig davon, daß dies gerade Folge der Feststellungswirkung und unter Abwägung der og Interessenlage hinzunehmen ist, trifft die Aussage in dieser Allgemeinheit nicht zu. Denn grundsätzlich besteht für die Beklagte die Möglichkeit, im Rahmen der vom Gesetzgeber zum Ausgleich der Interessengegensätze zwischen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einerseits und dem Vertrauen des Begünstigten auf die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes andererseits entwickelten Grundsätze Leistungskorrekturen – jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft – vorzunehmen und die dem Alg-Bescheid vorausgehenden Bescheide gemäß §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) unter den dort genannten Voraussetzungen teilweise zurückzunehmen bzw abzuändern (vgl hierzu BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 30). Die – dem Alg-Bescheid vom 22. Februar 1994 vorausgehenden – Bescheide waren, wie SG und LSG ausgeführt haben, teilweise fehlerhaft. Die Beklagte hätte zunächst von einem gerundeten Arbeitsentgelt von 490,00 DM ausgehen (Bruttoarbeitsentgelt im maßgeblichen Dreimonatszeitraum: 6.495,00 DM: 528 Arbeitsstunden = 12,30 DM pro Woche × 40 Stunden regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit = 492,04 DM, gerundet 490,00 DM) und dieses wie folgt dynamisieren müssen: zum 1. Juli 1992: 490,00 DM × 1,1391 = 558,16 DM, gerundet 560,00 DM; zum 1. Januar 1993: 560,00 DM × 1,0854 = 607,82 DM gerundet 610,00 DM, zum 1. Juli 1993: 610,00 DM × 1,1497 = 701,32 DM, gerundet 700,00 DM (vgl § 249c Abs 13 AFG). Demgegenüber hat die Beklagte ab 1. Juli 1992 zugrunde gelegt ein Arbeitsentgelt von 640,00 DM; dieses Arbeitsentgelt hat sie wie folgt dynamisiert: zum 1. Januar 1993: 640,00 DM × 1,0854 = 694,65 DM, gerundet 690,00 DM, zum 1. Juli 1993: 690,00 DM × 1,1497 = 793,92 DM, gerundet 790,00 DM, zum 1. Januar 1994: 790,00 DM × 1,1497 = 908,26 DM, gerundet 910,00 DM (insoweit hat die Beklagte zum 1. Januar 1994 nochmals eine Dynamisierung entgegen § 242o Abs 1 AFG vorgenommen).
Durch bescheidmäßige Teil-Rücknahme bzw Teil-Abänderung der fehlerhaften Leistungshöhe in dem das Alg erstmals bewilligenden Bescheid vom 14. Juli 1992 und den folgenden Uhg- und Dynamisierungsbescheiden hätte für die Beklagte grundsätzlich die Möglichkeit bestanden, die Leistungshöhe unter Zugrundelegung des „richtigen” Arbeitsentgelts jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft zu korrigieren. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 14. Juli 1992 hätte also, da von Anfang an fehlerhaft ein zu hohes Bemessungsentgelt zugrunde gelegt worden war, unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X teilweise zurückgenommen werden können; die nachfolgenden, grundsätzlich bezüglich der Leistungshöhe in Bestandskraft erwachsenden Bescheide wären hierdurch teilweise rechtswidrig geworden und hätten (ua) ggf gemäß § 48 SGB X ebenfalls mit Wirkung für die Zukunft geändert werden können (vgl zur Bestandskraft der Dynamisierungsbescheide: BSG SozR 3-4800 § 63 Nr 1 S 3). Durch diese Korrekturen hätte auch die Leistungshöhe des zuletzt das Uhg bewilligenden Bescheides geändert werden und zugleich das zugrundeliegende – dynamisierte – Arbeitsentgelt in der richtigen Höhe bestimmt werden können.
4) Der Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 1994 über die Bewilligung des Alg kann auch nicht dahin ausgelegt werden (entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫), daß in ihm die og Teil-Rücknahme und Teil-Abänderungsbescheide enthalten sind. Es fehlen aus der Sicht sowohl des Klägers als auch eines objektiven Dritten jegliche Anhaltspunkte für einen derartigen weitgehenden Inhalt des Bescheides und auch einen auf den Erlaß derartiger Bescheide gerichteten Willen der Beklagten. Wie sich gerade aus den Gründen des angefochtenen Widerspruchsbescheides ergibt, war die Beklagte der Auffassung, daß sie das Arbeitsentgelt für das Alg neu, ohne Bindung an das dem Uhg-Bescheid zuletzt zugrundeliegende Arbeitsentgelt, bestimmen konnte.
5) Der og Bescheid vom 22. Februar 1994 kann auch nicht in die og Teil-Rücknahme- und Teil-Abänderungsbescheide gemäß § 43 SGB X (teil-)umgedeutet werden.
Gemäß § 43 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für den Erlaß erfüllt sind (Abs 1). Ausgeschlossen ist die Umdeutung, wenn der Verwaltungsakt, in den umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes, ferner, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden durfte oder wenn bei einer gesetzlich gebundenen Entscheidung der Verwaltungsakt, in den umgedeutet werden soll, eine Ermessensentscheidung wäre (Abs 2 und 3). Infolge der Umdeutung tritt (ex tunc) an die Stelle der von der Behörde gewollten und erklärten Regelung (kraft Fiktion) eine andere, die dem hypothetischen Willen der Behörde entspricht (vgl Laubinger, VerwA 78 ≪1987≫, 207, 352).
Auf die – im wesentlichen – in der Literatur erörterte Streitfrage, ob die Umdeutung durch konstitutiven Hoheitsakt (Entscheidungsakt) bewirkt wird oder lediglich ein Erkenntnisakt ist, ob sie nur von den Verwaltungsbehörden (so Hauck/Haines, SGB X, § 43 RdNrn 8 ff; Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3. Aufl, § 43 RdNr 2; Kopp, VwVfG, 6. Aufl, § 47 RdNr 4, 5; Schenke, DVBL 1987, 641 ff; Winthorst/Lüdemann, NVwZ 1994, 244 ff) oder auch von den Gerichten (so BSG SozR 3-3660 § 1 Nr 1, SozR 1300 § 43 Nr 1; BVerwG DÖV 1985, 152; BVerwGE 48, 81 ff; 82, 235, 242; Steinwedel in Kasseler Komm, SGB X, § 43 RdNr 8; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVG, 4. Aufl, § 47 RdNrn 6/7; Badura in Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl, § 38 RdNr 43; Laubinger, VerwA 78, 207, 345, 349) vorgenommen werden kann, ist hier nicht einzugehen. Auch wenn von der Zulässigkeit der Umdeutung durch die Gerichte ausgegangen wird, greift § 43 SGB X bereits deshalb nicht ein, weil die Voraussetzungen für eine „Teilumdeutung” nach dieser Vorschrift nicht vorliegen.
Wie ausgeführt, ist der Bescheid vom 22. Februar 1994 zwar teilweise rechtswidrig, weil die Beklagte die Feststellungswirkung des § 112 Abs 5 Nr 8 1. Alternative AFG nicht beachtet und die Höhe des Alg fehlerhaft zu niedrig festgestellt hat. Daher könnte daran gedacht werden, den Verfügungssatz über die – fehlerhaft festgesetzte – Leistungshöhe teilweise umzudeuten in die (nicht erlassenen) Teil-Rücknahme- und Teil-Abänderungsbescheide; dann wären diese ex tunc ergangen mit der Folge, daß die Beklagte das von ihr – nunmehr – berechnete Arbeitsentgelt zutreffend bei der Bemessung des Alg im Bescheid vom 22. Februar 1994 zugrunde gelegt hätte. Bei einer derartigen Umdeutung würde neben dem Verfügungssatz über die Bewilligung des Alg (für eine bestimmte Dauer, in bestimmter Höhe) ein weiterer Verfügungssatz (mit einem weiteren Regelungsgegenstand) fingiert, der die Teil-Rücknahme und Teil-Abänderung der vorangegangenen Bescheide zum Inhalt hätte, ohne daß jedoch dem umgedeuteten Bescheid der Umfang der jeweiligen Abänderungen zu entnehmen wäre. Eine derart weite Auslegung des § 43 SGB X, dh der Umdeutung eines Verwaltungsakts „mit gleicher Zielrichtung”, kommt schon im Hinblick auf die erforderliche Rechtssicherheit und Rechtsklarheit (vgl hierzu BSGE 48, 217, 219 = SozR 1200 § 54 Nr 3) sowie auf die mit einer derartigen Anwendung verbundene Beeinträchtigung der verfahrensrechtlichen Stellung des Betroffenen nicht in Betracht; sie könnte im übrigen auch im Widerspruch zu dem Grundsatz der Gewaltenteilung stehen (vgl hierzu BSGE 48, 56, 60 = SozR 2200 § 368a Nr 5).
Im übrigen hätte der „ersetzende” Verwaltungsakt materiell-rechtlich nicht erlassen werden dürfen; die fehlende Ermessensausübung steht dem allerdings im Hinblick auf die Ausnahmeregelung des § 152 AFG idF des 1. SKWPG (vgl hierzu Urteil vom 18. September 1997 – 11 RAr 9/97 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) nicht entgegen. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit des „ersetzenden” Verwaltungsakts ist wegen der Ex-tunc-Wirkung der Augenblick, in dem der (umzudeutende) Verwaltungsakt erlassen wurde und nicht der Zeitpunkt, in dem die Behörde oder das Gericht die Umdeutung festgestellt hat (vgl hierzu Laubinger, VerwA 78, 207, 366). Somit hätten im Zeitpunkt des Erlasses des umzudeutenden Verwaltungsaktes die gesetzlichen Voraussetzungen für den Verwaltungsakt, in den ggf umzudeuten gewesen wäre, vorliegen müssen. Bei einer teilweisen Rücknahme des das Alg bewilligenden Bescheides vom 14. Juli 1992 durch den am 22. Februar 1994 erlassenen Bescheid hätte also ein Vertrauensschutz des Klägers gemäß § 45 Abs 2 SGB X verneint werden müssen. Da die Beklagte Feststellungen hierzu nicht getroffen hat, hätte das LSG diese (im Falle der beabsichtigten Umdeutung) nachholen müssen. Dies würde aber den Rahmen einer zulässigen Umdeutung ersichtlich überschreiten.
Nach alledem haben SG und LSG zutreffend entschieden. Dem Kläger steht unter Berücksichtigung des zuletzt im Uhg-Bescheid zugrunde gelegten Arbeitsentgelts von 910,00 DM unter Abzug bereits erbrachter Leistungen Alg für die Zeit vom 26. Februar 1994 in Höhe von 335,40 DM wöchentlich zu (AFG-Leistungsverordnung 1994, Leistungsgruppe A, Allgemeiner Leistungssatz), ab 1. Juli 1994 von 372,60 DM wöchentlich (910,00 DM × 1,138 = 1.035,58 DM, gerundet 1.040,00 DM) und vom 2. Januar 1995 bis 24. Februar 1995 wöchentlich 362,40 DM (AFG-Leistungsverordnung 1995).
Die Revision der Beklagten ist mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
SozR 3-4100 § 112, Nr. 29 |
Breith. 1999, 552 |
SozSi 1999, 39 |