Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine falsche Beratung
Leitsatz (redaktionell)
Bezweckt die Begründung eines Bescheids (Schreibens) allein, die Einstellung einer Leistung zu begründen, ist der Versicherungsträger nicht verpflichtet, dem Versicherten Hinweise für sein künftiges versicherungsrechtlich relevantes Verhalten zu geben; dies insbesondere dann nicht, wenn der Bescheid (das Schreiben) nicht so gefaßt ist, daß der Versicherte daraus falsche Vorstellungen über sein weiteres versicherungsrechtliches Verhalten gewinnen muß.
Normenkette
SGB 1 § 14 Fassung: 1975-12-11; RVO § 1248 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; AVG § 25 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1248 Abs. 4 S. 1 Buchst. a Fassung: 1973-03-30; AVG § 25 Abs. 4 S. 1 Buchst. a Fassung: 1973-03-30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. September 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der am 14. Februar 1909 geborene Kläger war bis Ende Februar 1974 als Lohnbuchhalter beschäftigt. Er hatte ab Januar 1973 - neben seinem Arbeitsverdienst - Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 bezogen. Durch Bescheid vom 9. Juli 1973 hatte die Beklagte die Zahlung zu Ende Juli 1973 eingestellt und zur Begründung (u. a.) ausgeführt:
"Das am 31.3.1973 verkündete 4. Rentenversicherungs-Änderungsgesetz hat die Möglichkeit einer Weiterarbeit neben dem flexiblen Altersruhegeld rückwirkend zum 1.1.1973 eingeschränkt. Vor Vollendung des 65. Lebensjahres dürfen Bezieher eines flexiblen Altersruhegeldes nur noch für drei Monate oder 75 Arbeitstage pro Jahr eine Beschäftigung bzw. Tätigkeit ohne Verdienstbeschränkung ausüben. In den restlichen neun Monaten des Jahres ist eine Beschäftigung oder Tätigkeit mit einem monatlichen Einkommen bis zu drei Zehntel der Beitragsbemessungsgrenze (das sind für 1973 monatlich 690,00 DM) zulässig."
Im Dezember 1973 beantragte der Kläger erneut das Altersruhegeld ab 1. Januar 1974 mit dem Hinweis, er werde Ende Februar 1974 aus seiner Firma ausscheiden. Die Beklagte gewährte ihm durch Bescheid vom 14. März 1974 das Altersruhegeld erst vom März 1974 an, weil die letzten Monate der Dauerbeschäftigung keine zeitlich begrenzte Aushilfe im Sinne von § 25 Abs. 4 Buchst. a AVG gewesen seien.
Mit der Klage rügte der Kläger, er sei über dieses gesetzliche Erfordernis bei einer Vorsprache in der Beratungsstelle der Beklagten im November 1973 nicht aufgeklärt worden. Bei richtiger Information würde er seinen Arbeitsvertrag zum 31. Dezember 1973 aufgelöst und einen Aushilfsvertrag bis zum 28. Februar 1974 geschlossen haben. Überdies habe die Beklagte schon in dem Schreiben vom 9. Juli 1973 eine unvollständige Auskunft erteilt; auch dort fehle der Hinweis, daß die Aushilfsbeschäftigung von vornherein auf (höchstens) drei Monate beschränkt sein müsse.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) hat sie (auf die zugelassene Berufung der Beklagten) abgewiesen (Urteile vom 23. September 1974 und 19. September 1975). Das LSG hat dabei - entgegen der Auffassung des SG - insbesondere eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten auf der Grundlage eines Folgenbeseitigungsanspruchs oder von Treu und Glauben verneint. Der Inhalt der von der Beratungsstelle erteilten Auskunft stehe nicht fest; wenn sie unrichtig gewesen sein sollte, wären die SGe für den Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zuständig. Die Mitteilung vom 9. Juli 1973 enthalte keine Auskunft darüber, wie der Kläger sich künftig verhalten sollte, um das flexible Altersruhegeld zu erhalten; sie habe nur den Zweck gehabt, die Einstellung der Rentenzahlung zu begründen. Schließlich sei die Beklagte auch nicht verpflichtet gewesen, den Kläger nach Eingang seines Antrags vom Dezember 1973 darauf hinzuweisen, wie er weiterarbeiten könne, ohne daß es rentenschädlich sei.
Mit der Revision beantragt der Kläger,
das angefochtene Urteil aufzuheben.
Er rügt, das LSG habe die Voraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruchs verkannt. Hiernach müsse die Beklagte, da sie zweimal eine falsche Auskunft erteilt habe, ihn an sich so stellen, daß er den Tatbestand des flexiblen Altersruhegeldes für Januar und Februar 1974 erfüllen könne. Das sei zwar wegen des Zeitablaufs nicht mehr möglich; daraus dürfe ihm aber kein Nachteil entstehen; er sei nun so zu behandeln, als ob die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 und 4 Buchst. a AVG erfüllt wären.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung des Altersruhegeldes für Januar und Februar 1974 zusteht, weil die Voraussetzungen des § 25 Abs. 4 Satz 1 AVG idF des 4. Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 30. März 1973 (BGBl I 257) nicht vorliegen. Auf eine andere Rechtsgrundlage kann der Kläger sein Begehren nicht stützen.
Insoweit sind ein Folgenbeseitigungsanspruch oder eine Verpflichtung aus Treu und Glauben erwogen worden; zu denken wäre ferner an einen versicherungsrechtlichen Schadensersatzanspruch. Hier besteht jedoch kein Anlaß, eingehend darzulegen, welche Voraussetzungen Ansprüche der genannten Art im einzelnen fordern und welche Rechtswirkungen sie entfalten. Ansatzpunkt könnte immer nur ein rechts- oder pflichtwidriges Verhalten der Beklagten sein. Dafür bietet der vom LSG festgestellte Sachverhalt jedoch keinen Anhalt.
Das Schreiben der Beklagten vom 9. Juli 1973 hatte nicht die Funktion, den Kläger über sein künftiges Verhalten zu belehren. Die Ausführungen der Beklagten bezweckten allein, die Einstellung des Altersruhegeldes zu begründen. Die Beklagte war nicht verpflichtet, aus diesem Anlaß Hinweise für künftiges versicherungsrechtlich relevantes Verhalten zu geben. Sie mußte zwar darauf achten, den Kläger insoweit nicht irrezuführen. Das Schreiben war jedoch nicht so gefaßt, daß der Kläger falsche Vorstellungen über die Voraussetzungen des flexiblen Altersruhegeldes gewinnen mußte. Dazu genügte nicht, daß das Schreiben - nach der Meinung des LSG - die Voraussetzungen nur unvollständig wiedergab; der Kläger durfte daraus nicht folgern, daß er, wenn er nur diese beschriebenen Voraussetzungen erfülle, das flexible Altersruhegeld erhalte. Im übrigen hat sich der Kläger - nach nicht angefochtener Feststellung des LSG - in seinem weiteren Verhalten nicht vom Text des Bescheides leiten lassen, vielmehr zur Informierung die Beratungsstelle der Beklagten aufgesucht; die Begründung des Bescheides vom 9. Juli 1973 war hiernach für seine späteren Entschlüsse zudem nicht kausal.
Welche Information der Kläger im November 1973 von der Beratungsstelle der Beklagten erhalten hat, hat das LSG nicht feststellen können. Die Nichtfeststellbarkeit ist eine tatsächliche Feststellung im Sinne von § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); der Kläger hat sie nicht mit Verfahrensrügen angefochten; der Senat ist daher hieran gebunden.
Hieraus ergibt sich, daß die Beklagte bei der Prüfung des im Dezember 1973 gestellten Rentenantrages nicht wegen voraufgegangener falscher Auskünfte zu Hinweisen an den Kläger verpflichtet sein konnte. Auch aus anderem Grund ergab sich keine entsprechende Pflicht. Der Versicherungsträger muß zwar den Versicherten auf Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen, die so offensichtlich zweckmäßig sind, daß jeder vernünftige Versicherte sie nutzt. Der vom Kläger vermißte Hinweis mußte der Beklagten nicht in diesem Ausmaß zweckmäßig erscheinen.
Obgleich der Anspruch des Klägers sonach schon am fehlenden Nachweis eines rechts- oder pflichtwidrigen Verhaltens der Beklagten scheitern muß, sei noch ein zusätzliches Bedenken aufgezeigt. Der Kläger hat nicht vorgetragen, wie im einzelnen der "Aushilfsvertrag" für Januar und Februar 1974 gestaltet worden wäre; sein Vorbringen ergibt jedenfalls nicht, daß der - im Jahre 1973 zu schließende - Aushilfsvertrag der späteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum flexiblen Altersruhegeld entsprochen hätte (s. hierzu Urteile vom 24. Oktober 1975 - 5 RJ 112/75; 28. November 1975 - 4 RJ 123/75; 15. Juni 1976 - 11 RA 90/75).
Nach alledem mußte die Revision zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen