Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. Juni 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverweisen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Der 1945 geborene Kläger war nach seiner im Jahre 1962 abgelegten Gesellenprüfung bis November 1980 als Maler und Lackierer versicherungspflichtig beschäftigt. Zum 1. Februar 1981 nahm er eine selbständige Tätigkeit als Schriftenmaler und Werbegrafiker auf. Am 18. April 1988 erlitt er einen Arbeitsunfall und bezog daraufhin bis September 1990 Verletztengeld. Wegen der Unfallfolgen „Bewegungseinschränkung im linken oberen und unteren Sprunggelenk, Muskelminderung am linken Unterschenkel sowie glaubhafte Belastungsbeschwerden nach Schien- und Wadenbeinbruch links” gewährte ihm die zuständige Berufsgenossenschaft Druck- und Papierverarbeitung Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 vH. Im Frühjahr 1990 meldete der Kläger sein Gewerbe ab.
Den im Oktober 1990 gestellten Rentenantrag des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. November 1990 idF des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1991 ab, weil die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine EU/BU-Rente nicht erfüllt seien. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Lübeck ≪SG≫ vom 21. Dezember 1993 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 17. Juni 1996). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Zunächst greife Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) nicht ein, wonach es auf die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen von § 1246 Abs 2a, § 1247 Abs 2a der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht ankomme. Zwar habe der Kläger die Wartezeit von 60 Kalendermonaten bereits bis November 1980 erfüllt gehabt, es sei jedoch insbesondere bis zum 30. Juni 1984 kein Versicherungsfall eingetreten. EU scheitere gemäß § 1247 Abs 2 Satz 3 RVO an der vom Kläger damals ausgeübten selbständigen Tätigkeit; aber auch BU lasse sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht feststellen. Da der Kläger damals noch leichte Arbeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen habe vollschichtig verrichten können, sei er auf die Tätigkeit eines Telefonisten mit Füllarbeiten im Verwaltungsbereich zu verweisen gewesen.
Die Voraussetzungen von § 1246 Abs 2a, § 1247 Abs 2a RVO lägen nicht vor. Zum einen mangele es an einer Beitragsentrichtung sowie Aufschubzeiten iS von § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 und Satz 2 RVO. Zum anderen sei auch § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO nicht gegeben. Zwar sei erst mit dem Arbeitsunfall am 18. April 1988 der Versicherungsfall der EU eingetreten. Die rentenrechtlich relevante Minderung der Erwerbsfähigkeit von diesem Zeitpunkt an hätten alle medizinischen Sachverständigen bestätigt. Der Kläger sei bei seinem Arbeitsunfall jedoch nicht in der Rentenversicherung versicherungspflichtig tätig gewesen. Eine zeitnah vor Eintritt des Versicherungsfalles durch Arbeitsunfall ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit fordere jetzt ausdrücklich § 53 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Dabei handele es sich lediglich um eine redaktionelle Klarstellung einer auch vorher schon gültigen Rechtslage. Insoweit habe sich der Senat von den Gesetzesmaterialien zum Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBegleitG 1984) leiten lassen, in welchen es ausdrücklich heiße, daß mit der Neuregelung „eine Zuerkennung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nur noch in Betracht komme, wenn der Versicherte vorher versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig war” (Hinweis auf BT-Drucks 10/335 S 72 zu Nr 29 ≪§ 1246≫).
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend: Die Vorinstanzen hätten die Vorschrift des § 1252 RVO nicht richtig bewertet. Diese könne nur so verstanden werden, daß die Rentenleistung auf jeden Fall dann zu erbringen sei, wenn ein Arbeitsunfall zur Erwerbsminderung geführt habe. Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit der Entrichtung von Pflichtbeiträgen sei hier – anders als in § 53 SGB VI – nicht erforderlich.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 7. November 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1991 sowie der Urteile des Sozialgerichts Lübeck vom 21. Dezember 1993 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. Juni 1996 die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. November 1990 Rente wegen EU, hilfsweise BU, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Dazu trägt sie vor: Angesichts des eindeutigen Wortlautes von § 1252 Abs 1 Nr 1 RVO vermöge sie der Ansicht des LSG nicht zuzustimmen. Für zutreffend halte sie vielmehr die in der Revisionsbegründung des Klägers enthaltene Auffassung. Entscheidungserheblich sei danach, ob der Kläger seit dem 31. Oktober 1990 als Folge des am 18. April 1988 erlittenen Arbeitsunfalles berufs- oder erwerbsunfähig sei. Hierzu habe das LSG keine rechtsfehlerfreien Tatsachenfeststellungen getroffen. Es lasse nicht erkennen, aufgrund welcher Ermittlungen es zu der Feststellung gekommen sei, daß erst mit dem Arbeitsunfall am 18. April 1988 der Versicherungsfall der EU eingetreten sei. Insoweit rüge sie eine fehlerhafte Tatsachenermittlung iS von § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Ferner rüge sie auch eine Verletzung von §§ 62, 128 Abs 2 SGG, da sie durch diese Feststellung im Urteil überrascht worden sei. Hätte das LSG in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, daß der Kläger ab Oktober 1990 aufgrund des am 18. April 1988 eingetretenen Arbeitsunfalles berufs- oder erwerbsunfähig geworden sei, so hätte sie hierauf sachgerecht entgegnen können. Sie hätte darauf hingewiesen, daß nach dem Gutachten von Prof. Dr. H. … das Leistungsvermögen des Klägers erst ab Antragstellung (1. Oktober 1990) auf untervollschichtig herabgesunken gewesen sei. Andererseits sei der Sachverständige Dr. E. … zu dem Schluß gelangt, daß sich bereits in der Zeit von April 1986 bis zum Unfall im Jahre 1988 insoweit eine Änderung ergeben habe, als sich im Oktober 1987 ein massiver Bandscheibenvorfall im Bereich L 5/S 1 eingestellt habe. Nach Auffassung dieses Sachverständigen sei in dieser Zeit zumindest vorübergehend nur noch ein halb- bis untervollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten vorhanden gewesen. Wie lange dieser Zustand angehalten habe, sei letztendlich aus den Akten nicht ersichtlich. Nach alledem sei nicht eindeutig nachvollziehbar, woher das LSG seine Kenntnis habe, der Kläger sei aufgrund des Unfallereignisses erwerbsunfähig geworden.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Es bedarf noch weiterer Tatsachenfeststellungen zu der Frage, ob beim Kläger eine EU/BU infolge des am 18. April 1988 erlittenen Arbeitsunfalls eingetreten ist.
Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO (iVm dem ArVNG), da der hier entscheidungserhebliche Rentenantrag im Oktober 1990, also bis zum 31. März 1992, gestellt worden ist und die Rente auch für Zeiten vor dem 1. Januar 1992 begehrt wird (vgl § 300 Abs 2 SGB VI). Rechtsgrundlage sind danach zunächst die §§ 1246, 1247 RVO in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden – neueren – Fassung (nF). Diese setzen voraus
- die Erfüllung der Wartezeit (§ 1246 Abs 1 und 3, § 1247 Abs 1 und 3 RVO nF),
- den Eintritt des Versicherungsfalls der BU oder EU (§ 1246 Abs 1 und 2, § 1247 Abs 1 und 2 RVO nF) und
- die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls (§ 1246 Abs 1 und 2a, § 1247 Abs 1 und 2a RVO nF).
Die letztgenannte besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung ist erst durch das HBegleitG 1984 vom 22 Dezember 1983 (BGBl I S 1532) zusätzlich eingeführt worden. Dazu regelt Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG, in welchen Fällen noch die bis zum 31. Dezember 1983 geltende – alte – Fassung (aF) der §§ 1246, 1247 RVO anzuwenden ist, die das grundsätzliche Erfordernis von versicherungsfallnahen Beitragszeiten noch nicht kannte. Nach Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG gelten § 1246 Abs 1 sowie § 1247 Abs 1 RVO aF auch für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1983, wenn der Versicherte
- vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat und
- jeden Kalendermonat der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalls mit Beiträgen oder den bei der Ermittlung der 60 Kalendermonate nach § 1246 Abs 2a RVO nF nicht mitzuzählenden Zeiten belegt hat.
Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG gilt für Versicherungsfälle in der Zeit bis zum 30. Juni 1984 auch, ohne daß die Voraussetzungen der Nr 2 vorliegen (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 2 ArVNG). Für Versicherungsfälle in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1984 gilt Satz 1 auch, wenn die Voraussetzungen der Nr 2 im ersten Kalenderhalbjahr 1984 vorliegen (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 3 ArVNG).
Wie das LSG zutreffend entschieden hat, kann sich der Kläger nicht auf Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG berufen. Nach den für den erkennenden Senat bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) hat er zwar iS von Satz 1 Nr 1 dieser Vorschrift vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt, da er bis November 1980 langjährig als Maler und Lackierer versicherungspflichtig beschäftigt war, es fehlt jedoch an den weiteren Voraussetzungen dieser Übergangsregelung. Denn weder ist bei ihm bis zum 30. Juni 1984 BU oder EU eingetreten noch hat er die Zeit ab 1. Januar 1984 mit Beiträgen oder Streckungstatbeständen iS von § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO nF belegt. Folglich ist im vorliegenden Fall nicht die aF, sondern die nF der §§ 1246, 1247 RVO anwendbar.
Nach den Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß beim Kläger die Wartezeit für eine EU/BU-Rente gegeben ist. Gemäß § 1246 Abs 3, § 1247 Abs 3 Satz 1 Buchst a RVO (beider Fassungen) ist dafür grundsätzlich die Zurücklegung einer Versicherungszeit (§§ 1249, 1250 RVO) von 60 Kalendermonaten erforderlich. Diese kann der Kläger – wie bereits dargelegt – vorweisen.
Was den Eintritt eines Versicherungsfalls anbelangt, so hat das LSG ausgeführt, daß (erst) mit dem Arbeitsunfall am 18. April 1988 EU eingetreten sei. Da diese Beurteilung nicht durch nähere Tatsachenfeststellungen gestützt, sondern lediglich mit einem Hinweis auf die von allen medizinischen Sachverständigen bestätigte „rentenrechtlich relevante Minderung der Erwerbsfähigkeit” begründet wird, ist zweifelhaft, ob sie revisionsgerichtlich ohne weiteres bestätigt werden kann. Eine derartige pauschale Zusammenfassung von Tatbestandsfeststellung und Rechtsanwendung in einem Begriff erscheint nur dann zulässig, wenn die Sach- und Rechtslage völlig klar ist. Dies könnte hier allerdings hinsichtlich des Vorliegens von EU im Zeitpunkt der Antragstellung der Fall sein. Jedenfalls dürfte sich aus den Äußerungen der medizinischen Sachverständigen entnehmen lassen, daß der Kläger im Oktober 1990 nur noch über ein untervollschichtiges Leistungsvermögen verfügte. Dazu haben die berufskundlichen Sachverständigen übereinstimmend erklärt, daß dem Kläger insoweit der Arbeitsmarkt verschlossen war. Da der Kläger sein Gewerbe bereits im Frühjahr 1990 abgemeldet hatte (vgl dazu § 1247 Abs 2 Satz 3 RVO), steht der Bejahung von EU auf dieser Tatsachengrundlage nichts im Wege.
Unabhängig von einer insoweit verbleibenden Unsicherheit mangelt es jedenfalls an hinreichenden berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen für eine Prüfung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Nach § 1246 Abs 2a Satz 1 RVO nF, auf den § 1247 Abs 2a RVO nF auch für die EU-Rente verweist, ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zuletzt vor Eintritt der BU ausgeübt worden, wenn
- von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der BU mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind, oder
- die BU aufgrund eines der in § 1252 RVO genannten Tatbestände eingetreten ist.
Während § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO nF hier schon deshalb ausscheidet, weil beim Kläger versicherungsfallnahe Pflichtbeitrags- oder Streckungszeiten (vgl dazu § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO nF) fehlen, läßt sich anhand der Tatsachenfeststellungen des LSG nicht beurteilen, ob der Tatbestand des § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO nF gegeben ist. Dieser nimmt auf § 1252 RVO Bezug, dessen Abs 1 Nr 1 hier in Betracht kommt. Danach gilt die Wartezeit als erfüllt, wenn der Versicherte ua infolge eines Arbeitsunfalls berufsunfähig geworden ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt der Begriff des Versicherten iS von § 1252 Abs 1 Nr 1 RVO lediglich voraus, daß vor dem Arbeitsunfall ein (gemäß § 1249 RVO auf die Wartezeit anrechenbarer) Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden ist (so bereits BSGE 11, 295, 297 = SozR Nr 2 zu § 1252 RVO). Dabei muß sich der Unfall nicht während einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit ereignet haben (vgl BSGE aaO S 297 f). Da § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO nF einschränkungslos auf die in § 1252 RVO genannten Tatbestände verweist, haben diese Grundsätze auch im vorliegenden Zusammenhang zu gelten (vgl Senatsurteile vom 31. März 1993 – 13 RJ 35/91 – Umdr S 4, vom 23. März 1996 – 13 RJ 71/95 – Umdr S 17 und vom 27. Februar 1997 – 13 RJ 41/96 – Umdr S 6). Wenn das LSG demgegenüber eine zeitnah vor dem Arbeitsunfall ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit fordert, so geben die dazu von ihm angestellten Erwägungen keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Zunächst steht einem derartigen Verständnis der einschlägigen Regelung der eindeutige Wortlaut von § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO nF iVm § 1252 Abs 1 Nr 1 RVO entgegen. Schon deshalb läßt sich die Auffassung des LSG nicht ohne weiteres aus der gesetzlichen Neuregelung in § 53 Abs 1 Satz 2 SGB VI herleiten. Wenn die in § 53 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI vorgesehene vorzeitige Wartezeiterfüllung (wegen Arbeitsunfalls) danach nur für Versicherte gilt, die im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls versicherungspflichtig waren oder in den letzten zwei Jahren vor dem Arbeitsunfall mindestens ein Jahr mit Pflichtbeiträgen haben, so handelt es sich dabei um eine differenzierte Bestimmung, die nicht einfach in die Vorläufervorschrift (§ 1252 RVO) hineininterpretiert werden kann. Entgegen der Annahme des LSG beinhaltet § 53 Abs 1 Satz 2 SGB VI auch nach dem Willen des Gesetzgebers keine „redaktionelle Klarstellung” einer schon vorher bestehenden Rechtslage. Vielmehr ergibt sich aus der Begründung zum Entwurf des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992), daß eine zukunftsgerichtete Rechtsänderung erfolgen sollte. Dort heißt es nämlich (BT-Drucks 11/4124, S 165 ≪Zu § 53≫): Beim Vorliegen eines Arbeitsunfalles sei „künftig” erforderlich, daß der Versicherte zum Zeitpunkt des Unfalls pflichtversichert gewesen sei oder in den zwei Jahren vorher mindestens ein Jahr mit Pflichtbeiträgen belegt habe. Dadurch solle verhindert werden, daß Beschäftigte oder selbständig Tätige, die aktuell nicht versicherungspflichtig seien, sich durch einen einzigen Beitrag die Möglichkeit einer zusätzlichen Absicherung bei einem Arbeitsunfall eröffnen könnten.
Ebenso geht der Hinweis des LSG auf die Gesetzesmaterialien zum HBegleitG 1984 fehl. Abgesehen davon, daß § 1252 RVO, den das LSG einschränkend anwenden will, durch das HBegleitG 1984 keine Änderung erfahren hat, die betreffenden Materialien also schon von daher nicht einschlägig sind, bezieht sich die zitierte Passage aus der Begründung zu § 1246 RVO nF (BT-Drucks 10/335, S 72) – wie den nachfolgenden Sätzen zu entnehmen ist – nur auf die Regelung des § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 und Satz 2 RVO nF, welche die im Einleitungssatz angesprochene gesetzgeberische Intention widerspiegelt und sicher auch die große Mehrzahl der Fälle betrifft. Der Ausnahmetatbestand des § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO nF wird in diesem Zusammenhang nicht besonders erwähnt, vielmehr wird „im übrigen” auf den Allgemeinen Teil der Begründung Bezug genommen. Dieser enthält dann (aaO S 60) den Hinweis, daß eine dreijährige versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht zurückgelegt sein müsse, wenn diese etwa durch einen Arbeitsunfall oder durch einen Freizeitunfall innerhalb der ersten sechs Jahre nach Beendigung einer Ausbildung eingetreten sei. Weitere versicherungsrechtliche Anforderungen iS der Auffassung des LSG finden sich an dieser Stelle nicht. Selbst wenn diese im Gesetzgebungsverfahren erwogen worden sein sollten, haben sie jedenfalls im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden.
Im vorliegenden Fall kommt es somit gemäß § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO nF darauf an, ob der Kläger infolge seines am 18. April 1988 erlittenen Arbeitsunfalls berufs- oder erwerbsunfähig geworden ist. Dazu hat das LSG lediglich ausgeführt, erst mit dem Arbeitsunfall am 18. April 1988 sei der Versicherungsfall der EU eingetreten. Die rentenrechtlich relevante Minderung der Erwerbsfähigkeit von diesem Zeitpunkt an hätten alle medizinischen Sachverständigen bestätigt. Diesen Darlegungen sind nicht mit hinreichender Deutlichkeit die für eine Subsumtion erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu entnehmen. Gerade die Feststellung der EU eines Selbständigen ist nämlich nicht nur von medizinischen Bewertungen abhängig. So ist gemäß § 1247 Abs 2 Satz 3 RVO nicht erwerbsunfähig, wer noch eine – und sei es auch nur geringfügige – Erwerbstätigkeit ausübt (vgl dazu BSGE 51, 190 = SozR 2200 § 1247 Nr 32; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 34). Darüber hinaus ist auch der vom LSG verwandte Begriff einer „rentenrechtlich relevanten Minderung der Erwerbsfähigkeit” jedenfalls dann zu unbestimmt, wenn es um die Verwertung des Restleistungsvermögens eines Selbständigen geht. Immerhin sind die medizinischen Sachverständigen hier teilweise davon ausgegangen, daß der Kläger noch leichte Arbeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen „untervollschichtig” verrichten könne. Da somit anhand der berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht sicher entschieden werden kann, wann (in der Zeit vor der Rentenantragstellung) ein Versicherungsfall der EU oder BU eingetreten ist, läßt sich auf dieser Grundlage erst recht nicht sagen, ob die Unfallfolgen insoweit zumindest eine wesentliche mitwirkende Ursache gewesen sind.
Die nach alledem noch erforderliche weitere Sachaufklärung kann der erkennende Senat im Revisionsverfahren nicht selbst nachholen (vgl § 163 SGG). Es ist daher geboten, gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen